Produktinterventionen der ESMA auf Contracts for Difference und binäre Optionen. Notwendigkeit und Effektivität gemäß der Behavioral Finance


Fachbuch, 2020

85 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung und Aufbau

2 Bedarfsanalyse von Interventionen auf Differenzkontrakte und binäre Optionen
2.1 Einführung
2.2 Privatanlegerverhalten unter Berücksichtigung der Behavioral Finance
2.3 Risikofelder aus der Behavioral Finance
2.4 Spekulative Derivate
2.5 Erkennbare Risikofelder aus den Eigenschaften spekulativer Derivate

3 Betrachtung des Status quo
3.1 Rolle der ESMA
3.2 Legitimität des Handelsverbots für binäre Optionen
3.3 Bestehende Produktinterventionen auf Differenzkontrakte

4 Effektivität und Optimierung der Produktinterventionen
4.1 Einführung
4.2 Leverage limits
4.3 Margin close out rule
4.4 Negative balance protection
4.5 Restrictions on incentives
4.6 Standartised risk warning

5 Legitimität und Auswirkungen

6 Fazit

Anhang

Literatur- und Quellenverzeichnis

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

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Impressum:

Copyright ©Science Factory 2020

Ein Imprint der GRIN Publishing GmbH, München

Druck und Bindung: Books on Demand GmbH, Norderstedt, Germany

Covergestaltung: GRIN Publishing GmbH

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungs- und Tabellenverzeichnis

Abbildungen

Abbildung 1: Nutzenfunktion der Prospect Theory

Tabellen

Tabelle 1: Durchschnittliche P/L-Ratio und L/C-Ratio japanischer Broker

Tabelle 2: Positiver Depotstand in Abhängigkeit von der Anzahl getätigter Transaktionen

Tabelle 3: Gewinnerwartung beim Handel mit binären Optionen

Tabelle 4: Underlying Gruppen

Tabelle 5: Quantifizierung der Simulation

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

In den vergangenen Jahrzehnten profitierten Anleger auf den Aktien- und Anleihemärkten von überproportionalen Renditen, ermöglicht durch geringe Inflationsraten und kontinuierlich sinkende Zinsen bei gleichzeitigem Wirtschaftswachstum. Kosteneinsparungen aufgrund fortschreitender Automatisierung und der Ausweitung des globalen Handels verstärken diesen Effekt. Diese wirtschaftlich günstigen Bedingungen sind jedoch nicht von unbegrenzter Dauer. Es ist mehr als abwegig, dass Zinsen und Inflationsraten zukünftig weiter sinken werden. Zudem resultierte der wirtschaftliche Aufschwung nicht zuletzt aus dem rasanten Bevölkerungswachstum der Vergangenheit, welches aufgrund demografischer Veränderungen langsam nachlässt.1

Das vergangene Jahr 2018 stellte sich als renditeschwächstes Jahr seit der letzten Finanzkrise heraus.2 In Zeiten niedriger Renditen wirken alternative Anlagemöglichkeiten für viele Anleger attraktiv.3 Zu diesen gehören unter anderem die sogenannten Contracts for Difference (CFD‘s) oder Differenzkontrakte. Hierbei handelt es sich um komplexe Finanzprodukte, welche außergewöhnliche Ertragsmöglichkeiten bei gleichzeitig geringen Kosten versprechen. Differenzkontrakte sind jedoch keineswegs für jeden Anleger geeignet, weshalb die European Securities and Markets Authority (ESMA) bereits 2013 eine Warnung gegenüber Privatanlegern bezüglich der Risiken von CFD‘s ausgesprochen hat. Die Aufsichtsbehörde befürchtet, dass Anleger weder ausreichend über die Kostenstruktur und Funktionsweise der Produkte informiert sind, noch dass diese in allen Fällen eingegangene finanzielle Risiken tragen können.4 Aufgrund dessen hat die ESMA 2017 nach längerer Überwachung des Marktes angekündigt, zukünftig Interventionen gegen CFD‘s auszusprechen, um den Privatanlegerschutz zu erhöhen.5 Seit August 2018 unterliegen Vermarktung und Vertrieb der Finanzprodukte den vorhergesehenen Auflagen.Diese sollen beispielsweise dazu beitragen, dass Verluste von Investoren nicht deren eingesetztes Kapital überschreiten und diese sich den grundlegenden Risiken von Differenzkontrakten bewusst werden. Die Auflagen richten sich demnach ausschließlich an den Privatanlegerschutz und dienen der Reduzierung von Risiken, welche die Charaktereigenschaften besagter Finanzprodukte mit sich bringen.6

Ein solcher Eingriff in das Marktgeschehen bringt jedoch auch weitere Veränderungen mit sich. Das gehandelte Volumen von Differenzkontrakten deutscher Anleger im vierten Quartal 2018 betrug 306 Mrd. EUR und liegt somit 26,8% unter dem des Vorjahresquartals mit einem Volumen von knapp 418 Mrd. EUR.7 Ein solch drastischer Rückgang könnte eine negative Folge gesunkener Marktattraktivität sein.

Fraglich ist nun, ob die Restriktionen der ESMA die Attraktivität des CFD-Marktes für Anbieter, Investoren oder gar beide Teilnehmergruppen negativ beeinflusst haben. Des Weiteren ist fraglich, inwiefern benannte Restriktionen den Privatanlegerschutz tatsächlich effektiv erhöhen.

1.2 Zielsetzung und Aufbau

Ziel der Arbeit ist es, festzustellen in welchem Umfang die von der ESMA auferlegten Produktinvterventionen auf Differenzkontrakte und binäre Optionen erforderlich sind und wie effektiv diese den Privatanlegerschutz erhöhen. Hierzu werden die einzelnen Interventionsmaßnahmen genau untersucht.

Zur Erreichung des Ziels wird zunächst eine Bedarfsanalyse für entsprechende Interventionen aufgestellt, welche das Ausmaß der Schutzbedürftigkeit von Privatanlegern unter Berücksichtigung der Behavioral Finance ermittelt. Außerdem werden benannte Finanzprodukte definiert und deren Risiken gesondert betrachtet. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann dann eine Aussage über den erforderlichen Umfang von Interventionen getroffen werden.

Im zweiten Teil der Arbeit werden die Produktinterventionen der ESMA sowie Rolle und Aufgaben der Aufsichtsbehörde genauer untersucht. Hierbei werden die Teilbereiche auf Schwachstellen, Defizite und Optimierungspotenziale geprüft. Die Maßnahmen können dann mit dem zuvor bestimmten Bedarf an Regulierung verglichen werden, um eine potenzielle Über- oder Unterregulierung festzustellen. Daraufhin soll durch mögliche Einsparungen oder ergänzende Interventionen eine optimierte Interventionsregelung aufgestellt werden, wobei diese als optimal gilt, sobald ein Maß von angemessenem Anlegerschutz mit gleichzeitig möglichst geringer markthindernder Regulatorik erreicht wird.

Im abschließenden Teil der Arbeit werden Auswirkungen bestehender und veränderter Interventionen auf alle Marktteilnehmer untersucht, wobei zudem jeweils die Legitimität betrachtet wird.

Das Gesamtziel der Arbeit ist dann erreicht, wenn die aktuellen Interventionen der ESMA sich als effizient erweisen oder wenn durch Veränderungsmaßnahmen ein legitimer und effektiver Interventionsplan aufgestellt werden kann.

2 Bedarfsanalyse von Interventionen auf Differenzkontrakte und binäre Optionen

2.1 Einführung

Bevor eine Aussage über die Effektivität einer Maßnahme getroffen werden kann, muss deren Notwendigkeit bekannt und begründet sein. Die Regulierung im Finanzsektor hat vor allem seit der Finanzkrise 2008 stark zugenommen. Das Fehlverhalten diverser Akteure auf den Finanzmärkten hatte Reaktionen zur Folge, welche sich direkt auf die Realwirtschaft auswirkten und letztendlich eine globale Wirtschaftskrise hervorriefen.8 Aufgrund der gegenseitigen Abhängigkeit von Banken untereinander kann die Insolvenz eines Instituts einer Vielzahl von Anlegern schaden und zuletzt gesamte Volkswirtschaften bedrohen. Solch fatale Szenarien gilt es durch entsprechende regulatorische Maßnahmen zu verhindern.

In folgenden Abschnitten soll die Notwendigkeit von Interventionen auf spekulative Finanzprodukte untersucht werden. Vermögenseinbußen einzelner Anleger durch den Handel mit spekulativen Wertpapieren erscheinen zunächst von geringfügigerer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung. Wenn Privatanleger Derivate handeln, sollten diese sich grundsätzlich den Risiken ihrer Anlagen bewusst sein. Kursverluste gehören zu genau diesen Risiken. Dennoch haben gesetzliche Einschränkungen im Privatanlegerhandel ihre Daseinsberechtigung.

2.2 Privatanlegerverhalten unter Berücksichtigung der Behavioral Finance

2.2.1 Grundlagen der neoklassischen Kapitalmarkttheorie

Handel auf Finanzmärkten wird vor dem Hintergrund der Nutzenmaximierung einzelner Individuen in Form von monetären Gewinnen geführt. Die neoklassische Kapitalmarkttheorie trägt die essentiellen Annahmen, dass alle Teilnehmer eines Marktes rational handeln und Märkte selbst vollkommen sind.9 Ein vollkommener Markt verfügt über vollständig homogene Güter.Zudem reagieren alle Marktteilnehmer auf Veränderungen zeitgleich und verfolgen lediglich das übergeordnete Ziel der Gewinnmaximierung. Außerdem muss der Markt für Anbieter wie Nachfrager vollständig transparent sein.10

Überprüft man beispielsweise den Lebensmittelmarkt auf diese Kriterien, wird sich herausstellen, dass dieser Markt unvollkommen ist. Kein Apfel ist dem anderen gleich, die Homogenität von Gütern ist demnach nicht gegeben. Auch werden nicht alle Nachfrager zeitgleich auf Preisanpassungen der Anbieter reagieren, da nicht alle Teilnehmer am Markt gleichzeitig über diesen Zustand informiert werden. Somit ist der Lebensmittelmarkt auch nicht vollkommen transparent. Zuletzt ist die Gewinnmaximierung nicht oberstes Ziel jedes Individuums. Der Aktienmarkt hingegen kommt einem vollkommenen Markt deutlich näher. Die Kriterien für einen solchen Markt werden weitestgehend erfüllt, wobei die Existenz vollständiger Transparenz weiterhin fraglich ist. Diese liegt nur dann vor, wenn ein Markt streng effizient ist. Hierbei sind öffentliche Informationen wie auch nicht öffentliche Insiderinformationen in Kursen vollständig eingepreist.11 Nicht streng effiziente Märkte sind auch nicht vollständig transparent. Zwar erkennen alle Akteure den Preis einer Aktie anhand ihres Kurses, jedoch führen Informationsunterschiede zu abweichenden Kenntnissen über den tatsächlichen Wert jenes Wertpapiers, welcher nicht dem Kurs entsprechen muss, da dieser lediglich ein kollektives Urteil aller Marktteilnehmer widerspiegelt.12

Seit Börsenmärkte existieren, versuchen Analysten durch verschiedenste Vorgehensweisen, Modelle und Theorien überproportionale Renditen zu erzielen.13 Nur durch das Anzweifeln der Existenz effizienter Märkte und gar den Grundaussagen der neoklassischen Kapitalmarkttheorie werden solche Versuche überhaupt legitimiert, zu welchen auch der Handel mit Derivaten oder genauer der Handel mit Differenzkontrakten und binären Optionen gehört.

2.2.2 Erklärungsversuche von abweichendem Verhalten

Nicht alle Handlungen an Märkten können durch die neoklassische Kapitalmarkttheorie begründet werden, da Anleger nicht rein rational agieren. Vielmehr werden sie bei finanziellen Entscheidungen emotional geleitet. Die Behavioral Finance berücksichtigt gegenüber der neoklassischen Kapitalmarkttheorie Emotionen von Anlegern, wodurch sich Marktbewegungen akkurater herleiten lassen. Auch stellt die Theorie Investoren als irrational handelnde Individuen dar, welche kognitiv und emotional beeinflussbar sind.14 Privatanleger weichen zwar von der neoklassischen Theorie ab, jedoch ist dieses Verhalten nicht zwangsweise unvorhersehbar. Vielmehr begründen situationsbedingte Verhaltensmuster Anlageentscheidungen.

Kapitalmärkte sind nur schwer überschaubar. Rationale Entscheidungen können durch die Vielzahl gebotener Handlungsoptionen bei einer unkontrollierbaren Informationsflut über diverse mediale Kanäle kaum getroffen werden. Zudem erschwert die Unsicherheit zukünftiger Risiken und Renditen den Entscheidungsprozess.15 Ergebnisse verhaltensbasierter Forschung stellen dar, dass Anlageentscheidungen unter Einfluss kognitiver und emotionaler Heuristiken getroffen werden. Kognitive Heuristiken treten meist im Informations- und Entscheidungsprozess auf. Sie werden bei komplexen, aufwendigen Entscheidungen berücksichtigt, während emotionale Heuristiken bei schnellen und spontanen Entscheidungen bedeutsam sind. Generell dienen Heuristiken in erster Linie der Informationsbewältigung. Im Zusammenspiel mit Emotionen und Vernunft begründen Sie nicht rationale Anlageentscheidungen.16

2.2.3 Phasen der Entscheidungsfindung

Die neoklassische Kapitalmarkttheorie erklärt Entscheidungen mit rationalem, nutzenmaximierendem Verhalten. Die Behavioral Finance hingegen unterstellt einen unvollkommenen Finanzmarkt und irrational handelnde Investoren. Nachfolgend soll der Entscheidungsprozess aus Sicht der Behavioral Finance in drei Prozessstufen dargestellt werden, um tiefere Einblicke in die Entscheidungsfindung selbst und den daraus potenziell entstehenden Risiken für Privatanleger zu gewinnen.

2.2.3.1 Prozessstufe 1: Informationswahrnehmung

Die erste Stufe beschreibt den Vorgang der Informationswahrnehmung. Informationen haben die Aufgabe, Umweltbilder zu generieren. Äußere17 und innere18 Reize dienen der Wahrnehmung und transformieren Informationen in Signale, welche Zustände der Ungewissheit abbauen und somit die Entscheidungsfindung vorbereiten und erleichtern. Generell erfolgt die Wahrnehmung von Informationen entweder passiv oder aktiv durch Suchverhalten, wobei die Intensität der Wahrnehmung von der Relevanz der Entscheidung abhängt. Marktteilnehmer suchen aktiv nach externen Informationsquellen, sofern sie bisher über wenige Informationen verfügen und die Suche nach neuen Informationen gleichzeitig mit geringen Kosten verbunden ist. Sollte die Informationsbeschaffung nur einen geringen Nutzen versprechen, jedoch mit verhältnismäßig hohen Kosten, zum Beispiel in Form von Rechercheaufwendungen verbunden sein, werden Marktteilnehmer sich auf interne Informationsquellen, also dem im Gedächtnis vorhandenen Wissen berufen.

Die Aufnahme von Informationen kann durch zwei ausschlaggebende Wahrnehmungsstörungen negativ beeinflusst werden. Bei der ersten Störung handelt es sich um die selektive Wahrnehmung. Diese besagt, dass Informationen, welche eigene Erwartungen bestätigen, stärker von Anlegern gewichtet werden als solche, die nicht den eigenen Erwartungen entsprechen. Außerdem können Gewohnheitsprozesse dazu führen, dass Marktteilnehmer sich auf erworbene Kenntnisse und Erfahrungen berufen und neue Informationen vernachlässigen. Des Weiteren werden manche Informationen durch als besonders wichtig erachtete Schlüsselinformationen ersetzt, sodass diese bei der Entscheidungsfindung keine weitere Berücksichtigung finden.

Der sogenannte Information Overload beschreibt die zweite Wahrnehmungsstörung, bei welcher Marktteilnehmer irrelevante Informationen von relevanten Informationen nicht unterscheiden können. Dieser Effekt tritt vor allem dann auf, wenn ein Überangebot an Informationen vorhanden ist. Marktteilnehmern fällt es hierbei schwer, Prioritäten zu setzen, was zu Stress führen kann und gleichzeitig den Abruf vorhandener interner Informationen einschränkt.19

2.2.3.2 Prozessstufe 2: Informationsverarbeitung und -bewertung

Verarbeitung und Bewertung von Informationen sind kaum voneinander zu trennen und stellen daher gemeinsam betrachtet die zweite Stufe des Entscheidungsprozesses dar. Durch die Kombination von vorhandenen und neu gewonnenen Informationen erfolgt in dieser Stufe die Vorbereitung auf finale Entscheidungen. Das menschliche Gehirn ist nur beschränkt in der Lage, neue Informationen im Langzeitgedächtnis zu speichern, weshalb die Informationsverarbeitung immer im Wechsel zur Informationsaufnahme erfolgt. Die stark begrenzte Informationsverarbeitungskapazität ist auch Grund dafür, dass Anleger versuchen, die kognitive Belastung der Entscheidungsfindung durch Anwenden von Heuristiken zu verringern. Diese werden vor allem dann eingesetzt, wenn die erwarteten Ergebnisse von Heuristik und Detailkalkulation nur geringfügig voneinander abweichen. In solchen Fällen werden potenzielle Informationsverarbeitungsfehler bewusst in Kauf genommen, da Informationskosten im Verhältnis immens reduziert werden können.

Die Informationsverarbeitung kann durch verschiedene Einflussgrößen beeinträchtigt werden. Zu diesen gehören die unzureichende Verfügbarkeit benötigter Informationen, die Fehlinterpretation mehrdeutiger Informationen und die generelle Informationsqualität. Erst nach der Verarbeitung folgt letztlich die abschließende Informationsbewertung, aus welcher eine Investitionsentscheidung abgeleitet werden kann.20

2.2.3.3 Prozessstufe 3: Investitionsentscheidung

Die Investitionsentscheidung bildet die letzte Prozessstufe der Entscheidungsfindung. Im Abschluss des Prozesses werden Marktteilnehmer durch die kognitive Dissonanz beeinträchtigt. Diese besagt, dass Entscheidungen durch emotionales Unbehagen beeinflusst werden können. Sobald Anleger entgegen eigener Emotionen oder Wertevorstellung handeln, werden positive Informationen bezüglich der Anlageentscheidung priorisiert und negative Informationen vernachlässigt, um das Ungleichgewicht der kognitiven Dissonanz auszugleichen.

Marktteilnehmer versuchen in der Regel, kognitive Dissonanzen zu vermeiden, um Entscheidungen, welche sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben, nicht zu bedauern. Durch die sogenannte selektive Entscheidung bewerten Marktteilnehmer Investitionsentscheidungen oftmals positiv, selbst wenn diese objektiv nicht als erfolgreich zu erachten sind.21

2.2.4 Prospect Theory

Nach genauerer Untersuchung des Entscheidungsprozesses wird nun die Bewertung von Entscheidungsalternativen analysiert. Wie zuvor soll die Analyse eine Grundlage für die spätere Identifikation potenzieller Risiken für Privatanleger darstellen.

In der neoklassischen Kapitalmarkttheorie wurden Entscheidungen bei Unsicherheit mit der Erwartungsnutzentheorie von Neumann und Morgenstern begründet. Die Theorie basiert auf der individuellen Nutzenfunktion des Anlegers.22 Demnach würde sich dieser für jeweils diejenige Alternative entscheiden, welche den größten Erwartungsnutzen verspricht. Der Erwartungsnutzen (Value V) errechnet sich hierbei aus dem tatsächlichen Nutzen einer Anlage (x,y) multipliziert mit der Eintrittswahrscheinlichkeit (propability p) des Ereignisses. Die Summe der Eintrittswahrscheinlichkeiten aller Ereignisse ist hierbei immer gleich 1.

In der Prospect Theory wird die Nutzenfunktion um den subjektiven Nutzen der Auszahlung (v(x,y)) einer Anlage erweitert. Die individuelle Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten wird über die Wahrscheinlichkeitsgewichtungsfunktion ( (p)) ausgedrückt.

Hauptunterscheidungsmerkmal beider Funktionen ist die marktteilnehmerbezogene Anwendbarkeit. Die Nutzenfunktion der neoklassischen Kapitalmarkttheorie errechnet sich aus objektiven Auszahlungssummen und Wahrscheinlichkeiten. Die Funktion der Prospect Theorie hingegen enthält Variablen, welche von der Wahrnehmung individueller Marktteilnehmer abhängig sind.23

Der subjektive Nutzen einer Auszahlung wird anhand einer Wertefunktion ermittelt.Diese unterstellt, dass Anleger nicht absolute, sondern relative Vermögensveränderungen wahrnehmen.Das bestehende Gesamtvermögen eines Anlegers spielt demnach für jede Investitionsentscheidung eine essentielle Rolle.Abhängig von diesem Vermögen wird jedem Marktteilnehmer ein Referenzpunkt zugeordnet.Ausgehend von diesem Punkt kann dann der individuelle Nutzen einer Vermögensveränderung gemessen werden. Abbildung1 stellt die erweiterte Nutzenfunktion der Prospect Theorie grafisch dar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Nutzenfunktion der Prospect Theory

(Quelle: Vgl. Goldberg/Von Nitzsch (2004), Seite 130)

Auf der Abszisse werden Auszahlungen von Investments in Form von Gewinnen und Verlusten dargestellt. Die Ordinate bestimmt den hiervon abhängigen Wert des individuellen Nutzens.

Nach der Erwartungsnutzentheorie von Neumann und Morgenstern müsste die Nutzenfunktion in Form einer Winkelhalbierenden dargestellt werden. Die Funktion der Prospect Theory verläuft jedoch nicht linear, da relative und nicht absolute Vermögensveränderungen den individuellen Nutzen bestimmen. Die Steigung ist dabei abhängig von der subjektiven Nutzenwahrnehmung der Marktteilnehmer. Der Referenzpunkt befindet sich jedoch immer im Ursprung des Koordinatensystems.24

Aus einer Gewinnsteigerung von zehn auf 20 Einheiten folgt ein größerer Nutzenzuwachs als aus einer Steigerung von 200 auf 210 Einheiten, woraus sich ein konkaver Verlauf der Funktion im Bereich der Gewinne ergibt. In beiden Fällen beträgt die absolute Veränderung des Vermögens zehn Einheiten. Relativ betrachtet verdoppelt der Anleger jedoch im ersten Fall sein Vermögen, während dieses im zweiten Fall lediglich um 5% wächst. Grundsätzlich nimmt der Grenznutzen mit jeder weiteren Vermögenseinheit ab, bleibt jedoch stets positiv.

Im Bereich der Verluste verläuft die Nutzenfunktion konvex. Folglich nehmen Vermögensveränderungen analog zum Gewinnbereich relativ vom Gesamtvermögen Einfluss auf den individuellen Nutzen. Menschen sind von Natur aus risikoavers. Negativer Nutzen aus Verlusten wird demnach stärker wahrgenommen als positiver Nutzen aus Gewinnen in selbiger Höhe. Empirisch betrachtet wiegen Verluste doppelt so schwer wie Erträge, weshalb die Nutzenfunktion unterhalb der Abszisse entsprechend steiler verläuft.25

Neben der Zuordnung des subjektiven Nutzens stellt die Wahrscheinlichkeitsgewichtung die zweite Variable dar, welche die erweiterte von der herkömmlichen Nutzenfunktion unterscheidet. Hierbei wird der Eintrittswahrscheinlichkeit jedes Ereignisses ein subjektives Gewicht zugeordnet. Es handelt sich jedoch nicht um die Einschätzung einer Wahrscheinlichkeit, sondern vielmehr um eine Bewertung, wie stark eine bestimmte Wahrscheinlichkeit den Gesamtnutzen einer Investition beeinflusst. Diese Bewertung hängt unter anderem von den bisherigen Erfahrungen der Anleger ab. Zwangsläufig wächst mit zunehmender Wahrscheinlichkeit auch die Bedeutung eines Ereignisses. Dabei sind sichere Ereignisse mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit von 100% mit vollem Gewicht und unmögliche Ereignisse mit einem Gewicht von Null bemessen. Zwischen diesen Extremen kann die Gewichtung von der tatsächlichen Eintrittswahrscheinlichkeit abweichen.

Ein klassisches Beispiel solcher Abweichungen ist die Subadditivität. Wird Probanden die Möglichkeit gegeben 6.000€ mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,01% oder 3.000€ mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,02% zu gewinnen, dann werden sich die meisten für die erste Alternative entscheiden, auch wenn der Erwartungswert beider Glücksspiele derselbe ist. Subadditivität beschreibt den Effekt der Unterschätzung von Erhöhungen geringer Wahrscheinlichkeiten. Die Verdopplung der Eintrittswahrscheinlichkeit in eben beschriebenem Glücksspiel reichte den Probanden nicht aus, um eine Halbierung der Auszahlung zu kompensieren.

Die zweite klassische Fehlbewertung von Wahrscheinlichkeiten steht der ersten entgegen. Während die Erhöhung kleiner Wahrscheinlichkeiten unterschätzt wird, werden alleinstehende geringe Wahrscheinlichkeiten oft überbewertet. Diese Tatsache begründet die Existenz von Lottogesellschaften. Glücksspiele mit geringen Einzahlungen und überproportional hohen Gewinnauszahlungen funktionieren nur dann, weil Teilnehmer des Glücksspiels die Eintrittswahrscheinlichkeit der Gewinnsituation überbewerten. Es muss sich hierbei nicht zwangsweise um eine Fehleinschätzung der Wahrscheinlichkeit handeln. Die Teilnehmer nehmen oftmals bewusst das hohe Verlustrisiko für die geringe Chance eines großen Gewinns in Kauf, wohlbewusst, dass sie hierbei ein Geschäft mit negativem Erwartungswert eingehen.26

Auch die dritte klassische Fehlbewertung begibt sich mit kleinen Wahrscheinlichkeiten. Die Subproportionalität beschreibt den Zustand, dass Unterschiede zwischen kleinen Wahrscheinlichkeiten kaum wahrgenommen werden, während sich Anleger durch Unterschiede zwischen großen Wahrscheinlichkeiten immens beeinflussen lassen. So entscheiden sich Probanden bei der Wahl zwischen Alternative 1 (4.000€ zu 80%) und Alternative 2 (3.000€ sicher) mehrheitlich für die sichere Alternative. Werden die Wahrscheinlichkeiten jedoch auf ein Viertel ihres Ursprungs reduziert (Alternative 1 auf 20% und Alternative 2 auf 25%), so ändert sich das Anlegerverhalten zu Gunsten der ersten Alternative.27

2.3 Risikofelder aus der Behavioral Finance

2.3.1 Risikofelder aus dem Prozess der Entscheidungsfindung

Im bisherigen Verlauf der Arbeit wurde die Anwendbarkeit der neoklassischen Theorie am Kapitalmarkt in Frage gestellt und aufgezeigt, wie Marktteilnehmer in der Realität von dieser abweichen. Es stellte sich heraus, dass die Grundannahmen der Behavioral Finance das Verhalten von Anlegern auf Kapitalmärkten akkurater begründen können. Mit diesem erlangten Verständnis sollen nun Risikofelder identifiziert werden, für welche Kapitalmarktteilnehmer auf Grund von deren natürlichem Verhalten anfällig sind. Im späteren Verlauf der Arbeit sollen die identifizierten Risikofelder zur Überprüfung der Effektivität von Produktinterventionen auf CFD’s und binäre Optionen dienen.

2.3.1.1 Risikofeld 1: Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten

Aus den einzelnen Phasen der Entscheidungsfindung lassen sich diverse Heuristiken ableiten, welche in vier übergeordneten Risikofeldern dargestellt werden können. Das erste Risikofeld umfasst die fehlerhafte Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten. Diese tritt bereits in der ersten Entscheidungsfindungsphase, der Informationswahrnehmung, ein. Anleger neigen dazu, Eintrittswahrscheinlichkeiten an der Verfügbarkeit von Informationen zu bemessen. Sobald Ereignisse im Gedächtnis eines Anlegers leichter abrufbar sind, werden diese als wahrscheinlicher angesehen. Sollten die Ereignisse jedoch weniger gut im Gedächtnis verankert sein, wird ihnen unabhängig von der tatsächlichen Eintrittswahrscheinlichkeit geringere Beachtung geschenkt. Demnach werden kürzlich eingetretene und leicht verständliche Ereignisse in der Eintrittswahrscheinlichkeit übergewichtet.28 Gezielte Werbemaßnahmen können so Investitionsentscheidungen aktiv beeinflussen. Auch beschränken sich viele Marktteilnehmer bei ihren Wertpapieranlagen automatisch auf bestimme Segmente, wie die heimische Region oder die Branche, in welcher die Marktteilnehmer selbst beruflich tätig sind, da diese für die Teilnehmer am verständlichsten sind. Demnach stehen für diese Segmente mehr verwertbare Informationen zur Verfügung. Die Fokussierung auf eine einzige Branche oder Region birgt für Marktteilnehmer ein enormes Klumpenrisiko.

Die Einschätzung von Wahrscheinlichkeiten wird außerdem von der Risikowahrnehmung beeinflusst. Diese ist abhängig von erlebten Gewinnen und Verlusten. Anleger suchen vermehrt das Risiko, wenn diese zuvor Gewinne verbucht, aber noch nicht als eigenes Vermögen realisiert haben. Hierbei handelt es sich um den House-Money-Effekt.29 Sollten Gewinne jedoch bereits mental als eigenes Vermögen verbucht sein, handeln Anleger verstärkt risikoavers. Die relativ hohe Wahrscheinlichkeit weiterer Gewinne wird zu gering eingeschätzt. Generell erfolgt die Bewertung von Wahrscheinlichkeiten nicht objektiv, sondern wird von kürzlich eingetretenen Gewinnen und Verlusten immens beeinflusst.30

Die Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten durch verzerrte Risikowahrnehmung und die begrenzte Verfügbarkeit von Informationen bezieht sich hauptsächlich auf die Phase der Informationswahrnehmung, jedoch wird die Wahrnehmung von Wahrscheinlichkeiten auch bei der Verarbeitung von Informationen beeinflusst. Das menschliche Gehirn organisiert Informationsmengen, um diese schneller und effizienter verarbeiten zu können. Nebenwirkung hierbei sind systematische Urteilsverzerrungen wie die Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten. Marktteilnehmer neigen dazu, Investments anhand von Stereotypen zu beurteilen und zu vergleichen. Die Wahrscheinlichkeiten für eintretende Ereignisse werden hierbei auf Basis von Ähnlichkeiten gebildet. Anleger tendieren dazu, Anlagemöglichkeiten anhand vorformulierter Kriterien miteinander zu vergleichen, um sich die Arbeit einer aufwendigeren Analyse zu ersparen. Hierbei bleiben unbeachtete Parameter wie deren Auswirkungen unberücksichtigt. Investments werden nicht mehr individuell analysiert, sondern vielmehr anhand von Stereotypen Gruppen zugeordnet. Die Wahrscheinlichkeit für das Kurswachstum eines bestimmten Titels wird demnach nicht mehr ausschließlich anhand der Analyse dieses Titels bemessen, sondern vielmehr von der Wachstumswahrscheinlichkeit seiner Stereotypgruppe abgeleitet.31

Die Ambiguitätsaversion stellt ein weiteres Risikofeld aus der Informationsverarbeitung dar. Grundsätzlich haben Menschen Angst vor Unbekanntem und ziehen Bekanntes vor. Übertragen auf die Geldanlage stellt dieser Sachverhalt dar, dass Marktteilnehmer hauptsächlich Anlagen wählen, welche sie kennen und verstehen. Ambiguitätsaversion tritt demnach dann auf, wenn Anlegern Informationen über Investments fehlen. In diesen Fällen werden unbekannte Anlagemöglichkeiten gemieden, obwohl diese lukrativer sein könnten. Aufgrund der Unwissenheit über eine Anlage wird die Wahrscheinlichkeit für einen steigenden Kurswert geringer bewertet als diese tatsächlich ist. Wie bei der Verfügbarkeitsheuristik von Informationen ist auch hier die Entstehung von Klumpenrisiken denkbar, wenn Anleger sich auf bekannte, meist inländische Investments beschränken. Umgekehrt kann die Ambiguitätsaversion zur Überschätzung von Wahrscheinlichkeiten führen, wenn Anleger Investmentbereiche für sich entdecken, in welchen sie sich auszukennen glauben.32

Zusammenfassend prägen vier unterschiedliche Heuristiken aus der Informationswahrnehmung und -verarbeitung das übergeordnete Risiko der Fehleinschätzung objektiver Wahrscheinlichkeiten. Folgen hierbei sind vor allem mangelhafte Portfoliodiversifikation und unbegründete Risikoaversion oder Risikofreude.

2.3.1.2 Risikofeld 2: Fehleinschätzung von Informationen

Neben den Eintrittswahrscheinlichkeiten von Ereignissen werden auch Informationen fehlerhaft eingeschätzt. Die selektive Wahrnehmung bildet eine Theorie der Fehleinschätzung zu Beginn des Informationswahrnehmungsprozesses. Diese besagt, dass bewusst oder unbewusst Informationen vernachlässigt werden, welche nicht den eigenen Vorstellungen über die zukünftige Entwicklung einer Investition entsprechen. Die Vernachlässigung solcher Informationen kann hierbei vor oder auch während der Investition auftreten. Selektive Wahrnehmung unterstützt Anleger, indem eigene Zweifel beseitigt werden, was letztendlich eine Kaufentscheidung erleichtert. Nach dem Kauf sorgt die selektive Wahrnehmung dafür, dass die Aufmerksamkeit der Marktteilnehmer auf positive Eigenschaften des Investments gelenkt wird, während negatives weitestgehend ausgeblendet wird. Alternative, nicht getroffene Investitionsmöglichkeiten werden unterbewusst schlechter dargestellt, als diese in Wirklichkeit sind, um die Substitutionskosten augenscheinlich gering zu halten. Prinzipiell sorgt die selektive Wahrnehmung dafür, dass getroffene Entscheidungen vom Marktteilnehmer möglichst nicht bereut werden. Die falsche Wahrnehmung von Informationen führt dazu, dass Investments trotz widersprüchlicher Informationslage getätigt werden und in der Hoffnung, dass die ursprünglichen Erwartungen noch zutreffen, zu lange an diesen festgehalten wird.33

Eine weitere Fehleinschätzung bei der Informationswahrnehmung ist das sogenannte Herdenverhalten auf Aktienmärkten. Hierbei handeln Marktteilnehmer nicht mehr auf Grundlage fundamentaler Informationen, sondern auf Basis der Entscheidungen anderer Marktteilnehmer.34 Durch das gegenseitige Beobachten bilden sich übereinstimmende Meinungen am Markt. Die Tatsache, dass eine hohe Zahl weiterer Anleger analog handelt, gibt Investoren gefühlte Sicherheit. Diese haben damit die Gewissheit, keinen Trend zu verpassen, sofern sich die Meinung der Herde bewahrheitet. Im Fall einer Fehlentscheidung ist keine Rechtfertigung vor sich selbst oder anderen Marktteilnehmern notwendig, da die Entscheidung auch von einem großen Teil anderer Teilnehmer getroffen wurde.

Herdenverhalten entsteht vor allem dann, wenn über bestimmte Branchen oder gar einzelne Titel verstärkt medial berichtet wird.35 Die Nachfrage nach diesen Investitionsmöglichkeiten erhöht sich, was zu einer Übergewichtung und schlussendlich zur fehlerhafter Portfoliodiversifikation führen kann.

Wie bereits bei der Fehleinschätzung von Wahrscheinlichkeiten werden auch Informationen nicht nur in der Aufnahme, sondern ebenso in der Verarbeitung fehlerhaft eingeschätzt. Die Konservatismus-Heuristik beschreibt den Effekt, bei welchem Marktteilnehmer bestimmten Informationen nur wenig Beachtung schenken oder verzögert auf diese reagieren. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um solche Informationen, die nicht mit den bestehenden Ansichten der Anleger übereinstimmen. Sollten neue Informationen die ursprünglichen Erwartungen bestätigen oder gar verstärken, so werden diese bewusster wahrgenommen. Anderenfalls reagieren Marktteilnehmer verstärkt konservativ. Es wird an bisherigen Renditeerwartungen festgehalten und den neu erlangten Informationen kaum Beachtung geschenkt. Aus der oftmals verspäteten Einsicht ergeben sich Potenziale für vermeidbare Kursverluste.36 In dieser Hinsicht stellt Konservatismus einen Sachverhalt mit ähnlichen Folgen wie bei der selektiven Wahrnehmung in der Informationswahrnehmungsphase dar.

Zuletzt kann die Art der Darstellung von ein und derselben Information unterschiedliche Entscheidungen beim gleichen Anleger hervorrufen. Der Darstellungseffekt beschreibt genau diesen Sachverhalt. Sofern Marktteilnehmer mit der Darstellungsform vertraut sind, unterschätzen diese das Risiko einer Anlage immens. Entgegengesetzt werden auch geringe Risiken mit der falschen Art der Darstellung übergewichtet.37 Verschiedene Darstellungsformen sind beispielsweise die verbale Umschreibung eines Sachverhalts oder der Einsatz von Grafiken.Selbst bei offensichtlich eindeutigen Sachverhalten kann durch unterschiedliche Präsentationsweisen die Entscheidungsfindung beeinflusst werden.38

2.3.1.3 Risikofeld 3: Fehleinschätzung der objektiven Realität

Nach der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen folgt im letzten Schritt die Investitionsentscheidung. Fehleinschätzungen von Marktteilnehmern bezüglich der objektiven Realität beeinflussen diese.

Die bereits beschriebene selektive Wahrnehmung verleitet Marktteilnehmer dazu, nur Informationen zu beachten, welche ihre getroffene Entscheidung unterstützen. Bei der selektiven Entscheidung hingegen verspüren Marktteilnehmer das strenge Bedürfnis, bereits getroffene Entscheidungen zwingend zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Die Realisierung des Verlustes aus einer Investitionsentscheidung gleicht einem Fehlereingeständnis. Um dies zu vermeiden, halten Marktteilnehmer an Investitionen fest, welche sie aus objektiver Sicht zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr tätigen würden.39

In der neoklassischen Kapitalmarkttheorie wurden Marktteilnehmer als rational handelnd definiert. Demnach sollten diese auch rationale Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Renditen haben. Tatsächlich neigen jedoch viele Akteure zu überzogenem Optimismus. Positive Marktentwicklungen werden als wahrscheinlicher angesehen als negative Entwicklungen. In Zusammenhang mit enormer Selbstüberschätzung werden negative Entwicklungen eher für andere Marktteilnehmer vorausgesehen. Einzelne Investoren halten sich selbst für überdurchschnittlich gut informiert. Aus dieser Selbstüberschätzung und einer ungesund optimistischen Einstellung kann sich eine hohe Portfolioschädlichkeit durch die Erhöhung eingegangener Risiken ergeben.40

2.3.1.4 Risikofeld 4: Überschätzung individueller Fähigkeiten

Aus Selbstüberschätzung und irrationalem Optimismus ergeben sich verschiedenste Gefahren für Privatanleger. Eine Konsequenz aus Selbstüberschätzung ist die Kontrollillusion, bei welcher Marktteilnehmer das Gefühl gewinnen, Marktbewegungen prognostizieren oder gar kontrollieren zu können. Dieses Gefühl tritt vor allem dann auf, wenn ein Investor über einen gewissen Zeitraum mehrfach in Folge erfolgreiche Entscheidungen getroffen hat. Durch das verzerrte Erwartungsbild ist der Investor bereit, höhere Risiken einzugehen41 und wird gleichzeitig zu häufigerem Handeln animiert, was mit steigenden Transaktionskosten verbunden ist.

Durch das Beobachten der Auswirkungen eigener Handlungen lernen Marktteilnehmer ihre Fähigkeiten kennen. Hierbei kommt es vor, dass der Erfolg eines Investments zu häufig den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben wird. Dieser Effekt wird Selbstattribution genannt. Durch Selbstattribution wird die Überschätzung der eigenen Fähigkeiten verstärkt. Im Zuge der Zurechnung von Erfolgen auf getroffene Entscheidungen werden gleichzeitig Misserfolge durch äußere Umstände begründet.42 Selbstattribution verstärkt insgesamt die Portfolioschädlichkeit durch Steigerung der bisher aufgeführten Gefahren.

Der Rückschau-Effekt ist eine weitere Heuristik, welche das Anlageverhalten der Marktteilnehmer beeinflusst. Der Effekt besagt, dass Ereignisse von Investoren im Nachhinein als absehbar angesehen werden. Marktteilnehmer gewinnen durch den Rückschau-Effekt erhöhtes Selbstvertrauen in ihre Fähigkeiten zur Bestimmung der Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter Ereignisse, was letztendlich zu höherer Risikobereitschaft führen kann.43

Fehlende Selbstdisziplin stellt eine weitere wesentliche Schwäche von Marktteilnehmern dar. Der Selbstkontroll-Effekt beschreibt, dass eine Großzahl von Anlegern selbst gesetzte Ziele nicht konsequent genug verfolgt. Oftmals beziehen sich diese Ziele auf den langfristigen Vermögensaufbau. Kurzfristige Renditen sollten hierbei von untergeordneter Rolle sein. Dennoch tendieren Marktteilnehmer zu zinsgenerierenden Investitionen mit unterjähriger Rendite. Bevorzugt werden Titel mit Dividendenausschüttungen, da diese den gegenwärtigen Konsum steigen lassen, ohne das Anlagekapital selbst zu verzehren. Tatsächlich sind diese Investitionen oft nicht optimal für die Zielerreichung des langfristigen Vermögensaufbaus. Aus dem Selbstkontroll-Effekt resultiert die Gefahr, dass gegenwärtiger Konsum dem zukünftigen Konsum übergeordnet wird.44

Zuletzt werden die eigenen Fähigkeiten von Anleger durch die Einflüsse der Reueaversion beeinflusst. Wie bereits zuvor erläutert haben Menschen das Bestreben, keine Entscheidungen zu treffen, welche im Nachhinein als Fehlentscheidungen bewertet werden könnten. Aus Angst vor Reue tendieren Investoren zu sicherheitsbedachten Anlagen. Die Gefahr eines potenziellen Wertverlusts einer Anlage, welcher bereut werden könnte, wird somit reduziert. Gleichzeitig werden aber auch Renditechancen eliminiert. Auf der anderen Seite tendieren Anleger dazu, Gewinne zu spät zu realisieren. Es besteht die Angst, dass der Kurs eines Wertpapiers nach dem Verkauf weiter steigen könnte. Der Anleger würde dann die entgangenen Gewinne bereuen. Aus diesem Verhalten ergibt sich die Gefahr, dass der optimale Ausstiegszeitpunkt verpasst wird und Anleger Wertpapiere zu einem späteren Zeitpunkt mit geringerem Gewinn oder gar mit Verlusten veräußern.45

Zusammenfassend ergeben sich aus dem Prozess der Entscheidungsfindung diverse Heuristiken, welche negative Auswirkungen auf die Kapitalanlage nicht rational handelnder Marktteilnehmer haben. Die Heuristiken wirken sich vor allem auf die Diversifizierung und Risikooptimierung von Portfolios aus. Nachfolgend werden weitere Risikofelder aufgeführt, welche sich aus den Charaktereigenschaften der Prospect Theory ergeben.

2.3.2 Risikofelder aus den Eigenschaften der Prospect Theory

2.3.2.1 Risikofeld 5: Passives Verhalten

Aus den Eigenschaften der individuellen Nutzenfunktion der Prospect Theory ergeben sich Heuristiken, welche mit den Risikofeldern des Entscheidungsfindungsprozesses übereinstimmen und gleichzeitig neue Risikofelder offenbaren. Im Folgenden werden Heuristiken dargestellt, die Ursachen und Folgen von passivem Anlegerverhalten begründen. Eine dieser Heuristiken ist der Verankerungseffekt, auch Anchoring genannt. Der Effekt tritt immer dann auf, wenn Situationen oder Ergebnisse durch quantifizierbare Werte festgestellt werden.46 Demnach findet Anchoring auch bei Kapitalinvestitionen Anwendung. Hierbei werfen Marktteilnehmer sinnbildlich einen Anker, welcher bei der Investition eine entscheidende Rolle spielt. Der Anker ist ein mehr oder weniger zufälliger Wert, beispielsweise ein bei der Investition festgelegter Zielkurs. In der Verankerung besteht die Gefahr, dass Marktteilnehmer bei der Verarbeitung neuer Informationen ihren Anker nur geringfügig oder auch gar nicht anpassen. Dieses Verhalten entspricht dem Konservatismus-Effekt aus dem zweiten Risikofeld.Anchoring steht in direktem Zusammenhang mit der Prospect Theory, da viele Investoren ihren individuellen Anker mit dem Kaufpreis einer Investition, also dem Wendepunkt der individuellen Nutzenfunktion gleichsetzen.Anleger verkaufen ihr Wertpapier dann nicht zu einem rational sinnvollen Zeitpunkt, sondern abhängig von ihrem persönlichen Ankerkurs.47 Zudem kann die Ankersetzung durch Dritte beeinflusst werden, um Meinungen von Marktteilnehmern zu manipulieren. Dies geschieht häufig durch die Kurszielsetzungen von Analysten.

Zuvor beschriebene Effekte aus dem Entscheidungsfindungsprozess animieren Marktteilnehmer dazu, übermäßig viele Transaktionen zu tätigen. Es gibt jedoch auch Effekte, welche Anleger in eine passive Position drängen, woraus sich erneut Risiken ergeben. So drohen beispielsweise Kursverluste, wenn Anleger zu lange an bestimmten Titeln festhalten. Der Status-quo-Effekt beschreibt die Grundlage für dieses Verhalten. Die Nutzenfunktion der Prospect Theory zeigt auf, dass Verluste schwerer gewichtet werden als Gewinne. Dementsprechend neigen Privatanleger dazu, Verluste nicht realisieren zu wollen. Inaktivität kann bei weiterhin sinkenden Kursen die Portfoliorendite in kürzester Zeit immens beeinflussen.48

[...]


1 Vgl. www.mckinsey.com (2016)

2 Vgl. www.credit-suisse.com (2019)

3 Vgl. www.bundesbank.de (2019)

4 Vgl. ESMA Press Release 2013/266

5 Vgl. ESMA Public Statement 35-36-885

6 Vgl. ESMA Press Release 71-99-973

7 Vgl. Research Center for Financial Services (2019), Seite 16

8 Vgl. Putnoki (2010), Seite 188 f.

9 Vgl. Baddeley (2013), Seite 128

10 Vgl. Burda/Wyplosz (2018), Seite 169

11 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 42

12 Vgl. Burda/Wyplosz (2018), Seite 169

13 Vgl. Kahn (2016), Seite 31

14 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 80 f.

15 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 83

16 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 90

17 Äußere Reize sind beispielsweise Berichterstattungen diverser Medien.

18 Innere Reize sind Emotionen, insbesondere Gier und Angst.

19 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 171 ff.

20 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 175 f.

21 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 177 f.

22 Vgl. Goldberg/Von Nitzsch (2004), Seite 38 f.

23 Vgl. Goldberg/Von Nitzsch (2004), Seite 84

24 Vgl. Beck (2014), Seite 129

25 Vgl. Beck (2014), Seite 130 ff.

26 Vgl. Von Randow (2004), Seite 82

27 Vgl. Beck (2014), Seite 133 ff.

28 Vgl. Höfert (2015), Seite 3

29 Vgl. Rüdisser (2017), Seite 736

30 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 201 ff.

31 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 219 f.

32 Vgl. Möcker (2015), Seite 55 ff.

33 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 203 f.

34 Vgl. Bosch (2006), Seite 83

35 Vgl. Kitzmann (2009), Seite 20

36 Vgl. Luo (2014), Seite 5 f.

37 Vgl. Palandt/Grawe (2015), Seite 39

38 Vgl. Harr (2010), Seite 21

39 Vgl. Goldberg/Von Nitzsch (2004), Seite 128

40 Vgl. Kitzmann (2009), Seite 50

41 Vgl. Kitzmann (2009), Seite 56

42 Vgl. Jain/Kesari (2019), Seite 84 f.

43 Vgl. Kahneman (2012), Seite 251 f.

44 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 261 ff.

45 Vgl. Daxhammer/Facsar (2017), Seite 264 ff.

46 Vgl. Beck (2014), Seite 147

47 Vgl. Kahneman (2012), Seite 153 ff.

48 Vgl. Baker/Ricciardi (2014), Seite 9 f.

Ende der Leseprobe aus 85 Seiten

Details

Titel
Produktinterventionen der ESMA auf Contracts for Difference und binäre Optionen. Notwendigkeit und Effektivität gemäß der Behavioral Finance
Autor
Jahr
2020
Seiten
85
Katalognummer
V520418
ISBN (eBook)
9783964872036
ISBN (Buch)
9783964872043
Sprache
Deutsch
Schlagworte
CFD, Differenzkontrakt, Binäre Option, Behavioral Finance, ESMA, Privatanleger, Contract for Difference, Überregulierung, Unterregulierung, Interventionsplan, Spekulative Derivate
Arbeit zitieren
Alexander Grommes (Autor:in), 2020, Produktinterventionen der ESMA auf Contracts for Difference und binäre Optionen. Notwendigkeit und Effektivität gemäß der Behavioral Finance, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/520418

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