Die Arbeit will mehr als nur die strukturelle Beschaffenheit der jeweiligen Texte zu analysieren. Sie stellt auch Fragen nach den weltanschaulich-ideologischen Hintergründen, die von Fall zu Fall einen nicht geringen Einfluss auf das Erzählverfahren des "Zauberbergs" von Thomas Mann, der Oxen of the Sun-Episode im "Ulysses" von Joyce und "Rayuelas" von Julio Cortázar ausgeübt haben.
Das wachsende Misstrauen moderner Autoren in die epische Abbildbarkeit der empirischen Wirklichkeit führte in der neueren Gattungstradition des Romans zu einem immer stärkeren Vordringen offener, alinearer Erzählschemata. Gründe für dieses Abrücken von der kausallinearen Struktur des realistischen Erzählens liegen in einer zum Teil historisch bedingten weltanschaulichen Verunsicherung, die beispielsweise Thomas Mann während der Entstehungszeit des "Zauberbergs" die Unangemessenheit des traditionellen Formkanons als Mittel einer epischen Wirklichkeitsdarstellung häufig schmerzlich ins Bewusstsein rief.
Die widerstrebenden Kräfte des historischen Kontextes während der "Zauberberg"-Produktion bewirkten – nach Thomas Mann - in künstlerischer Hinsicht eine Erschütterung aller kulturellen Grundlagen. Mit Blick auf das historische Umfeld während der Entstehungszeit des "Ulysses" von Joyce spricht auch Hermann Broch von der Epoche im Zustand der organischen Unbekanntheit. Dementsprechend wandelt sich auch die Erzählform.
Die realistische Schreibweise mit ihren teleologischen Implikationen scheint jede Bedeutung verloren zu haben. Was den Prozess einer erzähltheoretischen Umorientierung noch zusätzlich beschleunigt, ist das Interesse der Autoren für ideologisch-weltanschauliche Denkmodelle, Leitbilder und Theoreme, die die wachsende Bedeutung offener, alinearer Erzählstrategien fördern.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Notwendigkeit weltanschaulicher Bezugsrahmen
- 1.1 Formen des Offenen und evolutionierende Struktur
- 1.2. Komparatistischer Bezugsrahmen
- 2. Thomas Mann, Der Zauberberg
- 2.1. Dynamisierung der Struktur
- 2.1.1. Das Dreigestirn Richard Wagner, Artur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche
- 2.1.2. Musikalisches und literarisches Leitmotiv
- 2.1.3. Magisches nunc stans und Kreisstruktur des Romans
- 2.2. Castorps Flucht ins Metaphysische
- 2.2.1. Castorps Erkrankung
- 2.2.2. Eros und Todessympathie
- 2.3. Der Zauberberg als Initiationsroman
- 2.1. Dynamisierung der Struktur
- 3. Die Episode Oxen of the Sun im Ulysses von James Joyce
- 3.1. Beziehungen zwischen Mann und Joyce
- 3.2. Metempsychose, Parallaxe und Unbestimmtheit
- 3.3. Mythologische Bezugsrahmen
- 3.4. Dialog der Texte
- 3.5. Analogie Stilgenese - Ontogenese
- 4. Julio Cortázar, Rayuela
- 4.1. Physikalisches Weltbild und Unbestimmtheit
- 4.2. Fiktionalisierung der Romantheorie
- 4.3. Aleatorische Poetik der Kapitelkombinatorik
- 4.3.1. Dialektik von Form und Offenheit
- 4.3.2. Oliveiras Bildungsreise
- 4.3.3. Kapitelkombinatorik als destrucción de formas
- 5. Tradition, Moderne, Postmoderne: statt einer Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die strukturelle Beschaffenheit des Romans Der Zauberberg von Thomas Mann, der Episode Oxen of the Sun im Ulysses von James Joyce und Rayuela von Julio Cortázar. Sie untersucht die weltanschaulich-ideologischen Hintergründe, die die Erzählverfahren dieser Werke beeinflussen.
- Die Bedeutung offener, alinearer Erzählschemata im Roman
- Die Herausforderungen, die sich für die epische Abbildbarkeit der empirischen Wirklichkeit ergeben
- Die Rolle von weltanschaulichen Bezugsrahmen in der Gestaltung von Erzählstrukturen
- Die Verbindung zwischen epischer Form und philosophischen Denkmustern
- Die Entwicklung der Erzählform im Kontext historischer Veränderungen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der offenen Erzählformen ein und erläutert den Kontext des wachsenden Misstrauens moderner Autoren in die epische Abbildbarkeit der Wirklichkeit. Kapitel 1 befasst sich mit der Notwendigkeit weltanschaulicher Bezugsrahmen und analysiert die Formen des Offenen in der Literatur. Kapitel 2 untersucht Der Zauberberg von Thomas Mann im Kontext von Schopenhauers Metaphysik und analysiert die Dynamisierung der Struktur und Castorps Flucht ins Metaphysische. Kapitel 3 beleuchtet die Episode Oxen of the Sun im Ulysses von James Joyce und analysiert die Beziehungen zwischen Mann und Joyce, die Verwendung mythologischer Bezugsrahmen und den Dialog der Texte. Kapitel 4 konzentriert sich auf Rayuela von Julio Cortázar und analysiert die Fiktionalisierung der Romantheorie, die aleatorische Poetik der Kapitelkombinatorik und die Bildungsreise von Oliveira. Schließlich beleuchtet Kapitel 5 den Zusammenhang von Tradition, Moderne und Postmoderne, ohne eine abschließende Zusammenfassung zu liefern.
Schlüsselwörter
Offene Erzählformen, epische Abbildbarkeit, weltanschauliche Bezugsrahmen, Der Zauberberg, Thomas Mann, Schopenhauer, Ulysses, James Joyce, Rayuela, Julio Cortázar, Literaturgeschichte, Romantheorie, Metaphysik, Metempsychose, Unbestimmtheit, Kapitelkombinatorik, Bildungsreise.
- Arbeit zitieren
- Dr. Paul Forssbohm (Autor:in), 1988, Formen des Offenen. "Der Zauberberg" von Thomas Mann, die "Oxen of the Sun"-Episode im "Ulysses" von James Joyce und "Rayuela" von Julio Cortázar (Band 1), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/537671