"Heimat" und "Fremde". Sehnsüchte, Hoffnungen und Bedürfnisse zur Zeit des deutschen Kolonialismus in Südwestafrika


Hausarbeit, 2012

19 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Deutsche Expansionspläne und „Kolonialfieber“
2.1 Deutsch-Südwestafrika 5

3. Herrschaftsansprüche und Eingeborenenpolitik
3.1 Stilisierung der indigenen Bevölkerung
3.2 Alltagsängste 8

4. Zeitdokumente
4.1 „Peter Moors Fahrt nach Südwest“
4.2 „Südafrikanische Novellen“
4.3 Zusammenfassung

5. Fazit: Heimat und Fremde

6. Ausblick

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Über den deutschen Kolonialismus wurde lange Zeit wenig geforscht und somit war lange Zeit wenig über diese Episode deutscher Geschichte bekannt. Denkt man an die deutsche Geschichte, so assoziiert man in der Regel zuerst die NS-Zeit, anschließend die Zeit der deutschen Trennung. Was dem voran ging, ist zwar teilweise Schulstoff, gehört jedoch nicht gerade zum Allgemeinwissen. Erst seit knapp einem Jahrzehnt fangen die Deutschen an, sich intensiv auch mit der deutschen Kolonialgeschichte auseinanderzusetzen, die ebenso finstere Ereignisse hervorbrachte, wie der Nationalsozialismus und mit diesem in einer besonderen Verbindung steht. Denn Rassismus, Herrenmenschengehabe, Vertreibung, Konzentrationslager und Vernichtungskrieg gab es schon zur Zeit der Jahrhundertwende.

Ein Beispiel hierfür ist die deutsche Kolonie Südwestafrika, das heutige Namibia. Als erste erworbene deutsche Kolonie sollte sich „Südwest“ zum Traum vieler Deutscher, aber auch zum Albtraum einer Nation entwickeln. Welche Hoffnungen die Deutschen ursprünglich in die Kolonie setzten, welche Bedürfnisse durch die Kolonien gestillt werden sollten, welche Sehnsüchte mit dem Leben in der Kolonie verbunden waren und wie sich diese Vorstellungen im Vergleich mit dem Leben in der Heimat verhielten, ist Gegenstand dieser Arbeit. Es soll gezeigt werden, dass einer von vielen ausschlaggebenden Gründen für das Scheitern des deutschen kolonialen Vorhabens eine Herangehensweise mit von vornherein falschen – nämlich deutschen, heimischen – Maßstäben war: Eine Projektion des Bekannten auf das Unbekannte.

Zur Klärung der oben genannten Fragen betrachte ich in dieser Hausarbeit neben Sekundärtexten auch die Rolle ausgewählter zeitgenössischer Literatur, deren Inhalte, Meinungen und Botschaften ein aussagekräftiges Bild der allgemeinen Haltung den Kolonien gegenüber bilden.

2. Deutsche Expansionspläne und „Kolonialfieber“

Zum Ende des 19. Jahrhunderts, nach dem folgenreichen Ausrufen des Kaiserreichs

1871, hatte Deutschland sich zwar schließlich gefunden, geeint und als funktionierender Nationalstaat zentralisiert, jedoch befand sich die junge Nation – unter anderem durch intensiven Koalitionskriege gegen Frankreich – seinen europäischen Mitstreitern gegenüber merkantil und expansionisitisch weit im Rückstand. Was England, Frankreich, die Niederlande, Spanien und Portugal seit Jahrhunderten erfolgreich praktizierten, konnte das preussische Kaiserreich erst jetzt wirklich in Angriff nehmen: Die Etablierung deutscher Besitzungen in Übersee.

Der Wunsch, die eigene Position in Europa zu behaupten und auszubauen, existierte schon lange. Die Bedürfnisse des wachsenden Reichs waren klar formuliert. Man träumte von einem dominanten deutschen „Großraum“ oder „Großwirtschaftsraum“, formulierte dazu detaillierte Strukturvorstellungen und positionierte sich als direkter, imperialistischer Konkurrent gegenüber den Spitzenreitern Russland, Frankreich und Großbritannien 1. Einhergehend mit diesen imperialistischen Ambitionen verstanden sich die Deutschen seit der Reichseinigung zunehmend als ein „Volk“, eine „völkische“ Einheit, die nicht durch äußere Einflüsse gestört oder geschwächt werden sollte. Zunehmend wurden neben Kultur- auch vermehrt Rassenfragen abgehandelt, Feindbilder bestimmt und die eigene nationale Identität gegenüber den selbstbewussten Nachbarstaaten gefestigt.

Von Expansionsplänen nach Übersee war zunächst nicht die Rede, jedoch gab es Anfang der 1880er Jahre bereits einige schlagkräftige und öffentlich wirksam formulierte Argumente für koloniale Besitzungen. Das stärkste Argument dieser Zeit zogen Kolonialismus-Befürworter aus dem anhaltenden Bevölkerungswachstum als Folge der zunehmenden Industrialisierung. Allein zwischen 1880 und 1900 wuchs die deutsche Bevölkerung aufgrund vielfältiger Ursachen um fast 25 % auf 56 Millionen an 2. Dieser massive Bevölkerungsdruck führte nicht nur zu steigenden Arbeitslosenraten, sondern ging darüber hinaus mit Ernährungsängsten und schließlich einer regelrechten Auswanderungswelle einher. Hierin fand die Kolonialpropaganda ein weiteres gewichtiges Argument: 90 % der Auswanderer fanden in den USA eine neue Heimat3. Deutsche Kolonien könnten diesen Auswandererstrom auffangen, als Ventil für den Druck dienen und so das eigene Volk auf deutschem Grund und Boden als eine Einheit wieder stärker zusammenhalten. Auch aus dem Wandel vom Agrar zum Industriestaat, der sich in diesen Jahrzehnten vollzog, schöpften die Befürworter deutscher Kolonien Rechtfertigungsgründe. Deutscher Kolonialisimus würde die Erschließung neuer Absatzmärkte und womöglich reicher Rohstoffquellen nach sich ziehen.

Nach und nach griffen diese Argumente. Die politisch viel diskutierte Kolonialfrage wurde Teil der öffentlichen Diskussion. Gründer spricht von einem buchstäblichen „Kolonialfieber“ in das die Bevölkerung durch die Propaganda verfiel4. Das Thema wurde „en vogue“, die öffentliche Meinung begann sich positiv zu wandeln und ihre Wirkung zu zeigen. Der Grundstein für koloniale Unternehmungen war gelegt.

2.1 Deutsch-Südwestafrika

Deutschlands erste Kolonie sollte schließlich Südwestafrika werden. Am 27. April 1884 befahl Bismarck die bisherige Handelsniederlassung des deutschen Kaufmanns Adolf Lüderitz unter staatlichen Schutz zu stellen. Dieser Tag gilt heute als Geburtsstunde des deutschen Kolonialismus5. Über Bismarcks tatsächliche Motive ist man sich heute jedoch immer noch uneinig. Lange Zeit galt Bismarck als Gegner deutscher Kolonien. Historiker benennen unterschiedliche Auslöser für die plötzliche Meinungsänderung6.

Bezeichnend ist, dass Bismarck bereits im Jahr der ersten Koloniegründungen (Deutsch- Südwestafrika und Deutsch-Westafrika) ausgerechnet in Berlin von November 1884 bis Februar 1885 die sogenannte Kongokonferenz veranstaltete und damit den vielzitierten „Wettlauf um Afrika“ iniziierte. Ausgerechnet Deutschland als Kolonialisierungsnachzügler lud die Vertreter 14 europäischer Staaten und der USA ein, um Afrika auf dem Reißbrett aufzuteilen und Besitzansprüche offiziell zu vereinbaren und zu festigen. Mit diesem selbstbewussten Akt begann jetzt erst das eigentliche Erforschen der Realitäten des afrikanischen Kontinents. Denn die Ergebnisse der Berliner Konferenz müssen als vorerst rein diplomatisch und symbolisch begriffen werden. Die afrikanische Wirklichkeit, jenseits der auf der Karte gezogenen Linien, unterschied sich streckenweise grundlegend von den Kenntnissen und Vorstellungen der zukünftigen Eroberer7. Die bis dato öffentlich formulierten Ansprüche, Utopien und Hoffnungen, die bisher nur vom Leben in der Heimat auf die Fremde übertragen wurden, sollten nun auf die Probe gestellt werden.

Die Freiheit, der Raum, die Rohstoffe und die Fruchtbarkeit, die die Deutschen in Südwestafrika und später auch in den anderen Annexionsgebieten zu finden glaubten, sollten schließlich durch diverse kehrseitige Faktoren ergänzt werden, an die zuvor niemand wirklich gedacht hat. Neben der Tatsache, dass die Natur Südwestafrikas widerspenstig und unzugänglich war, eröffneten sich mit der Zeit zunehmende und scheinbar unüberwindbare Probleme mit der indigenen Bevölkerung, die zahlreiche Aufstände und Unruhen zur Folge hatten und unter anderem 1904 in Südwestafrika in den Völkermord an den Volksgruppen Herero und Nama gipfelten. In der Theorie erschienen den Deutschen die Pläne brauchbar, in der Praxis ließen sich die Vorstellungen nur unzureichend umsetzen.

3. Herrschaftsansprüche und Eingeborenenpolitik

Ein grundlegendes und schwerwiegendes Problem in Deutsch-Südwestafrika sollte die Eingeborenenpolitik der Deutschen werden. Vor dem Hintergrund des Schutzes und der Sicherheit der deutschen Siedler schwebte den Kolonialherren eine vollständige Kontrolle und Überwachung der schwarzen Bevölkerungsgruppen vor. Unter dem Slogan „Erziehung und Arbeit“ sollte die afrikanische Gesellschaft diszipliniert und umgeformt werden, und letztendlich deutschen Gesellschaftsmaßstäben entsprechen. Als untertäniges Volk oder untertänige Rasse sollten die Afrikaner nützlich ud brauchbar werden8. Bei der Durchsetzung von Recht und Ordnung stießen die Kolonisten jedoch schnell an Grenzen. Allein die Weite des Landes, ca. 700.000 km², begrenzte den Wunsch nach einer lückenlosen Erfassung und Kontrolle der Einheimischen bis zur schließlichen Erkenntnis der Undurchführbarkeit des Konzepts. Die Methoden der europäischen Eroberer ließen sich mit den Gegebenheiten der afrikanischen Kultur nicht in Einklang bringen.

3.1 Stilisierung der indigenen Bevölkerung als „Hilfskraft“

Die idealtypische Vorstellung des afrikanischen Untertanen konzentrierte sich auf den ausgebildeten und dienenden Arbeiter oder später auch Soldaten. Von einer Förderung der Stammesgesellschaften, einer gegenseitig profitablen Handelsbeziehung oder einer rein friedlichen Koexistenz war niemals die Rede. Eine eigenständig strukturierte EIngeborenenkultur erhielt keine Bleibe- bzw. Existenzberechtigung.

Wieder nahmen die Kolonisten Vorstellungen und Idealtypen aus der Heimat zum Vorbild und wendeten diese auf die Stammesgesellschaften an. Wie auch schon bei der theoretischen Aufteilung Afrikas, bestimmte man nun auch das Wesen des Afrikaners nach deutschen Maßstäben wie Ordnung, Sitte oder Sesshaftigkeit. Das allgemeingültige Bild des Schwarzen reduzierte sich auf seine körperlichen Eigenschaften9 . So war es vorprogrammiert, dass die Stämme durch das anspruchsvolle deutsche Raster fallen mussten. Die Anforderungen des Lebens in den schwierigen naturräumlichen Gegebenheiten Namibias gaben den Schwarzen eine Identität, die nach deutschen Maßstäben als wild, also minderwertig, betrachtet werden musste. Ordentliche deutsche Tugenden wie Sittlichkeit oder Sesshaftigkeit wurden vergeblich gesucht.

So entwickelten sich Werte- und Normenvorstellungen, die ein aus heutiger Sicht überaus arrogantes Verhalten gegenüber den Afrikanern implizierten. Noch 1917 schwebte dem Schutztruppen-Major a.D. Hh. Fonck in seinem Aufsatz „Farbige Hilfsvölker“ zum Beispiel folgendes vor: „Der Neger ist genügsam, ausdauernd, kräftig und mit scharfen Sinnen begabt. Er ist geschickt und anstellig für vielfache Verwendung als Arbeiter, Matrose, Maschinist und Handwerker“10. Der hierin mitschwingende Rassismus entsteht aus einer Herabsetzung des „Negers“. Später heißt es: „Zu verhindern, dass in einem späteren Kriege noch einmal deutsche Männer von Wilden aller Rassen niedergemetzelt werden dürfen, wird eine heilige Pflicht unserer Staatsleitung sein.“11

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Deutschen den Stämmen Südwestafrikas schlicht und ergreifend das Recht auf ihr Land absprachen. Begründet wurde dies nicht nur mit dem Fehlen europäischer – oder rein deutscher – Tugenden, die sie zu Hilfsvölkern degradierten. Man fühlte sich berechtigt, das Land in Besitz zu nehmen und zu kultivieren, da die „wilden“ und „unterentwickelten“ Afrikaner, die in der Hierarchie der Menschen im Land unten standen, dies nicht taten.

[...]


1 van Laak, S. 54.

2 siehe Gründer, S. 26.

3 Mehr Daten: Gründer, S. 27.

4 Gründer, S. 57.

5 Vgl. van Laak, S. 66.

6 Gründer erörtert diese Thematik ausführlich im Kapitel „Bismarck und die Kolonien“ (S. 51-62).

7 Vgl. Eckert, S.64. Eckert spricht von einer „Art Wette auf die Zukunft“.

8 Zimmerer, S. 126.

9 Vgl. dazu auch die Seminardiskussion zu Johann Gottfried Herders „Ideen zu Philosophie der Geschichte der Menschheit“, S. 228-236: „Organisation der afrikanischen Völker“. In diesem Abschnitt beschreibt Herder afrikanische Völker wie die Berber oder Hottentotten fast ausschließlich anhand körperlicher Merkmale.

10 Fonck, S. 13.

11 Fonck, S. 16. Gemeint ist der erste Weltkrieg. Fonck reflektiert in seinem Aufsatz die bisherige militärische Präsenz in den Kolonien und stellt diese mit Ereignisse des Ersten Weltkriegs in Zusammenhang. Ihm schwebt z.B. vor, die Kolonien nach „Friedensschluss“ zum eigenen Schutz stärker aufzurüsten und dazu in der schwarzen Bevölkerung Soldaten zu rekrutieren.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
"Heimat" und "Fremde". Sehnsüchte, Hoffnungen und Bedürfnisse zur Zeit des deutschen Kolonialismus in Südwestafrika
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Kolonialismus und Kultur
Note
1,7
Autor
Jahr
2012
Seiten
19
Katalognummer
V462781
ISBN (eBook)
9783668921306
ISBN (Buch)
9783668921313
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Namibia, Kolonialismus, deutsch-südwestafrika, afrika, Deutschland, Sehnsucht, Hoffnung, Kultur, Deutsche Geschichte, heimat, Fremde, rassismus, Imperialismus, expansionismus, kolonialfieber, Nationalsozialismus, konzentrationslager, Herrenmenschen, Vertreibung, völkermord, herero, NS
Arbeit zitieren
Benyamin Bahri (Autor:in), 2012, "Heimat" und "Fremde". Sehnsüchte, Hoffnungen und Bedürfnisse zur Zeit des deutschen Kolonialismus in Südwestafrika, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/462781

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