Kontextspezifische Landmarken für die Fußgängernavigation


Diplomarbeit, 2005

117 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


GLIEDERUNG

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung: Der Fußgänger und sein Bedarf an Geoinformation
1.1 Die Bedeutung von Landmarken in Routendarstellung und Navigationssystemen
1.2 Landmarken im spezifischen Handlungskontext des Fußgängers
1.3 Aufbau der Arbeit

2. Ansätze zur Unterstützung der Fußgängernavigation
2.1 Stand der Entwicklung kartographischen Fußgängernavigationssysteme
2.2 Erkenntnisse der Raumkognition zur Entwicklung von Navigationssystemen für Fußgänger
2.3 Anforderungen an eine landmarkenbasierte kartographische Routendarstellung

3. Grundlagen zur Einbindung kontextspezifischer Landmarken
3.1 Das kartographische Handlungsfeld der Orientierung und Navigation
3.2 Handlungstheoretische Grundlagen
3.3 Der spezifische Handlungskontext des Fußgängers
3.3.1 Mentale und physische Handlungen
3.3.2 Das Artefakt
3.3.3 Der Handelnde und seine Rolle in der Gemeinschaft
3.3.4 Der Handlungsraum
3.4 Technischer und physikalischer Kontext
3.5 Ziele von Fußgänger-Handlungen
3.6 Phasen von Fußgänger-Handlungen
3.7 Fußgängerspezifische Funktionen von Landmarken

4. Kriterien für die landmarkenbasierte Routendarstellung
4.1 Kognitive Informationsverarbeitung bei der Orientierung und Navigation
4.1.1 Wahrnehmung und Interaktion im Raum
4.1.2 Temporal-funktionale Gliederung der Gedächtnissysteme
4.1.3 Integrative und handlungsorientierte Informationsverarbeitung
4.1.4 Kriterien bei der Wegfindung
4.1.4.1 Visuell-kognitive Prozesse in der Umwelt
4.1.4.2 Bewegungsparallaxen und Bewegungsperspektive
4.1.4.3 Richtungs- und Entfernungsschätzung
4.1.4.4 Erwerb von visuell-räumlichem Wissen
4.1.5 Ableitung der Funktionen von Landmarken beim Wegfinden
4.1.5.1 Klassifizierung von Landmarken
4.1.5.2 Unterstützung mentaler Handlungen
4.1.5.3 Unterstützung übergeordneter Operationen
4.1.5.4 Zuordnung von Landmarken und Phasen der Wegfindung
4.2 Kartographische Modellierung einer landmarkenbasierten Routenkarte
4.2.1 Die Karte im konkreten Kommuniaktionskontext des Fußgängers
4.2.2 Ansätze für die kontextorientierte Modellierung von Fußgängerkarten
4.2.2.1 Kartographische und mentale Repräsentation
4.2.2.2 Der kartographische Wahrnehmungsraum
4.2.2.3 Kartographische Top-Down- und Bottom-Up-Prozesse
4.2.3 Präsentation raumbezogener Information in Routenkarten für Fußgänger
4.2.3.1 Die kartographische Arbeitsgraphik als Grundlage für die Darstellung von Routeninformation
4.2.3.2 Integrierte kartographische Routendarstellung
4.2.3.3 Art der Präsentation von Landmarken
4.2.4 Kartographische Routenführung in Wegfindungsphasen

5. Zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse und Folgerungen
5.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
5.2 Ausblick auf mögliche Ansatzpunkte für weitere Untersuchungen

6. Bibliographie

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1

Modell zur Angleichung von Ist- und Soll-Werten

(Buziek 2002, S. 62)

Abb. 2

Das kartographische Handlungsfeld der Orientierung und Navigation

(verändert nach Bollmann 2002)

Abb. 3

Modell des kartographischen Handlungsprozesses

(nach Dransch 2002, S. 22)

Abb. 4

Elemente der Handlungstheorie (nach Engeström 1987)

Abb. 5

Der Prozess des Wegfindens

(nach Downs und Stea 1973 in Golledge 1999, S. 26)

Abb. 6

Der Wahrnehmungszyklus (verändert nach Neisser 1967, S.27)

Abb. 7

a) Struktur des optischen Flusses eines bewegten Akteurs

b) Beispiel für eine im visuellen Feld auftauchende Landmarke

(Albertz 1997b, S. 225)

Abb. 8

Komponenten des räumlichen Wissens in Abhängigkeit vom

Bekanntheitsgrad der Umgebung

(verändert nach Portugali und Stern 1999, S. 102)

Abb. 9

Konzeptioneller Entscheidungsprozess eines sich zum ersten

Mal durch die Umgebung bewegenden Akteurs

(verändert nach Portugali und Stern 1999, S. 118)

Abb. 10

Kartographischer Informationsprozess (nach Heidmann 2002)

Abb. 11

Operationen der Informationsverarbeitung beim Wegfinden

(verändert nach Bollmann 1993)

Abb. 12

Aufmerksamkeitsprozesse bei der Informationsentnahme aus der Karte

(verändert nach Heidmann 2002)

Abb. 13

Arbeitsgraphik und Präsentationsgraphik (nach Heidmann 1999, S. 252)

Abb. 14

Beispiele für Wegfindungs-Choreme (Klippel und Richter 2003, S. 35)

Abb. 15

Beispiel für die Kombination von prototypischer Information und

lagetreuer Information an einem Entscheidungspunkt

(Klippel und Richter 2003, S. 36)

Abb. 16

Übersichtskarte für den Raumausschnitt

Abb. 17

Übersichtskarte für den Raumausschnitt mit Routendarstellung

Abb. 18

Wegführungskarte für den Ausgangspunkt

Abb. 19

Wegführungskarte für das erste Wegsegment

Abb. 20

Wegführungskarte für das zweite Wegsegment

Abb. 21

Wegführungskarte für den ersten Entscheidungspunkt

Abb. 22

Wegführungskarte für das dritte Wegsegment

Abb. 23

Wegführungskarte für den zweiten Entscheidungspunkt

Abb. 24

Wegführungskarte für das vierte Wegsegment

Abb. 25

Wegführungskarte für den dritten Entscheidungspunkt

Abb. 26

Wegführungskarte für das fünfte Wegsegment

Abb. 27

Wegführungskarte für den vierten Entscheidungspunkt

Abb. 28

Wegführungskarte für das sechste Wegsegment

Abb. 29

Wegführungskarte für den fünften Entscheidungspunkt

Abb. 30

Wegführungskarte für das siebente Wegsegment

Tabellenverzeichnis

Tab. 1

Unterstützung von Handlungen durch Landmarken

(nach Anzahl und Standort)

Tab. 2

Drei Perspektiven kartographischer Routenanweisungen

(Klippel et al. 2003, S. 19)

Tab. 3

Graphische Aktionen zur Hervorhebung von Landmarken

(verändert nach Heidmann 1999, S. 260)

Tab. 4

Merkmale von Landmarken

Tab. 5

Einteilung der Landmarken in punkt-, linien- und flächenhafte Objekte

1. Einleitung: Der Fußgänger und sein Bedarf an Geoinformation

Neben den hinweisenden Informationen in der Umwelt, z.B. in Form von Wegeleitsystemen, können Fußgänger mobile Geodienste zur Unterstützung von raumbezogenen Handlungen heranziehen. In Verbindung mit raum- und zeitbezogenen Daten sowie Positionierungstechnologien ermöglichen mobile Darstellungsgeräte erweiterte Einsatzmöglichkeiten für kartographische Informationssysteme. So bieten Location Based Services (LBS) als standortbezogene Dienste spezifische, auf den jeweiligen Kontext des Nutzers ausgerichtete Dienste an (Heidmann und Hermann 2003). Die Kartographie entwickelt deshalb nutzer- und aufgabenorientierte kartographische Kommunikationsformen für mobile Nutzungssituationen. In dieser Hinsicht erfährt das Medium Karte eine Veränderung in ihrer Funktion und wird zum interaktiven, dynamischen Hilfsmittel bei der Lösung räumlicher Aufgaben. Die Karte soll sich einem konkreten Nutzer, seiner Aufgabenstellung und seinem tatsächlichen Informationsbedarf anpassen (Reichenbacher 2004). Spezifische Nutzungssituationen und Nutzertypen werden in der Kartographie identifiziert und formal beschrieben.

Orientierung und Navigation wurden bereits als grundlegende Aufgabe mobiler Nutzer identifiziert und als ein kartographisches Handlungsfeld mit spezifischen Informationsbedürfnissen abgegrenzt. Entsprechende Positionierungs- und Routingdienste werden den Nutzern über mobile Darstellungsgeräte zur Verfügung gestellt, wobei die Qualität der kartographischen Medien in erster Linie an ihrer Aufgabenangemessenheit und ihrer Nutzerfreundlichkeit beurteilt wird. Die kartographische Routendarstellung soll die zielgerichtete Aufnahme und Verarbeitung von raumbezogener Information unter Berücksichtigung des jeweiligen Handlungskontextes unterstützen (Heidmann 1999). Um eine brauchbare, den Nutzerbedürfnissen angepasste kartographische Routengenerierung zu gewährleisten, müssen der Nutzer und sein Handlungskontext bei der kartographischen Konzeptualisierung von Anfang an im Mittelpunkt stehen.

1.1 Die Bedeutung von Landmarken in Routendarstellung und Navigations- systemen

Nutzer von mobilen Navigationssystemen werden durch eine automatische Standort- und Routenbestimmung sowie die Führung entlang einer Route bei der Fortbewegung durch den Umgebungsraum unterstützt. Dabei werden angemessene Informationen in multimodaler Form, also verbal, schriftlich und mit Hilfe von Karten übermittelt (Bollmann 2002). Während herkömmliche Routenkarten sämtliche notwendigen topographischen Informationen eines Umgebungsraumes aufweisen, wird auf Landmarken als markante Objekte im Raum verzichtet. Neben der Einbindung von Wegsegmenten, Richtungsänderungen und Distanzangaben ist die Qualität von Routenanweisungen jedoch nachweislich von der Einbindung von Landmarken abhängig (Lovelace et al. 1999). Weiterhin belegen Untersuchungen aus dem Bereich der Raumkognition, dass Personen bei der Anfertigung von Wegbeschreibungen neben Richtungen und Neuorientierungen vielfach Landmarken als zusätzliche Orientierungshilfen angeben (Tversky und Lee 1999). Um die Nutzerfreundlichkeit von Navigationssystemen zu erhöhen, sollen kontextspezifische Landmarken zukünftig in die kartographische Routendarstellung integriert werden.

Der Begriff Landmarke stammt aus dem Englischen (landmark) und steht ursprünglich für ein von der See aus sichtbares Objekt an Land, welches als bildartiges Zeichen in die Seekarte eingetragen ist (Stams und Klippel 2002). Nach gängigen Wörterbüchern wird er als Grenzstein, Meilenstein oder auch als Wahrzeichen einer verstanden. Der eingedeutschte Begriff der Landmarke weicht nach lexikalischer Definition von der Bedeutung im Englischen ab und bezeichnet sehr weit gefasst einen hervorgehobenen Punkt im Gelände . In der Raumkognition und in der Kartographie wird die Landmarke ähnlich verstanden. Sie bezeichnet ein „ ausgezeichnetes räumlich verortetes Objekt, welches sich deutlich von der Vielzahl von Umweltinformationen, die der Mensch wahrnimmt, abhebt “ (Stams und Klippel 2002, S. 95). Diese Bedeutung begründet auf dem Ansatz des Stadtgeographen Kevin Lynch (1960), welcher Landmarken zur Differenzierung von Raummerkmalen mit markanten Charakteristika geprägt hat. Dabei spielten Kriterien wie die sichtbare Form, die Größe, die Farbe oder auch die funktionale Bedeutung von Objekten im Raum eine Rolle. Diese Definition gilt in der vorliegenden Arbeit als Grundlage für die weitere Charakterisierung von Landmarken, worin die Begründung für die Verwendung des deutschen Begriffs Landmarke liegt.

1.2 Landmarken im spezifischen Handlungskontext des Fußgängers

Es wird davon ausgegangen, dass Nutzer in Abhängigkeit vom jeweiligen Handlungskontext unterschiedliche Objekte in ihrer räumlichen Umgebung selektieren. Der Kontext ist hierbei als übergeordneter Rahmen zu verstehen, welcher über eine Reihe von Parametern, wie z.B. den Fortbewegungsmodus, bestimmt werden kann. Ein Autofahrer zieht beispielsweise andere räumliche Objekte heran als ein Fahrradfahrer oder ein Fußgänger. Daraus ergeben sich für den konkreten Kontext des Touristen, der sich zu Fuß durch den unbekannten Umgebungsraum bewegt, einige Fragestellungen:

- Welche Kontextbedingungen beeinflussen die konkrete, mobile Nutzungssituation?
- Welche visuell-kognitiven Prozesse laufen bei mobilen Nutzungssituationen ab?
- Welche Merkmale, Beziehungen und Strukturen unterstützen den Fußgänger bei der Fortbewegung durch den Raum?
- Welche Objekte im Raum werden im konkreten Nutzungskontext als Landmarken ausgewählt?
- Welche Funktionen nehmen Landmarken bei der Fortbewegung ein?
- Wie können Landmarken die auszuführenden Handlungen bei der Orientierung und Navigation unterstützen?
- Welche Informationen im Raum werden in welcher Handlungsphase für eine angemessene Unterstützung des Kartennutzers benötigt?
- Wie können Landmarken in der kartographischen Routendarstellung präsentiert werden, um den Nutzer bestmöglich zu unterstützen?

Die spezifische Landmarken-Auswahl eines Fußgängers, der sich als Tourist durch einen unbekannten Umgebungsraum bewegt, ist Thema dieser Arbeit, wobei potenzielle Landmarken identifiziert und nach ihrer jeweiligen Funktion klassifiziert werden. Dazu wird der Handlungsprozess der Orientierung und Navigation in einzelne Phasen gegliedert, untergeordnete Handlungen werden formal beschrieben und typischen Informationsverarbeitungsprozessen zugeordnet, und Landmarken werden über ihre Funktion bei der jeweiligen Handlung identifiziert.

Zielsetzung dieser Arbeit soll eine formale Beschreibung von Landmarken und ihrer Funktion im genannten, spezifischen Handlungskontext sein. Weitergehend sollen sich Kriterien für die Modellierung einer landmarkenbasierten kartographischen Routendarstellung für Fußgänger ergeben. Die Erkenntnisse sollen für zukünftige Generierung von Fußgängernavigationssystemen zur Verfügung stehen.

1.3 Aufbau der Arbeit

Kapitel 2 gibt einen Überblick über bisher entwickelte kartographische Navigationssysteme aus den Bereichen der Geoinformatik und der Kartographie. Weitergehend werden Ansätze aus der Raumkognition zur Charakterisierung von Landmarken vorangestellt. Auf dieser Basis werden allgemeine Anforderungen an eine kontextadaptierte, kartographische Routendarstellung zusammengestellt.

Kapitel 3 beinhaltet Grundlagen zur Auswahl von kontextspezifischen Landmarken. Der konkrete Nutzungskontext eines Touristen, der sich zu Fuß durch einen ihm unbekannten städtischen Umgebungsraum bewegt und die Karte als Hilfsmittel nutzt, wird formal beschrieben. Dazu wird die Handlungstheorie nach Engeström (1978) herangezogen, welche den Handlungskontext mit Hilfe einzelner Parameter festgelegt. Der Handlungsprozess der zielgerichteten Fortbewegung durch den unbekannten Umgebungsraum wird in Handlungsphasen gegliedert und die Bedeutung von Landmarken wird für jede Handlungsphase abgeleitet.

Kapitel 4.1 beinhaltet handlungsspezifische Informationsverarbeitungsprozesse. Handlungen bei der Orientierung und Navigation werden in einzelne Teilprozesse differenziert und separiert betrachtet. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Prozesse der visuell-kognitiven Informationsverarbeitung gelegt. Aus diesen Betrachtungen werden Kriterien mit Einfluss auf die Landmarken-Auswahl abgeleitet.

In Kapitel 4.2 werden die Erkenntnisse der vorangegangenen Kapitel auf die kartographische Modellierung von Routenbeschreibungen übertragen. Ansätze für eine geeignete Präsenta-tion raumbezogener Informationen für den konkreten Kommunikationskontext werden erläutert, und Kriterien für eine nutzungsorientierte Routendarstellung werden formuliert. Abschließend werden in einer beispielhaften Route auftretende Landmarken ausgewählt und in mehreren Routenkarten dargestellt.

Die Ergebnisse werden in Kapitel 5 zusammengefasst und bewertet, und es wird ein Ausblick auf mögliche ergiebige Ansatzpunkte für weiterführende Untersuchungen und Überlegungen gegeben.

2. Ansätze zur Unterstützung der Fußgängernavigation

Mit Ansätzen zur Einbindung von Landmarken in Routen-Instruktionen für Fußgänger haben sich bereits unterschiedliche wissenschaftliche Forschungsbereiche beschäftigt. Die Ansätze stammen aus der Geoinformatik, der Kartographie, der Medientechnik und der Telekommunikation sowie der allgemeinen Psychologie und der Raumkognition. Im Folgenden werden ausgewählte Beiträge aus den genannten Bereichen näher vorgestellt und im Anschluss Anforderungen an die Einbindung von kontextspezifischen Landmarken in die kartographische Routendarstellung abgeleitet.

2.1 Stand der Entwicklungen kartographischer Fußgängernavigationssysteme

Bei der Orientierung und Navigation können Fußgänger in ihrer Umgebung mit Hilfe von mobilen Informationssystemen unterstützt werden. Karten mit Standort-, Strecken- und Routeneintragungen ermöglichen unter Anwendung von unterschiedlichen Perspektiven, Maßstäben und Raumausschnitten einen ständigen Abgleich zwischen der realen Umgebung und der Karte. Ziel dieses Abgleichs ist die mentale Verknüpfung aktueller räumlicher Merkmale mit den in der Karte angebotenen abstrakteren Informationen. Dieser Vorgang kann auch umgekehrt ablaufen, indem Orientierungsinformationen wie z.B. Entfernungsangaben aus Karten auf topologische Merkmale der realen Umgebung übertragen werden (Bollmann 2002).

Als erfolgreich umgesetztes Projekt zur Entwicklung von dynamischen, kontextspezifischen Karten für mobile Informationssysteme kann das Lol@-City Guide für die Innenstadt von Wien bezeichnet werden. Das Projekt Lol@ (Local Location Assistent) wurde im Jahr 2000 am Institut für Kartographie und Geo-Medientechnik in Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Telekommunikation Wien (ftw) gestartet und 2003 abgeschlossen. Das System, implementiert auf einem PDA oder Mobiltelefon, führt Touristen entlang von vorgegebenen Routen durch die Wiener Innenstadt oder alternativ von einem beliebigen Standort zu einer Sehenswürdigkeit. Dazu wurden neue Konzepte für eine effiziente Fußgängernavigation entwickelt und neben Points of Interest (POIs) Landmarken in die Routendarstellung integriert. So wurden markante Sichten oder auffällige Objekte im Straßenbild für eine bessere Orientierung am Standort eingebunden. Um die Orientierung während der Fortbewegung zu unterstützen, wurden weitere Landmarken entlang der vordefinierten Routen eingebunden. An mehrdeutigen Entscheidungspunkten, wie z. B. Kreuzungen, wurde dem Nutzer die Möglichkeit gegeben, ein Panoramafoto zur Orientierung heranzuziehen. Auf diese Weise kann bei jeder Richtungsänderung ein Foto der Umgebung eingeblendet und die zu beschreitende Richtung mit Hilfe eines Pfeils angezeigt werden (Gartner et al. 2003).

Im EU-Projekt CRUMPET (Creation of User-friendly Mobile Services personalised for Tourism) des European Media Laboratory (EML) in Heidelberg stehen Kontextparameter wie individuelle Interessen, kulturelle Prägung, Vertrautheit des Nutzers mit der Umgebung sowie individuelle Fähigkeiten und physische Konditionen im Vordergrund. Ziel ist es, personalisierte, kartographische Routendarstellungen in Echtzeit zu generieren. Die auszuführende Handlung, die Merkmale und Eigenschaften der Umgebung, wie Steigungen und Höhenunterschiede, das Wetter sowie die technischen Konditionen des mobilen Endgerätes werden als weitere Kontextparameter berücksichtigt (Zipf und Richter 2002). Der Parameter Kultur wird anhand des Merkmals Farbe und damit verbundenen kulturellen Assoziationen näher betrachtet. Karten sollen nutzerspezifisch in bestimmter Farbgebung und Stilrichtung generiert werden, um die Erfassung von navigationsrelevanten Sachverhalten zu erleichtern. Zu einer weiterführenden Personalisierung von Karten wird im Projekt ein Nutzermodell entwickelt, dass demographische Daten wie Heimatland, Alter usw. und Interessen des Nutzers speichert (Zipf 2002).

Am Fraunhofer Institut für angewandte Informationstechnik (FIT) in Sankt Augustin und Aachen wird innerhalb des Projektes SAiMotion (Situation Awareness in Motion) ein mobiles Informationssystem mit dem Schwerpunkt der adaptiven Kartenvisualisierung entwickelt. Das System soll personalisierte und an die spezifische Nutzungssituation angepasste Informationen anbieten. Dazu werden neben Standortmerkmalen auch Nutzer- und Handlungsmerkmale der aktuellen Situation ausgewertet, wie z.B. die Tageszeit der Nutzung oder der Geräuschpegel in der bestimmten Umgebung. Bei der Entwicklung orientiert man sich am Paradigma des User-centred Designs (ISO 13407 1999), d.h. der Nutzer und seine Handlung stehen von Beginn an im Mittelpunkt. Weitergehend werden bei der Entwicklung Szenarien genutzt, welche typische Nutzungssituationen und Handlungsabläufe konkret beschreiben. Ziel ist es, den Nutzer während einzelner raumbezogener Handlungsphasen, z.B. bei der zielgerichteten Fortbewegung, zu unterstützen. Dazu gehören neben relevanten Routing- und Navigationsinformationen auch Hinweise auf notwendigerweise durchzuführende Handlungsschritte (Heidmann und Hermann 2003).

Das EU-Projekt GiMoDig (Geospatial info-mobility service by real-time-data-integration and generalisation) an der Universität Hannover startete 2001 und beschäftigt sich ebenfalls mit der Generierung von kontextspezifischen Karten. Die Anwendung soll auf getesteten, prototypischen Nutzerszenarien basieren. Ziel ist es, für verschiedene Fortbewegungsmodi, wie Autofahren, Fahrradfahren oder zu Fuß gehen, geeignete Verfahren zu entwickeln. Die Routendarstellung wird auf diese Weise an die Bedürfnisse des Nutzers und seinen jeweiligen Fortbewegungsmodus angepasst. Ein weiteres Ziel besteht in der Bereitstellung einer Geodaten-Infrastruktur, welche den Zugriff auf die nationalen Geodatenbestände von jedem Ort in Europa ermöglicht. Der Nutzer kann sich dadurch an jedem beliebigen Ort aufhalten und erhält für sein mobiles Hilfsgerät raumbezogene Karten mit dem gewünschten Inhalt. Der GiMoDig-Dienst soll als Schnittstellte zwischen der Datenbank und dem Anwender fungieren, welcher die gewünschten Daten in Echtzeit, d.h. zum Zeitpunkt ihrer Benutzung, aufbereitet und an den Nutzer überträgt (Hampe und Sester 2003).

Das Institut für Kartographie und Geomatik an der Universität Hannover (IKG) untersucht Geoobjekte hinsichtlich ihrer Eignung als Landmarke für die standortspezifische, kartographische Routendarstellung (Elias und Sester 2003). Dazu werden Geoobjekte aus topographischen Datenbeständen europäischer Landesvermessungen (ATKIS, ALK) systematisch untersucht und qualitativ bewertet, d.h. als verzichtbare oder unverzichtbare Hilfe für die Wegbeschreibung eingestuft. Die Beschreibung der Geoobjekte erfolgt anhand von Kriterien wie Größe, Sichtbarkeit, Typ, Form oder Nachbarschaften, wobei der Informationsgehalt eines Geoobjektes mit der Anzahl von selten auftretenden Eigenschaften steigt. Diese Methode der semantischen Generalisierung identifiziert Landmarken jeweils im Vergleich zu den sie umgebenden Objekten im Raum. Ziel ist eine automatisierte Einbindung von Landmarken in kartographische Routendarstellungen. Weitergehend beschäftigt sich das IKG mit der Entwicklung eines Landmarken-Kataloges auf Basis des ATKIS-Objektkartenkataloges. Dazu werden Bewertungsmaße für die Qualität von Landmarken entwickelt, und neben standortspezifischen Einflussfaktoren werden dabei weitere Kontextfaktoren wie Zeitpunkt der Nutzung, Ziel der Fortbewegung, Fortbewegungsmodus und Bildungsstand des Nutzers berücksichtigt (Elias und Hampe 2003).

Einen weiteren Ansatz zur qualitativen Bewertung von Geoobjekten hinsichtlich ihrer Eignung als Landmarke für die Routenbeschreibung entwickelte die Geoinformatik der Technischen Universität Wien (Raubal und Winter 2002). Als Objektmerkmale, welche die Qualität von Geoobjekten erhöhen, wurden nach Sorrows und Hirtle (1999) strukturelle, visuelle und semantische Kriterien unterschieden. Jedes Kriterium wurde mit Werten belegt, sodass sich jedem Geoobjekt ein Wert zuordnen ließ, welcher dessen Qualität in Zahlen ausdrückt. Von struktureller Bedeutung zeigten sich Landmarken an einem besonders bedeutenden Standort in der räumlichen Umgebung, wie z.B. der Marktplatz einer Stadt. Verkehrsknoten wurden über ihre ein- und ausgehenden Straßen gewichtet, Barrieren nach der benötigten Energie zu deren Überwindung. Ein Beispiel für ein visuelles Kriterium gibt der visuelle Reiz, den ein räumliches Objekt ausübt. Visuelle Reize können durch einen scharfen Kontrast zu benachbarten Objekten ausgelöst werden. Differenzierter wurden Gebäude und ihre Merkmale Fassade, Form, Farbe und Sichtbarkeit betrachtet. Die Fassadenfläche wurde objektiv und einfach über die Formel Breite x Höhe berechnet, während die Farbe eines Gebäudes über ein Farbsystem bestimmt werden musste. Dabei wurde auf die Bestimmung des Sättigungsgrades verzichtet und aufgrund von Schwierigkeiten bei der Farbbestimmung durch Beleuchtung, Reflexion, Absorption und unterschiedliche Wahrnehmungsfähigkeiten des Sehsinns nur bei Tageslicht gemessen. Eine objektive und vollständige Bewertung dieses Faktors ist demnach mit Schwierigkeiten verbunden. Der semantische Reiz wurde über die kulturelle und historische Bedeutung oder explizite Markierungen, z.B. an der Front von Gebäuden, bestimmt. Bei der Bewertung von Gebäuden wurde deutlich, dass einzelne Faktoren miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen. So wird ein Gebäude mit historischer Bedeutung wird in den meisten Fällen einen erhöhten Sichtbarkeitswert aufweisen, da es sich durch eine besondere Architektur und Markierungen an der Front ausweist.

Der vorgestellte Ansatz von Raubal und Winter wurde durch eine empirische Untersuchung ergänzt. Die Nutzung der aufgestellten Kriterien bei der Auswahl markanter Geoobjekte zur Orientierung wurde unter spezifischen Kontextparametern wie Ort, Zeit und Bewegungsmodus getestet (Winter, Nothegger und Raubal 2004). Probanden sollten sich vorerst bei Tageslicht zu Fuß durch eine städtische Umgebung mit hoher Bebauungsdichte bewegen und hervorstechende Gebäude zur Orientierung auswählen. Der zweite Durchgang wurde bei Dunkelheit durchgeführt. Das Variieren des Kontextparameters Tageszeit ergab unterschiedliche Ergebnisse: die Probanden selektierten in Abhängigkeit von der Tageszeit unterschiedliche Landmarken. Während sich die Aufmerksamkeit bei Tageslicht vorrangig auf das Kriterium der Form richtete, konzentrierten sie sich bei Dunkelheit vorrangig auf die Nutzung der Gebäude. Begründet wurde dieses Ergebnis damit, dass Gebäude bei Dunkelheit einen geringeren Sichtbarkeitswert aufweisen, d.h. die Form der Gebäude schlechter erkennbar ist als tagsüber, und dass die Gebäudenutzung unmittelbar mit deren Beleuchtung zusammenhängt. Es bleibt nun zu untersuchen, welche Kriterien zur Landmarkenauswahl im konkreten Nutzungskontext herangezogen werden können.

2.2 Erkenntnisse der Raumkognition zur Entwicklung von Navigationssystemen für Fußgänger

In den 1970er Jahren wurde in den Kognitionswissenschaften der Begriff Wegfinden geprägt. Auch in der Kartographie wird der Begriff heute verwendet und bezeichnet einen „ konzeptuellen Prozess, der die Auswahl eines geeigneten Weges zwischen einem Startpunkt und einem Zielpunkt und das Verfolgen dieses Weges beinhaltet “ (Klippel 2002, S. 422). Wegfinden vollzieht sich während einer Bewegung im Raum und fasst hier sämtliche mentale Prozesse zusammen, die beim Lösen von Aufgaben im Raum ablaufen. Das Treffen von Entscheidungen beim Wegfinden in einem unbekannten Umgebungsraum beruht auf der Abfrage von extern repräsentiertem Wissen, z.B. in Form einer Karte (a. a. O.).

Orientierung besteht aus kognitionswissenschaftlicher Perspektive darin, zu wissen, wo man sich befindet. Dabei können Präzision und Umfang dieses Wissens in Abhängigkeit von unterschiedlichen Situationen und Personen stark variieren (Montello 2001). In der Kartographie bedeutet das Orientieren im weiteren Sinne, dass Objekte lage-, höhen- und richtungsmäßig zugeordnet werden. Das Zuordnen vollzieht sich in einem vorgegebenen Bezugssystem, wie beispielsweise Richtungen im Umgebungsraum nach den Himmelsrichtungen festgelegt werden können. Orientieren bedeutet auch das Ausrichten von auf Karten dargestellten Objekten zur realen topographischen Situation (Stams und Löbel 2002). Das Orientieren kann folglich als Teil des Wegfindens angesehen werden, d.h. beim Wegfinden finden unter anderem Prozesse des Orientierens statt.

Während sich das Wegfinden eindeutig auf die mentale Ebene räumlicher Problemlöse-prozesse bezieht, schließt das Navigieren mentale und motorische Handlungen ein. Darken (1997) setzt die Handlung des Navigierens zu der des Wegfindens in Beziehung. Danach steht Navigieren im physischen Umgebungsraum aus einer kognitiven Komponente, welche häufig als Wegfinden bezeichnet wird, und einer motorischen Komponente, welche der physischen Fortbewegung entspricht. Die mentalen Aktivitäten werden eindeutig dem Wegfinden zugeordnet: „We know that what we often refer to as navigation is not merely physical translation through a space, termed locomotion or travel, but that there is also a cognitive element, often refered to as wayfinding, that involves issues such as mental representations, route planning, and distance estimation“ (Darken, Allard und Alliche 1999, S. 1). Navigation wird in der Kartographie als Bewegung im Raum verstanden, die mit einer Standortbestimmung und einer Streckenauswahl in Verbindung steht. Der Begriff beinhaltet zusätzlich das Führen und Leiten, z.B. von Fahrzeugen, durch den Raum. Zur Unterstützung der raumbezogenen Navigation werden kartographische Informationssysteme entwickelt (Müller 2002).

Mit der Rolle von Landmarken beim Prozess des Wegfindens haben sich ebenfalls bereits zahlreiche Beiträge auseinandergesetzt. Um sich in seiner Umgebung zurechtzufinden, muss der Mensch in der Lage sein, seine Umwelt zu strukturieren. Lynch (1960) hat eine Klassifizierung von Grundelementen räumlichen Wissens vorgenommen und städtische Raumelemente in Landmarken, Pfade, Kanten, Bezirke und Knotenpunkte gegliedert. Ausgehend von der Annahme in der Entwicklungspsychologie, dass räumliches Wissen in Entwicklungsstufen angeeignet wird (Piaget 1960 und 1966, Bruner 1966, Hart and Moore 1973 u.a.), ging daraus in der Raumkognition die Unterscheidung von Landmarkenwissen, Routenwissen und Überblickswissen hervor (Golledge 1999). In ähnlicher Weise haben Siegel und White (1975) ein Dreiphasenmodell für die Raumentwicklung erstellt. Die erste Phase beinhaltet das Erlernen von Landmarken als Bezugspunkte im Raum. Diese spielen in der zweiten Phase als Entscheidungspunkte für Wegsegmente eine wichtige Rolle. Sie werden genutzt, um Routenwissen zu bilden. In der dritten Phase entstehen als Produkt der Wegekarten Übersichtskarten mit koordiniertem Bezugssystem. Landmarken werden genutzt, um sich im Raum orientieren zu können. Demnach kommt den Landmarken beim Erwerb räumlichen Wissens eine fundamentale Rolle zu. Räumliches Wissen wird in den meisten Fällen direkt, d.h. durch Eigenbewegung im Raum, erfahren, wobei Landmarken und ihre Beziehungen zueinander erlernt werden.

Landmarken erhalten nach dieser Betrachtungsweise eine sehr allgemeine Definition und werden als Ankerpunkte und Merkzeichen im Raum beschrieben, welche einerseits zur Strukturierung des Raumes, andererseits als Navigationshilfsmittel bei der Bewegung durch den Raum genutzt werden. Sie helfen, die Orientierung zum Ziel bereitzustellen und die Route in der Außenwelt zu verifizieren. Demnach beziehen sich Landmarken auf jeden beliebigen Orientierungspunkt im Raum (Golledge 1999). Im Allgemeinen fordern Autoren aus dem Bereich der Raumkognition jedoch eine präzisere Landmarken-Definition. Im Folgenden werden Ansätze zu einer engeren Definition von Landmarken und ihrer Funktion im Wegfindungs-Prozess vorgestellt.

In der „Ankerpunkt-Theorie“ (Couclelis et al. 1987) wird davon ausgegangen, dass eine Reihe von primären Ankerpunkten im Raum existiert. Dabei handelt es sich um diejenigen Punkte, welche sich am stärksten von der Umgebung abgrenzen und am bekanntesten sind. Nach einer weiteren Definition von Sorrows und Hirtle (1999) werden Landmarken als auffällige, klar erkennbare Merkmale einer Umgebung aufgefasst, welche ein Individuum bei der Bestimmung seines Standortes und seines Ziels unterstützen. Sie kategorisieren Landmarken mit auffälligen visuellen Merkmalen wie z.B. den visuellen Kontrast zu benachbarten Objekten, mit besonderen strukturellen Merkmalen, wie beispielsweise eine zentrale räumliche Lage, und mit einzigartiger Funktion, welche einem besonderen Nutzen oder einer besonderen Bedeutung entspricht. Je mehr Qualitäten ein räumliches Objekt aufweist, desto stärker zeichnet es sich als Landmarke aus. Nach Appleyard (1969) lassen sich Objekte einer Umgebung aufgrund ihres Inhalts, ihrer Nutzung oder ihrer kulturellen Bedeutung als Landmarken auszeichnen. So kann ein Gebäude aufgrund seiner historischen Bedeutung eine Landmarke sein.

Ruddle und Payne (1997) untersuchten die Bedeutung von Landmarken beim Erlernen von Routen. Probanden, die eine Aufgabe in einer mit Landmarken versehenen Umgebung lösen sollten, benötigten im Vergleich zu Probanden in einer Umgebung ohne Landmarken etwas weniger Zeit. Die Unterschiede waren jedoch gering. Im Gegensatz zu diesem Ergebnis berichteten die Probanden in Befragungen, dass sie aktiv Landmarken nutzen, besonders um Assoziationen mit spezifischen Standorten in der Umgebung zu bilden.

Mallot und Steck (2000) untersuchten die Funktion von Landmarken beim Prozess des Wegfindens. Nach Lynch (1960) unterschieden sie dabei zwischen lokalen und globalen Landmarken. Als globale Landmarken werden entfernte räumliche Objekte wie Türme oder Bergspitzen genannt, welche über ein großes Areal gesehen werden können. Lokale Landmarken sind nur aus der Nähe zu sehen. Sie befinden sich auf oder in unmittelbarer Nähe der zu beschreitenden Route und unterstützen das schrittweise Navigieren. Die Untersuchungen beschränkten sich auf die visuelle Landmarken-Navigation und ergaben, dass einige Probanden lokale Landmarken beim Navigieren durch den Raum bevorzugten, während andere sich auf globale Landmarken konzentrierten. Eine dritte Gruppe von Probanden nutzte lokale und globale Landmarken in Kombination. Im Gegensatz zu einigen früheren Arbeiten ergaben die Ergebnisse der Untersuchungen eindeutig, dass Landmarken beim Wegfinden genutzt werden und eine bedeutende Rolle spielen. Dabei ist die Funktion der jeweiligen Landmarken abhängig davon, wofür der Akteur das jeweilige Raumobjekt benutzt. So kann dasselbe Objekt in unterschiedlichen Handlungsphasen in der Funktion einer globalen oder lokalen Landmarke herangezogen werden. Es stellt sich also die Frage, wie Individuen eine Landmarke für eine bestimmte Entscheidung selektieren. Visuelle Merkmale von Objekten scheinen die Selektion in erster Linie zu beeinflussen. So wird eine lokale Landmarke bevorzugt, wenn sie von benachbarten Objekten einfach und deutlich zu unterscheiden ist, während bei weniger deutlichen Unterschieden zwischen lokalen Objekten globale Landmarken bevorzugt werden. Zusätzlich scheint es individuelle Tendenzen zur Bevorzugung lokaler oder globaler Landmarken-Funktion zu geben (Mallot und Steck 2000).

Dass Landmarken in Routenbeschreibungen eingesetzt werden, haben jüngst mehrere Untersuchungen nachgewiesen (Tversky und Lee 1999, Werner et al. 1997, Daniel und Denis 1998, Lovelace et al. 1999). Generell besteht die Routenbeschreibung aus einer Reihe von Zwischen-Punkten, welche die Route in kürzere Segmente teilen. Richtungsänderungen werden mit den Landmarken an Anfang und Ende der Segmente in Verbindung gebracht. Weitere Studien haben ergeben, dass Landmarken vorzugsweise an Entscheidungspunkten ausgewählt werden (Habel 1988, Denis und Michon 2001). Neben den Informationen zu Richtungsänderungen kommt den Landmarken demnach eine wichtige Funktion beim Wegfinden zu (Freksa 2002).

Lovelace, Hegarty und Montello (1999) unterscheiden zwischen Landmarken an Entscheidungspunkten, an potenziellen Entscheidungspunkten sowie wegbegleitenden und entfernten Landmarken. Entscheidungspunkte erfordern eine Umorientierung, während diese an potenziellen Entscheidungspunkten möglich, für das weitere Verfolgen der Route aber nicht erforderlich ist. Wegbegleitende Landmarken gehören zu den lokalen Landmarken, befinden sich also auf der Route oder in unmittelbarer Nähe der Route, jedoch nicht an Entscheidungspunkten oder an potenziellen Entscheidungspunkten. Entfernte Landmarken befinden sich nicht in unmittelbarer Nähe der Route. Diese Einteilung von Landmarken-Typen wurde einer Untersuchung zur Qualität von verbalen Routenanweisungen in bekannter und unbekannter Umgebung zugrunde gelegt. Lokale Landmarken werden als Landmarken entlang der Route oder in unmittelbarer Nähe der Route definiert, welche sich an Entscheidungspunkten, an potenziellen Entscheidungspunkten oder zwischen Entscheidungspunkten befinden können. Weitergehend wurden Distanz-Landmarken unterschieden, welche von der Route entfernt liegen und in den meisten Fällen von der Route aus nicht unmittelbar sichtbar sind, wie z.B. eine Bergkette, das studentische Wohngebiet einer Stadt oder das Meer. Probanden wurden instruiert, Routen in bekannter und unbekannter Umgebung zu beschreiben. Dabei wurden vorkommende Elemente hinsichtlich ihrer Art und Häufigkeit der Erwähnung untersucht. Erwähnte Elemente waren Landmarken, Richtungsänderungen und Routensegmente, d.h. Teilstrecken von Routen, welche sich durch mindestens zwei Knotenpunkte abgrenzen. Außerdem sollten Probanden verschiedene Routenanweisungen qualitativ bewerten. So wurden einzelne Elemente bezüglich ihrer Güte subjektiv eingeschätzt.

Häufiges Erwähnen von Elementen in Routenanweisungen wurde unabhängig vom Bekanntheitsgrad der Route mit hoher Qualität bewertet. Im Ergebnis wurden längere Wegsegmente generell häufiger erwähnt als kürzere. Entsprechend fiel das Vorkommen von Landmarken in längeren Segmenten größer und in kürzeren Segmenten geringer aus. An Entscheidungspunkten mit nur einer eindeutigen Möglichkeit zur Richtungsänderung kamen Landmarken allgemein seltener vor. Routeninformationen fielen in begrenzten Gebieten, d.h. an Standorten mit Begrenzung des Weges durch Mauern oder Hecken, geringer aus. Folglich wurden Richtungsänderungen und einzelne Segmente seltener, Landmarken häufig überhaupt nicht erwähnt. Daraus lässt sich schließen, dass Standorte, an denen Richtungsänderungen oder Routensegmente selten oder gar nicht erwähnt werden, in den meisten Fällen solche sind, an denen die Information aufgrund von Hinweisen in der Umgebung unnötig ist. Der Standort der erwähnten Elemente kann demnach im Vergleich zur Anzahl der erwähnten Elemente als wichtiger angesehen werden (a. a. O.).

Unterschiedliche Landmarken-Typen stehen bei bekannter und unbekannter Umgebung in Beziehung zur Qualität von Routenanweisungen. Lokale Landmarken sind für beide Routen von gleich großer Relevanz. Unterschiede treten zwischen lokalen Landmarken an Entscheidungspunkten und an potenziellen Entscheidungspunkten auf. Landmarken an potenziellen Entscheidungspunkten sind überwiegend für bekannte Routen relevant, da sie bei der Auswahl alternativer Routen fungieren. Landmarken an Entscheidungspunkten treten dagegen besonders häufig bei unbekannten Routen auf. Diese Unterschiede resultieren aus dem Grad der Erfahrung mit der Umgebung, d.h. der zu Grunde liegenden räumlichen Repräsentation beim Erzeugen der Routenanweisung. Bei unbekannter Umgebung beschränken sich die Informationen auf Entscheidungspunkte und Richtungsänderungen an diesen Punkten. Deshalb können Landmarken an potenziellen Entscheidungspunkten für die Routenanweisung in unbekannter Umgebung vernachlässigt werden (a. a. O.).

In Routenanweisungen bei unbekannter Umgebung nehmen lokale Landmarken fast 50 Prozent aller erwähnten Landmarken ein und es besteht ein starker Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von lokalen Landmarken und der Qualität der Routenanweisung. Außerdem liegt über die Hälfte der erwähnten Landmarken zwischen Entscheidungspunkten. Das Vorkommen von Landmarken in Routenanweisungen hängt demnach von der Verfügbarkeit der Landmarken in der Umgebung, von eventuell gegebenen Begrenzungen oder Hinweisen des Weges, von gegebenen potenziellen Entscheidungen der spezifischen Route und von den in der räumlichen Repräsentation verfügbaren Landmarken ab (Lovelace, Hegarty und Montello 1999). Die Qualität einer Routenanweisung ist zusammenfassend abhängig von der Art der vorkommenden Elemente und von der Häufigkeit des Vorkommens, wobei die beiden Kategorien der Landmarken an Entscheidungspunkten und der wegbegleitenden Landmarken überwiegend in Routenanweisungen verwendet wurden.

2.3 Anforderungen an eine landmarkenbasierte kartographische Routendarstellung

Die beiden Informationsquellen Karte und reale Umgebung werden durch mentales, räumliches Wissen überlagert, welches im unbekannten Umgebungsraum aus früheren Erfahrungen bei der Bewegung durch den Raum stammt. Das räumliche Wissen wird unmittelbar während des Wegfindungs- oder Navigationsprozesses reproduziert, was während einzelner Handlungsschritte, beispielsweise beim Erreichen eines Wegabschnitts oder bei der visuellen Aufnahme bestimmter räumlicher Merkmale, geschieht (Bollmann 2002). Karten sollen die kognitiven Informationsverarbeitungsprozesse sowie den Abgleich zwischen der realen Umgebung und der inneren Raumvorstellung erleichtern. Dabei sind die jeweilige mobile Nutzungssituation und die sie beeinflussenden Parameter zu berücksichtigen. Um die Routendarstellung nutzerfreundlich auszurichten und Landmarken adaptiert an die konkrete Nutzungssituation einzubinden, sollen in dieser Arbeit Handlungen des Wegfindens und Navigierens in Verbindung mit informationsverarbeitenden Prozessen innerhalb des festgelegten Handlungskontextes formal beschrieben werden. Der kartographische Anwendungsbereich der Orientierung und Navigation ist dazu klar abzugrenzen. Auf diese Weise sollen Nutzeranforderungen und handlungsspezifische Informationsbedürfnisse abgeleitet und formuliert werden. Folgende Schritte sind deshalb in Vorbereitung zur kartographischen Modellierung durchzuführen:

- Festlegen von Handlungskontext und beeinflussenden Parametern,
- Formales Beschreiben von Handlungen und Operationen bei der Bewegung durch den Raum,
- Zuordnen von unterstützenden Landmarken zu unterschiedlichen Handlungen.

Adaptiert an den spezifischen Informationsbedarf einzelner Wegfindungsphasen sollen Landmarken eingebunden werden, um den Nutzer beim Abgleich von realer Rauminformation und Karteninformation zu unterstützen. Dabei spielen die Menge der erwähnten Landmarken, ihre Merkmale sowie die Menge ihrer Merkmale eine bedeutende Rolle. In Abhängigkeit von ihrer Funktion werden unterschiedliche Objekte als Landmarken beschrieben und beispielhaft dargestellt. Im Anschluss folgen eine Klassifizierung der Landmarken in Abhängigkeit von ihrer Funktion sowie eine Zuordnung zu einzelnen Handlungsphasen. Insgesamt sollen bei der kartographischen Modellierung der landmarkenbasierten Routenkarte folgende Anforderungen berücksichtigt werden:

- Bereitstellen von kontextorientierter Information,
- Bereitstellen von unterstützender Information für die jeweils auszuführende Handlung,
- Unterstützen bei der Informationsentnahme aus der Karte,
- Vereinfachen des Abgleichs von realer Rauminformation und Karteninformation,
- Betonen von wesentlichen Informationen und Zurückstellen von unwesentlichen Informationen,
- Hervorheben von Landmarken als wichtige Routenelemente.

Kartographische Beiträge hinsichtlich der Anforderungen an eine nutzungsorientierte Modellierung werden in Kapitel 4.1 vorgestellt.

3. Grundlagen zur Ableitung kontextspezifischer Landmarken

Die Kartographie beschäftigt sich mit der grundlegenden Aufgabe, zur Unterstützung von raumbezogenen Handlungen adäquate Informationen für verschiedene Nutzer in hierfür geeigneter visueller Form bereitzustellen. Um die gewünschten Informationen anbieten zu können, ist es erforderlich, das Ziel und die damit verbundenen Handlungen in der Umwelt zu kennen. Die Karte soll die Entnahme von Informationen aus der Umwelt sowie deren gedanklichen Abgleich mit der Realität unterstützen (Tainz 2002). Es stellt sich also die Frage, welche Handlungen in der realen Umgebung und welche Handlungen in der Karte zum Erreichen des jeweiligen Ziels erforderlich sind.

Das Handlungsziel und die Festlegung des Handlungskontextes sollen Inhalt des Kapitels 3.1 sein. Auf Basis der Handlungstheorie werden einzelne Handlungsparameter formal beschrieben, und es ergibt sich ein spezifischer Handlungskontext als übergeordneter Rahmen für verschiedene Handlungsphasen und spezifische Handlungssituationen beim Wegfinden. Einzelnen Wegfindungsphasen werden allgemeine und spezifische Handlungen zugeordnet.

3.1 Das kartographische Handlungsfeld der Orientierung und Navigation

Bei der Kommunikation von Geoinformation in mobilen Nutzungssituationen besteht eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen einzelnen Komponenten: Geodaten werden mittels Geoinformationen verarbeitet, um Nutzerwissen zu erzeugen. Auf Seiten des Nutzers erzeugen Wissensdefizite eine Intention zur Angleichung bestimmter Soll-Werte an Ist-Werte. Um die Angleichung vorzunehmen, sind die geeigneten Geoinformationen auf Nutzeranfrage bereitzustellen. Wurde nach Abschätzung des Nutzers die Differenz zwischen Soll- und Ist-Werten nicht oder nicht vollständig behoben, erfolgt eine erneute Anfrage an das mobile Geoinformationssystem (Buziek 2002). Diesen Vorgang zeigt Abbildung 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.1: Modell zur Angleichung von Ist- und Soll-Werten (verändert nach Buziek 2002, S. 62)

Konzepte der Kartennutzung (z.B. Bollmann 1996, Freitag 2002) weisen auf Handlungen als wichtiges, leitendes Element im kartographischen Informationsverarbeitungsprozess hin. Raumbezogene Handlungsprozesse werden dabei hinsichtlich ihres spezifischen Informationsbedarfs formal beschrieben und systematisch typischen Nutzungssituationen mit feststehenden Merkmalen und Regeln zugeordnet. Es ergeben sich kartographische Handlungsfelder, welche die Grundlage zur Unterstützung von georäumlichen Handlungen durch kartographische Medien bilden. Aufgrund des spezifischen Informationsbedarfs und Informationsaustausches im Rahmen des Ablaufs einer raumbezogenen Handlung wurde das kartographische Handlungsfeld der Orientierung und Navigation abgegrenzt (Bollmann 2002), welches Abbildung 2 veranschaulicht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Das kartographische Handlungsfeld der Orientierung und Navigation (verändert nach Bollmann 2002)

Handlungen der Orientierung und Navigation finden bei der individuellen Fortbewegung durch den Raum statt, wobei kartographische Medien die bei der zielgerichteten Fortbewegung auszuführenden Handlungen unterstützen können. Um den Nutzer entlang einer ausgewählten Route zu führen, müssen eine automatische Standort- und eine Routenbestimmung bereitgestellt werden. Zur Orientierung müssen der Standort des Nutzers, der Start- und der Zielort sowie die geeignete Route zur Erreichung des Zielortes visuell in der Karte aufgefunden werden. Der Abgleich zwischen der Karte und der realen Umgebung sollte durch Standort-, Strecken- und Routeneintragungen unterstützt werden. Außerdem sollten interaktive Werkzeuge für Perspektiven-, Maßstabs- und Ausschnittswechsel zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise können dem Nutzer Informationen über georäumliche Merkmale bereitgestellt werden, die außerhalb seines einsehbaren Raumausschnitts liegen (a. a. O.).

Der raumbezogene Handlungsprozess wird definiert als „ räumlich, inhaltlich und zeitlich koordinierte Abfolge von Handlungen in einem Handlungsraum, zu deren Strukturierung, Durchführung und Zielüberprüfung georäumliches Wissen und in der Regel kartographische Informationen erforderlich sind “ (Uthe und Bollmann 2002, S. 258). Handlungsabläufe lassen sich nach diesem Ansatz in Phasen unterteilen, welche auf jeweils spezifischem Wissen beruhen und zu separaten Handlungsergebnissen bzw. Entscheidungen führen. Der Handlungsprozess der Nutzung von Karten und interaktiven kartenbasierten Informationssystemen ist gleichzeitig von Dransch (2002) beschrieben worden. Karten werden hierbei als Hilfsmittel zum Erreichen bestimmter Handlungsziele definiert. Abbildung 3 veranschaulicht den Handlungsprozess in einzelnen Phasen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3: Modell des kartographischen Handlungsprozesses (verändert nach Dransch 2002, S. 22)

3.2 Handlungstheoretische Grundlagen

Wissenschaftliche Disziplinen, die sich mit menschlichen Handlungen beschäftigen, wie z.B. die Psychologie, die Soziologie, die Geographie, die Informatik und die Kartographie (Dransch 2002), beschreiben das menschliche Handeln und analysieren mit Handlungen verbundene Informationsverarbeitungsprozesse. Die Handlung steht dabei immer als bewusste und zielgerichtete Tätigkeit im Mittelpunkt der Untersuchungen. Die Handlungstheorie nach Engeström (1987) enthält Grundprinzipien zur Erklärung des menschlichen Handelns und stellt weiterhin kontextbeeinflussende Parameter in geordneter Form vor. Diese Parameter können herangezogen werden, um den Kontext unterschiedlicher raumbezogener Handlungen zu beschreiben. Kartographische Informationssysteme lassen sich auf diese Weise auf wechselnde Bedürfnisse von Nutzern in unterschiedlichen Nutzungssituationen ausrichten (Dransch 2002). Das formale Beschreiben der Kontextparameter soll helfen, die kartographische Routendarstellung adaptiert an spezifische Nutzungssituationen des Fußgängers in einem unbekannten Umgebungsraum zu generieren.

Im Folgenden wird der Handlungskontext eines Fußgängers beim Wegfinden und beim Navigieren durch den Raum auf Grundlage der Handlungstheorie formal beschrieben. Dazu werden der Handlungskontext und einzelne Handlungskomponenten beschrieben.

3.3 Der spezifische Handlungskontext des Fußgängers

Mobile Aktivitäten sind nicht isoliert, sondern in einen sozialen Kontext integriert. Der Kontext beeinflusst die Aktivitäten als ein äußerer Rahmen. Dix (2000) unterscheidet nach Art der notwendigen Information in einen Domain-Kontext, einen technischen und einen physikalischen Kontext. Der Domain-Kontext umfasst alle Parameter der Handlungstheorie und wird deshalb im Folgenden Handlungskontext genannt, während der technische und der physikalische Kontext separat erläutert werden.

Nach Engeström (1987) wird der Handlungskontext als Netzwerk verschiedener Parameter verstanden, welche einander beeinflussen. Handlungsbeeinflussende Parameter sind

die Handlung, das Artefakt, der Handelnde, seine Gemeinschaft sowie seine Rolle in der Gemeinschaft und die damit verbundenen Regeln (siehe Abb.4). Die festgelegten Parameter wurden für die Kartographie durch den Parameter Raum ergänzt (Dransch 2002). Auf Basis der genannten Parameter soll nun der Kontext für Handlungen des Wegfindens beschrieben werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Parameter der Handlungstheorie (nach Engeström 1987)

Im Bereich der Kartographie versteht Reichenbacher (2004, S.72) den Handlungskontext als „ allgemeines Konzept, welches spezifische Dimensionen wie Situation, Nutzer, Handlungen, Informationen und System umfasst “. Alle Parameter weisen untereinander komplexe Beziehungen auf, wobei der wichtigste Parameter in Hinsicht auf den mobilen Nutzer der Standort ist. Weitergehend betont Reichenbacher den Unterschied zwischen Kontext und Situation und beschreibt den Kontext ist als übergeordnetes Konzept, welches die spezifischen Parameter umfasst. Die Situation als ein Parameter des Kontextes versteht sich als Funktion von Standort und Zeit, d.h. der Handelnde befindet sich in einem räumlich-zeitlichen Referenzsystem, welches mit den restlichen Kontextparametern in Verbindung steht. Die aktuelle Situation des Akteurs führt somit auf den Kontext zurück. Die Adaption von kartographischen Darstellungen kann unmittelbar nur an die aktuelle Situation erfolgen, d.h. an den jeweiligen Standort, die jeweilige Zeit oder in einer allgemeineren Art und Weise an den übergeordneten Kontext (vgl. Reichenbacher 2004).

3.3.1 Mentale und physische Handlungen

Generell wird als Handlung die „ gedankliche oder materielle Tätigkeit von Individuen zur Erreichung eines Handlungsziels “ (Uthe 2002, S. 365) verstanden. Sie wird ausgeführt, um eine Situation zu verändern oder ein Ziel zu erreichen und deshalb als bewusst und zielgerichtet beschrieben. Ein Ziel kann z.B. sein, den Weg zu einem bestimmten Standort zu finden, wobei sich einige untergeordnete Ziele ergeben, wie z.B. das Herstellen der Orientierung, das Finden von Personen oder Objekten sowie das Finden des Weges zu einem Objekt. Die Handlung kann entsprechend den Unterzielen in mehrere untergeordnete Handlungsschritte unterteilt werden, welche sequentiell organisiert, d.h. aufeinander folgend ablaufen. Eine untergeordnete Handlung besteht wiederum aus einer oder mehreren Operationen, welche unbewusst ausgeführt werden. Operationen als unbewusste Aspekte einer Handlung beziehen sich darauf, wie diese Handlung ausgeführt wird (Bödker 1991).

Handlungen des Navigierens beziehen sich in erster Linie auf die Bewegungsführung, d.h. auf das Führen des eigenen Körpers durch den Raum im Hinblick auf lokale sensomotorische Information der unmittelbaren Umgebung. Dem lassen sich Operationen wie das Identifizieren von unterstützenden Objektmerkmalen, das Ausweichen vor Hindernissen und das Bewegen in Richtung von sichtbaren Landmarken zuordnen. Das Navigieren kann zu einem physischen Standortwechsel im Umgebungsraum führen (Montello 2001). Beim Navigieren im Raum können einerseits motorische Handlungen differenziert werden, wie z.B. die Fortbewegung, und andererseits mentale Handlungen, womit die kognitiven Prozesse beim Wegfinden verbunden sind. Die motorischen Handlungen spielen für das Verfolgen der gewählten Route eine untergeordnete Rolle, da sie in den meisten Fällen routiniert ablaufen. Beispielsweise läuft das Gehen eines Fußgängers in routinierter Weise ab, d.h. der Akteur muss sich nicht darauf konzentrieren, ein Bein vor das andere zu setzen. Um einen gewünschten Zielpunkt in einer neuen Umgebung zu erreichen, sind die Aufnahme, das Verarbeiten und das Abrufen von räumlichen Informationen erforderlich. Beim Navigieren sind demnach die mentalen Prozesse der Informationsverarbeitung entscheidend, welche im Folgenden differenzierter betrachtet werden sollen.

Das Wegfinden ist die Fortbewegung zu einem spezifischen Ziel, welches entfernt ist, und deshalb nicht direkt vom Fußgänger wahrgenommen werden kann. Handlungen beim Wegfinden belaufen sich auf die Interaktionen zwischen dem Fußgänger und den Attributen der Umgebung (Allen 1999). Aus kartographischer Sicht bezeichnet Wegfinden einen „ konzeptuellen Prozess, der die Auswahl eines geeigneten Weges zwischen einem Startpunkt und einem Zielpunkt und das Verfolgen diese Weges beinhaltet “ (Klippel 2002, S. 422). Es beinhaltet das Planen der Fortbewegung, das Aktualisieren des Standorts, das Orientieren während der Fortbewegung sowie das Reorientieren und Wiederaufnehmen der Bewegung in Richtung Ziel nach Abkommen von der Route (Loomis et al 1999) und wird von Prozessen zur Auswahl des Weges bestimmt. Diese beziehen sich auf das Planen und Treffen von Entscheidungen, welche zum Erreichen eines Zielpunktes führen.

3.3.2 Das Artefakt

Das Artefakt bezeichnet das Hilfsmittel, welches zur Ausführung von Handlunglungen herangezogen wird. Navigationssysteme werden vom Nutzer als Artefakt verwendet, um eine verbesserte Umsetzung räumlicher Handlungen zu ermöglichen. Freksa (1999) bezeichnet die Handlung des Wegfindens als Prozess, der die Kommunikation von räumlichem Wissen beinhaltet, der kognitive Leistung erfordert, und somit Unterstützung benötigt, um diesen Aufwand zu reduzieren. Dabei werden Handlungen im realen Raum sowie im Kartenraum notwendig. Das Handlungsziel im realen Raum wird mit Hilfe von kartenbasierten mobilen Geodiensten verfolgt, wie z. B. beim Navigieren vom aktuellen Standort zum Zielort. Handlungen wie das Orientieren, das Finden von spezifischen Objekten und das Fortbewegen sind demnach in der Karte sowie in der realen Umgebung notwendig (Reichenbacher 2004). Mobile Geodienste als Artefakte müssen beide Handlungstypen sowie alle Ziele und Unterziele unterstützen.

3.3.3 Der Handelnde und seine Rolle in der Gemeinschaft

Der Handelnde wird in erster Linie über seine Tätigkeit bestimmt. Eine handelnde Person, die ein bestimmtes Ziel erreichen möchte, gehört zu einer Gemeinschaft mit Regeln (Dransch 2005) und wird fortan als Akteur bezeichnet. Als Akteur mit spezifischem Handlungsziel gehört auch der Fußgänger zu einer Gemeinschaft mit Regeln. Er ist ein Verkehrsteilnehmer, der sich deshalb nach § 25 der deutschen Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) nach einigen Vorschriften richten muss. Die für die innenstädtische Fortbewegung relevanten Vorschriften sind:

(1) Fußgänger müssen die Gehwege benutzen. Auf der Fahrbahn dürfen sie nur
gehen, wenn die Straße weder einen Gehweg noch einen Seitenstreifen hat. Benutzen
sie die Fahrbahn, so müssen sie innerhalb geschlossener Ortschaften am rechten oder
linken Fahrbahnrand gehen; (...).
(3) Fußgänger haben Fahrbahnen unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs zügig auf dem
kürzesten Weg quer zur Fahrtrichtung zu überschreiten, und zwar, wenn die Verkehrsla-
ge es erfordert, nur an Kreuzungen oder Einmündungen, an Lichtzeichenanlagen inner-
halb von Markierungen oder auf Fußgängerüberwegen (...). Wird die Fahrbahn an Kreu-
zungen oder Einmündungen überschritten, so sind dort angebrachte Fußgängerüber-
wege oder Markierungen an Lichtzeichenanlagen stets zu benutzen.
(4) Fußgänger dürfen Absperrungen, wie Stangen- oder Kettengeländer, nicht über
schreiten. Absperrbaken (...) verbieten das Betreten der abgesperrten Straßenfläche.
(5) Gleisanlagen, die nicht zugleich dem sonstigen öffentlichen Straßenverkehr dienen, dürfen nur an den dafür vorgesehenen Stellen betreten werden.

Das Handlungsziel und die soziale Position in der Gemeinschaft definieren die Rolle des Akteurs. Der Tourist, der sich zu Fuß durch die Innenstadt bewegt, nimmt am Straßenverkehr teil und gehört zur Gemeinschaft der Fußgänger, der gewisse Regeln gegenüber anderen Fußgängern sowie anderen Verkehrsteilnehmern wie Auto- und Radfahrern berücksichtigen muss. Ihm kann rollenspezifisches Wissen zugeordnet werden, wie z.B. Wissen über Verkehrsregeln. Der Zweck seiner Handlung kann der direkte Weg zu einem neuen Ziel oder auch das touristische Erkunden der neuen Umgebung sein (vgl. Kap. 3.5).

Der Akteur ist weitergehend durch seine Kenntnisse über die Umgebung zu charakterisieren. Sein räumliches Wissen dient als Basis für Entscheidungsprozesse während der Fortbewegung. Es ist abhängig davon, wie vertraut der Akteur mit der spezifischen Umgebung ist. Die Vertrautheit steht in enger Verbindung zu bereits vorhandenen Erfahrungen des Akteurs und beinhaltet zwei Komponenten: zum einen die spezifische Erfahrung einer gegebenen Umgebung und zum anderen die globale Erfahrung hinsichtlich städtischer Strukturen, z.B. in Bezug auf die Hierarchie von Straßen oder Hinweisschildern (Portugal und Stern 1999). Weitere Fähigkeiten oder Kenntnisse des Nutzers wie seine Erfahrung im Umgang mit Karten, sein Abstraktionsvermögen sowie individuelle Unterschiede hinsichtlich der Persönlichkeit und den sozio-demographischen Daten sind für die Personalisierung von Kartensystemen hilfreich, können in dieser Arbeit jedoch nicht berücksichtigt werden.

Das Gesichtsfeld des Fußgängers, d.h. der Ausschnitt der visuellen Umwelt, der ohne Augen- und Kopfbewegung gesehen werden kann, ist generell seiner Bewegungsrichtung angepasst. Durch Augenbewegungen kann das Gesichtsfeld erweitert werden – daraus ergibt sich bei unbewegtem Kopf ein Blickfeld, das in horizontaler Richtung um etwa 120 ° und in vertikaler Richtung um etwa 80° größer als das Gesichtsfeld ist (Heidmann 2002). Größere Abweichungen von der Bewegungsrichtig sind durch Kopf- und Augenbewegungen bis zu 180° zur linken und rechten Seite möglich (Galler 2002). Sich zu Fuß durch den Raum bewegend, kann der Fußgänger prinzipiell frei in alle Richtungen gehen. Seine Wege orientieren sich an Fußwegen, Straßen, Kreuzungen, Fußgängerüber- und Fußgängerunterführungen, und seine Bewegungsgeschwindigkeit liegt bei durchschnittlich 5 km pro Stunde. Dabei kann der Akteur Informationen aus der Umgebung durch Blickkontakt erfassen, wobei er grundsätzlich mehr Zeit hat, Objekte in seiner Umgebung wahrzunehmen als ein Autofahrer. So ist er z.B. während des Wegfindens in unbekannter Umgebung dazu fähig, ein mobiles Darstellungsgerät zu nutzen und es von Hand zu bedienen. Unterbricht er seine Bewegung, kann er der Karte volle Aufmerksamkeit schenken und selbst entscheiden, wann er die Fortbewegung wieder aufnehmen möchte.

Dass Fußgänger im Vergleich zu Autofahrern unterschiedliche Objekte als Landmarken auswählen, wurde bereits nachgewiesen. In Wegbeschreibungen für Fußgänger wurden Straßen, Plätze, Gebäude, Geschäfte und Parkanlagen verwendet (Michon & Denis 2001), während sich Autofahrer überwiegend auf Angaben zur Straßenmöblierung wie Ampeln und Fußgängerüberwege konzentrierten (Burnett, Smith und May 2001). In der Rolle des Touristen ist der Akteur grundsätzlich an Zusatzinformationen wie z.B. Sehenswürdigkeiten oder historischen Bauten interessiert. Gegebenenfalls hat er im Voraus Informationen über die neue Umgebung angehäuft, z.B. aus Karten, anderen Medien oder von Freunden. Es ist aber davon auszugehen, dass der Akteur kein spezifisches Vorwissen über die Umgebung aufweist, während er aufgrund früherer Erfahrungen bei der Bewegung durch den Raum auf allgemeines Vorwissen zurückgreifen kann (Portugali und Stern 1999).

3.3.4 Der Handlungsraum

Die räumliche Verortung des Akteurs spielt im Nutzungskontext mobiler Geodienste eine besonders bedeutende Rolle. Der Raum als „ Bezugsrahmen für die Anordnung und Abbildung materieller und geistiger Gegenstände “ (Koch 2002, S. 256) weist zugleich Eigenschaften eines Absolutraumes und Eigenschaften eines Relativraumes auf. Grundsätzlich sind also der absolute Raum und der relative Raum zu differenzieren (Braun, Breßler 2002).

[...]

Ende der Leseprobe aus 117 Seiten

Details

Titel
Kontextspezifische Landmarken für die Fußgängernavigation
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Geographische Fakultät)
Note
1,8
Autor
Jahr
2005
Seiten
117
Katalognummer
V53907
ISBN (eBook)
9783638492287
ISBN (Buch)
9783656789925
Dateigröße
1924 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kontextspezifische, Landmarken, Fußgängernavigation
Arbeit zitieren
Katja Kruschel (Autor:in), 2005, Kontextspezifische Landmarken für die Fußgängernavigation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/53907

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