Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
l.Einleitung
2.1. Biografisches zu Max Brod
2.2. Derjüdische Dichter deutscher Zunge
2.3. Reubeni. Fürst der Juden
3.1. Biografie Elias Canetti
3.2. Die Befristeten
4. Fazit
l.Einleitung
In dieser Hausarbeit befasse ich mich mit dem Einfluss des jüdischen Hintergrundes auf die Werke von Max Brod und Elias Canetti. Dabei untersuche ich das Spannungsfeld zwischen jüdischer Herkunft und dem Schaffen von Literatur in der deutschen Sprache. Die Selbstverortung der Autoren im Diskurs ist hierbei ein zentraler Aspekt dieser Hausarbeit, der andere zentrale Aspekt ist die Untersuchung, ob sich dieses Spannungsfeld und der jüdische Hintergrund auf die Werke niederschlagt. Für diese Untersuchung habe ich mich für Max Brod und Elias Canetti entschieden, weil ein ausreichender zeitlicher Unterschied zwischen beiden liegt, der zudem die Möglichkeit bietet nach einer Entwicklung in der Selbstverortung deutscher Dichter mit jüdischem Hintergrund zu fragen. Beide Autoren bieten auBerdem die Möglichkeit auf eine umfassende Forschungsgrundlage zurückzugreifen und hierbei dennoch neues finden zu können.
Von habe ich bei Brod einen poetologischen Text und einen literarischen Text ausgewahlt. Am Text Derjüdische Dichter deutscher Zunge untersuche ich auf die Selbstverortung Brods als Dichter im Spannungsfeld zwischen jüdischer Herkunft und deutschem Nationalgefühl. Dabei gehe ich auf den Diskurs ein, der das Spannungsfeld zwischen eben jenen Polen umfasst und ziehe neben dem Text von Max Brod noch weitere Forschungen hinzu. Im literarischen Teil zu Max Brod soil dieser Diskurs am Roman Reubeni Fürst der Juden verdeutlicht werden. Der biografische Teil dient jeweils als hinleitende Erklarung zu den beiden Autoren und beleuchtet ihre persönlichen Hintergründe, wie auch die historischen Umstande, die das Verhaltnis zwischen Juden und ihrer Umgebung bestimmen. Zudem möchte ich dabei einen Einblick in die persönliche politische und weltanschauliche Meinung der Autoren geben. Im Fall von Max Brod ist ein entscheidender Aspekt die Nationalitatenfrage im Prag des frühen 20. Jahrhunderts, welches mit dem Ende der kaiserlichen und königlichen Monarchie und der Selbststandigkeit der Tschechoslowakei groBe Veranderungen erlebt.
Im Fall von Elias Canetti ist die Flucht vor dem Nationalsozialismus zu erwahnen, die ihn, der er eine Generation nach Brod zu verorten ist, ebenso betrifft, wie die Shoa, welche das Spannungsfeld zwischen jüdischer Herkunft und deutscher Sprache noch drastischer werden lasst.[1] Vor diesem Hintergrund werde ich das
Drama Die Befristeten thematisieren. Dabei gehe ich einmal auf den Aspekt des jüdischen Einflusses auf das Werk ein und in welchen Motiven es sich auBert. Dazu werde ich untersuchen, wie die Shoa und der Tod an sich in Die Befristeten dargestellt und verarbeitet werden. Die übergeordnete Forschungsfrage, die ich im Fazit beantworten werde, beinhaltet, wo eine Entwicklung in der Selbstwahrnehmung deutscher Dichter mit jüdischen Wurzeln stattgefunden hat zwischen dem Schaffen Max Brods und dem Elias Canettis. Die Interpretation der literarischen Werke ist hierbei die Grundlage für die Beurteilung nach der jeweiligen Selbstverortung. Gestützt wird die Argumentation durch die vorhandene Forschung zu Brod und Canetti, wie auch durch die poetologischen und literarischen Texte, welche eine Selbstauskunft wiedergeben.
2.1 Max Brod; Biografisches und Religiöses
Prag als Heimatstadt Brods erlebte zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen Wandel von einer Provinzstadt in der österreichischen Reichshalfte hin zur Hauptstadt der neu gegründeten tschechoslowakischen Republik. Hierbei ist besonders der Nationalitatenkonflikt zu beachten, da Prag von Deutschen und Tschechen bewohnt wurde, hinzu kam noch der jüdische Glaube, dessen Anhanger der deutschen, wie auch der tschechischen Kultur angehörten. Brod selbst vertritt hierbei einen zionistischen Standpunkt und setzt sich für die Anerkennung einer jüdischen Nation ein, welche gleichwertig zu Tschechen, Slowaken und Deutschen sein sollte.[2] Seine Agitation für die Anerkennung und sein Kontakt mit Masaryk führen schlieBlich zu einer Anerkennung, die allerdings mehr „de facto als de jure“[3] war. Der Zionismus ist dabei für Brod in Verknüpfung mit dem Humanismus zu sehen, da er den jüdischen Nationalismus in der Aufgabe sieht „das Überleben und die Entwicklung desjüdischen Geistes und dessen Eigenart zu sichem.“[4] Neben der Gründung eines jüdischen Staates in Palastina sollten diese Entwicklung zu einer Integration der Juden in die bestehenden Staaten führen und ein friedliches Zusammenleben unter Schütz der jüdischen Nation als anerkannte Minderheit ermöglichen. Bei der Umsetzung dieses Programms tritt Brod nicht als
Schriftsteller sondern als politischer Akteur in Erscheinung. Seine Hinwendung zum Zionismus schlagt sich insgesamt nicht nur politisch nieder, sondern auch in seiner Weltanschauung und nicht zuletzt in seinem literarischen Schaffen, welches den Wandel zum Zionismus widerspiegelt: „Das war zur Zeit des Ersten Weltkrieges, als er Zionist wurde. [...] Das ist die Zeit, als Brod seinen Roman 'Tycho Brahes Weg zu Gott' schrieb. [...] aus der neuen Verzweiflung erwachst schlieBlich die Religion des 'Diesseitswunders' “,[5]
Das jüdische Element nimmt in Brods literarischem Schaffen eine zentrale Rolle ein, wobei sich der Fokus mehrmals verschiebt. Ausgehend vom „kulturzionistischen Programm“[6] setzt Brod in seinem Schaffen mehrere Fokusse, die sich im Wechselspiel der Beziehungen zwischen Gott und der Welt bewegen, daneben bleibt das Spannungsfeld zwischen jüdischer Herkunft und dem Deutschtum bestehen; ein Konflikt, der Brod nicht loslasst und der ausgehend von der Debatte über Juden als Kunstschaffende bis hin zur literarischen Verarbeitung der Shoa, immer neue Veröffentlichungen von Brod nach sich zieht.[7] Abgesehen vom jüdischen Einfluss wird in Brod besonders ein Romancier gesehen. Das Verstandnis zu Brod ist dabei in einer Synthese zwischen Glauben und Romantik zu sehen, ohne das heides dabei in einem Widerspruch stehen würde.
„Zwischen Liebe und Tod sein Ich zu verankem, bedeutet vor allem, im Zeichen von Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung eine Ahnung von Heil zu verspüren, wodurch das menschliche Dasein durchaus nicht einzig und allein der Sinnlosigkeit anheim gegeben ist.“[8]
Das Gottesbild von Brod beinhaltet dabei Gott als Instanz, die zum Positiven verandert und dadurch das erwahnte Heil verspüren lasst und somit ein starkes jüdisches Element aufweist. Brods Veröffentlichungen beinhalten neben literarischen Werken auch poetologische Texte, daneben tritt er besonders durch die Veröffentlichung der Werke Kafkas in Erscheinung.[9]
Als geborener Prager Jude ist der Einmarsch der Wehrmacht im Frühjahr 1939 für Max Brod Anlass seine Heimatstadt zu verlassen und nach Israel zu emigrieren. Die Verfolgung der Juden und die Frage, warum Gott dieses Leid zulieB bestimmten fortan sein literarisches Schreiben; in Diesseits und Jenseits (1947/48) kam er zu dem Ergebnis, „Gott habe die Welt geschaffen, um selbst zu leiden.“[10] Brod selbst verstarb 1968 in Tel Aviv im Alter von 84 Jahren.
2.2 Poetologisch; Jüdischer Dichter deutscher Zunge
Der Text Der Jüdische Dichter deutscher Zunge ist in einen gröBeren Diskurs einzuordnen, in welchem er die Position jüdischer Kunstschaffender verteidigt und ihre, im besonderen literarische, Aktivitat rechtfertigt. Einen der frühsten AnstöBe dieses Diskurses liefert Richard Wagner in Das Judenthum in der Musik. Hier postuliert er, dass Juden nicht in der Lage seien der europaischen gleichwertige Kunst zu schaffen, da sie diese lediglich nachahmen würden aus der Unfahigkeit heraus eigene Kunst zu schaffen.[11]
Mit der Ausbreitung eines immer starker werdenden Antisemitismus versuchen weitere Theoretiker die Überlegenheit der arischen Rasse über die Semitische zu begründen und nehmen dazu auch Bezug auf das künstlerische Schaffen. Auf diese nimmt Brod zu Beginn seines Essays Bezug. Der gröBte Kritikpunkt an den jüdischen Dichtern ist das Fehlen einer eigenen Sprache. Die Vorstellung „jedes Volk [habe] seine eigene Stimme, jede Nation ihre eigene Sprache, ihre eigene Literatur“[12] wird durch die jüdische Literatur durchbrochen, die sich vieler Sprachen bedient und damit einen Raum jenseits der klaren Zuordnung von Sprache zu nationaler Literatur öffnet. Eine klare Definition jüdischer Literatur lasst sich zwar weder durch klare Motive in den Werken noch die Zugehörigkeit der Autoren zum Judentum treffen. Das Problem, dem sich kunstschaffende Juden gegenübersehen, liegt jedoch in der Selbstverordnung zwischen der eigenen jüdischen Tradition und dem Deutschtum, um bei der Situation Max Brods zu bleiben.
Der Text Der jüdische Dichter deutscher Zunge selbst erschien 1913, datiert also aus dem Prag vor dem Krieg. Brod betrachtet das Absprechen des Kunstgefühls durch nicht naher genannte Theoretiker als Ursache für den Rückzug jüdischer Dichter auf betont jüdische Themen. Als Zionist sieht Brod hier die Chance zur Schaffung einer betont jüdischen Literatur, da die alttestamentarische Grundlage „alle heroischen Krafte im jüdischen Dichter“[13] belebe und somit als Inspiration fungiert. Im Verhaltnis jüdischer Dichter zum Deutschtum und zur deutschen Sprache fordert Brod daher eine starkere Auspragung des jüdischen Nationalismus, um den deutschen Nationalismus verstehen zu können.[14] Das Schaffen in deutscher Sprache betrachtet er daraufhin unter zwei Gesichtspunkten. Einmal geht er auf die Sprache an sich ein, die sprachasthetische Verwendung von Worten und ihrer Genese durch den Dichter. Hierbei tritt er für einen selbstbewussten Umgang des jüdischen Dichters mit der deutschen Sprache ein, da dieser durch sein eigenes Nationalgefühl das deutsche soweit nachempfinden könne, dass er „auf diesem Wege des Gewichtes nationaler Sprachwerte und der Verantwortlichkeit für ihren reinen Gebrauch sich voll bewuBt wird. [...] Denn er hat Volk in sich.“[15]
Der zweite Gesichtspunkt ist die Wahl des literarischen Stoffes. Hier favorisiert Brod klar jüdische Themen, die von der „Darstellung idealer jüdischer Zustande [...bis hin zum...] bröckligste[n] Westjudentum“[16] reichen können. Speziell die Forderung auch schwierige Themen zu behandeln, die nur im jüdischen Glauben bewanderte Leser ganzlich verstehen können, belegen Brods Anspruch an jüdische Dichter, ihre Literatur nicht in den deutschen Kanon einzufügen, sondem eine bewusst eigenstandige Literatur zu schaffen. Diese Literatur ist dabei im Weltbild Brods als Selbstbestatigung für das Judentum zu begreifen, da „auch das unauffallige, gleichsam mittlere, schon halbverfalschte, bedauerliche Judenwesen [durch diese Selbstbestatigung] aufblühen“[17] könne.
Im Verhaltnis zwischen Judentum und Deutschtum sieht Brod in der Starkung des jüdischen Nationalgefühls die beste Option zur Etablierung einer jüdischen Literatur, die aus dem Verstandnis ihrer eigenen Nationalitat die Legitimation gewinnt sich der deutschen Sprache zu bedienen. Dabei ist die Hinwendung zur jüdischen Nationalitat gleichzeitig Grundlage und Ziel einer jüdischen Literatur, da ohne sie die Möglichkeit fehle, das deutsche Nationalgefühl zu verstehen, die Literatur gleichzeitig aber auch ein jüdisches Nationalgefühl vermitteln solle.[18]
[...]
[1] Vgl. Steinecke, Hartmut: Literatur als Gedachtnis der Shoah. Deutschsprachige jüdische Schriftstellerinnen und Schriftsteller der „zweiten Generation^. Paderbom/ München/ Wien/ Zürich 2005, S. 8.
[2] Vgl. Vassogne, Gaëlle: Max Brod in Prag. Identitat und Vermittlung. Tübingen 2009 (= Conditio Judaica 75), S. 122f.
[3] Ebd. S. 142.
[4] Ebd. S. 102.
[5] Wesseling, Bemdt W.: Max Brod. Ein Portrat zum lOO.Geburtstag. Gerlingen 1984, S. 62.
[6] Herzog, Andreas: Max Brod. In: Andreas Kilcher (Hg.): Deutsch-jüdische Literatur. 120 Portrats. Stuttgart 2006, S.32.
[7] Siehe hierzu Kapitel 2.2
[8] Wesseling, Max Brod, S. 10.
[9] Vgl. Bom, Jürgen: Max Brod's Kafka. In: Books Abroad., Vol. 33 (1959), S. 391.
[10] Herzog, Andreas: Max Brod, S. 34.
[11] Vgl. Wagner, Richard: Das Judenthum in der Musik. Leipzig 1869, S.32f.
[12] Klicher, Andreas: Einleitung. In: Andreas Kilcher (Hg.): Deutsch-jüdische Literatur. 120 Portrats. Stuttgart 2006, S. V
[13] Brod, Max: Der jüdische Dichter deutscherZunge. In: VereinjüdischerHochschülerBAR KOCHBAinPrag (Hg.): Vom Judentum. Ein Sammelband. Leipzig 1913, S. 261.
[14] Vgl. Brod: Der jüdische Dichter, S. 261f.
[15] Ebd. S. 262.
[16] Ebd. S. 263.
[17] Ebd.
[18] Vgl. Ebd.