Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Selbstbestimmung
2 Konzepte der Sozialen Arbeit
2.1 Das Assistenzkonzept
2.2 Das Kundenmodell
2.3 Empowerment
3 Gleichwertiger Umgang und Abhängigkeiten zwischen Sozialpädagogen/innen und den Menschen mit geistiger Behinderung
3.1 Gleichwertiger Umgang
3.2 Abhängigkeiten und mögliche Folgen
4 Selbstbestimmung fördernde Kommunikationsweisen
Zusammenfassung
Quellenverzeichnis
Einleitung
In der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung muss die Profession der Sozialpädagogik viel Fingerspitzengefühl beweisen. Die kognitiven Schwierigkeiten der Betroffenen, welche die Teilhabe in der Gesellschaft und die alltäglichen Lebensverrichtungen erschweren, sollen von Fall zu Fall individuell bewertet werden. Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen haben täglich Entscheidungen zu treffen und Hilfen bereit zu stellen um die hilfebedürftigen Personen bei ihren Problemen zu unterstützen.
Gerade in dem Bereich des Entscheidens besteht bei den Professionen eine Diskussion über die Ermöglichung der Selbstbestimmung und Partizipation auch von Menschen mit geistiger Behinderung. Die Wichtigkeit und Aktualität dieses Themas wird auch durch den mittlerweile rechtlichen Anspruch auf ein persönliches Budget deutlich, welches dazu dienen soll die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung zu fördern beziehungsweise zu ermöglichen. Auch aktuelle Wohn- und Arbeitsformen für Menschen mit Behinderung verfolgen stets das Ziel der größtmöglichen Selbstständigkeit und das Gerecht werden der Individualität.
Aufgrund der Wichtigkeit dieses Themas, gerade auch für den Bereich der Sozialen Arbeit, beschäftigt sich der folgende Text mit der Frage, wie Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen speziell in dem Umgang von mit Menschen mit geistiger Behinderung deren Selbstbestimmung gewährleisten und fördern können. Dafür ist es notwendig sich im ersten Punkt damit auseinander zu setzen, wo die Diskussion über Selbstbestimmung seinen Ursprung hat und was der Begriff bedeutet, sowie beinhaltet. Im darauf folgenden Abschnitt werden drei Handlungskonzepte der Sozialen Arbeit betrachtet, welche auf die Erreichung von Selbstbestimmung abzielen. Als drittes wird das Thema des gleichwertigen Umgangs von Personen mit geistiger Behinderung behandelt und bestehende Abhängigkeiten zwischen den Helfenden und den Betroffenen, sowie daraus mögliche entstehende Folgen, beschrieben. Als letzten Punkt setzt sich der Text mit Kommunikationsweisen auseinander, die Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen beherrschen sollten, um Selbstbestimmung zu fördern.
1 Selbstbestimmung
Die erstmalige Forderung nach Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen wurde in Deutschland zu Beginn hauptsächlich von körperbehinderten Menschen vertreten. Die sogenannte ´Krüppelbewegung´ griff den Grundgedanken der in den 1960er Jahren in den USA entstandenen ´Independant-living- Bewegung´, also ´Selbstbestimmt-leben-Bewegung´, auf. Diese setzte sich gegen die Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund von Behinderung ein. Die Forderungen nach Selbstbestimmung umfassten unterschiedliche Dimensionen des menschlichen Zusammenlebens. Sie schloss kleine Alltagsentscheidungen, wie zum Beispiel nach der Kleidungswahl oder Schlafenszeit, aber auch große Entscheidungen der Lebensplanung, wie beispielsweise über die Wahl des Ausbildungsplatzes und des Familienstandes, ein.1 Mitte der 1990er Jahre wurden Selbstbestimmung und Autonomie Leitprinzipien in der Behindertenhilfe.2 Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen machten den Menschen mit Behinderungen nicht länger zum Objekt pädagogischer Bemühungen, sondern sie betrachten ihn nun als Subjekt seiner eigenen Entwicklung. Es wandelte sich auch der vorher bestehende Grundgedanke der ´Selbstbestimmung durch Integration´ in ´Selbstbestimmung statt Integration´.3 Heutzutage werden in der Behindertenpädagogik Autonomie und Selbstbestimmung häufig synonym verwendet, da zwischen beiden Begriffen keine klare Abgrenzung existiert. Autonomie besteht im Zusammenhang mit den Themen der Unabhängigkeit, Entscheidungsfreiheit und Selbstverwaltung. Selbstbestimmung wird hingegen aus der Darstellung von Formen und Abhängigkeiten von Fremdbestimmung behinderter Menschen gewonnen. Sie ist anthropologische Grundannahme, aber auch wichtiges Ziel von Sozialpädagogen/innen.4 Der Ursprung der Selbstbestimmung liegt im Willen eines jeden Menschen.5 Der Wille des Menschen lässt sich als „Inbegriff des menschlichen Vermögens der Selbstbestimmung, d.h. jener Aktivität, aufgrund derer der Mensch als Ich frei entscheidet und handelt“6 beschreiben. Folgt man der Annahme, der Wille sei Ursprung der Selbstbestimmung, lässt sich diese in drei Schritte unterteilen. Der erste ist die Selbstverantwortung, welche das Wollen des Menschen beinhaltet. Wollen bedeutet initiativ zu sein und über Motive zu verfügen um das Gewollte zu erreichen. Damit eng einher geht es zu sich, ebenso zu den Folgen seines Handelns zu stehen. Der zweite Schritt ist die Selbstleitung. Dazu gehört es Kenntnisse über sich selbst und sein Umfeld zu haben, sowie Möglichkeiten abzuwägen und sich daraus zu entscheiden. Als Drittes folgt die Selbstständigkeit. Diese beinhaltet es unter bestimmten Handlungsmustern handeln zu können und das Gewollte zu verwirklichen.7 Nach Weingärtner8 ist Selbstbestimmung eine Entscheidung des Subjektes. Er beschreibt, dass jeder Mensch in einem in ihm angelegten geistigen Prozess zu eigenen Handlungen bewegt wird. Dieser Gedanke lässt sich in das Prinzip des ´Entscheiden lassens´ in die Pädagogik für geistig Behinderte transformieren. Anzumerken ist, dass sich Selbstbestimmung nicht mit Selbstständigkeit gleichsetzen lässt. Eine behinderte Person kann zwar stark abhängig von Hilfe sein, aber ihm ist es möglich einen hohen Grad an Selbstbestimmung zu erlangen, wenn er in befriedigender Weise Einfluss nehmen kann.9
2 Konzepte der Sozialen Arbeit
In der Sozialen Arbeit entwickelten sich im Laufe der Zeit verschiedene Konzepte mit dem Ziel Selbstbestimmung in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen. Im Folgenden werden drei Handlungskonzepte dargestellt.
2.1 Das Assistenzkonzept
Das Assistenzkonzept findet seinen Ursprung in der ´Selbstbestimmt-leben-Bewegung´, in der sich hauptsächlich körperbehinderte Menschen zusammen geschlossen haben. In der Behindertenhilfe führte dies zu einer professionellen Umorientierung, nämlich besonders zur Abwendung von dem therapie- und förderzentrierten Modell der Betreuung behinderter Menschen. Unter Assistenz versteht sich jede Form der Hilfe, die einen Menschen mit Behinderung in die Lage versetzt, sein Leben möglichst selbstbestimmt zu gestalten. Beispielsweise können kommunikative Hilfen hierfür notwendig sein, wie ein Gebärdendolmetscher, aber auch im Bereich der Körperpflege oder der medizinischen Krankenpflege ist zur Erreichung des Zieles entsprechende Unterstützung notwendig. Als Ausgangspunkt des Assistenzkonzeptes dient die durch den Menschen mit Behinderung gewünschte Form der Alltagsbewältigung, welche ihren Ausdruck in einem individuellen Lebensstil findet. Die zu helfende Person bestimmt in der Rolle als Arbeitgeber seines Assistenten/in Zeit, Ort und Ablauf der Ausführung der Hilfen. Über die gegebene Unterstützung wird dem Menschen mit Behinderung Regiekompetenz übertragen. Für den/die Helfenden bedeutet dies, den/die Hilfebedürftigen bei der Verwirklichung seiner selbstgewählten Ziele zu unterstützen. Der/Die Assistent/in muss dabei zuhören, nonverbale Willensäußerungen entschlüsseln und interpretieren. Außerdem ist zum Gelingen die Bereitschaft und Fähigkeit zur Förderung der individuellen Lebensweise des Menschen mit Behinderung nötig, also die individuelle Ausrichtung seiner Arbeit. Personen mit geistiger Behinderung fällt es häufig schwer einzuschätzen welche oder wie viel Hilfe sie benötigen. Auch haben sie Schwierigkeiten Anleitungsfunktionen auszuüben. Das Konzept muss deshalb bei diesem Klientel um Inhalte der Begleitung ergänzt werden.10
2.2 Das Kundenmodell
Das Kundenmodell verfolgt das Ziel die helfende Beziehung von der einseitigen Abhängigkeit befreien. Der Mensch mit Behinderung erhält die Möglichkeit eine Kundenrolle einzunehmen. Einerseits drückt dies die Emanzipation des Hilfeempfängers aus, andererseits macht es den Menschen mit Behinderung zum Käufer sozialer Dienstleistungen. Er/Sie kommt so in die Lage des/der kritischen Konsumenten/in, der/die sich auf dem Markt zurechtfinden muss und über die Inanspruchnahme und Ausgestaltung der Hilfen bestimmt, weil er/sie dafür bezahlt. Die vertragliche Grundlage der Arbeit bewirkt eine Änderung der Machtverhältnisse zugunsten des/der Nutzers/in. Mit diesem Modell sind allerdings Schwierigkeiten verbunden. Für ein souveränes Kundenverhalten sind intellektuelle und psychische Fähigkeiten nötig. Auch könnte während der Arbeit mit Menschen mit Behinderung Probleme durch die Verschiebung persönlicher Beziehungen auf eine sachliche Ebene von Warenaustausch entstehen. Zusätzlich entscheidet der jeweilige Kostenträger für sozialstaatliche Dienstleistungen über deren Inhalt und Umfang für den/die Hilfebedürftige/n. In der Behindertenhilfe besteht bezüglich der rechtlichen Situation ein Dreiecksverhältnis zwischen den Einrichtung und Diensten, den Menschen mit Behinderung, sowie dem Kostenträger. Der Kostenträger ist Kunde der Dienstleistungsorganisation und der Gebrauch der bezahlten Leistung erfolgt durch den Menschen mit Behinderung. Er/Sie nutzt daher die ihm/ihr rechtlich gewährte und für ihn hergestellte Dienstleistung. Die Bezeichnung des Kunden mit dem Status des Bestimmens und Bezahlens ist irreführend, solange das Dreieckverhältnis so existiert.11
2.3 Empowerment
Das Empowerment erlangt in der Konzeptdiskussion der psychosozialen Arbeit zunehmend an Bedeutung. Dieser Ansatz geht davon aus, dass die Hilfsbedürftigkeit eines Menschen das Resultat eines schwierig verlaufenden Lernprozesses sein kann und generell umkehrbar ist. Er will Hilfen ermöglichen, wodurch Menschen in machtlosen Situationen Kontrolle über ihr Leben gewinnen können.12 Es geht bei dem Empowerment um die aktive Aneignung von Gestaltungsmöglichkeiten, Macht und Kraft. Es ist in diesem Sinne als ein Prozess der Selbst-Bemächtigung zu verstehen. Eigene Stärken und Ressourcen werden von dem/der Hilfebedürftigen erkannt und in soziale Handlungen umgesetzt. Die Aspekte der Unterstützung, des Ermöglichens und der Förderung der Selbstbestimmung geraten in den Fokus.13 Somit müssen Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen in der Arbeit mit dem Menschen mit geistiger Behinderung
„ … Bedingungen bereitzustellen versuchen, die es Menschen ermöglichen, sich ihrer ungenutzten, vielleicht auch verschütteten Ressourcen und Kompetenzen (wieder) bewußt zu werden, sie zu erhalten, zu kontrollieren und zu erweitern, um ihr Leben selbst zu bestimmen und ohne expertendefinierte Vorgaben eigene Lösungen für Probleme zu finden“.14
Empowerment ist also ein handlungsleitender Rahmen für die Soziale Arbeit, in welchem sie Prozesse initiieren und ermöglichen um Selbstorganisation und Eigeninitiative zu stärken. Sie bieten Unterstützung beim Erkennen ungenutzter Ressourcen und Fähigkeiten von Menschen mit geistiger Behinderung, was für die Betroffenen eine große Bedeutung hat.15
3 Gleichwertiger Umgang und Abhängigkeiten zwischen Sozialpädagoge/in und dem Menschen mit geistiger Behinderung
In ihrer täglichen Arbeit verfolgen Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen stets das Ziel die Selbstbestimmung von Menschen mit geistiger Behinderung zu ermöglichen und zu fördern. Gleichwertiger Umgang und das Bewusstsein über bestehende Abhängigkeiten und deren mögliche Folgen spielen eine wichtige Rolle. Im Folgenden werden diesbezüglich wichtige Aspekte beschrieben.
3.1 Gleichwertiger Umgang
Selbstbestimmung vollzieht sich für den Menschen mit geistiger Behinderung in einem langwierigen Prozess, der für seine Entwicklung sehr relevant ist. Dabei ist viel Unterstützung und Begleitung durch Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen nötig, denn Selbstbestimmung darf nicht heißen, dass es an Unterstützung mangelt. Dabei müssen die Helfenden auch lernen loszulassen, um Menschen mit geistiger Behinderung die Möglichkeit zu geben, lernen zu können eigene Entscheidungen zu treffen und damit Grenzen der Selbstbestimmung zu erkennen.16 Wichtige Basis für eine gelungene Zusammenarbeit ist hierbei der gleichwertige Umgang miteinander. Das bedeutet davon auszugehen, dass der andere genauso viel wert ist, wie man selbst und dem anderen mit Respekt gegenüber tritt. Der Umgang miteinander bewegt sich auf dem Grundstein von Absprachen, wobei man von der Individualität jedes Menschen ausgeht.17 Um einen gleichwertigen Umgang mit den Menschen mit geistiger Behinderung zu ermöglichen müssen sich Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen verschiedener Dinge bewusst werden beziehungsweise beachten. Mit dem Ziel eine Nicht-Beziehung zu vermeiden, sollten Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen fachliche Distanz abbauen, sowie vom diagnostisch geleiteten Denken Abstand nehmen, denn sie sind ausschließlich Begleiter des Menschen mit geistiger Behinderung. Außerdem ist das Dilemma, in dem sich die Unterstützenden innerhalb der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung befinden, zu überdenken, denn sie sind nicht nur Helfer, sondern auch Dienstleister. Beim Gebrauch von Fachausdrücken besteht die Gefahr, dass Begriffe verwendet werden, die eine Abwertung von Menschen mit Behinderungen beinhalten, so zum Beispiel ´von Behinderung bedroht sein´. Deshalb ist eine kritische Hinterfragung nötig. In den entstehenden Beziehungen erleben Menschen mit geistiger Behinderung, wie sehr ihre Qualität von ihrem eigenen Zutun abhängt. Um erlernte Hilflosigkeit abzubauen, müssen Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen davon Abstand nehmen die Hilfebedürftigen von schlechten Erfahrungen bewahren und es ihnen immer leicht machen zu wollen. Außerdem ist es wichtig in der Kommunikation die Signale von Sender und Empfänger aufeinander abzustimmen. Dazu gehört es auch auf nonverbale Kommunikation zu achten und sich über alle Themen, die den einzelnen Menschen mit geistiger Behinderung betreffen auszutauschen. Man sollte keine Themen vorenthalten, weil der/die Gegenüber diese angeblich nicht versteht. Zudem ist Zurückhaltung bei der Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung geboten, denn dadurch wird mehr Teilhabe gewährleistet. Sozialpädagogen und Sozialpädagoginnen sollten sich auch der Gefahr der Infantilisierung des/der Hilfsbedürftigen bewusst sein. Aus dem Unterstellen einer Erziehungsbedürftigkeit kann keine Selbstbestimmung entstehen.18
[...]
1 vgl. Niehoff 2011 S.59
2 vgl. Fornefeld 2009 S. 183
3 ebd. S.185 f.
4 ebd. S.183
5 vgl. Walther 2011, S. 82
6 Böhm, zit. nach Walther 2011, S. 82
7 vgl. Walther 2011, S.82 f.
8 vgl. Weingärtner 2000, S. 66 f.
9 vgl. Niehoff 2011, S.59
10 vgl. Niehoff. 2011 S. 53 f.
11 vgl. Niehoff 2011 S.54 ff.
12 vgl. Niehoff 2011 S. 56 f.
13 vgl. Herriger 2002 S. 14 f.
14 Weiß, zit. nach Herriger 2002 S. 15
15 vgl. Niehoff 2011 S. 56 f.
16 vgl. Schaars 2009 S. 13
17 ebd. S. 30 f.
18 vgl. Sack 2011 S.117 f.