Leporello bei Gumiljow, Da Ponte und Molina. Zur Evolution und Emanzipation einer Dienerfigur


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

33 Seiten, Note: 3,0


Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung

2 Diener und Herr in der Tradition
2.1 Ursprünge in der Commedia dell'arte
2.2 Die Dienerfigur der Comedia nueva
2.3 Die Entwicklung im Dramma Giocoso

3 Catalinon bei Molina
3.1 Der Vater-Sohn-Vergleich
3.2 Die moralische Instanz
3.3 Die Ohrfeige
3.4 Die letzten gemeinsamen Abendessen

4 Leporello bei Da Ponte
4.1 Gehorsam wider Willen
4.2 Die Geburt eines Wissenschaftlers
4.3 Identitätsbetrug und körperliche Nötigung
4.4 Von Mundraub und Strafe

5 Leporello bei Gumiljow
5.1 Ein unerwartetes Wiedersehen
5.2 Der emanzipierte Diener
5.3 Ein vollendeter Wissenschaftler
5.4 Don Juans Gönner

6 Fazit
6.1 Die Fesseln der Tradition
6.2 Vom väterlichen Diener zum alten Freund
6.3 Die Entwicklung eines Wissenschaftlers
6.4 Eine Emanzipation mit Hindernissen

Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

Anhang

1 Einleitung

Der russische Dichter Nikolai Stepanowitsch Gumiljow verfasste innerhalb seiner kurzen, von Lyrik dominierten, künstlerischen Schaffensphase den Einakter Don Juan in Ägypten. Das Drama entstand 1912 und steht auch heute noch im Schatten von Alexander Puschkins 1830 erschienener und später als Oper realisierter Adaption des Don Juan-Stoffes. Während sich Puschkin jedoch weitestgehend an der klassischen Vorlage orientierte, schuf Gumiljow mit seinem Don Juan in Ägypten eine Art Fortsetzung und lässt sein Drama im Ägypten des frühen 20. Jahrhunderts an den traditionellen Handlungsstrang anknüpfen.

Bei Gumiljow entsteigt Don Juan nach seinem Höllensturz einem Felsschlitz und trifft auf einen Leporello, der es zwischenzeitlich in Amerika zu einer Hochschulprofessur gebracht hat und kurz davor steht, die Tochter eines amerikanischen Millionärs zu heiraten. Damit bietet Don Juan in Ägypten nicht nur auf Handlungsebene einen harten Kontrast zu den gängigen Adaptionen des Don Juan-Stoffes, sondern schafft auch inhaltlich einige Dissonanzen, da das Verhältnis zwischen Don Juan und der Dienerfigur mindestens hinterfragt wird. Denn Don Juan trifft bei Gumiljow einen nun gesellschaftlich angesehenen Diener an, der zudem als Tourist auftritt, also als freier Mensch, und keinesfalls, um Dienste zu verrichten.

Diese Hausarbeit möchte daher ergründen, ob sich in früheren Adaptionen des Don Juan- Stoffes Ansätze für eine Evolution der Dienerfigur finden. Hierzu werden zwei weitere Werke in die Analyse aufgenommen, nämlich Molinas Der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast aus dem Jahr 16131 und Lorenzo Da Pontes Libretto zu Don Giovanni aus dem Jahr 17872,3.

Molinas Diener trägt den Namen Catalinon und folgt seinem Herren durch die üblichen Abenteuer bis zum finalen Abendessen mit der rachsüchtigen Steinstatue. Lorenzo da Ponte führt als Dienerfigur den Leporello ein, der in einem ähnlichen Beziehungs- und Handlungsschema seinem, hier mit Don Giovanni betitelten, Herrn unterstellt ist.

Durch diese Übereinstimmungen ergeben sich auch die Kriterien der nachfolgenden Textanalyse und die Strukturen der jeweiligen Hauptkapitel. Anhand relevanter Textstellen wird jeweils untersucht, wie das Selbstbild des Dieners ist, in welchem Verhältnis der Diener zu der Don Juan-Figur steht, ob sich dieses Verhältnis im Laufe der Handlung ändert, und ferner, ob es Ansätze für die später bei Gumiljows Diener vorhandene wissenschaftliche Karriere gibt.

Ein theoretisches Fundament dazu liefert ein der Analyse voran gestelltes Kapitel, in welchem zunächst die Wurzeln der komischen Dienerfigur herausgearbeitet werden. Anschließend wird skizziert, wie sich diese Figur iiber die Jahrhunderte und Epochen hinweg entwickelte. Das so entstandene traditionelle Figurenkonzept wird schlieBlich mit den in der Analyse gewonnenen Erkenntnissen im Fazit abgeglichen.

Hierdurch soli abschlieBend die Frage beantwortet werden: Kann der Leporello von Gumiljow als emanzipierte, also nicht mehr von Don Juan abhiingige, Figur gesehen werden?

2 Diener und Herr in der Tradition

Um beurteilen zu können, ob die Dienerfigur (sei es Catalinon oder Leporello) eine wie auch immer geartete Emanzipation durchläuft, ist es zunächst wichtig zu wissen, wie die traditionelle Konzeption dieser Figur aussieht, und auch, wie das Verhältnis zu ihrem Herren (sei es Don Juan oder Don Giovanni) geprägt ist. Erst die Kenntnis dieser Vorlagen ermöglicht eine Aussage darüber, ob die Dienerfigur sich in Charakter und Abhängigkeit zu ihrem Herren wirklich entwickelt hat.

2.1 Ursprünge in der Commedia dell'arte

Ihren Ursprung hat die Dienerfigur im italienischen Stehgreiftheater, der „Commedia dell'arte“. Dort findet sich unter dem lustigen Personal auch die Figur des Arlecchino, des Harlekins. In seiner historisch-kritischen Abhandlung über die Geschichte dieser Bühnenfigur begründet Jürgen von Stackelberg zunächst, warum diese Figur innerhalb des Gesamtensembles von besonderer Bedeutung ist:

[Der] Harlekin war im Figurenarsenal der Commedia dell'arte offenbar das, was im Kartenspiel der Joker ist: er konnte in der Rolle eingesetzt werden, die der Erfinder des jeweiligen Stückes ihm zudachte […].4

Aus der dramaturgischen Pflicht und der vielseitigen Rollengestaltung ergibt sich also die Sonderstellung des Harlekin innerhalb der lustigen Figuren. Es waren daher stets die

[…] besonders begabten Schauspielern, die sich auf die Rolle spezialisiert haben […].5

Jedoch ist die Figur des Harlekin auch aufgrund seiner figürlichen Konzeption von Bedeutung, die schon in Zeiten der Commedia dell'arte abseits der Konventionen stand:

Ursprünglich ist er ein Diener, aber es dürfte zu kurz gegriffen sein, in ihm lediglich die Verschmelzung der beiden Zanni zu erblicken (wie es geschehen ist): dazu ist er zu originell. Arlequin kann ungehobelt wirken, ist aber nicht dumm, sondern geistreich und schlagfertig. Ausserdem hat er immer Hunger, immer Durst und immer etwas, was man lieber sexuellen Appetit als Verliebtheit nennen sollte.6

Als eine weitere Eigenschaft dieser Figur stellt Stackelberg heraus,

[…] daß Arlequin sich nicht zimperlich ausdrückt: auch daß er die Dinge bei ihrem Namen nennt, gehört zu seinen Qualitäten! Man erfährt aus seinem Mund so manches, was die feinen Herrschaften verschweigen.7

Abschließend merkt Stackelberg noch an:

Keine Bühnenfigur der Commedia aber ist stärkeren Verwandlungen unterzogen worden als Arlecchino, der bei den Franzosen Arlequin, bei uns Harlekin heißt.8

2.2 Die Dienerfigur der Comedia nueva

Als Tirso de Molina in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts sein Drama über Don Juan, den Spötter von Sevilla, schrieb, befand sich das „Goldene Zeitalter“ Spaniens gerade in voller Entfaltung. Für die Figur des Catalinon hieß dies, dass es sowohl klassische Konzeptionen gab, die diese Figur im Typus des Gracioso, des lustigen Bediensteten, verorteten, dass die Figur allerdings durch die in Spanien aufkommende „Comedia Nueva“ auch einem Wandel unterworfen war:

In der comedia nueva gelangt auch die Dienerfigur des vorhergehenden Theaters im Typus des gracioso zu ihrer vollen Ausformung: der Diener ist nun eine Kontrastfigur zu seinem idealistischen, verliebten Herrn, die sich im Gegensatz zu dessen vergeistigten Liebesproblemen durch irdische Interessen wie essen, trinken und schlafen bemerkbar macht. Er ist jedoch nicht mehr als Tölpel gezeichnet [...], sondern mit einem gewissen Hausverstand begabt, oft sogar als Ratgeber wichtig für seinen Herrn.9

Durch die Kontrastfunktion des Dieners zu seinem Herrn ergibt sich auch die gerade bei den Don Juan-Adaptionen dramaturgisch-notwendige Paarkonstellation. Die lustige Dienerfigur tritt in eine persönlichere Beziehung zu ihrem Herren, indem sie diesem mit Ratschlägen zur Verfügung steht.

2.3 Die Entwicklung im Dramma Giocoso

Das „Dramma Giocoso“ kam in Italien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Vermengung der lustigen Oper, der „Opera Buffa“, und der ernsten Oper, der „Opera Seria“, auf. Für die Konzeption der Dienerfigur ergaben sich dadurch ganz andere Herausforderungen, zu denen sich noch der Umstand der Opernaufführung, also der direkten Verbindung von Text und Ton, hinzugesellte.

Bei Lorenzo Da Ponte erfuhr die Figur des Leporello eine Rückbesinnung auf klassischere Werte dieses Typus. Hermann Abert stellt dies durch einen Vergleich mit Molinas Diener dar:

Don Juans Diener Catalinon ist der Gracioso des Stückes, seinem Herrn treu ergeben und doch mit dessen Treiben keineswegs einverstanden. Seine Komik ist viel zurückhaltender als die des späteren Leporello und vor allem seine Hasenfußnatur noch nicht mit dem späteren Behagen betont.10

Zwar wirken die charakterlichen Änderungen Leporellos, seine derbe Komik und seine extreme Feigheit, im Kontext der Oper in erster Linie effekthascherisch, allerdings sieht Elisabeth Frenzel gerade darin eine weitere wichtige Funktion der Dienerfigur in Don Giovanni:

[Da Pontes] Charakterisierung des Dieners Leporello als eines aufschneiderischen Nachahmers seines Herrn führte zu der ausgewogenen Mischung komischer und tragischer Elemente in der Handlung.11

3 Catalinon bei Molina

Tirso de Molinas Bearbeitung des Don Juan-Stoffes datiert zurück auf 1613. Seine Dienerfigur trägt den Namen „Catalinon“ und tritt in dem Dreiakter Der Verführer von Sevilla und der steinerne Gast erst gegen Mitte des ersten Aktes, in Szene 13, zum ersten Mal auf.

Dies ist umso interessanter, da Don Juan in den vorherigen Szenen, die allesamt in Neapel spielen, schon einiges erlebt hat. So war er unter falscher Identität im königlichen Palast, täuschte und verführte die Herzogin Isabella, wurde vom König entdeckt und verhaftet, gab sich seinem Onkel Don Pedro zu erkennen und floh über den Balkon aus dem königlichen Palast. Dies alles geschah in Abwesenheit seines Dieners und ohne dessen Zutun. Mehr noch: Bis zur Mitte des ersten Aktes wurde die Dienerfigur lediglich im Personenverzeichnis des Dramas erwähnt.

3.1 Der Vater-Sohn-Vergleich

In Szene 13 des ersten Aktes kommt es nun zu dem Auftritt von Catalinon. Schauplatz dieses Debüts ist ein „Meeresufer bei Tarragona“, einem Ort zwischen Valencia und Barcelona. Wie viel Zeit seit der Flucht Don Juans aus Neapel verging, bleibt unklar. Bekannt ist nur, dass es zu einem Schiffbruch gekommen ist, was der Zuschauer, synchron mit dem Fischermädchen Tisbea, erfährt, als sich ein ertrinkender Diener von abseits der Szene bemerkbar macht:

CATALINON hinter der Bühne. Ich sinke! Helft!12

Die weitere Schilderung der Geschehnisse erfolgt durch das Fischermädchen:

Ein Jüngling

Bewältigt kühn die Flut, Dem Rufenden zu helfen;

O edler Heldenmuth!

Er nimmt ihn auf die Schultern; Als ein Aeneas er,

Als ein Anchises Jener, Wenn Troja ist das Meer.

Er theilt mit Kraft die Wogen;

Das nenn' ich kühn geschwommen!13

Es trug sich nun folgendes zu: Don Juan, der „Jüngling“, schwamm zu seinem Diener, dem „Rufenden“, schulterte diesen und erreichte den Strand. Dass Tisbea hier einen Vergleich mit der griechischen Mythologie anstellt, ist etwas befremdlich. Anchises war der Sage nach der Vater von Aeneas, den er heimlich mit Aphrodite, in Hirtinnengestalt, gezeugt hatte. Ihm widerfährt eine Gottesstrafe, nachdem er im Rausch sein Versprechen bricht und die Identität der Mutter von Aeneas preisgibt. Am Ende des trojanischen Krieges wird nun der gelähmte und/oder geblendete Anchises von seinem Sohn aus dem brennenden Troja getragen. Dass Catalinon und Don Juan hier wie Vater und Sohn angesehen werden, ist vielleicht das wirklich interessante an diesem Vergleich, denn es legt nahe, dass es einen ordentlichen Altersunterschied zwischen Don Juan, dem „Jüngling“, und seinem Diener gibt.

Diese Auffassung wird von Tisbea noch einmal bekräftigt, als sie schildert, wie die beiden Schiffbrüchigen sich ans Ufer retten:

– O Wunder! Beide landen;

Doch sinkt ohn' Athemzug

Der Jüngling; Jener lebet,

Den er ans Ufer trug.14

Die nächste Szene beginnt mit Catalinon, der diesmal Don Juan trägt. Der Diener nähert sich mit seinem bewusstlosen Herren auf den Armen der jungen Fischerin und hält zunächst eine Wutrede gegen das Meer, bevor er sich des ohnmächtigen Don Juans besinnt:

Herr! – – Er liegt in Eises Starrheit.

Herr! – – Ist er gar mausetodt?

[…]

Muß mein Herr so früh erbleichen! –

Was beginn' ich armer Mann?

Weh! wer konnte das vermuthen!15

Das wiederholte Ausrufen von „Herr!“ und die Sprechpausen zeugen von der Emotion des Dieners, die allerdings recht schnell einer pragmatischeren Einstellung weicht, wenn er den vermeintlichen Tod Don Juans beklagt, nur um dann die Frage zu stellen, was er selbst nun anfangen solle.

Die von Neugierde übermannte Fischersfrau will nun noch den Namen des Leblosen wissen, woraufhin ihr Catalinon ausweichend antwortet:

Dieser Jüngling ist der biedre

Sohn des Oberkammerherrn

Unsers Königs; und wir waren

Nach Sevilla just gefahren,

Wo des Königs Hoheit wohnt;

Und bald werd' ich Graf mich nennen,

Wenn er mir nach Würden lohnt.16

Die Antwort des Dieners offenbart einige Dinge: Zunächst bestätigt er die Bezeichnung „Jüngling“ und verortet dadurch sein eigenes Alter in einem höheren Bereich. Weiterhin erwähnt Catalinon mit keinem Wort, in welcher Beziehung er zu Don Juan steht. Zuletzt gibt er noch einen Ausblick auf seine bevorstehende Adelung, worin sich eine der Hauptmotivationen des Dieners in Molinas Drama festmachen lässt: Catalino erhofft sich durch seine Dienste unter Don Juan einen gesellschaftlichen Aufstieg.

Im weiteren Verlauf der Szene verrät der Diener den echten Namen seines Herren. Danach geht er auf Anweisung der Fischersfrau Hilfe holen. Er kehrt zwei Szenen später mit mehreren Fischern zurück und findet Don Juan bei Bewusstsein. Während Tisbea nun die anderen Fischer über die Umstände der Fremden aufklärt und ein abendliches Fest plant, initiiert Catalinon einen heimlichen Dialog mit Don Juan:

CATALINON leise zu Don Juan.

Bildschön ist sie

DON JUAN ebenso leise zu Catalinon.

Komm beiseit; Hör!

CATALINON. Ich höre schon.

DON JUAN. Wohl, merke!

Fragt sie dich, wie ich mich nenne,

Sage nur, du weißt es nicht.

CATALINON. Herr, wann brauchst du meine Pflicht

Mich zu lehren?17

Dass der Diener das Gespräch auf die Weiblichkeit der Fischersfrau bringt, entspricht an dieser Stelle wohl eher seiner Dienstfertigkeit, denn eigenen Interessen. Catalinon kennt seinen Herren und hat seiner Sorge um dessen Zustand schon Tisbea gegenüber zum Ausdruck gebracht. Dass er dabei gegen seine Pflicht verstieß und den Namen seines Herren nannte, soll hier als Randnotiz vermerkt werden.

3.2 Die moralische Instanz

Der nächste Auftritt Catalinons geschieht in Szene 19, die gänzlich aus einem Dialog mit Don Juan am Seeufer bei Tarragona besteht. Die Szene beginnt mit Don Juan, der seinem Diener Instruktionen gibt, wie die Flucht durchzuführen sei, sobald er Tisbea entehrt hat. Nachdem Catalinon sich noch einmal explizit über die Intention seines Herren Gewissheit verschafft hat, verfällt der Diener in einen Ton der Zurechtweisung:

CATALINON. Der Frau'n Zuchtruthe bist du, weiß ich längst.

DON JUAN. Tisbea füllt mein Herz; ein prächtig Weib!

CATALINON. Du zahlst ihr schön den gastlichen Empfang.

DON JUAN. Du Taugenichts! that nicht Aeneas einst

Dasselbe mit der Fürstin von Karthago?

CATALINON. So bösliche Verstellung, solche Täuschung

Der Frau'n bezahlst du auf dem Sterbebett18

Catalinon tritt in dieser Szene als die moralische Instanz auf und das sogleich ziemlich vehement. Er wirft seinem Herren offen vor, eine Strafe für die Frauen zu sein, verfällt dann in Ironie, um auf den puren Hedonismus seines Herren aufmerksam zu machen. Don Juans Vergleich mit der griechischen Mythologie hinkt hier, weshalb sein Diener, der sich wenige Szenen zuvor selbst noch mit klassischen Referenzen hervortat, möglicherweise nicht darauf eingeht. In der Geschichte von Aeneas und Dido, der Fürstin von Karthago, verhält es sich so, dass der schiffbrüchige Held die Gastfreundschaft einer Frau zwar ebenfalls ausnutzt, um mit dieser zu schlafen, in Vergils Version der Geschichte verlässt Aeneas die Frau allerdings nicht aus freien Stücken, sondern auf Weisung des Götterboten Merkur, der den Helden an seine Pflichten erinnert.

Catalinons nüchterne Antwort auf diesen mythologischen Rechtfertigungsversuch seines Herren führt Don Juan die wahre Natur seiner Taten vor Augen, und endet schließlich mit der Prophezeiung einer übernatürlichen Bestrafung. Am Ende der Unterhaltung gründet Catalino sogar seine eigene (außereheliche?) Enthaltsamkeit auf seinen soeben vertretenen moralischen Standpunkt:

CATALINON. Folg deiner Lust; doch ich will vom Verführen

Der Weiber plaudern nur, als Papagei.19

Hier findet sich zudem eine weitere Motivation des Dieners: Catalinon will über die Verführkunst berichten. Dass er dies lediglich als Außenstehender tun möchte, verleiht dem Wunsche des Dieners einen wissenschaftlich-dokumentarischen Charakter.

Der erste Akt schließt mit der Verführung Tisbeas und der Flucht von Don Juan und Catalinon. Im zweiten Akt treten beide in den Straßen Sevillas wieder auf, wo es zu einer neuen Intrige Don Juans kommt, als dieser auf Herzog Octavio trifft. In diesem Akt spitzt sich das Verhältnis zwischen Don Juan und seinem Diener zu, da Catalinon zunehmend gezwungen wird, Dinge zu tun, die ihm widerstreben. Den Anfang macht dabei Szene 10, ein weiterer reiner Dialog zwischen Don Juan und Catalinon:

DON JUAN. Wir beide haben diese Nacht zu thun. CATALINON. Giebt's neue Schelmerei?

DON JUAN. Die herrlichste!

CATALINON. Ich kann's nicht loben, Herr; du machst, daß wir

Doch einmal schlimm anlaufen. Wer da lebt

Von List und Trug, wird einst noch arg betrogen.

DON JUAN. Ha, Prediger, wirst du unverschämt? Für jetzt

Will ich dich warnen, daß ich nicht noch Einmal

Dich warnen muß!

CATALINON. Herr, künftig will ich thun, Was du befiehlst; ich zücht'ge Elephanten

Und peitsche Tiger, wenn ich bei dir bin20

Nachdem Don Juan eine gemeinsame Nachtschicht angekündigt und seinem Diener erklärt hat, dass der Grund dafür ein neuer und herrlicher Streich sein wird, verfällt Catalinon in die gleiche

moralisch-distanzierende Haltung wie im ersten Akt. Der Unterschied hier ist jedoch, dass die schlimmen Konsequenzen, die er prophezeit, nun nicht mehr lediglich seinen Herren betreffen, sondern dass er sich mit einbezieht. Möglicherweise erhofft er dadurch mehr Gewicht für seine Worte. Diesen ganzen argumentativen Aufbau und auch den erhöhten Standpunkt seines Dieners zerschmettert Don Juan in einer Antwort, die aus unwesentlich mehr als einer Warnung vor einer Warnung besteht. Obwohl hier keinerlei Konsequenzen für den Diener angekündigt werden, seien sie physisch oder wirtschaftlich, vollzieht sich bei diesem eine absolute Kehrtwende: Der finale Gesprächsakt von Szene 10 besteht aus einer unbedingten Treueerklärung von Catalinon an seinen Herrn.

[...]


1 In der Übersetzung von Ludwig Braunfels.

2 In der von Hermann Levi neu bearbeiteten Übersetzung von Franz Grandaur.

3 Es würde sich zwar ebenfalls das Libretto zu Alexander Puschkins Oper Der steinerne Gast anbieten, allerdings ist bei Puschkin die Dienerfigur weitestgehend marginalisiert worden und tritt im Finale nicht einmal auf.

4 Stackelberg, Jürgen. Metamorphosen des Harlekin: zur Geschichte einer Bühnenfigur. München: Fink, 1996, S. 8.

5 Ebd..

6 Ebd., S. 21f.

7 Ebd., S. 25.

8 Ebd., S. 7.

9 Rössner, Michael: Das Theater der Siglos de Oro. In: Christoph Strosetzki (Hrsg.): Geschichte der spanischen Literatur. Tübingen: Niemeyer, 1991, S. 182.

10 Abert, Hermann: W. A. Mozart. Neubearbeitete und erweiterte Ausgabe von Otto Jahns Mozart. 3. Auflage, Leipzig: VEB Breitkopf und Härtel, 1955/1956, S. 362.

11 Frenzel, Elisabeth: Don Juan. In: Brigitte Wittmann (Hrsg.): Don Juan: Darstellung und Deutung. Bd. 282. Darmstadt: Wiss. Buchges., 1976, S. 3.

12 Molina, Tirso de: Don Juan, der Verführer von Sevilla oder der steinerne Gast. In: Spanisches Theater, 5. Band. Leipzig: Verlag des Bibliographischen Instituts, 1872, S. 52.

13 Ebd.

14 Molina, S. 52f.

15 Ebd., S. 53.

16 Ebd., S. 54.

17 Molina, S. 58.

18 Ebd., S. 65f.

19 Molina, S. 66.

20 Ebd., S. 84.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Leporello bei Gumiljow, Da Ponte und Molina. Zur Evolution und Emanzipation einer Dienerfigur
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Institut für Deutsch als Fremdsprachenphilologie)
Veranstaltung
HS Casanova & Co
Note
3,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
33
Katalognummer
V490592
ISBN (eBook)
9783668969841
ISBN (Buch)
9783668969858
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Don Juan, Don Giovanni, Da Ponte, Gumiljow, Molina, Leporello, Catalinon
Arbeit zitieren
Florian Arleth (Autor:in), 2019, Leporello bei Gumiljow, Da Ponte und Molina. Zur Evolution und Emanzipation einer Dienerfigur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/490592

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