Förderung der auditiven Wahrnehmung durch Musik bei frühkindlichem Autismus


Studienarbeit, 2019

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in den Themenkomplex
1.1 These und Begründung der Themenwahl
1.2 Methodische Herangehensweise

2. Frühkindlicher Autismus
2.1 Definition
2.2 Kardinalsymptome und Beobachtungen im Alltag
2.3 Störung der Sinneswahrnehmung

3. Auditive Wahrnehmung und AVWS
3.1 Begriffserklärung auditive Wahrnehmung
3.2 Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung

4. Methoden zur Förderung von Kindern mit frühkindlichem Autismus
4.1 Therapeutische Ansätze
4.2 Weitere Therapeutische Ansätze

5. Projektarbeit in der Praxis
5.1 Einleitung Projektarbeit und Beschreibung der Einrichtung
5.2 Zustand des Kindes vor der Projektphase
5.3 Beschreibung der Projekte und Durchführung
5.4 Zustand des Kindes nach der Projektphase

6. Fazit und Aussicht

7. Literaturverzeichnis

1. Einführung in den Themenkomplex

1.1 These und Begründung der Themenwahl

"Ganz am Anfang meiner Reise in die Welt des Autismus traf ich auf keine der üblichen Wegweiser, keine vertrauten Namen oder Gesichter, einzig die Sterne und die leeren Gesichter der angsterfüllten Kinder, die weder sprechen noch hören konnten und die, wenn ich auf sie zuging, vor Schreck aufschrieen. Da nannte ich sie ‚unheimliche Fremdlinge’." (Carl H. Delacato) 1

Zu Beginn des KiTa-Jahres 2018/2019 kam ein Kind in meine zu betreuende Krippengruppe, welches sich vom ersten Moment an klar von den anderen Kindern unterschied. Es wies Verhaltensmuster auf, die mir bis zu diesem Zeitpunkt weitestgehend unbekannt waren (Auf die Verhaltensmuster werde ich in Kapitel 2 ausführlich eingehen). Ich fand eine Faszination an diesem „Anders“-sein und entschloss mich meine Facharbeit zu nutzen, um mich nicht nur mit dem Kind, sondern vielmehr mit dem Störungsbild, welches sich in seinem Verhalten offenbarte, auseinanderzusetzen.

Nach Aussagen einer erfahrenen Kollegin, die das Kind ein paar Wochen im Alltag beobachtet hatte, äußerte sie ihre Vermutung zum frühkindlichen Autismus. Dies nahm ich zum Anlass, mich intensiv mit der Thematik vertraut zu machen und auseinander- zusetzen. Eine Verdacht- Diagnose seitens des behandelnden Kinderarztes steht zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Facharbeit aus. Jedoch konnte ich, auf der Grundlage Fachtheoretischer Literatur, die die diagnostischen Kriterien des frühkindlichen Autismus beinhalten, auf dieses Störungsbild schließen. 2

In meiner Freizeit bin ich in verschiedene musikalische Projekte eingebunden. Diese Neigung zur Musikalität ließ mich in meiner Recherche auf musiktherapeutische Ansätze stoßen. Bei autistischen Kindern hat diese Form der Förderung schon bekannte Erfolge erzielt. Vor allem in den USA, Großbritannien und Österreich wird mit dieser Methode gearbeitet. Um die musiktherapeutischen Ansätze, auf einen im KiTa-Alltag realisierbaren Standard zu bringen, entschied ich mich für kleine Übungen, die ich mit dem Kind durchgeführt habe.

Der Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, welche eng an das Zentral- nervensystem gebunden ist.

Somit gehen auch Wahrnehmungsstörungen mit dem Autismus einher, die sich insbesondere auf die visuelle- und die auditive Wahrnehmung beziehen. Auf der Grundlage eigener und teambasierender Beobachtungen entschloss ich mich, die auditive Wahrnehmung bei diesem Kind zu fördern.

Ich stelle die These auf, dass Musik, in ihrer existenziellen Form, dem reinen Klang, eine therapeutische Wirkung auf das auditive Wahrnehmen eines autistischen Kindes haben kann.

1.2 Methodische Herangehensweise

Diese Facharbeit ist unter Zuhilfenahme verschiedenster Fachspezifischer Literatur, eigener- und teambasierender Beobachtungen aus dem KiTa-Alltag und der tatkräftigen Unterstützung meiner Kollegen heraus entstanden. Während meiner Literarischen Recherche musste ich feststellen, dass das Angebot an Büchern zum Thema Musik- therapie, insbesondere im Bezug auf den frühkindlichen Autismus, noch ausbaufähig ist.

Die Projektarbeit mit dem autistischen Kind befindet sich in ausführlich beschriebener Form in Kapitel fünf. Um das Kind zu schützen werden personenbezogene Daten und Fakten mit dem Kürzel „a. K.“ anonymisiert. Die nach jeder Übung entstandenen Gedächtnisprotokolle liefern die Grundlage für die Dokumentation meiner Beobachtungen. Um diese Arbeit verständlich zu gestalten, habe ich sie klar strukturiert. Somit folgt sie einem logisch-systematischen Aufbau.

Aus Gründen der einfachen Lesbarkeit, möchte ich auf die Verwendung von männlicher, sowie weiblicher Sprachformen verzichten. Sämtliche, im Folgenden auftretenden Personenbezeichnungen beziehen sich gleichermaßen auf beide Geschlechter.

2. Frühkindlicher Autismus

2.1 Definition

Der frühkindliche Autismus, oder auch „Kanner’scher“, geht auf die Entdeckungen des Jugendpsychiaters Leo Kanner (1894-1981) aus dem Jahre 1943 zurück. Die laut Kanner angeborene oder in frühster Kindheit erworbene Störung beinhaltet eine schwere qualitative Abweichung vom üblichen Entwicklungsverlauf eines Kindes. Diese tief- greifende Entwicklungsstörung bezieht sich insbesondere auf die Wahrnehmungs- verarbeitung im Zentralnervensystem. 3

Es gibt eine Vielzahl verschiedener Autismus Störungen und Ausprägungen, jedoch lassen sich laut der beiden psychiatrischen Klassifikationssystemen der WHO, dem ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und der American Psychiatric Association, dem DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders), all diese, unabhängig vom Grad der Ausprägung auf die drei folgenden Kernsymptome zusammenführen:

- qualitative Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Beziehung,
- qualitative Beeinträchtigung der verbalen und nonverbalen Kommunikation und
- beschränktes und unter umständen spezielles Aktivitäts- und Interessenrepertoire. 4 5

Was man im allgemeinen unter Autismus verstehen kann, liefert folgende Definition:

„Autismus ist eine komplexe und vielgestaltige neurologische Entwicklungsstörung. Häufig bezeichnet man Autismus bzw. Autismus-Spektrum-Störungen auch als Störungen der Informations- und Wahrnehmungsverarbeitung, die sich auf die Entwicklung der sozialen Interaktion, der Kommunikation und des Verhaltensrepertoires auswirken.“ 6

2.2 Kardinalsymptome und Beobachtungen im Alltag

Ich habe „a. K.“ nach längerer intensiver Beobachtung, den im Folgenden näher beschriebenen Kernsymptomen des frühkindlichen Autismus zuordnen können.

Betroffene Kinder wirken auf den ersten Blick wie in ihrer „eigenen Welt“ gefangen. Mit einer kraftlos anmutenden, oft schlaffen Körperspannung sieht man sie, meist zurückgezogen in einem Raum.7

Dabei spielen sie nicht, wie die umgebenden Kinder, „normal“, sondern sie nutzen meist dasselbe Spielzeug, in immer gleicher, oft zweckentfremdeter Art und Weise. Kreativität wird in ihrem Spiel gänzlich vermisst. Das Kind baut seine Objektbeziehungen (zu Spielzeug oder Gegenständen) nur um der Reaktion willen auf, d.h. beispielsweise, dass das Kind den Lichtschalter in einem Raum für einen gewissen Zeitraum betätigt und beim An- und Ausschalten des Lichtes die Deckenbeleuchtung beobachtet. Diese Auseinandersetzung mit dem Objekt wird in keiner Form differenzierter, koordinierter oder flexibler um letztendlich ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Ersichtlich wird das durch Stereotypien, d.h. meist gleiche Handlungen mit verminderter inhaltlicher Variation. Hier offenbaren sich die natürlichen Bedürfnisse nach Ordnung und Sicherheit. Der Versuch, diese Kinder für andere Dinge zu begeistern, geschweige denn zu motivieren, scheitert meist. Sollte ihre bestehende Handlung durch einen Erzieher oder andere Kinder gestört werden, so neigen autistische Kinder zu einer erhöhten Aggressivität. Dieses Verhalten äußert sich insbesondere in Selbstverletzungen, wie beispielsweise das Schlagen mit der Faust gegen den eigenen Kopf oder das Schlagen des Kopfes gegen feste Gegenstände wie den Fußboden oder die Wand. Das stellt eine Form der Selbststimulation dar. 8

Ebenso wird beobachtet, das autistische Kinder die Menschen in ihrer Umgebung ignorieren. Es ist keine verbale oder nonverbale Kontaktaufnahme erkennbar. Einige betroffene Kinder entwickeln keine eigene gesprochene Sprache, stattdessen äußern sie sich nur mit Geräuschen und/ oder Lauten. Sie sind nicht in der Lage soziale Kontakte zu knüpfen, bzw. eine Bindung zu Bezugspersonen aufzubauen. Auch betroffen ist die reine Kontaktaufnahme per Blickkontakt oder das soziale Lächeln (Fähigkeit bei Kindern mit einem Lächeln auf ihre Umgebung und insbesondere Gesichter zu reagieren.). Außerdem zeigt sich das Kind an Körperkontakt uninteressiert und wehrt sich gegebenenfalls sogar dagegen.9

Es ist auch keine gesonderte Reaktion auf die Anwesenheit der Eltern erkennbar. Aufgrund der Abwesenheit des Bedürfnisses nach körperlicher Nähe, wird zu den eigenen Eltern keine verlässliche, bzw. sichere Bindung aufgebaut. Diese Erkenntnis lässt im Bezug auf die Bindungstheorie nach John Bowlby darauf schließen, dass dem Kind die nötige Sicherheit fehlt seine Umwelt explorativ zu erfahren und mit dieser zu lernen.10

Ebenfalls betroffen ist das Nachahmungsverhalten (Verhalten, die Umgebung zu imitieren). Dem Kind fehlt das Interesse an seiner Umgebung, dadurch entfällt die Möglichkeit bestimmte Fertigkeiten und Kompetenzen zu erwerben und zu entwickeln. Dazu zählen unter anderem motorische Fähigkeiten (selbstständiges essen, sich an- und ausziehen) oder einen Gesichtsausdruck passend zu einem Gefühl zu äußern. Also die Möglichkeit einen Gesichtsausdruck nachzuahmen, zu imitieren um dadurch ver- schiedene Gefühle des jeweiligen Gegenübers zu spiegeln, zu lernen und letztlich selbst wahrzunehmen. Sie erkennen nicht, wenn ein anderes Kind oder ein Erwachsener glücklich, traurig oder wütend ist. Aus diesem Grund erscheinen auch die Reaktionen der autistischen Kinder auf bestimmte Situationen nicht angepasst. 11

Durch einen mangelnden Aufbau kognitiver Schemata, können Reize nicht ordnungs- gemäß dekodiert werden. Dies erschwert den betroffenen Kindern den Ausdruck eigener Gefühle, was jedoch nicht bedeutet das autistische Kinder nichts fühlen, nur weil keine oder keine, an die Situation angepasste Reaktion erkennbar ist.

Die Reizaufnahme durch die Sinnesorgane scheint nicht beeinträchtigt zu sein, die Störung liegt vielmehr in der Reizverarbeitung im Zentralnervensystem. Dies führt dazu, dass autistische Kinder ihre Umwelt nur fragmentarisch wahrnehmen und sie somit als chaotisch erleben. Es ist ihnen erschwert mehrdeutige Wahrnehmungsebenen zu verstehen. Gerade in einem lebendigen Umfeld wie der KiTa, ist es für betroffene Kinder schwierig aus dem immer präsenten Geräuschangebot, Inhalte wie beispielsweise Gespräche oder die Ansprache mit dem eigenen Namen herauszufiltern. Ebenso verhält es sich mit visuellen Reizen. Hinzukommend sind Auffälligkeiten in der Perzeption, also dem Wahrnehmen ohne bewusstes erfassen und identifizieren, zu beobachten. Diese beiden Aspekte erklären die oftmals verzögerte oder gar ausbleibende Reaktion auf Stimuli (Reize die eine Reaktion auslösen). Auch interessant zu beobachten ist eine Schmerzunempfindlichkeit und eine geschwächte Reaktion auf Stimuli während der Sicherheitsgebenden, routinierten Handlungsmuster. 12

2.3 Störung der Sinneswahrnehmung

Bei Autistischen Kindern ist es wie bei allen anderen, gesunden Menschen auch. Die Umwelt, mit all ihren Reizen wird über die Sinnesorgane aufgenommen. Von dort werden die Impulse über unzählige Nervenbahnen in das Zentralnervensystem weitergeleitet, wo sie letztlich gefiltert, mit bereits vorhandenen Reizen (Erinnerungen) verknüpft und koordiniert werden. Es entstehen also brauchbare Informationen die dazu führen, dass ein Mensch auf die zuvor aufgenommenen Reize reagieren kann. Leider funktioniert dieser Prozess der Reizweiterleitung und der Reizverarbeitung nicht bei allen Menschen so reibungslos. Bei autistischen Kindern ist diese Reizverarbeitung gestört. Es ist wichtig zu unterscheiden das bei Autisten keine Beeinträchtigung der Sinnesorgane vorliegt.

Die Störung der Sinneswahrnehmung führt zu einer Hypersensivität (Überempfindlichkeit) oder einer Hyposensivität (Unterempfindlichkeit) in einigen Bereichen der Sinnes- wahrnehmung. 13

Im Folgenden möchte ich auf zwei der drei am häufigsten auftretenden Bereiche kurz eingehen und jeweils ein Beispiel nennen:

- Die olfaktorische Wahrnehmung (riechen)

Bei einer Hyposensivität (Hypo.) fehlt manchen Autisten jegliches Geruchsempfinden. Anders ist es bei einer Hypersensivität (Hyper.). Gerüche werden intensiv wahr- genommen, was dazu führt, dass betroffene Kinder gelegentlich die Toilette meiden.

- Die visuelle Wahrnehmung (sehen)

Bei einer Hypo. werden Gegenstände nicht in Gänze wahrgenommen oder es gibt Probleme in der Tiefenwahrnehmung (Raumwahrnehmung) welche zur Folge haben können, dass motorische Fähigkeiten wie Fangen oder Werfen nicht gelingen.

Bei der Hyper. entsteht eine verzerrte Wahrnehmung bei der das Sichtfeld gebrochen erscheinen kann und helle, grelle Lichter oder Objekte umherzuspringen scheinen. 14

Im nun folgenden Kapitel werde ich ausführlich auf den dritten Bereich, die auditive Wahrnehmung und ihre bei autistischen Kindern gestörte Form eingehen.

[...]


1 Delacato, Carl H..1985.Der unheimliche Fremdling, das autistische Kind.Freiburg:Hyperion/Wartelsteiner

2 Vgl. Sinzig, Judith. 2011. Frühkindlicher Autismus. Berlin Heidelberg: Springer, S. 10

3 Vgl. Sinzig, Judith, 2011, S.8

4 http://www.icd-code.de/suche/icd/code/F84.-.html?sp=Sfr%FChkindlicher%20autismus 31.01.2019, 21:19 Uhr

5 Falkai, Peter. Wittchen, Hans- Ulrich. 2015. Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen DSM-5. 1. Göttingen: Hogrefe.

6 https://www.autismus.de/was-ist-autismus.html 27.01.2019, 16:40 Uhr

7 Vgl. Theunissen, Georg. 2018. Autismus und herausforderndes Verhalten. 2. Freiburg im Breisgau: Lambertus- Verlag, S. 18

8 Vgl. Theunissen, Georg, 2018, S.36-37

9 Vgl. Remschmidt, Helmut. 2012. Autismus: Erscheinungsformen, Ursachen, Hilfen. 5. München:Autismus: C.H. Beck oHG, S. 16

10 Vgl. Schumacher, Karin. 2017. Musiktherapie bei Kindern mit Autismus. 2. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, S.13

11 Vgl. Sinzig, Judith, 2011, S.12

12 Vgl. Rollett, Brigitte; Kastner-Koller, Ursula. 2011. Praxisbuch Autismus. 4. München: Urban & Fischer Verlag.

13 Vgl. Theunissen, Georg, 2018, S.23

14 https://autismus-kultur.de/autismus/autipedia/wahrnehmung-autistischer-menschen.html 06.02.19, 17:08 Uhr

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Förderung der auditiven Wahrnehmung durch Musik bei frühkindlichem Autismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
25
Katalognummer
V491313
ISBN (eBook)
9783668983113
ISBN (Buch)
9783668983120
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Autismus, frühkindlicher Autismus, Musiktherapie, auditive Wahrnehmung, AVWS, Auditive- Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung, KiTa, Facharbeit
Arbeit zitieren
Nils Wiedecke (Autor:in), 2019, Förderung der auditiven Wahrnehmung durch Musik bei frühkindlichem Autismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/491313

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