"Es ist des Menschen Pflicht, die ihm bestimmte Zeit abzuwarten, bis seine Stunde schlägt bis er danieder sinkt und von der Last seines Elends erdrückt wird." So schrieb es einst der britische Autor und Geistliche Humphrey Primatt. Er brachte damit im Jahre 1776 eine durch alle Zeiten hinweg existierende und auch noch heute weit verbreitete Auffassung über das menschliche Leben und des damit unwiderruflich verbunden Sterbens zum Ausdruck.
Das Bundesverwaltungsgericht teilt diese Auffassung nicht. Im Urteil vom 02.03.2017 heißt es unter anderem, dass ein unheilbar schwer erkrankter Mensch unter Vorliegen von bestimmten Bedingungen rechtlich dazu befugt ist, eine tödliche Dosis des Medikaments Natrium – Pentobarbital zum Zwecke der eigenen Selbsttötung zu erwerben. Danach sei der Mensch also, zumindest auf rechtlicher Ebene, nicht unter jedem Umstand dazu verpflichtet, seinen natürlichen Tod abzuwarten und seinen Sterbeprozess bis zum Ende, auch unter qualvollen Schmerzen, durchzustehen.
Stattdessen sei er vielmehr dazu berechtigt, sich eben nicht von der großen Last seines Elendes erdrücken zu lassen, sondern, - freilich unter Vorliegen der Bedingungen -, vor seinem Elend hinweg zu fliehen und der ihm bestimmten Zeit, sofern diese mit dem natürlichen Tod zu interpretieren ist, zuvor zu kommen.
Die Entscheidung hat sowohl eine breite juristische als auch rechtspolitische Debatte ausgelöst, auf deren Einzelheiten hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll. Stattdessen soll das Urteil nachfolgend aus rechtsethischer Perspektive betrachtet werden, wobei solche ethischen Theorien im Vordergrund stehen werden, die mir für die Beantwortung der mit dem Urteil entstanden Probleme und Fragen am geeignetsten erscheinen.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Grundaussagen der Entscheidung
- C. Abgrenzung zum „privaten Suizid“
- D. Rechtsethische Legitimität – Gesellschaftliche und verfassungsrechtliche Situation als Ausgangspunkt für Auswahl der Theorien
- I. Individueller ethischer Subjektivismus als höchste Form der Autonomie? Eine Betrachtung der Moralvorstellung des Protagoras und dessen Folgerungen für das Urteil des BVerwG
- 1. Probleme, die der individuelle ethische Subjektivismus als Grundlage staatlicher Rechtsprechung mit sich bringen würde:
- 2. Protagoras Relativierung des Relativismus – Moral ungleich Recht
- II. Der generelle ethische Subjektivismus – Einschränkung der vollkommenen Willkür durch den Begriff der Vernunft - Moralvorstellungen von Kant und deren Abgleich mit dem Urteil des BVerwG
- 1. Moralische Legitimität der Selbsttötung nach Kant.
- 2. Rechtliche Legitimität der Selbsttötung nach Kant.
- E. Ethischer/Subjektivismus als Signatur der westlichen Welt – Entscheidungsfreiheit des Subjekts als höchstes Gut, Einzelner Mensch als letzes Maß
- F. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text analysiert die rechtsethische Legitimität des assistierten Suizids im Kontext des Bundesverwaltungsgerichts-Urteils vom 02.03.2017. Der Autor setzt sich zum Ziel, die ethische Relevanz der Entscheidung zu beleuchten und die ethischen Theorien zu untersuchen, die für die Beantwortung der im Urteil aufgeworfenen Fragen am geeignetsten erscheinen.
- Rechtsethische Legitimität des assistierten Suizids
- Abgrenzung zum „privaten Suizid“
- Ethischer Subjektivismus als Signatur der westlichen Welt
- Entscheidungsfreiheit des Individuums als höchstes Gut
- Relevanz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Ausgangssituation des Textes dar: das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, welches die rechtliche Befugnis zur Selbsttötung unter bestimmten Bedingungen erlaubt.
Kapitel B beleuchtet die Kernaussagen des Urteils im Fall einer querschnittsgelähmten Frau, die einen tödlichen Dosis Natrium-Pentobarbital zum Zwecke der Selbsttötung beantragte.
Kapitel C untersucht die Abgrenzung zum „privaten Suizid“ und beleuchtet den Unterschied zwischen der moralischen Verwerfung der Selbsttötung und der Frage nach der rechtsethischen Legitimität der staatlichen Verleihung eines Anspruchs auf Selbsttötung.
Kapitel D führt in die rechtsethische Legitimität des assistierten Suizids ein und setzt den gesellschaftlichen und verfassungsrechtlichen Kontext für die Auswahl der relevanten ethischen Theorien.
In Kapitel E wird der ethische Subjektivismus als dominierende Ideologie der westlichen Welt erörtert und mit den Grundprinzipien der Aufklärung, dem Demokratieprinzip und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung gesetzt.
Schlüsselwörter
Der Text beschäftigt sich mit den Kernthemen des assistierten Suizids, der rechtsethischen Legitimität, dem ethischen Subjektivismus, der Entscheidungsfreiheit, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 02.03.2017.
- Arbeit zitieren
- Patricia Sommer (Autor:in), 2018, Zur rechtsethischen Legitimation des assistierten Suizids, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/455717