Angesichts des Todes ist Schweigen angemessen. Wenn doch darüber gesprochen werden muss, weil es von alters her ein beunruhigendes Thema ist, sollten zuvor die Hände gefaltet, der Kopf gesenkt, die Augen geschlossen und drei Minuten des Gedenkens unseren Vorfahren gewidmet werden.
Das, was wir vom Tod zu wissen glauben, begreifen wir an den Anderen, ohne es zu verstehen, und das nicht, weil wir fassungslos davor stehen, sondern weil wir als Im-Leben-Stehende die Sache des Nichtlebens nicht zu vertreten haben. Genauso wie das Nicht-Sein nicht die Sache des Seins vertreten, also verstehen kann. Wir stehen vor etwas, um es besser verstehen zu wollen, aber das Objekt des Todes, des Nichtmehrdaseins lässt sich vom Dasein nicht vertreten, also vom Verstand her nicht erfassen. So sehr der Tod eines Anderen unser Leben auch zu verändern mag, so können wir dennoch nicht den Tod selber erfahren und erleben, sondern nur unsere eigene Trauer oder klammheimliche Freude oder was auch immer. Ohne die Hoffnung, den Tod mit Gottes Hilfe besiegen zu können, wären nicht so viele Menschen zu Märtyrern geworden, die sich freilich erheblich von Sprengstoffattentätern, raubeinigen Söldnern oder waghalsigen Extremsportlern unterscheiden. In Staaten, wo Christen bekämpft werden, bewähren sie sich überwiegend in Gefängnissen oder Lagern unter den Mitgefangenen als stabilisierend, hilfs- und opferbereit. Sie spenden so den anderen Lebensmut und Hoffnung. Weil Christen, im Gegensatz zu den einer konstruierten Ersatzreligion verfallenen Marxisten, nicht das Paradies auf Erden versprechen, sondern auf das gerechte Leben nach dem Tode hoffen, begründet sich aus ihrem Glauben ein Bewusstsein der Freiheit von allen Mächten dieser Welt, von allen Normen und Sanktionen der Gesellschaft. Diese Haltung hat durchaus zur Individualisierung bis hin zur inflationären Vereinzelung des Einzelnen beigetragen, die auch Perversionen, rücksichtslosen Rückzug ins private Gebet oder ein vordergründiges, ekelerregendes Gutmenschentum im Gefolge haben. Doch insgesamt lässt sich bilanzieren, dass die Entwicklung der Menschenrechte und die Bildung demokratischer Staaten, wo auch Massenwohlstand herrscht, als Weiterentwicklung antiker Vorformen ohne den christlichen Gottesbezug, der jetzt in der europäischen Verfassung wissentlich fallen gelassen wurde, nicht oder nicht so stattgefunden hätte.
Vorbemerkungen
Angesichts des Todes ist Schweigen angemessen. Und wenn dennoch darüber gesprochen werden muss, weil es von alters her ein äußerst beunruhigendes Thema ist, sollten zuvor die Hände gefaltet, der Kopf gesenkt, die Augen geschlossen und wenigstens drei Minuten des Gedenkens unseren Vorfahren gewidmet werden.
Schon vor etwa 60.000 Jahren soll der Mensch seine Toten bestattet haben. Es müssen Akte der Liebe und Fürsorge gewesen sein, denn die Toten wurden geschmückt und deren Gräber gekennzeichnet. Begann hier die spirituelle Entwicklung des Menschen? Der Tod schien von allem Anfang an ein so irritierendes wie inspirierendes Faktum gewesen zu sein, und vielleicht sogar ein Wegweiser der Philosophie , wie Arthur Schopenhauer (1788-1860) einmal sagte.
Der Theologieprofessor Wilfried Härle (geb. 1941) meint, mit der Konzentration auf das Thema „Tod“[1] müsse zusätzlich auch das „Weltende“ mit in Betracht gezogen werden, um einer Engführung vorzubeugen und gleichzeitig die Schöpfungslehre im Auge zu behalten. Denn schließlich sprach der HERR: Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende .[2]
In der Beweisführung des Denkens gibt es kein „Nichts“, wie schon Parmenides von Elea (ca. um 540 bis 480 v. u. Z.) erkannte. Dem „Nichts“ entspricht immer ein „Etwas". Könnte ansonsten überhaupt gedacht werden? Das „Nichts“ wäre gleichfalls die Bedingung des „Etwas", demzufolge müsste das „Nichts“ die Bedingung der gestalteten Welt sein. Damit wäre das „Nichts“ ein Bestandteil des Seins und müsste folglich das Sein selber enthalten, was wiederum bedeutet: Einem Sein nach dem Tode machte es keinen Unterschied, ob man meint, der Mensch gelange ins Sein oder ins Nichts. Übrigens gebrauchte Meister Eckhart (um 1260-1328) den Begriff des „Nichts“ zu seiner Gottesvorstellung. Vermutlich muss das Denken notwendigerweise die Transzendenz mitdenken, besonders wenn es ums Sein oder Nichts, oder mit Hamlet gesprochen, ums Sein oder Nichtsein geht.
Übrigens hat sich der größte deutsche Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant ( 1724-1804), über den Tod nicht näher ausgelassen. Schien ihm, der doch sonst kaum etwas unbedacht und unbeachtet ließ, das Phänomen des Todes zu bedenklich?
I.
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten] Wolfhart Pannenberg (geb. 1928) geht von der Gegenwart und zugleich von einer gewagten These aus: Die Verdrängung des Todes in der gesellschaftlichen Lebenswelt geht Hand in Hand mit der Privatisierung der Individualität.[3] Und wie sah es dort aus, wo die Individualität kollektiviert werden sollte? Dort gab es jahrzehntelang das Thema Tod fast nur noch als Opfer- oder Heldentod. Es brauchte seine Zeit, bis zum Beispiel in der „DDR“-Literatur, etwa ab dem Erscheinen des Buches „Die neuen Leiden des jungen W.“ (Ulrich Plenzorf – geb. 1934) das ideologisch errichtete Tabu gebrochen war und fortan der individuelle Tod fast übermächtig die Literatur überschwemmte, jedoch zumeist ohne einen transzendenten Bezug. Das war ein wichtiger „Sargnagel“ in den real existierenden Sozialismus, dem vor allem damals noch unbekanntere Autoren wie Uwe Grüning, Gert Neumann oder Wolfgang Hilbig weitere zufügten, bis die „Kiste“ zum Untergang löchrig geworden war.
Trotz alledem bricht der Tod auch in einer säkularisierten Welt immer wieder in die „Spaßgesellschaft“ ein. Brot und Spiele, Zerstreuung und Flucht in die Arbeit oder Politik können dennoch das „Unterbewusstsein“ nicht bändigen, das im Innersten rumort und gekennzeichnet ist von Todesangst und von der Infragestellung seines Lebenssinnes durch den Tod. Dennoch förderte die Individualisierung den Auferstehungsglauben in der jüdischen Überlieferung , denn sie basierte auf der Verselbständigung des einzelnen gegenüber dem Volk und förderte die Sehnsucht nach einem gerechten Tod; denn wer wollte noch gern für die Schuld seiner Vorfahren büßen? Der Prophet Ezechiel (wirksam zwischen 592-571 v. Chr.) sagte seinem Volk: Nur wer sündigt, soll sterben.[4]
Zuvor verkündete schon der Prophet Jeremia (um 650-580 v. Chr.): …jeder stirbt nur für seine eigene Schuld; nur dem, der die sauren Trauben isst, werden die Zähne stumpf.[5] So weit geht also der Kampf gegen die noch heute zuweilen verwendete Kollektivschuldthese zurück.
[...]
[1] Wilfried Härle: Dogmatik. 2. überarbeitete Auflage, Berlin 2000, S. 629, Fußnote (Alle kursiv gesetzten Texte sind Zitate.)
[2] Off 1,8
[3] Alle kursiv gesetzten Zitate ohne Quellenangabe beziehen sich auf Pannenbergs Aufsatz gleichen Titels.
[4] Siehe: Ez 18, 1-4
[5] Jer 31, 30
- Quote paper
- Siegmar Faust (Author), 2005, Tod und Auferstehung in der Sicht christlicher Dogmatik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/47447
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