Ambivalente Identitäten. Die Figur Malinche in dem Roman "Malinche" von Laura Esquivel


Hausarbeit (Hauptseminar), 2016

18 Seiten, Note: 2,7

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Malinche in ihrer Ambivalenz
2.1. Malinche als Sinnbild der Urmutter
2.2. Malinche als Sinnbild der Urverräterin
2.3. Malinche als vergewaltigte Mutter Mexikos

3. Darstellung der Figur Malinche in Laura Esquivels Roman „Malinche“

4. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

Noch heute gilt Malinche als eine wichtige Identifikationsfigur für Mexikaner, da viele mit ihrer mexikanischen Identität ein Problem haben. Sie fühlen sich weder von den indianischen Ureinwohnern, noch von den Spaniern abstammend, sondern sehen sich als eine neue Rasse.

Das indianische Mädchen Malinche war die Geliebte und Übersetzerin des spanischen Konquistadors Hernán Cortés und unterstützte dadurch die Spanier bei der Eroberung des neuen Kontinentes. Sie wurde somit Teil der mexikanischen Geschichte und entwickelte sich zu einer der bekanntesten aber auch umstrittensten Frauen in Mexiko. Jeder Mexikaner kennt ihren Namen und sie ist immer noch im mexikanischen Bewusstsein verankert. Die unterschiedlichen Meinungen der Mexikaner über Malinche führen dazu, dass sich Malinche zu einer polarisierenden mexikanischen Persönlichkeit entwickelt hat. Dies resultiert zum einen durch ihre Verankerung in unterschiedlichen Kulturen und zum anderen aus den unterschiedlichen Betrachtungsweisen durch die sie auf die Mexikaner wirkt. Sie gilt zum einen als Verräterin ihres eigenen Vaterlandes und zum anderen als Urmutter der mexikanischen Nation. Diese beiden konträren Bilder werden zudem noch um das der vergewaltigten Mutter ergänzt. Es stellt sich nun also die Frage ob Malinche ein handlungsfähiges Subjekt war, das sich den Konsequenzen ihres Handels bewusst war oder als Werkzeug der spanischen Konquistadoren genutzt wurde.

Im Rahmen dieser Arbeit werden zunächst die unterschiedlichen Bilder - welche Malinche repräsentiert - näher betrachtet und vorgestellt. Anschließend wird Laura Esquivels Roman Malinche dahingehend untersucht, wie die Figur Malinche heute in der mexikanischen Literatur dargestellt wird. Interessant ist es zudem zu ermitteln, welches der unterschiedlichen Bilder eine dominierende Rolle einnimmt und in wie weit die Autorin die verschiedenen Meinungen der Mexikaner über Malinche in ihren Roman mit einfließen lässt.

2. Malinche in ihrer Ambivalenz

Das von einem indianischen Volk abstammende Mädchen, Malinche, auch bekannt unter Malinalli beziehungsweise Marina1, gehört zu den bekanntesten und meist umstrittensten Frauen in Mexiko2. Ihre hoher Bekanntheitsgrad resultiert aus der wichtigen Rolle, die während der spanischen Eroberung gespielt hat. Ohne ihre Mithilfe als Übersetzerin und Beraterin, hätten die Spanier Mexiko vermutlich nicht erobern können3. Daher hegen viele Mexikaner unterschiedliche Meinungen und Bilder über sie. Zum einen wird sie als Urmutter der mexikanischen Nation und zum anderen als Verräterin der eigenen Rasse gesehen. Malinche wurde somit im Laufe der Zeit zu einer wichtigen ambivalenten Identitätsfigur für die Mexikaner. Im Folgenden werden nun diese unterschiedlichen Darstellungsweisen näher betrachtet.

2.1. Malinche als Sinnbild der Urmutter

Viele Mexikaner betrachten Malinche als Urmutter Mexiko. Sie gilt als Vermittlerin zwischen zwei fremden Kulturen und somit als die Mutter einer neuen Nation, welche aus der Begegnung der spanischen und indigenen Kultur entsprungen ist4. Durch ihre Liebesbeziehung zu dem spanischen Eroberer Hernán Cortés entstand ihr Sohn Martín, welcher als erster Mestize bezeichnet wird. Die Bezeichnung Malinches als Mutter des ersten Mestizen ist jedoch ausschließlich symbolisch zu verstehen, da schon vor Martín Cortés bereits viele Mestizen gezeugt wurden5. Dies resultierte daraus, dass bei den spanischen Eroberungszügen keine weißen Frauen aus Spanien mitgereist sind. Daher gingen viele Spanier Liebschaften mit indigenen Frauen ein, um ihre Lust zu stillen. Somit erfolgte schon vor Malinche und Cortés eine Vermischung zwischen beiden Rassen6.

Jedoch gelten Cortés und Malinche als das vorzeige Gründerpaar der neuen mexikanischen Nation. Sie, eine einfache indigene Frau, welche als Sklavin an Cortés verschenkt wurde, wurde zu der Beraterin und Frau an seiner Seite. Einige Stimmen sind der Meinung, dass Cortés Malinche bloß ausgenutzt habe und sie daher nicht als Gründerpaar bezeichnet werden dürfen. Ihre wichtige Bedeutung für Cortés zeigt sich jedoch darin, dass sie sowohl die einzige Frau ist, die Cortés in seinen Cartas de Relación erwähnt hat, als auch durch die Legitimation seines unehelichen Sohnes Martín. Zudem hat Cortés durch die Weitergabe Malinches an Juan Jaramillo und die dadurch resultierende Hochzeit sowohl ihr soziales Ansehen als auch ihre finanzielle Situation gesichert7. Dies könnte als Zeichen für echte Gefühle von Seiten Cortés gesehen werden.

Neben Malinche als Urmutter wird sie von vielen Mexikanern auch als Verräterin gesehen (Vgl. Kapitel 2.2). Es stellt sich zunächst jedoch die Frage, wen Malinche verraten haben soll? In der damaligen Zeit gab es kein Vaterlandsdenken8. Jeder indianische Stamm lebte eigenständig für sich und war mit fremden Stämmen verfeindet. Malinche half also aus Liebe zu den Indianerstämmen und in der Hoffnung, dass die Spanier die Kriege zwischen ihnen beenden und sie aus der Vorherrschaft Moctezumas befreien würden, den spanischen Konquistadoren9. Somit kann also gesagt werden, dass für viele Mexikaner Malinche zum Symbol einer neu entstandenen Nation und zur Vermittlerin zwischen zwei Völkern wurde.

2.2. Malinche als Sinnbild der Urverräterin

Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, wird Malinche im Gegensatz zur Urmutter auch als Urverräterin gesehen, die ihre Rasse verkauft und verraten haben soll. Viele Mexikaner werfen ihr vor, dass sie sich den europäischen Werten und der fremden Kultur unterworfen habe und somit diese ihrer eigenen bevorzugte 10. Malinche wurde zunächst von ihrer Mutter weg gegeben und kam somit als Sklavin zu Cortés. Dieser merkte jedoch schnell, dass sie durch ihre sprachlichen Fähigkeiten ihm anderweitig nutzen könne und machte sie daher zu seiner Übersetzerin. Malinche half Cortés jedoch nicht nur bei sprachlichen Problemen, sondern lieferte ihm auch strategisches und kulturelles Wissen über die indianischen Völker 11. Dadurch wurde sie zu einer wichtigen Beraterin an Cortés Seite. Indem sie den Spaniern half die Indianerstämme zu besiegen, wurde sie zum Sinnbild des sündhaften Wesens, welches für Ansehen und Reichtum ihre eigene Rasse verkauft haben soll. Daher wird sie oftmals auch als mexikanische Eva bezeichnet12.

Malinche wandelte sich von einer Sklavin, die als Objekt an Cortés verschenkt wurde, zu einem selbstbestimmenden und handelnden Subjekt, das freiwillig ihr Land verraten hat13. Die Leistung aus einem passiven Objekt zu einem aktiven Subjekt zu werden, war für die indigene Frau doppelt schwer, da ihre Unterlegenheit eine zweifache war. Zum einen wurde sie diskriminiert, auf Grund ihrer indigenen Abstammung und zum anderen auf Grund der Tatsache, dass sie eine Frau war. Es herrschte also eine doppelte Diskriminierung 14. Daher ist es erstaunlich, dass Malinche es geschafft hat so viel Einfluss auf den spanischen Konquistador zu nehmen.

Trotzdem stellt Malinche laut Jennerjahn „für viele Mexikaner die Schande Mexikos dar“15. Sie sehen in ihr nicht die Mutter einer neuen Nation und lehnen diesen Ausdruck auch rigoros ab. Als „Hijos de la Malinche“16 werden sie zwar von Octavio Paz betitelt, jedoch sehen sich viele Mexikaner selber nicht als Kinder dieser Person17. Sie können ihr zudem nicht verzeihen, dass sie Land und Leute verraten hat und sehen in ihr die Ursünde der weiblichen Schuld18. Noch heute wird schlecht über Malinche gesprochen. Laut Karnofsky und Potthast wird Malinche sogar mit einer „selbstsüchtigen und lüsternen Hure“19 verglichen, „der Eigennutz über das Wohl ihres Volkes geht“ 20 und ein moderner Autor bezeichnet sie zudem noch als „meistgehasste Frau Amerikas“21. Es wird also deutlich, dass immer noch viele Mexikaner Malinche für eine Verräterin halten und sie sogar als Innbegriff des Verrats an ihrem Vaterland sehen22. Noch heute wird der Begriff malinchismo für den Verrat an der eigenen Kultur gebraucht und steht für die Anpassung und Unterwerfung der Sitten und Ideen des Auslands23. Dies verdeutlicht, dass eine große Diskrepanz zwischen den Bildern, welche Malinche symbolisiert, herrscht.

2.3. Malinche als vergewaltigte Mutter Mexikos

Zunächst wurden nun die beiden konträren Bilder der Malinche und ihre jeweilige Bedeutung vorgestellt. Im folgenden Verlauf wird sich nun einer weiteren Darstellungsweise der Malinche gewidmet. Octavio Paz eröffnete in seinem Buch El laberinto de la soledad ein neues Bild Malinches. Seiner Meinung nach ist sie die vergewaltigte Mutter Mexikos. Sie steht damit symbolisch nicht nur für das vergewaltigte indianische Land, dass von den Spaniern eingenommen und zerstört wurde, sondern auch für die vielen indigenen Frauen, welche von den spanischen Konquistadoren geschändet und vergewaltigt wurden24. Paz geht sogar so weit, dasser ihren Namen von La Malinche in La Chingada umändert25.

Das Verb chingar hat in Mexiko unzählige Bedeutungen, laut Paz steht das Wort jedoch hauptsächlich für die aktive Anwendung von Gewalt und Zerstörung. Er unterscheidet zwischen der aktiven gewaltausführenden Person dem Chingón und der Chingada, die Empfängerin der Gewalt ist und den passiven beziehungsweise schutzlosen Part in dieser Beziehung einnimmt. Dabei ist auffällig, dass das Wort des aktiven Parts männlich ist und dagegen die passive Seite den weiblichen Artikel trägt. Dadurch wird weiterhin deutlich, dass das Verb chingar für Männlichkeit und Stärke steht. Die Gesellschaft wird dabei in zwei Gruppen geteilt: Zum einem gibt es die aktiven, gewalttätigen und zum anderen die schutzlosen, passiven Personen. Laut Paz ist die Frau durch ihre physische sexuelle Veranlagung grundsätzlich der passive Part und den männlichen Chingones unterlegen26.

Somit ist die Chingada „la Madre abierta, violada o burlada por la fuerza“27. Dies bedeutet, dass Malinche die geschändete und mit Gewalt geöffnete Mutter der Nation ist und demzufolge alle Mexikaner Kinder einer Vergewaltigung sind. Dies erklärt, warum viele Mexikaner Probleme mit ihrer Identität haben. Sie fühlen sich weder zu der indigenen noch zu der spanischen Kultur angehörig, sondern sehen sich selber als eine völlig neue Rasse. Cortés und Malinche stehen also für den noch ungelösten Konflikt der Mexikaner mit ihrer spanisch-indianischen Vergangenheit und dem daraus resultierendem Problem mit ihrer mexikanischen Identität28.

[...]


1 Vgl. Cypess, La Malinche in Mexican Literature, S. 2.

2 Vgl. Karnofsky/Potthast, Mächtig, mutig und genial, S. 29.

3 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 19.

4 Vgl. Borsò/Gerling, „Von Malinche zu Frida Kahlo“, S. 80.

5 Vgl. Bandau, „Malinche, Malinchismo, Malinchista. Paradigmen für Entwürfe von Chicana- Identität“, S. 164.

6 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 187.

7 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 192.

8 Vgl. Peters, Weibsbilder, S. 50.

9 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 190-192.

10 Vgl. ebd., S. 195.

11 Vgl. ebd., S. 25.

12 Vgl. Buche, Theorie der interkulturellen Kommunikation, S. 75.

13 Vgl. Peters, Weibsbilder, S. 50.

14 Vgl. Borsò/Gerling, „Von Malinche zu Frida Kahlo“, S. 83.

15 Jennerjahn, „Das Paradigma der Malinche in „El laberinto de la soledad“ von Octavio Paz und

„Los recuerdos del porvenir“ von Elena Garro“, S. 155.

16 Paz, El laberinto de la soledad, S. 59.

17 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 197.

18 Vgl. Paz, El laberinto de la soledad, S. 78.

19 Karnofsky/Potthast, Mächtig, mutig und genial, S. 34.

20 Ebd., S. 34.

21 Ebd., S. 34.

22 Vgl. Bandau, „Malinche, Malinchismo, Malinchista. Paradigmen für Entwürfe von Chicana- Identität“, S. 164.

23 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 195.

24 Vgl. Paz, El laberinto de la soledad, S. 77-78.

25 Vgl. Wurm, Doña Marina, la Malinche, S. 209.

26 Vgl. Paz, El laberinto de la soledad, S. 80-82.

27 Ebd., S. 72.

28 Vgl. Peters, Weibsbilder, S. 54.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Ambivalente Identitäten. Die Figur Malinche in dem Roman "Malinche" von Laura Esquivel
Hochschule
Universität Passau
Note
2,7
Jahr
2016
Seiten
18
Katalognummer
V459899
ISBN (eBook)
9783668897250
ISBN (Buch)
9783668897267
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Literaturanalyse, Mexiko, Malinche, Urmutter, Urverräterin, Ambivalenz
Arbeit zitieren
Anonym, 2016, Ambivalente Identitäten. Die Figur Malinche in dem Roman "Malinche" von Laura Esquivel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/459899

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