1. Einleitung
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, in der Schule wird geschrieben.
Dieser bekannte Kinderreim hatte im modernen Fremdsprachenunterricht der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts lange Zeit nur bedingt Gültigkeit. Während dem Schreiben als Mittlertätigkeit in fast allen fremdsprachendidaktischen Ansätzen ein gewisser Stellenwert zum Zwecke des Übens eingeräumt wurde, spielte Schreiben als Zielfertigkeit lange Zeit bloß eine untergeordnete Rolle. In Abgrenzung zur Grammatik-Übersetzungs-Methode postulierten etwa in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Vertreter des Audiolingualismus den Primat des Mündlichen. Die stark von behaviouristischen Lerntheorien beeinflussten Audiolingualisten argumentierten dabei sowohl mit dem Verweis auf den natürlichen Spracherwerb, in dessen Verlauf Sprache im mündlichen Austausch erworben werde als auch mit zeichentheoretischen Argumenten (vgl. Lado, 1967, S. 179). Daraus ergibt sich für sie die folgende didaktische Reihenfolge der Fertigkeiten: „Zuerst werden Hören und Sprechen gelehrt, danach Lesen und Schreiben. Dieses Prinzip ist die Grundlage jeder audiolingualen Darbietungsweise“ (Lado, 1967, S. 77); und, so darf man hinzufügen, wurde auch später von den Vertretern der audiovisuellen Methode weiter verwendet.
Schreiben steht in Lados Moderner Sprachunterricht aber nicht nur an letzter Stelle in der Reihenfolge der Vermittlung, sondern wird zusammen mit der anderen Fertigkeit des schriftlichen Mediums, Lesen, nur als ‚Teilfertigkeit’ und damit als nachrangig eingestuft:
Wesentlicher als die Frage, ob man beim Lehren der Fertigkeiten die richtige Reihenfolge Hören-Sprechen-Lesen-Schreiben betrachten müsse, ist die Tatsache, dass Lesen und Schreiben nur Teilfertigkeiten sind; wer sie übt, gewinnt darum nur Teilerfahrungen, während Sprechen und Hören totale Spracherfahrungen vermitteln (Lado, 1967, S. 71).
Auch nach der kommunikativen Wende in den siebziger / achtziger Jahren spielte die Fertigkeit Schreiben eine untergeordnete Rolle (vgl. Kast, 1999, S. 5; Portmann, 1991, S. 18ff.). Zwar wird dem präkommunikativen Schreiben, wie übrigens auch in der audiolingualen Methode, „als einer Weise des Übens, eine gewisse Funktion von Anfang an“ (Portmann, 1991, S. 24) zugesprochen, [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Kennzeichen des schriftlichen Textes und warum Schreiben wichtig ist
3. Was tun wir, wenn wir Schreiben?
4. Schreiben als Prozess
5. Entwurf einer Unterrichtseinheit für den Englischunterricht im prozessorientierten Paradigma
6. Fazit
7. Bibliographie
8. Anhang
1. Einleitung
Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, in der Schule wird geschrieben.
Dieser bekannte Kinderreim hatte im modernen Fremdsprachenunterricht der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts lange Zeit nur bedingt Gültigkeit. Während dem Schreiben als Mittlertätigkeit in fast allen fremdsprachendidaktischen Ansätzen ein gewisser Stellenwert zum Zwecke des Übens eingeräumt wurde, spielte Schreiben als Zielfertigkeit lange Zeit bloß eine untergeordnete Rolle.
In Abgrenzung zur Grammatik-Übersetzungs-Methode postulierten etwa in den fünfziger und sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts die Vertreter des Audiolingualismus den Primat des Mündlichen. Die stark von behaviouristischen Lerntheorien beeinflussten Audiolingualisten argumentierten dabei sowohl mit dem Verweis auf den natürlichen Spracherwerb, in dessen Verlauf Sprache im mündlichen Austausch erworben werde als auch mit zeichentheoretischen Argumenten (vgl. Lado, 1967, S. 179). Daraus ergibt sich für sie die folgende didaktische Reihenfolge der Fertigkeiten: „Zuerst werden Hören und Sprechen gelehrt, danach Lesen und Schreiben. Dieses Prinzip ist die Grundlage jeder audiolingualen Darbietungsweise“ (Lado, 1967, S. 77); und, so darf man hinzufügen, wurde auch später von den Vertretern der audiovisuellen Methode weiter verwendet.
Schreiben steht in Lados Moderner Sprachunterricht aber nicht nur an letzter Stelle in der Reihenfolge der Vermittlung, sondern wird zusammen mit der anderen Fertigkeit des schriftlichen Mediums, Lesen, nur als ‚Teilfertigkeit’ und damit als nachrangig eingestuft:
Wesentlicher als die Frage, ob man beim Lehren der Fertigkeiten die richtige Reihenfolge Hören-Sprechen-Lesen-Schreiben betrachten müsse, ist die Tatsache, dass Lesen und Schreiben nur Teilfertigkeiten sind; wer sie übt, gewinnt darum nur Teilerfahrungen, während Sprechen und Hören totale Spracherfahrungen vermitteln (Lado, 1967, S. 71).
Auch nach der kommunikativen Wende in den siebziger / achtziger Jahren spielte die Fertigkeit Schreiben eine untergeordnete Rolle (vgl. Kast, 1999, S. 5; Portmann, 1991, S. 18ff.). Zwar wird dem präkommunikativen Schreiben, wie übrigens auch in der audiolingualen Methode, „als einer Weise des Übens, eine gewisse Funktion von Anfang an“ (Portmann, 1991, S. 24) zugesprochen, wirklich kommunikativer und produktiver Umgang mit dem Schreiben wird jedoch nur Lernern auf den „intermediate, advanced, or professional levels“ (Finocchiaro & Brumfit, 1983, S. 148) zugetraut.
Auch in Stephen Krashens einflussreicher input hypothesis spielt die Schreibfertigkeit eher den Part eines Nebendarstellers:
The student’s own output is theoretically secondary with regard to the acquisition process. Oral output, speech, is indirectly useful in that it helps to encourage aural input, i.e., conversation. … We cannot make the same sort of argument for writing. Writing does not necessarily encourage comprehensible input, unless acquirers are exchanging letters or notes (Krashen & Terell, 1983, S. 149).
Erst neuere Ansätze, vor allem in den neunziger Jahren, räumen der geschriebenen Sprache wieder einen höheren Stellenwert ein (vgl. stellvertretend Portmann, 1991). Besonders der prozessorientierte Ansatz spricht dem Schreiben eine vergleichsweise gewichtige Rolle im Fremdsprachenunterricht zu. Als wichtigste Paradigmenwechsel im Vergleich zur älteren Schreibdidaktik können hierbei gelten, dass das „Schreiben von eigenen Texten von Anfang an im Mittelpunkt der Schreibübungen“ (Kast, 1999, S. 33) steht und die Aufmerksamkeit der Lernenden und Lehrenden weg vom Produkt des Schreibens und dafür hin zu den Prozessen, die während des Schreibens ablaufen, gelenkt werden soll.
Thema der vorliegenden Arbeit soll ebendiese Methode des prozessorientierten Schreibens sein. Bevor jedoch der Ansatz selbst näher beleuchtet wird, sollen vorab einige andere wesentliche Fragen untersucht werden. Zunächst muss es darum gehen, die Hauptmerkmale eines schriftlichen Textes darzustellen um anschließend daraus didaktische Schlussfolgerungen für den Status der Fertigkeit Schreiben im Fremdsprachenunterricht insgesamt ableiten zu können. Im darauf folgenden Kapitel rücken die kognitiven Prozesse, die beim Schreiben von Bedeutung sind, in den Fokus der Untersuchung. Anders formuliert wird also gefragt: Was tun wir, wenn wir Schreiben? Die gewonnenen Erkenntnisse bilden die Grundlage für den Ansatz des prozessorientierten Schreibens, der im vierten Abschnitt detailliert dargestellt wird. Schließlich soll es im fünften und abschließenden Kapitel unternommen werden, eine mögliche praktische Umsetzung des Konzeptes im Englischunterricht vorzustellen. Zu diesem Zweck wird eine Unterrichtsreihe zur Fertigkeit Schreiben im prozessorientierten Paradigma entwickelt.
2. Kennzeichen des schriftlichen Textes und warum Schreiben wichtig ist
Jeder schriftliche Text verfügt über bestimmte sprachliche und außersprachliche Kennzeichen, von denen die wichtigsten in dem unten stehenden einfachen Textmodell zusammengefasst sind:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1 : Einfaches Textmodell (Storch, 1999, S. 250).
Vergegenwärtigen wir uns die einzelnen Kennzeichen kurz anhand eines Beispieltextes: Der vorliegenden Hauptseminararbeit. Textproduzent ist in diesem Fall ein Lehramtsstudent, Textrezipient ein Professor der Fachdidaktik Englisch. Der Schreibanlass leitet sich daher ab, dass der betreffende Student ein Hauptseminar des Professors besucht hat und es zu den Konventionen des Universitätsbetriebes gehört, nach dem Besuch des Seminars eine Seminararbeit zu verfassen. Der Text gehört der Textsorte ‚Hausarbeit’ an, die sich durch bestimmte formale Merkmale (z.B. Deckblatt, Inhaltsverzeichnis, Einleitung, Struktur der Arbeit, Einteilung in Unterkapitel, Zitate, Literaturangaben) mit den dazugehörigen Redemitteln auszeichnet. Die Funktion des Textes (das kommunikative Ziel) ist es hauptsächlich, theoretische Informationen über die Fertigkeit Schreiben im Fremdsprachenunterricht zu vermitteln und einen konkreten Unterrichtsvorschlag zu unterbreiten. Entsprechend ist der Text inhaltlich gegliedert. Dem theoretischen Teil schließt sich der praktische Teil, der Unterrichtsvorschlag, an. Die sprachliche Form schließlich ist durch die Konventionen der Textsorte und die Textfunktion beeinflusst: Sachlicher Stil, unpersönliches Register, Fachtermini, Konnektoren etc.
Auch für jeden mündlichen Text ließe sich eine ähnliche Klassifikation durchführen. Die Analyse würde allerdings in den meisten Fällen fundamentale strukturelle Unterschiede zw. einem beliebigen mündlichen Text einerseits und einem willkürlich gewählten schriftlichen Text andererseits zu Tage fördern. Zwar zeichnen sich Sprechen und Schreiben jeweils dadurch aus, dass ein Text produziert wird. Vernachlässigt man jedoch die mannigfachen Zwischenformen[1] und bestimmt mündliches Sprachverhalten idealtypisch als dialogisch-interaktives Sprechen und schriftliches Sprachverhalten als monologisches Schreiben, so bestehen zwischen geschriebener und gesprochener Sprache einige wesentliche Unterschiede (vgl. Storch, 1999, S. 213)[2] :
Geschriebene Sprache ist weitaus weniger spontan als gesprochene Sprache. Während beim Sprechen die Aufmerksamkeit wesentlich auf die Kommunikationssituation, den Inhalt und die Angemessenheit der Äußerung gerichtet und das Produkt flüchtig ist, verläuft Schreiben sehr viel langsamer und reflektierter. Schriftliche Textproduktion erzeugt ein bleibendes Produkt. Sie erfordert tiefere, detailliertere Planung als mündliche Produktion und ist relativ stark auf die sprachliche Form gerichtet. Damit ist Schreiben das kognitiv-bewusstere Medium. Die durchschnittliche Länge von mündlichen Äußerungen ist sehr kurz, die Syntax zumeist wenig komplex. Bei der schriftlichen Textproduktion hingegen ist die Syntax wesentlich komplexer, es wird beispielsweise viel eher von Hypotaxen Gebrauch gemacht. Schriftliche Äußerungen sind oft sehr viel länger als mündliche.
Im Unterschied zum prototypischen mündlichen Sprachverhalten fehlt beim Schreiben häufig der gemeinsame Kommunikationsrahmen. Ein weiterer wesentlicher Gegensatz ist das Fehlen der Rückkopplungsmöglichkeit im schriftlichen Medium. Deshalb muss ein geschriebener Text sehr viel expliziter, eindeutiger und klarer strukturiert sein als ein gesprochener Text und viel mehr auf den direkten sprachlichen Kontext Bezug nehmen. Der schriftliche Text ermöglicht weiterhin eine Kontrolle des Geäußerten im Nachhinein, während dies beim Sprechen parallel bzw. im unmittelbaren Anschluss an die Äußerung erfolgen muss. Das Ergebnis des Schreibens schließlich ist ein kohärenter Text, der zumeist wesentlich komplexer ist als ein mündlicher Text. Welche didaktischen Schlussfolgerungen ergeben sich aus dieser Gegenüberstellung der beiden Fertigkeiten Sprechen und Schreiben?
Schreiben ist das lernintensivere Medium, der Behaltenseffekt ist höher als beim spontanen und flüchtigen Sprechen. Bohn (1989, S. 57) spricht in diesem Zusammenhang von der „gedächtnisbildenden Funktion“ des Schreibens und konstatiert: „Schreiben beeinflusst die Entwicklung des Sprechens positiv … Der Einfluss des Schreibens auf die Sprechvorgänge ist im Allgemeinen größer als umgekehrt“ (Bohn, 1996a, S. 111). Storch beurteilt deshalb abschließend den Stellenwert des Schreibens innerhalb des Fremdsprachenunterrichts äußerst positiv:
Aufgrund des hohen Behaltenseffekts des Schreibens sind beim Schreiben weniger Wiederholungen erforderlich als beim Sprechen. … Insgesamt sollten Schüler viel schreiben; das gilt vor allem für sprachliche Aktivitäten, die mit Reflexion Nachdenken und Bewusstheit verbunden sind. Schreiben dürfte sich auf das Sprachenlernen insgesamt positiv auswirken (Storch, 1999, S. 215).
[...]
[1] z.B. Schreiben mit Bengallichtern, Chatten, eine Vorlesung halten.
[2] Die nachfolgende Darstellung folgt in wesentlichen Zügen Storch, 1999, S. 214ff.
- Arbeit zitieren
- Martin Lehmannn (Autor:in), 2005, Theorie und Praxis des prozessorientierten Schreibens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53441
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