Grundlegende Thesen zu den Schimanski Tatorten der Jahre 1981 - 1991, insbesondere zur Sozialkritik, Erzählerperspektive, Humor und Selbstreferenz, Regionalität sowie Figur und Raum. Folgende Folgen der Reihe werden ausführlich analysiert: Duisburg-Ruhrort (WDR), Erstausstrahlung: 21.06.1981 | Der Pott (WDR), Erstausstrahlung: 09.04.1989 | Der Fall Schimanski (WDR), Erstausstrahlung: 29.12.1991
Schimanski Tatorte (1981 - 1991)
THESEN
Die Dominanz der sozialkritischen Themen, die subjektive Erzählperspektive sowie eine humorvolle selbstreferenzielle Kommentierung sind Alleinstellungsmerkmale der Schimanski-Tatorte gegenüber anderen Produktionen der Tatort-Reihe.
Das Merkmal der Regionalität wird in den Schimanski-Tatorten insbesondere durch eine Bildpolitik, die Figur und Raum miteinander verschränkt, inszeniert.
Der Realismus des Lokalen verfestigt sich in den Schimanski-Tatorten zu einem Realismus des Mythischen.
ANALYSE
Realismus und Aktualität
- Tatort greift aktuelle gesellschaftliche Diskurse (zeitnah) auf
- Schimanski fördert aber auch ein mythisches Bild vom Ruhrgebiet, dass dem Realismus entgegen steht
- Blutspur: Libanonkrieg
- Der Tausch: Krieg im Nahen Osten
Figuren
- Schimanski als Figur im Mittelpunkt → subjektive Kamera, Erzählperspektive ist an die Ermittlerfigur Schimanski geknüpft, Aufklärung und Ermittlungsarbeit wird gezeigt (Fall ist nicht von vorneherein klar, sondern wird dem Publikum erst durch die Ermittlungsarbeit zugänglich)
- alle Folgen beginnen mit einer Szene, in der die Ermittler gezeigt werden (Ausnahmen:)
- Schimanski lebt am Tatort (siehe Schwarzes Wochenende, Hotel Ideal)
- Schimanskis Privatleben ist fast immer mit dem Fall verknüpft (v.a. Folge Freunde, unklar, ob Schimanski die Seiten wechselt)
- Zuschauer erfährt nur das, was der Ermittler weiß
- nicht mehr nur Darstellung des Falls, Fall als Geheimnis, Darstellung der Ermittler zum Fall
- Fensterblick
- Moralist (Differenz Recht und Gerechtigkeit)
- Bildpolitik der Schimanski-Tatorte verschränken Figur und Raum
- Wertwandel wird äußerlich durch Parka symbolisiert
- keine Distanz, leidens- und Mitleidsfähigkeit, persönliche Betroffenheit, instinktives Handeln
- Verbrechen immer an soziale Probleme gebunden
- Figuren mit Vergangenheit
- Schimanski und Thanner als erstes Tatort-Team, lost Kommisar-Assistent-Modell ab
- Schimanski als Grenzgänger zwischen legaler und illegaler Ermittlungsmethoden
- Jargon/ Soziolekt: sehr direkte Spracher, Thanner zählt in Spielverderber wie oft Schiamnski Scheiße sagt
- Schimanski als Stellvertreter für das Ruhrgebiet
- Schimanski als Moralist (Differenz zwischen Recht und Gerechtigkeit), viele Schimanski-Tatorte hinterlassen den Eindruck, der Falle wäre ohne Grenzüberschreitung nicht gelöst wurden
- Schimanskis körperbetonte und actionlastige Darstellung löst die psychologisierende Darstellung Hansjörg Felmys (Haferkamp) ab (Generationenwechsel)
- Schimanski als androgyne Figur mit betonter Körperlichkeit, aber auch sehr empfindsamer Seite
- Schimanskis Äußeres (Jeans, Parka, Turnschuhe) unterstreicht Dynamik, Robustheit
- kontinuirlich wird Schimanskis Körperlichkeit präsentiert
- das private und Alltägliche (der Ermittlerfiguren) wird darstellungsfähig → Authentizität
Raum
- Raumkonstruktion über landmarks (stereotype Wahrzeichen, Establishing shots) und Alltagssignale (reale/ authentische Versatzstücke: Autokennzeichen, Schriftzüge, Tageszeitungen, Stadtpläne, Mundart). Siehe Björn Bollhöfer: Tatort Deutschland – Auf geographischer Spurensuche zwischen Sylt und Konstanz, Aachen und Dresden. In: Julika Griem, Sebastian Scholz (Hg.): Tatort Stadt. Mediale Topografien eines Fernsehklassikers, Frankfurt am Main 2012, S.31-50.
- Raum als kultureller Text und als Resultat von Bedeutungszuweisungen
- Raum wird meist durch establishing shots gezeigt
- Realismus des Lokalen entwickelt sich in den Schimanski-Tatorten zu einem Realismus des Mythischen
- Schimanski bestätigt das zwar längst überholte, aber für Viele noch präsente Bild des Ruhrgebiet
- Duisburg: größter Binnenhafen der Welt (Transitorischer Durchgangsort, interna, Stadt des Proletariats, Deindustrialisierung (Stahlkrise) seit Ende der 1970ertionale Kriminalität)
- Städteansichten sind losgelöst von dramaturgischer Handlung, dienen oft nur der Ästhetik → symbolische Orte
- Bestandteile der Ortsdarstellung: Zeche, Stahlwerk, qualmende Schlote, Werkshallen
- Künstlichkeit der Orte (Mythisch) ist für die Erzeugung des Realismuseffekts notwendig
- Spin Off (seit 1997) hat wegen nicht-dargestelltem Strukturwandel Probleme in der Raumdarstellung (Der Wandel hat kein Bild)
- Wahl der Stadt Duisburg wegen Bedeutungslosigkeit der Stadtgrenzen im Ruhrgebiet
- Strukturwandel wird in der Raumdarstellung nicht deutlich, aber in den Figuren. Der Strukturwandel wird fast ausnahmslos aus der Sicht der Verlierer präsentiert.
Analyse einzelner Folgen
Duisburg-Ruhrort
126. Folge, EA: 28.06. 1981, 15,38 Mill. Zuschauer
Kamera, Licht, Ton
- überwiegend halbnahe Kameraeinstellung (medium close up, entspricht der natürlichen Sehsituation – Realismus)
- extreme Totale nur selten, bietet Überblick über die Szene
- schlecht beleuchtet, Neonleuchte
- Musik als Bestandteil der Szene, motiviert, es gibt kaum Hintergrundmusik
- reale Gesräusche → Realismus (übertönen teilweise Gespräche)
- Lied „Leader of the Pack“ rekuriert auf Schimanskis Biografie (Arbeitermilieu, kleinkriminelle Vergangenheit)
Inhalt
- rohe Eier, Pfandflaschen, Jungeselle, legere Kleidung, dreckige Wohnung, Kneipe als Zweitadresse, Spieler → Schimanskis Figur wird in den ersten fünf Minuten der Folge eingeführt → fast ausschließlich über die visuelle Ebene
- Thanner: spricht französisch, Artikel steht im Nominativ Singular
- Petchek hat kommunistische Literatur gelesen (Radikalenerlass, Lehrer wäre er damit nicht geworden)
- Schimanksi will Tattoo entfernen lassen (Vergangenheit und Erinnerung daran auslöschen)
- Thanner prügelt sich in Rockerkneipe
- ausländische Gastarbeiter (Müller: Ali ist in Ordnung. Fast wie n Deutscher)
- Gewerkschaftler (Memek Celik)
- Türken sind enttäuscht von Polizeiarbeit, organisieren eigenen Waffenschmuggel, um sich zu wehren
- Selbstreferenzen: Schimanskis Vorgänger Haferkamp als Polaroidwerbung, Scheiß TV
- zeigt symbolischen Raum (Stahlwerk, Arbeitersiedlung, Rheinbrücke, Kneipe)
Der Pott
217. Folge, EA 09.04. 1989, 12,92 Mill. Zuschauer
Kamera, Licht, Ton
- lineare Handlung mit einer Rückblende (Waffentausch)
- Schuss-Gegenschuss in Großaufnahme zur Unterstreichung des Dialogs
- Bonn (hell) als Kontrast zu Duisburg (Vgl. auch Thanners Anzug als Kontrast)
- Rio Reiser
- Realgeräusche (Regen,Vögel)
Sprache
- Dialekt von Arbeitern und Kripobeamten vs. Hochdeutsch beim BKA, Vorstand Weststahl
- Doppellungen (Adenauer-Zitat, Bügeln, leises Sprechen, Schlußszene wird im Gespräch Schimanski-Wilms durchgespielt
- Abspann wird in Film integriert
[...]
- Quote paper
- Tina Grahl (Author), 2012, Schimanski Tatorte (1981-1991). Sozialkritik, Erzählerperspektive, Humor und Selbstreferenz, Regionalität sowie Figur und Raum, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455593
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