Auf dem Weg von einer „fairen Globalisierung“ zur internationalen Sozialverfassung des Welthandels: Gibt es eine soziale Dimension der WTO?


Seminararbeit, 2005

27 Seiten, Note: 11 Punkte (vollbefriedigend)


Leseprobe


GLIEDERUNG:

1. Einführung
1.1. Sozialstandards: Elementare Arbeiter- und Menschenrechte
1.2. Problematik der unterschiedlichen Sichtweise

2. ILO ‚oder’ WTO als Umsetzungsgremium von Sozialstandards?
2.1. Ist die ILO das richtige Gremium zur Umsetzung von Sozialstandards?
2.2. Ist die WTO das richtige Gremium zur Umsetzung von Sozialstandards?
2.2.1. Art. XX lit. e GATT - prison labor
2.2.2. Art. XX lit. b GATT - human, animal or plant life or health
2.2.3. Art. XX lit. a GATT - public morals
2.2.4. Chapeau des Art. XX GATT
2.2.4.1. Primat multilateraler Abkommen
2.2.4.2. Problem der „Extraterritorialität“(US-Tuna)
2.3. Ergebnis

3. Ausblick und Stellungnahme

1. Einführung

Die Diskussion um eine soziale Dimension im internationalen Handel hat in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen. Meinungsverschiedenheiten über die Frage, ob die Problematik spezifischer Schutzklauseln bei Nichteinhaltung bestimmter Arbeits- oder Sozialstandards in der Welthandelsorganisation (WTO) integriert werden sollten, waren ein wesentlicher Grund für das Scheitern der dritten WTO-Ministerkonferenz 1999 in Seattle. Auch auf der vierten Ministerkonferenz im November 2001 in Doha konnten sich die Industrieländer mit ihrer Forderung nach verbindlichen Sozialstandards in der WTO nicht gegenüber den Entwicklungsländern durchsetzen. Das Thema stand deshalb auch nicht mehr auf der Agenda der Welthandelsrunde in Cancun 2003.[1] Es bleibt abzuwarten wie sich die im Dezember 2005 stattfindende Hongkong-Runde bewährt. Themen dieser Ministerkonferenz sollen grundsätzlich diejenigen der Doha-Runde sein, jedoch scheinen Sozialstandards auch dieses Mal - wie in Cancun - ausgeblendet zu werden.

Insbesondere wegen der Forderung einiger Industrieländer nach wirksamen Schutz und internationaler Durchsetzung von Sozialstandards, bedürfe es einer mit Sanktionsmechanismen ausgestatteten Instanz. Einen solchen Mechanismus bietet bereits die WTO an. Daher wird die Integration einer Sozialklausel in das Vertragswerk der Welthandelsorganisation befürwortet. Andrerseits ist die International Labor Organization (ILO) das Gremium in dessen Zuständigkeit diese Fragen fallen.

Diese Arbeit definiert zunächst den Begriff der Sozialstandards. Hierbei ist der ILO-Begriff maßgebliches Kriterium. Das Hauptaugenmerk liegt somit auf Sozialstandards im engeren Sinne, den ‚elementaren’ Arbeitnehmer- und Menschenrechten. Danach werden die Auswirkungen von Sozialstandards im Hinblick auf ihre Effekte in den Industrie- und Entwicklungsländern untersucht. Es wird insbesondere diskutiert, wie sich Sozialstandards wirkungsvoll durchsetzen lassen und ob bzw. wie Interessen inländischer Akteure die Politik der nationalen Regierungen im Hinblick auf internationale Sozialstandards beeinflussen.

Zunächst werden im zweiten Abschnitt die ILO und die WTO kurz vorgestellt und an Hand des Art. XX GATT der Versuch der Implementierung von Kernabreitstandards als spezielle Form der Sozialstandards dargestellt. Der zweite Abschnitt stellt außerdem die Rechtfertigungsgründe des Art. XX GATT lit. e) prison labor, lit. b) human, animal or plant life or health und lit. a) public morals, sowie ausgewählte Hürden des chapeau des Art. XX GATT dar.

1.1. Sozialstandards: Elementare Arbeiter- und Menschenrechte

Es ist zu definieren, welche Rechte unter den Begriff der Sozialstandards fallen. Sozialstandards können vielfältig ausgestaltet sein. Sie beziehen sich sowohl generell auf Menschenrechte als auch auf das gesamte System der sozialen Absicherung, wie beispielsweise der Rentenversicherung und der Arbeitsstandards. Arbeitsstandards können wiederum in ‚sonstige’ Arbeitsstandards und Kernarbeitsnormen unterteilt werden. ‚Sonstige’ Arbeitsstandards sind sehr weit zu fassen; Mindestlöhne, Urlaub, Gesundheits- und Sicherheitsstandards am Arbeitsplatz kommen exemplarisch in Betracht. Diese Beispiele beziehen sich in concreto auf den nationalen Arbeitsmarkt und seine spezifischen Arbeitsmarktbedingungen, im internationalen Vergleich gibt es selbstverständlich starke Variationen[2]. Gerade diese Unterschiedlichkeit der Arbeitsmärkte führt zur Uneinheitlichkeit der sozialen Sicherungssysteme.

Deshalb soll hier zunächst eine Art ‚Grundkonsens’ gefunden werden. Die Internationale Arbeitskonferenz der ILO verabschiedete im Juni 1998 eine „Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work“, die alle Mitgliedsstaaten auf die Einhaltung der fundamentalen Arbeiterrechte verpflichtet und der die folgenden vier Prinzipien zu Grunde liegen:

1. Gewerkschaftliche Vereinigungsfreiheit (ILO-Konvention Nr. 87 von 1948), mit dem Recht zur Bildung von Organisationen und dem Recht auf kollektive Lohnfindung (ILO-Konvention Nr. 98 von 1949),
2. Beseitigung aller Formen von Zwangsarbeit, (ILO-Konventionen Nr. 29 von 1930 und Nr. 105 von 1957),
3. Abschaffung von Kinderarbeit, (ILO-Konventionen Nr. 138 von 1973 und Nr. 182 von 1999),
4. Beseitigung von Diskriminierungen in Beschäftigung und Beruf (ILO-Konvention Nr. 111 von 1958), sowie die Garantie von angemessenen Arbeitskonditionen, (ILO- Konvention Nr. 100 von 1951).[3]

Bei den gerade dargestellten vier Kernarbeitsstandards, dem sogenannten ‚Grundkonsens’ ist allerdings zu beachten, dass es sich um kein universell gültiges internationales Sozialprinzip handelt. Denn die rechtliche Grundlage hierfür ergibt sich weder aus dem Welthandelsrecht noch aus völkerrechtlichem Gewohnheitsrecht.[4]

Bei der Uruguay-Runde 1994 unternahmen Frankreich und die USA zwar einen Versuch Mindestarbeits- und -sozialstandards in das Welthandelsrecht einzubringen.[5] Dabei waren deren Motive unterschiedlicher Natur. Die USA wollte Sozialstandards aus humanitären Gründen, die Franzosen verfolgten wettbewerbsorientierte Gründe. Dieser Ansatz wurde auch bei der Singapur-Runde 1996 weiter vertieft. Unter Punkt 4 der Deklaration der WTO-Ministerialkonferenz von Singapur heißt es:

We renew our commitment to the observance of internationally recognized core l abor standards. The International Labor Organization (ILO) is the competent body to set and deal with these standards, and we affirm our support for its work in promoting them. We believe that economic growth and development fostered by increased trade and further trade liberalization contribute to the promotion of these standards. We reject the use of labor standards for protectionist purposes, and agree that the comparative advantage of countries, particularly low-wage developing countries, must in no way be put into question. In this regard, we note that the WTO and ILO Secretariats will continue their existing collaboration.[6]

Des Weiteren führt die Singapur-Deklaration unter Punkt 5 wie folgt aus:

We commit ourselves to address the problem of marginalization for least-developed countries, and the risk of it for certain developing countries. We will also continue to work for greater coherence in international economic policy-making and for improved coordination between the WTO and other agencies in providing technical assistance.[7]

Dieses Ansinnen stieß jedoch auf erhebliche Widerstände der Entwicklungsländer. Allen voran Malaysia, Indien, Pakistan und Ägypten befürchteten zumindest protektionistische Maßnahmen seitens der Industrieländer. Die Verankerung von Arbeitsstandards könnte Abwehrmaßnahmen gegen Waren und Leistungen, die diese Standards nicht einhalten, zulassen. Folglich stimmten die Entwicklungsländer dagegen und daher musste bislang der Versuch Sozialstandards in das WTO-Recht einzubeziehen wegen des in der WTO herrschenden Konsensprinzips scheitern.

Somit sind trotz der Singapur-Deklaration zurzeit WTO-Mitglieder nur dann an sogenannte völkerrechtliche Sozialstandards gebunden, wenn sie das ILO-Abkommen zur Gründung einer internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert haben.[8] Bislang haben über 100 ILO-Mitgliedsstaaten alle Kern- oder Menschenrechtsübereinkommen ratifiziert.[9]

1.2. Problematik der unterschiedlichen Sichtweise

Insbesondere wegen der Forderung nach wirksamen Schutz und internationaler Durchsetzung von Sozialstandards, bedürfe es einer mit Sanktionsmechanismen ausgestatteten Instanz. Einen solchen Mechanismus bietet bereits die Welthandelsorganisation, daher wird von den Industrieländern die Integration einer Sozialklausel in das Vertragswerk der Welthandelsorganisation befürwortet. Die Gruppe der Entwicklungsländer in der WTO verweigert sich indes der Einbeziehung von Sozialstandards in das Regelwerk der WTO und unterstreicht, dass die ILO das zuständige und geeignetere Forum für diese Thematik sei.[10]

Die Entwicklungsländer - insbesondere die Asiens und Afrikas - befürchten, dass umfangreiche Sozialstandards auf dem Niveau der entwickelten, nord-westlichen Länder festgesetzt würden. Ein solches Sozialniveau sei für sie bei den vorherrschenden Löhnen nicht umsetzbar und daher auch nicht bezahlbar. Gerade die niedrigen Kosten für den Faktor Arbeit bilden den maßgeblichen komparativen Vorteil dieser Länder. Sollte der Vorteil durch welthandelsrechtliche Sozialstandards nivelliert werden, führe dies unweigerlich zum Verlust von Wettbewerbsvorteilen und von Investitionsanreizen. Das Bestreben zur Verpflichtung auf soziale Mindeststandards wird deshalb als Versuch der Industriestaaten gewertet ihre Märkte gegen den Wettbewerbsdruck der Entwicklungsländer zu schützen.[11] Die gewollte oder ungewollte Nichteinhaltung von Sozialstandards könne als Argument für protektionistische Maßnahmen seitens der Industrieländer missbraucht werden.[12]

Die Entwicklungsländer verkennen aber, dass Sozialstandards nicht unbedingt am Standard der westlichen Industrienationen gemessen werden. Es ist logischer und daher durchaus zu diskutieren, dass harmonisierte Standards nicht identisch sein müssen, sondern vielmehr dem Grad der wirtschaftlichen Entwicklung des einzelnen Landes angepasst sein sollten. Gerade in Entwicklungsländern muss das Mindesteinkommen angepasst an die wirtschaftliche Entwicklung auch das Überleben sichern.[13]

Ferner gehen viele Politiker der Entwicklungsländer davon aus, dass die bereits existierenden WTO-Regeln eine übermäßige Bürde für ihre jeweils nationale Wirtschaft darstellen. Eine strikte Anwendung der WTO-Verträge bezüglich bindender Zölle, reduzierter Subventionen, dem Verbot bestimmter wirtschaftsfördernder Investitionen, und der Einschränkung weiterer wirtschaftlicher Interessen würde die in den Entwicklungsländern häufig propagierten Importsubstitutions- und Exportförderungsstrategien erheblich beeinträchtigen.[14]

Außerdem würde die Durchsetzung von Kernarbeitsstandards den Entwicklungsländern die Möglichkeiten verweigern, die die heutigen Industrieländer im vergleichbaren Zeitalter der Industrialisierung hatten. Kinderarbeit und Zwangsarbeit, sowie die Unterdrückung von Gewerkschaften waren gerade im Europa und den USA des 19ten Jahrhunderts üblich. Diese Ansicht vermag nicht zu überzeugen, denn es wird außer Acht gelassen, dass sich Europa und die USA in einem Zeitalter primitiver Industrialisierung befanden. Technologien waren unausgereift und Maschinen waren auf dem Niveau simplerer Hilfsmittel. Folglich war manuelle Arbeit immer noch ein gefragtes Gut. Entwicklungsländer in der heutigen Zeit können indes auf weit fortschrittlichere Technologien zurückgreifen. Es ist gerade der Fehler seitens der Entwicklungsländer nicht Kernarbeitsstandards einzuführen, denn gerade diese Standards fördern die Investition in menschliches Kapital und führen somit zu wirtschaftlichem Wachstum. Es ist nicht durch empirische Erhebungen erwiesen, dass die Verletzung von sozialen Grundstandards und grundlegenden Arbeiterrechten zusätzlich ausländische Investoren anzieht.[15] Billige Arbeitskraft ist daher nicht das ausschließliche Kapital eines Landes.

[...]


[1] Busse/Grossmann,

[2] Busse/Grossmann, S. 125.

[3] Bhala, S. 1537; http://www.ilo.org/public/english/standards/decl/vaw/declaration/about/text.htm.

[4] Weiß/Hermann, § 24, Rn. 1100.

[5] Busse, S.3.

[6] Singapore Ministerial Declaration, Abs.4, WTO-Doc. WT/MIN(96)/DEC/W v. 18.12.1996.

[7] Singapore Ministerial Declaration, Abs.5, WTO-Doc. WT/MIN(96)/DEC/W v. 18.12.1996.

[8] Weiß /Hermann, § 24, Rn. 1103.

[9] http://www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/ilo_kernarbeitsnormen.htm.

[10] Stoll/Schorkopf, Rn. 748.

[11] Stoll/Schorkopf, Rn. 748.

[12] Morici/Schulz, S. 22.

[13] Bhala, S. 1547.

[14] Morici/Schulz, S. 22.

[15] Morici/Schulz, S. 23.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Auf dem Weg von einer „fairen Globalisierung“ zur internationalen Sozialverfassung des Welthandels: Gibt es eine soziale Dimension der WTO?
Hochschule
Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer (ehem. Deutsche Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer)
Veranstaltung
Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht
Note
11 Punkte (vollbefriedigend)
Autor
Jahr
2005
Seiten
27
Katalognummer
V50427
ISBN (eBook)
9783638466516
ISBN (Buch)
9783638660976
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Globalisierung“, Sozialverfassung, Welthandels, Gibt, Dimension, Europäisches, Internationales, Wirtschaftsrecht
Arbeit zitieren
Ass. Iur., LL.M. Jord Hollenberg (Autor:in), 2005, Auf dem Weg von einer „fairen Globalisierung“ zur internationalen Sozialverfassung des Welthandels: Gibt es eine soziale Dimension der WTO?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/50427

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