Römische Religionspolitik und die Christenverfolgungen


Bachelorarbeit, 2019

52 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung

II. Der römische Kult
2.1 Kaiserkult
2.2 Römische Religionspolitik vor dem Aufkommen des Christentums
2.3 Die Wahrnehmung des Christentums vom populus Romanus

III. Die Christenverfolgungen
3.1 Nero als Auslöser und Ursprung der Christenverfolgungen?
3.2 Das Trajanreskript als juristische Grundlage
3.3 Vereinzelte lokale Christenprozesse zwischen 117 und 249
3.4 Das Opferedikt des Decius
3.4.1 Exkurs: Die Befreiung der Juden vom Opferedikt
3.5 Valerians Vorgehen gegen die Christen: Erst Freund dann Feind?
3.6 Die große Verfolgung unter den Kaisern der Tetrarchie

IV. Ausblick: Vom Toleranzedikt zur Staatsreligion

V. Fazit

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Das Christentum begann als kleine jüdische Sekte, breitete sich rekordmäßig über die Kontinente hinweg aus und zählt heute knapp zweieinhalb Milliarden Gläubige. Doch diese Ausbreitung geschah nicht über Nacht. Die Alte Kirche stand vor vielen Proble-men und hatte mit Bedrohungen zu kämpfen1. Die vielleicht größte unter ihnen war das Imperium Romanum, welches zu jener Zeit das Gebiet, in dem das Christentum entstand und einen Großteil der damals bekannten Welt, beherrschte. Die Christenverfolgung im Imperium Romanum war kein linearer Prozess, der von allen Kaisern gleichermaßen verfolgt wurde. In dieser Arbeit wird eine Zeitspanne von knapp drei Jahrhunderten be-handelt, in denen die Römer zunächst lokal und später reichsweit Christen verfolgten. Grob lassen sich die Verfolgungen in drei Phasen unterteilen: Die erste Phase bildet die Frühzeit der Entstehung des Christentums (ca. 30-100 n.Chr.1), in der es noch nicht als eine vom Judentum gesondert zu betrachtende Religion unterschieden wurde. Erst unter Kaiser Nero kam es im Jahr 64 zu einer gezielten Verfolgung und Hinrichtung der Christen. Die zweite Phase umfasst den Zeitraum von ca. 100-250, in dem das bloße Christsein zu einem rechtlichen Strafbestand erklärt wurde, es zwar noch keine aktive Verfolgung der Behörden gab, jedoch schon einzelne Pogrome und Prozesse gegen Christen aufkamen. In der dritten Phase (250-311) kam es durch ein Opferedikt zu ers-ten reichsweiten und gezielten Verfolgungen und Verurteilungen von Christen, welche erst unter dem Toleranzedikt von Kaiser Galerius ein Ende fanden.2

Um die Beweggründe der Christenverfolgungen durch die Römer besser nachvollziehen zu können, werden in einem ersten Schritt die Grundsätze des römischen Kults be-schrieben, um in einem weiteren Schritt darauf einzugehen, wie die Religionspolitik der Römer gegenüber anderen Religionen und Kulten vor dem Auftreten des Christentums vertreten war. Im Anschluss wird darauf eingegangen wie der populus Romanus im All-gemeinen zu der christlichen Minderheit stand, da sich gezeigt hat, dass die Einstellung der paganen Bevölkerung Einfluss auf die religionspolitischen Stimmungen im Imperi-um haben konnte. Die religionspolitischen Hintergründe der Christenverfolgungen wer-den dann in ihren jeweiligen Phasen untersucht, welche dabei meist mit der Regierung eines einzelnen Kaisers in Verbindung gebracht werden können. Dabei wurde versucht, solange die Quellenlage dies erlaubt, sowohl die römische als auch die christliche Sicht auf die Geschehnisse zu berücksichtigen. Zu diesem Zwecke wurden verschiedenste Quellen herangezogen, um eine möglichst breite Sichtweise zu ermöglichen. Dazu zäh-len auf römischer Seite vor allem die Geschichtswerke des Cassius Dio, die Kaiserviten des Sueton und der Briefwechsel zwischen Plinius dem Jüngeren und Kaiser Trajan. Auf der Seite der christlichen Quellen werden vor allem die Kirchengeschichte des Eusebius von Caesarea, ebenso wie die des Lactantius und einzelne Märtyrerakten hinzugezogen. In den Unterkapiteln zu den einzelnen Kaisern wird dargelegt, was die jeweiligen Moti-ve, Rechtfertigungen und Rechtsgrundlagen der Christenverfolgungen waren und inwie-fern sich diese von der sonstigen Religionspolitik der Römer unterschieden. Denn so viel sei schon mal vorweggenommen: Die Lage der Christen im Römischen Reich un-terschied sich von der anderer religiöser Minderheiten. Was die Christen in den Augen der Römer von anderen Kulten unterschied und warum sie offenbar als Bedrohung auf-gefasst wurden, sind wesentliche Fragen, denen diese Arbeit nachkommen wird. Es wird untersucht, ob es innen- und außenpolitische oder möglicherweise persönliche Hintergründe für die Durchführung der gegen die Christen gerichteten Religionspolitik gab. Dabei wird der Fokus auf die Ursachen und möglichen Beweggründe gerichtet. Gab es eventuell eine Systematik dahinter? Kann man überhaupt von einer gezielten Religionspolitik sprechen?

In einem kleinen Exkurs wird auf die Sonderstellung der Juden im Römischen Reich eingegangen, die sich rein formal kaum von den Christen unterschieden und trotzdem nicht den gleichen Verfolgungen ausgesetzt waren. Am Schluss wird noch ein kleiner Ausblick auf die Entwicklung des Christentums nach den Verfolgungen gegeben. In die-ser Arbeit wird sich häufig auf die klassischen Forschungen von J. Molthagen, J. Speigl und A. Wlosok gestützt, welche hier nur exemplarisch genannt seien. Aber auch neuere Werke von W. Kinzig und B. Dorbath wurden hinzugezogen, welche teilweise eine ver-änderte Sichtweise des aktuellen Forschungsstands aufzeigen können. Um den Umfang der Arbeit nicht zu sprengen, werden manche Ereignisse ausgelassen, die zwar direkt oder indirekt in die Verfolgungen der Christen verwickelt waren, jedoch für die hier zu untersuchende Fragestellung nach der römischen Religionspolitik im Zusammenhang mit den Christenverfolgungen, keine neuen Entwicklungen erkennen lassen. Damit soll den Ereignissen jedoch keinesfalls ihre Bedeutung aberkannt werden.

II. Der römische Kult

Im folgenden Kapitel wird auf den römischen Kult näher eingegangen, um zu verdeutli-chen, was die Römer unter religio verstanden und welche Bedeutung der Staatskult für das Selbstverständnis, das alltägliche aber auch politische Leben der Bürger hatte. Da-bei wird zwischen dem öffentlichen (sacra publica) und dem privaten Kult (sacra pri-vata) unterschieden. Die Religion war eng mit dem Alltag der Römer verbunden und äußerte sich durch einen kontinuierlichen rituellen Austausch der Menschen mit den Göttern. Dabei wurde die ständige Präsenz der Götter in der Natur als selbstverständlich wahrgenommen und hatte einen unverkennbaren Sitz im gesellschaftlichen Leben.3 „Je-der wichtigeren Handlung ging ein Opfer und eine Befragung der Götter voraus, bei der man um Zeichen der göttlichen Zustimmung oder Missbilligung bat, die wiederum di-rekten Einfluss auf die Handlungen und Taten der Menschen hatten.“4 Besonders im po-litischen Bereich waren die sakralen Akte von signifikanter Bedeutung. So wurden bei-spielsweise vor jedem wichtigen Senatsbeschluss Auspizien durchgeführt.5 Die Religion war Staatsangelegenheit und die Befragung der Götter lag in der Hand der Amtsträger. Seit Augustus hatte der Kaiser gleichzeitig das Amt des Pontifex Maximus inne und da-mit die Oberaufsicht aller sakralen Angelegenheiten des Staates. Dies verdeutlicht, wie eng Politik und Religion im Römischen Reich zusammenhingen. Die Römer sahen ih-ren weltpolitischen Erfolg und ihre militärischen Siege der Vergangenheit im Wohlwol-len der Götter begründet, die, aufgrund der pietas der Römer, dem Imperium Romanum zu seiner Größe verholfen hätten.6 Das machte jeden Krieg im Grunde zu einem Heili-gen Krieg. Cicero sagte, dass die Römer in einigen Dingen vielleicht anderen Völkern unterlegen wären, jedoch religiones id est cultu deorum, multo superiores.7

Die Römer waren in religiösen Fragen oft erstaunlich konservativ. Die Aufrechterhal-tung von Tradition und Brauchtum war sehr wichtig für sie. Religiöse Aktivitäten waren eine gemeinschaftliche Angelegenheit, in der alle partizipierten, denn sie betrafen das gesamte Volk in all seinen gesellschaftlichen Schichten.8 Durch Rituale, wie das des Opferritus, glaubte man, verstimmte Götter milde stimmen und das Gleichgewicht zwi-schen Menschen und Göttern wiederherstellen zu können.9 Dadurch war die römische Religion sehr von Taten und Opfergaben geprägt und hatte den Charakter von do ut des, im Sinne von Leistung und Verpflichtung.10 Es gab zu diesem Zweck leges sacrae und libri pontificales, die die verschiedenen Brauchtümer, rituellen Handlungen, Festtagska-lender und die sakralen Orte (templa) bestimmten.11

Der sacra privata hingegen war, wie der Name bereits suggeriert, im Großen und Gan-zen Privatsache. Wichtig für das Staatswohl war nur der öffentliche Kult. Das erklärt auch die vergleichsweise tolerante Religionspolitik, die die Römer gegenüber den er-oberten Völkern ausübten: Solange diese sich nicht dem Staatskult widersetzten und nichts illegales taten, konnten sie im privaten Bereich ihren jeweiligen Kulten nachge-hen, ohne daran gehindert zu werden.12 Bei der Beteiligung am Staatskult zählte dabei nicht, ob die Vollziehenden wirklich an die Götter glaubten. Die innere Überzeugung war nicht ausschlaggebend, sondern allein die Tat als Zeichen des Gehorsams gegen-über den Göttern.13 In der Theorie waren Religion und Staat eng miteinander verknüpft und von einer gegenseitigen Wechselwirkung bestimmt. Unklar ist es jedoch, inwieweit dieses religiöse Selbstverständnis wirklich im Bewusstsein der Römer der Kaiserzeit verankert war. J. Moreau äußert sich über den ursprünglichen Konservatismus des römi-schen Kults wie folgt:

„Aber diese Religion […] war am Ende der republikanischen Epoche im Bewusstsein der Bürger kaum mehr als ein bloßes Nebeneinander von religiösen Zeremonien ohne tiefere Bedeutung, ohne echten religiösen Gehalt; die Priester waren nur Diener, eine Art von Vollstreckungsbeamten, und nicht etwa Seelsorger.“14

Dies könnte erklären, warum es besonders in Krisenzeiten immer wieder zum Abfall vom römischen und zur Hinwendung zu fremden Kulten kam. Besonders die orientali-schen Mysterienkulte erfreuten sich zeitweise hoher Beliebtheit. Dies wurde jedoch von vielen traditionsbewussten Staatsmännern kritisch betrachtet. Man war neuen religiösen Ideen gegenüber misstrauisch, da man davon überzeugt war, dass die alten Bräuche das Römische Reich erst zu dem gemacht hatten, was es war.15

2.1 Der Kaiserkult

Der römische Kaiserkult hatte seinen Ursprung im hellenistischen Herrscherkult, wie er schon unter Alexander dem Großen praktiziert wurde. Besonders der städtische Kaiser-kult diente als Ausdruck politischer Bindung einer Stadt an einen Herrscher.16 „Der Eu-erget versicherte die Städte ihrer Freiheit und ihres Wohlergehens, sich selbst sicherte er durch seine Schenkungen die Loyalität der Städte.“17 Der Kult diente dabei quasi als Danksagung dafür, dass der Kaiser Friedensbringer und Wohltäter war, aber auch für ganz konkrete Stiftungen, wie Tempel und öffentliche Bäder.18 Die Idee dahinter war das Volk zufriedenzustellen und dafür seine uneingeschränkte Loyalität zu besitzen. Das Motto dieses Euergetismus spiegelt sich wohl am besten in dem berühmten Ausspruch panem et circenses wieder. Bereits in der republikanischen Zeit setzte eine göttliche Verehrung von Imperatoren ein, die als politisch-diplomatischer Akt zu verstehen war. So war z.B. der Triumphzug eine der höchsten Ehrungen der Republik und gleichzeitig ein sakraler Akt. Nach dem Tod Caesars entstand jedoch erstmals eine sakrale Erhöhung und ein ausgeprägter Kaiserkult, der sich dann im Laufe der Kaiserzeit, besonders unter der Herrschaft Vespasians (69-79), auch im Westen und zu Lebzeiten des Herrschers, verbreitete.19 Dabei wurden die Kaiser zwar nicht zu Göttern (dei) erklärt, wohl aber zu vergöttlichten Menschen (divi), was ihre Bedeutsamkeit unterstrich. Die Verehrung des Kaisers stand gemeinhin im direkten Zusammenhang mit dem salus publica. So war die Weigerung einer Opfergabe ein schweres religiöses Delikt, welches das Wohlergehen des Staates gefährdete und eine hohe Strafe nach sich zog.20

Die Christen weigerten sich vielerorts den Kaisern zu huldigen, indem sie dem imago Caesaris nicht opferten, welches symbolisch das Staatswohl repräsentierte.21 Rein juris-tisch gesehen wurden die Christen, die sich nicht am Kaiserkult beteiligten, zunächst jedoch nicht wegen der Weigerung einer Opfergabe Verfolgungen ausgesetzt. Für das Todesurteil reichte das Bekenntnis Christianus sum. Ein geständiger Christ wurde nicht mehr dazu aufgefordert ein Opfer darzubringen. Diese Prozedur diente lediglich als Beweis, wie sich im späteren Kapitel zum Trajanreskript noch zeigen wird.22

2.2 Römische Religionspolitik vor dem Aufkommen des Christentums

Um beurteilen zu können ob die Religionspolitik der Römer gegenüber Christen eine andere war als gegenüber anderen religiösen und kultischen Minderheiten innerhalb des Imperium Romanum, muss das Verhältnis zu diesen kurz skizziert werden. Hierzu wird ein kurzer Überblick über die römische Expansionspolitik gewährt, die das Römische Reich zu einer Weltmacht werden ließ. Seit der Gründung der Stadt Roms (laut Grün-dungssage 753 v. Chr.), über die Entstehung der res publica (ca. 5. Jhdt. v. Chr.) bis hin zur römischen Kaiserzeit (27 v. Chr. bis ins 4. Jhdt.) breitete sich das Herrschaftsgebiet der Römer über die bis dato bekannte Welt exponentiell aus. Zunächst über ganz Italien, in Folge der Punischen Kriege über das westliche Mittelmeergebiet, bis nach Gallien und unter Trajan erreichte es schließlich seinen territorialen Höhepunkt mit der Ausdeh-nung gen Osten.23 Damit umfasste das Römische Reich ein riesiges Gebiet in dem viele verschiedene Kulte und Religionen vertreten waren, welche im Hinblick auf die Religi-onspolitik und die damit zusammenhängenden administrativen Herausforderungen eine entscheidende Rolle spielten. Auch die innenpolitischen Entwicklungen innerhalb des Imperium dürfen nicht außer Acht gelassen werden, denn Kursänderungen und politi-sche Brüche beeinflussten auch die Religionspolitik.

„Die Verfolgungen dürfen stets nur im Zusammenhang mit der allgemeinen Politik betrachtet werden, die den römischen Staat gegenüber fremden Kulten leitete. Dabei ist allerdings streng zu scheiden zwischen den Maßnahmen, die in republikanischer Zeit, als es noch keinen Staatsapparat in modernem Sinne gab, getroffen wurden und denen, die die Kaiser trafen im Einklang mit den politischen und Verwaltungsorganen, die den jeweils herrschenden Machtverhältnissen entsprachen.“24

Den ersten Kontakt zu einem anderen Kult hatten die Römer mit den Etruskern und den Griechen. Dabei zeigt sich das erstaunliche Talent der Römer, sich Aspekte eines frem-den Kultes zu eigen zu machen und sie mit dem römischen zu identifizieren. Die Grie-chen hingegen schafften es ihre Kultur der römischen so gut anzupassen, dass man von einer Hellenisierung des Römischen Reichs sprechen kann.25 Die Bezeichnung Interpre-tatio Romana geht auf Tacitus zurück und meint „die Übertragung von Namen und cha-rakteristischen Merkmalen römischer Götter auf Gottheiten anderer Völker.“26 Als Bei-spiel seien hier nur die offensichtlichen Ähnlichkeiten zwischen den griechisch und rö-mischen Hauptgötter Zeus und Jupiter oder dem keltischen Gott Wotan und dem römi-schen Pendant Merkur genannt.27 Dabei sollte jedoch nicht von einer bloßen Kopie aus-gegangen werden, vielmehr handelte es sich hierbei um eine Verschmelzung und Anpas-sung, wie sie beispielsweise auch kunsthistorisch stattfand. Auch der ägyptische Kult fand Anklang beim populus Romanus, vor allem die Göttin Isis wurde verehrt, die sogar einen eigenen Altar auf dem Kapitol besaß.28 Es ist durchaus denkbar, dass die Römer mit der Interpretatio Romana bezweckten den fremden Völkern eine möglichst einfache kulturreligiöse Angliederung an das Imperium Romanum zu ermöglichen.

In der republikanischen Epoche gab es Bestrebungen seitens führender Staatsmänner die Einfuhr fremder Bräuche und Kulte abzuwehren aus Angst, dass diese zu Unruhen im Volk führen würden. Allerdings scheiterten alle bekannten Versuche und es gab im Lau-fe der römischen Geschichte immer wieder Fremdgötterverehrungen, besonders in Fol-ge von Krisensituationen. Das zeigt, dass Götter anderer Kulte nicht per se abgelehnt wurden. Das Problem waren nicht die fremden Kulte und Götter, sondern die abergläu-bischen Praktiken ihrer Vertreter.29 Dies lässt sich am Verhältnis der Römer zum Juden-tum erkennen. Die Römer achteten die Juden für ihre sehr alte Religion und konnten sich ggf. sogar mit ihrem Gott JHWH arrangieren, quasi als Alias von Jupiter. Jedoch hatten sie massive Probleme mit der Akzeptanz, der für sie übertriebenen Sabbat-Verbo-te und dem Ritual der Beschneidung.30 Solche Praktiken ließen sich nicht mit dem Bild eines guten römischen Bürgers vereinbaren.

Auch der Bacchanalienskandal aus dem Jahr 186 v. Chr. bezeugt die Angst der Römer davor, dass die Ordnung im Staat durch fremde Bräuche gestört werden könnte.31 Bei dem Skandal ging es um den Bacchus Kult, der teilweise mit wilden Orgien zelebriert und schließlich durch einen Senatsbeschluss stark reglementiert wurde, da einige der Praktiken, gerüchteweise sogar Ritual- und Giftmorde, für staatsfeindlich erklärt wur-den. In Folge des Prozesses wurden laut Titus Livius rund 7000 Anhänger angeklagt und die Hauptverantwortlichen hingerichtet.32 Auch wenn der Senat in diesem Falle streng gegen die Anhänger des Bacchus Kultes vorgegangen ist, hegte er nicht die Ab-sicht den Kult an sich zu verbieten. Das bloße Bekenntnis zu einem Glauben war Privat-sache und wurde nicht bestraft. Lediglich Verbrechen, die im Namen der Religion aus-geübt wurden, wurden geahndet.33 Zur Zeit Kaiser Augustus wurde das Barbarentum der Kelten misstrauisch betrachtet. Immer wieder war die Rede von abartigen Bräuchen wie z.B. Menschenopfern. Statt also den Druiden-Kult komplett zu verbieten, ließ Au-gustus verlauten, dass die Anhänger keine Chance auf die civitas Romana bekämen. Dadurch wurde der römische Kult attraktiver und es etablierte sich von ganz allein eine Oberschicht in Gallien, die griechisch-römisch geprägt war.34

„In allen uns bekannten Fällen gehen also der Staat und später die Kaiser niemals gegen eine Reli-gion oder eine magisch-philosophische Lehre als solche vor; sie handeln stets in der Absicht, die gefährdete öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und das auch meistens erst nach Aufdeckung eines Skandals oder Ausbruch von Unruhen.“35

Eine strengere Religionspolitik stände zweifellos im Konflikt mit der Interpretatio Ro-mana und wäre rein praktisch nur schwer mit der Expansionspolitik des Imperiums ver-einbar gewesen. Eine gewisse Ausnahme bildete das vergleichsweise strenge Vorgehen der Römer bei verbotenen Schadenzaubern. Diese beinhalteten alle möglichen Formen von Verwünschungen und Rachegebeten an Götter und Dämonen, die mit der Absicht betrieben worden sind persönlichen Feinden oder Rivalen zu schaden. Solch eine Art von magica war gefürchtet, streng verboten und wurde teilweise mit dem Tode geahn-det.36

2.3 Die Wahrnehmung des Christentums vom populus Romanus

Trotz der allgemein toleranten Haltung gegenüber fremden Kulten, herrschte den Chris-ten gegenüber oft Misstrauen. Ein Grund dafür, dass sich das Christentum keiner großen Beliebtheit erfreute, war sicherlich der, dass sich die Christen größtenteils vom Rest der Gesellschaft distanzierten, öffentliche Veranstaltungen mieden und möglichst unter sich blieben.37 Hinzu kam noch die Weigerung an der Teilnahme der Opferriten, was gleich-zusetzen wäre mit der Annahme, dass sie sich nicht für das Staatswohl interessierten. Die Christen entzogen sich dadurch nicht nur den sakralen Riten sondern auch dem ge-sellschaftlichen Leben. Sie rutschten in die Rolle der Außenseiter und bekamen schluss-endlich den Ruf „Menschenhasser“ zu sein.38 Aber all dies träfe theoretisch auch auf die Juden im Reich zu, mit denen, trotz zeitweiligen Konflikten, eine relativ friedliche Ko-existenz möglich war. Daher muss es noch an etwas anderem gelegen haben, dass das Misstrauen den Christen gegenüber erheblich größer war. Eine Theorie ist es, dass die-ses Negativbild auf Neros Beschuldigungen der Christen als Brandstifter beim großen Brand von Rom (64) zurückzuführen sei. Wäre dies der Fall, dann hätte sich das Ge-rücht, Christen seien zu allen möglichen Gräueltaten fähig, über Generationen hinweg im Bewusstsein der Öffentlichkeit festgesetzt.39

Die Gerüchte über Christen haben sich über die Jahre teilweise noch verschärft. So wurde ihnen nachgesagt, sie würden blutrünstigen Ritualen nachgehen, in denen sie so-gar Kleinkinder töten und verspeisen würden und wilden inzestuösen Orgien nachgin-gen.40 Dass das Gerücht über kannibalistische Speiserituale weit verbreitet war, zeigt sich auch an dem Verhör des Plinius, in dem die Christen ihm versicherten, sie hätten bei ihren Zusammenkünften bloß ein cibum innoxium zu sich genommen.41 Das Chris-tentum wurde superstitio genannt, worin bereits ein abwertender Unterton enthalten ist. Aberglaube widersprach der römischen Tugend der ratio.42 Diese von Vorurteilen und Misstrauen belastete Wahrnehmung der Römer dem Christentum gegenüber sollte im-mer bei den möglichen Ursachen der staatlichen Christenverfolgungen im Hinterkopf behalten werden, denn die Stimmung im Volk hatte mindestens einen indirekten Ein-fluss auf die Religionspolitik und in einigen Fällen lässt sich sogar belegen, dass be-stimmte Verfolgungswellen vom römischen Volk direkt ausgingen.43 Einige Städte ha-ben sich an den Kaiser persönlich gewandt mit der Bitte die Christen aus ihrer Region ausweisen zu dürfen.44 Wenn in Krisenzeiten beobachtet wurde, dass die Christen sich nicht am Staatskult beteiligten, führte es schnell dazu, dass sie zu Sündenböcken für al-les Elend gemacht wurden und so kam es z.B. 248 in Alexandrien zu blutigen Aus-schreitungen gegen die dort lebenden Christen.45 „Die Christen wurden als religiöse Fa-natiker, als selbstgerechte Außenseiter und als unverschämte Neuerer betrachtet, die meinten, ihr Glaube allein wäre wahr.“46 Wenn man dabei das religiöse Selbstbewusst-sein der Römer berücksichtigt, ist es nachvollziehbar, dass diese sich durch die Christen, die einen Absolutheitsanspruch erhoben und die Existenz anderer Götter leugneten, in ihrem religiösen Stolz und ihrer Daseinsberichtigung bedroht gefühlt haben.

Das Christentum musste auf einige trotzdem eine gewisse Anziehungskraft ausgeübt haben, so bekam es beispielsweise allmählich Anerkennung als philosophische Schule.47 Als das Interesse am Christentum zunahm, erkannten die ersten Apologeten, dass sie den Ruf als superstitio loswerden mussten und fingen an die Frömmigkeit (pietas) der Religion zu betonen, die für Römer sehr wichtig war.48 „Die Standhaftigkeit und der Mut vieler Christen angesichts von Leiden und Tod wirkten aber auch anziehend, denn sie dokumentierten die Wirkkraft der neuen Religion auf das gläubige Individuum und dessen Hoffnung auf Belohnung im Jenseits.“49 So wird im Martyrium des Polycarps folgende Reaktion der Menge in den Arenen während der blutigen Hinrichtungen ge-schildert: ἐκ τούτου οὗν πᾶν τὸ πλῆθος, θαύµασαν τήν γενναιότητα τοῦ θεοφιλοῦς καὶ θεοσεβοῦς γένους τῶν Xριστιανῶν. 50 Trotzdem behielten Misstrauen und Abneigung ihnen gegenüber in der breiten Öffentlichkeit vorerst die Oberhand.

IV. Die Christenverfolgungen

„Jede Thronfolge, weil aus einer neuen politischen Konstellation entstanden, bildet eine markante Kursänderung in der Beziehung zu den ethnischen und religiösen Subsyste-men.“51 Deshalb werden in diesem Kapitel zu den einzelnen Kaisern jeweils die innen-und außenpolitischen Situationen, sowie ggf. private Beweggründe erörtert. In der ers-ten Hälfte des 1. Jhdt. deutet vieles daraufhin, dass Christen von den römischen Behör-den zunächst nicht als eine gesonderte Religionsgemeinschaft, sondern lediglich als eine jüdische Sekte, wahrgenommen wurden. So berichtet Sueton, dass Kaiser Claudius 49 ein Edikt erließ, das besagte: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma ex-pulit.52 Das Edikt betraf Juden und Christen und ist gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass es zwischen den Juden und Judenchristen in Rom zu der Zeit Konflikte und daraus resultierende Unruhen gab. Deshalb vermischt sich die Geschichte des Verhältnisses von Römern zu Christen besonders im 1. Jhdt. mit dem Verhältnis der Römer zu Juden.

Wenn man die Geschichte der Christenverfolgungen im Römischen Reich untersucht, spricht man traditionsgemäß vom „Schema der zehn Verfolgungen“.53 Die Zahl zehn tauchte dabei erstmals bei Hieronymus auf und entwickelte im Laufe der Zeit einen Symbolcharakter, der an die zehn Plagen aus dem Alten Testament erinnern soll und so einen Zusammenhang zwischen der Verfolgung der Juden im Alten Ägypten und der Verfolgung der Christen durch die heidnischen Kaiser darstellen soll.54 Diese zehn Verfolgungen sind jeweils mit der Herrschaft eines Kaisers in Verbindung zu bringen.55 Meist wird hierbei mit den Hinrichtungen der Christen unter Kaiser Nero im Jahr 64 begonnen.

3.1 Nero als Auslöser und Ursprung der Christenverfolgungen?

In der Rezeptionsgeschichte fällt das Bild Neros (54-68) meist ziemlich negativ aus. Über Jahrhunderte hinweg wurde er als ein größenwahnsinniger Tyrann dargestellt.56 Bereits zeitgenössische Berichte rücken ihn in kein gutes Licht. So berichtet Tacitus in seinen Annalen, dass das Gerücht umherginge, Nero habe den Brand in Rom selbst be-auftragt und dass er die Christen nur als Sündenböcke benutzt habe. Er beschuldigt Nero auch, dass er die brutalen Hinrichtungen non utilitate publica, sed in saevitiam unius veranlasst habe.57 Dabei versucht er jedoch nicht die Christen in Schutz zu neh-men, im Gegenteil bezichtigt Tacitus die Christen des odium humani generis auch wenn er sie nicht für Brandstifter hält.58 „Wilder vilification resulted from Jewish loathing of him as the instigator of the war that destroyed Jerusalem and its Temple. Jewish resent-ment was adopted and developed by later Christians, who made Nero the first great per-secutor of the faith.“59 Ob Nero nun tatsächlich der Tyrann war, für den er lange Zeit gehalten wurde oder ob er lediglich einer Art Verleumdungskampagne zum Opfer gefal-len ist, sei hier dahingestellt. Ausschlaggebend für diese Untersuchung ist zum einen, dass die Christen nun erstmals als eine von den Juden unabhängige Gemeinschaft wahr-genommen wurden und zum anderen dass es unter der Herrschaft Neros erstmals zu ge-zielten Christenverfolgungen und brutalen Hinrichtungen kam.60

Allerdings hatte Nero dabei ein persönliches Anliegen. Ob er nun für die Brandstiftung verantwortlich war oder nicht, das Gerücht ging umher und es lag sicherlich in seinem Interesse den Verdacht von sich abzuwenden. Dabei kam ihm die unbeliebte Minorität der Christen ganz gelegen, um den aufkeimenden Unwillen des Volkes entgegenzuwir-ken und gleichzeitig die Götter zu besänftigen. Es lässt sich womöglich von einem un-glücklichen „Zufall“ sprechen, der sich nicht unmittelbar gegen das Christentum selbst richtete.61 Neros Pogrom gegen die Christen war trotzdem richtungsweisend für die spä-tere Wahrnehmung und Behandlung des Christentums. „Zwar kein Versuch zu seiner Unterdrückung überhaupt, aber doch die tatsächliche Erklärung von höchster Instanz, daß es zu vernichten sei, wie ja alles Schlechte und Verwerfliche nicht geduldet werden kann.“62 Trotzdem weist nichts darauf hin, dass unter Nero ein konkreter Straftatbestand des Christseins in Form eines Edikts eingeführt wurde.63 Obwohl auch laut Sueton die Christen wegen ihres superstitionis novae ac maleficae hingerichtet wurden, gibt es keine Hinweise darauf, dass sich die Verfolgungen außerhalb der Stadtmauern Roms ausstreckten und nach den öffentlichen Hinrichtungen weiter verfolgt wurden.64 Viel-mehr wird es sich um ein kaiserliches Mandat gehandelt haben, welches ausschließlich Dienstanweisungen an die stadtrömischen Magistrate für eine bestimmte Ausnahmesi-tuation gab und sich somit motivgeschichtlich deutlich von den späteren Verfolgungen abgrenzt.65

Ähnlich verhält es sich bei den Verfolgungen unter Kaiser Domitian (81-96), die eben-falls nur vereinzelt und nicht reichsweit auftraten. Vor allem waren diese aber nicht pri-mär gegen Christen gerichtet. Domitians Herrschaft fällt in eine Zeit kurz nach dem Jü-dischen Krieg (66-70). Interessanterweise entstand in Folge des Jüdischen Krieges eine romfreundliche Einstellung innerhalb des gebildeten Judentums und das geistige Zen-trum verlagerte sich von Jerusalem nach Rom. Gleiches galt für viele Christen.66 Die Zahl und der Einfluss der Juden und Christen in Rom wuchs an und ist ein Hinweis für die „wohlwollende Duldung“ der Flavier.67 Trotzdem gibt es auch Berichte, die von den Christenverfolgungen Domitians sprechen. Vor allem Eusebius schildert in seiner Kir-chengeschichte, dass Domitian eine Verfolgung der Christen angeordnet habe.68 Sowohl er als auch Tertullian vergleichen seine Verfolgungen mit denen Neros. Vergleicht man diese Schilderung jedoch mit denen der römischen Geschichtsschreiber Sueton und Cassius Dio, gibt es einige Widersprüche. Nachdem Sueton in seinen Kaiserbiographien ausdrücklich die Verfolgungen der Christen unter Nero erwähnt, ist es nicht schlüssig weshalb er diese bei Domitian hätte verschweigen sollen, wenn sie denn stattgefunden hätten.69 Cassius Dio hingegen berichtet von religionspolitischen Maßnahmen des Do-mitian gegen Menschen, die sich dem Judentum zugewandt haben und deshalb άθεος seien.70 Es ist zwar davon auszugehen, dass aus römischer Sicht damit auch die Christen gemeint waren, welches aber nicht explizit benannt wird. Der Hintergrund dieser Maß-nahmen ist jedoch wahrscheinlich ein anderer und hängt mit der Verschärfung der Ju-densteuer zusammen, die nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 den Juden von Kaiser Vespasian auferlegt worden war.71 Die Steuerpflicht betraf sicherlich auch die Judenchristen doch scheint dies nicht primär eine religionspolitische Maßnah-me gegen sie gewesen zu sein, weshalb nicht von einer größeren Christenverfolgung unter Domitian die Rede sein kann.

3.2 Das Trajanreskript als juristische Grundlage

Mit dem Adoptivkaiser Trajan brach für das Imperium Romanum eine Epoche von Glanz und Gloria an und das Reich erlangte seine größte Ausdehnung.72 Im 2. Jhdt. war die Lage der Christen folgende:

„Das Christentum als solches war zwar grundsätzlich verboten, wurde aber - wie das Judentum - de facto toleriert. Die Behörden griffen nur ein, wenn die öffentliche Ordnung auf dem Spiel stand dann konnten sie allerdings die Christen die ganze grausame Macht eines Militärstaats spüren lassen.“73

Wenn man sich mit den Christenverfolgungen unter Kaiser Trajan (98-117) auseinan-dersetzen will, muss man den Blick gen Osten richten. Hier in Syrien, Palästina und Kleinasien sind die ersten selbständigen christlichen Gemeinden entstanden, die so aus-geprägt waren, dass sie von der Bevölkerung deutlich als von den Juden unabhängige Religionsgemeinschaft wahrgenommen wurden.74 Dass die Lage der Christen im Osten nicht einfach war, lässt sich besonders aus den biblischen Quellen entnehmen. So lassen sich anhand 1 Petr, dessen Abfassungsort in Kleinasien vermutet wird, bereits deutliche Hinweise auf soziale Ausgrenzung erkennen. Der Verfasser berichtet von übler Nachre-de (2,12) Verleumdung (3,16) und Lästereien (4,4) gegen Christen. Die Gemeinde wird ermutigt, die Hürden zu ertragen und wird mit einer eschatologischen Ankündigung ge-tröstet. Indes gibt es bereits Indizien für konkrete behördliche Verfolgungen, wenn man das Feuer (πύρωσις) als Symbol für die Hinrichtungen im Laufe der Christenprozesse interpretiert: „Geliebte, lasst euch durch das Feuer der Verfolgung unter euch, das euch zur Prüfung geschieht, nicht befremden, als begegne euch etwas Fremdes.“75 Zu datie-ren ist der Brief deshalb ungefähr in die Zeit Trajans, in der es zu ersten Christenprozes-sen kam, wie nun anhand des Briefwechsels zwischen dem Statthalter Plinius dem Jün-geren und dem Kaiser untersucht wird.76

J. Molthagen kritisiert, dass sich in der neueren Forschung77 die Untersuchungen für die Hintergründe der Christenverfolgungen primär auf „die Stellung der Christen zum öf-fentlichen Leben und vor allem die dadurch hervorgerufene Haltung der Bevölkerung ihnen gegenüber“ konzentriert habe.78 Sein Ansatz ist es dabei vielmehr sich auf die Rechtslage der Christen im 2. und 3. Jhdt. zu konzentrieren, da die Ansichten des popu-lus Romanus nicht zwangsweise mit der offiziellen Politik des Staates, die schließlich die Exekutivgewalt ausübte, übereinstimmen müssen.79 Besonders der Briefwechsel zwischen Trajan und Plinius eignet sich hervorragend, um die rechtlichen Regelungen bezüglich der Christenfrage im Römischen Reich am Anfang des 2. Jhdt. zu untersu-chen. Plinius war in der Zeit zwischen 109 und 113 als kaiserlicher Legat mit Sonder-vollmachten von Trajan und dem Senat in die Doppelprovinz Bithynien und Pontus ge-schickt worden, um sich dort den Unruhen und finanziellen Missständen zu widmen und Ordnung zu schaffen.80 Es ist davon auszugehen, dass die politisch angespannte Lage im Osten des Reiches auch direkte Auswirkungen auf die Lage der Christen in den Pro-vinzen hatte.81 Aus der Zeit seiner Statthaltertätigkeit ist ein wertvoller Briefkorpus er-halten, der einen detaillierten Einblick in die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse einer römischen Provinz Anfang des 2. Jhdt. ermöglicht. Das Buch X, wel-ches hier untersucht wird, wurde postum veröffentlicht und beinhaltet einen offiziellen Schriftverkehr zwischen dem Statthalter und dem Kaiser aus den Jahren 111-113.82 Es dient als Beleg für den regen Austausch der Provinzen mit Rom und als Hinweis auf die romzentrierte Politik zu Zeiten Trajans. Durch die Veröffentlichung des Briefkorpus er-langte das Trajanreskript Bekanntheit und beeinflusste damit womöglich die Ahndung des Christentums in den kommenden Jahrzehnten.83 Im Zuge seines Amtes reiste Plinius in die Städte Amisos und Amastris, wo er erstmals mit Anzeigen gegen Christen kon-frontiert wurde und daraufhin Trajan konsultierte, um von ihm Auskunft zu erhalten, wie mit den Anhängern des Christentums zu verfahren sei.84

So beginnt Trajan den ersten Brief mit folgender Einleitung: Solemne est mihi, domine, omnia, de quibus dubito, ad te referre. quis enim potest melius vel cuncationem meam regere vel ignorantium instruere?85 Dabei handelt es sich um eine durchaus übliche amtliche Anfrage an den Kaiser. Die Formulierungen dubitare und ignorantia könnten ein Hinweis darauf sein, dass Plinius sich mit der Situation überfordert oder zumindest unsicher gefühlt hat. Er sagt auch: cognitionibus de Christianis interfui numquam, was zeigt, dass er vor seines Statthalteramtes nicht mit Christenprozessen in Berührung kam.86 Ein Hinweis darauf, dass die ersten Verfolgungen eher in den östlichen Provin-zen stattfanden und deshalb für einen stadtrömischen Legaten neu waren.87 Allerdings scheint es, dass es bereits in der Vergangenheit zu Christenprozessen gekommen sein muss, da die bloße Tatsache der Existenz eines Verfahrens gegen Christen von Plinius an keinem Punkt angezweifelt wird. Jedoch äußert er sich darüber, dass er nicht wisse wie streng er vorzugehen habe und in welchem Maße er die Bestrafungen durchzufüh-ren habe.88 Der Stil der Briefe an Trajan scheint an vielen Stellen recht unterwürfig und Plinius wirkt dabei unsicher und unselbstständig. Er möchte klare Instruktionen und eine Absicherung für die Rechtmäßigkeit seines Vorgehens.

Dem widerspricht jedoch die Tatsache, wie selbstverständlich Plinius im Folgendem von seinem Vorgehen in den Christenprozessen schildert und jede Spur von Unsicher-heit verschwunden ist. Er beschreibt ein klares immer gleichbleibendes Schema, was darauf schließen lässt, dass es sich dabei um ein bekanntes Verfahren mit rechtlicher Grundlage handeln musste, zu dem es klar vorgeschriebene Richtlinien gab.89 Der scheinbare Widerspruch in Plinius Verhalten lässt sich vielleicht dadurch erklären, dass Plinius den ersten Teil des Briefes vor seinem ersten Christenprozess verfasste und den Teil über den Prozessverlauf erst im Anschluss. Das würde den Wandel durch eine Art Lernprozess seitens Plinius erklären, der zwar zunächst von der Problematik der Chris-tenfrage überrascht worden war, diese dann aber nach gängigem römischen Strafmaß beurteilte.90 Er scheint das Vorgehen gegen die Christen nicht moralisch fragwürdig zu finden, da er sagt, dass sie an flagatia schuldig seien, was dem damals allgemeinem Bild der Römer von den Christen entsprechen dürfte.91 Auch beschreibt er sie als perin-acia et inflexibilis obstinatio, weil sie dem Christsein nicht entsagen wollten, was ent-weder als ein Beweis für ihr Ungehorsam gegen den Staat und damit als Rechtfertigung für eine Hinrichtung bewertet werden könnte, oder einfach als Begründung für das schnelle Handeln, da die Christen ohnehin nicht mehr zur Vernunft zu bringen seien.92

Auffällig an den Vorwürfen, die Plinius aufführt, ist, dass sie im Grunde kein Verbre-chen und damit keinen ausreichenden Rechtsgrund für ein Todesurteil liefern. „Während Plinius in §3a sein tatsächliches rechtliches Vorgehen schildert, die Terminologie daher durchaus juristisch geprägt ist, gibt der Legat in §3b eine Rechtfertigung dieses Vorge-hens in durchaus unjuristischer, vielmehr rhetorisch geprägter Sprache.“93 Allein die Tatsache, dass sie Christen waren reichte für ein Todesurteil. Wenn trotz der Todesan-drohung ein dreimaliges Bekenntnis Christianus sum kam, wurde das Urteil ohne weite-re Untersuchungen vollstreckt. Römische Staatsbürger hatten allerdings das Recht in Rom vor ein Kaisergericht gestellt zu werden.94

Unklarer wurde es bei Sonderfällen, wenn durch anonyme Anzeigen Beschuldigte ab-stritten Christen zu sein und dies anhand einer Opfergabe an die römischen Götter, einen Treueid an den Kaiser und durch maledictio Christi bezeugten. Die maledictio Christi wurde auch zur Unterscheidung von Christen und Juden verwendet.95 Zusätzlich dieje-nigen, die zwar zugaben in der Vergangenheit Christen gewesen zu sein, jedoch behaup-teten abgeschworen zu haben und dies durch das gleiche Prozedere bewiesen. In diesen Fällen entschloss sich Plinius dazu, die Angeklagten vorerst freizulassen, da er gehört habe, dass dies alles Dinge seien, zu denen man wahre Christen nicht zwingen könne.96 Besonders die Gruppe der ehemaligen Christen versetzte Plinius jedoch in einen Gewis-senskonflikt, da er sich fragte: „Ist Christsein ein Gesinnungsverbrechen oder ein Tat-verbrechen? Das heißt, hat der Christ eine culpa auf sich geladen, die in jedem Falle zu sühnen wäre, oder ist er einem error verfallen, dem er wieder entzogen werden könnte.“97 Dies versuchte er herauszufinden, indem er Nachforschungen über die Ge-bräuche der Christen anstellte. Das tat er indem er zwei Sklavinnen foltern ließ, die die Schilderungen der anderen Christen bestätigten, dass sie keine Schuld durch ein Tatver-brechen auf sich geladen hätten. Deshalb kommt Plinius zu dem Schluss: Nihil aliud inveni quam superstitionem pravam et immodicam.98 Es gab für ihn also keine Hinweise darauf, dass sich die Christen irgendwelchen moralisch verwerflichen Ritualen oder Straftaten schuldig gemacht hatten, die den pax Romana konkret bedroht hätten. Die harmlosen Rituale, die durch die Recherche zu Tage kamen, widersprachen völlig dem Bild der Öffentlichkeit vom Christentum und können auch nicht mit dem des Staates in Einklang gewesen sein, weshalb Plinius sich wohl dazu entschloss den Kaiser zu kon-sultieren.99 J. Speigl sieht darin den Versuch des Plinius den Kaiser davon zu überzeu-gen eine eindeutigere Regelung des Straftatbestands zu treffen: „Die Straflosigkeit des Christentums kam überhaupt nicht in Frage. Aus dem gescheiterten Versuch, Verbrechen bei ihnen zu finden, ist vielmehr die Folgerung zu ziehen, daß Trajan das nomen ipsum für strafbar erklären soll.“100 J. Molthagen widerspricht dieser Interpretation jedoch und sagt, dass Plinius mit seinem Schreiben an den Kaiser diesen indirekt dazu aufforderte die rechtliche Lage der Christen neu zu bedenken:

„Plinius stellt hier dem bisherigen Verfahren, nach dem das nomen ipsum bestraft wurde, die von ihm befürwortete und in seiner Entdeckung begründete Möglichkeit gegenüber, bei den Christen nur eventuelle kriminelle Verbrechen zu bestrafen und ihnen im übrigen die Toleranz zu gewähren, die der römische Staat fremden Kulten gegenüber zu üben pflegte.“101

Durch die Verhöre kam auch zu Tage, dass die Christen mit ihren rituellen Versammlun-gen aufgehört haben, nachdem sie von dem Edikt erfahren hatten, welches nicht geneh-migte Versammlungen verbot.102 Dieses Versammlungsverbot könnte der Auslöser für die scheinbar plötzlich einsetzenden Anzeigen gegen Christen gewesen sein. Der Hin-tergrund des Versammlungsverbots ist der, dass es aus Sicht der Römer bei solchen Ver-sammlungen zu Verschwörungen gegen den Staat mit der Folge von Aufständen und Rebellion führen könnte, was mit Hochverrat gleichzusetzen sei. Eine Theorie ist, dass die lokalen Behörden bei dem Besuch des Statthalters Angst bekamen, man könne ihnen vorwerfen nichts gegen diese illegalen Versammlungen unternommen zu haben und deshalb Denunzianten beauftragt haben Plinius anonyme Hinweise zu geben, um nicht zugeben zu müssen, dass sie von den christlichen Versammlungen gewusst haben.103 Die Delatoren zu finden, dürfte nicht schwierig gewesen sein, da es zur Kaiserzeit üb-lich war eine Anzeige, die zu der erfolgreichen Verurteilung eines Täters führte, mit einer nicht geringen Geldzahlung zu belohnen, die dem Vermögen des Verurteilten ent-nommen wurde.104

[...]


1 Im folgenden beziehen sich alle Jahreszahlen auf nach Christi Geburt. Andernfalls wird es explizit ge-nannt.

2 Die Unterteilung bezieht sich auf Hartl/ Merkt: [Art.] Christenverfolgungen, 1.

3 Vgl. Hasselhoff/ Strohtmann, Religio licita, 4.

4 Schiavone, Religiöse Delikte, 135.

5 Vgl. ebd.

6 Vgl, Wloskok, Rom und die Christen, 54.

7 Cicero, nat. deor., 2.8.

8 Vgl. Hasselhoff/ Strohtmann, Religio licita, 4.

9 Vgl. ebd., 5.

10 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 70;

11 Vgl. Schiavone, Religiöse Delikte, 135.

12 Vgl. Frateantonio, Pluralismus, 31.

13 Vgl. Wlosok, Rom und die Christen, 56.

14 Moreau, Die Christenverfolgung, 19.

15 Vgl. Wilken, Die frühen Christen, 75f.

16 Vgl. Graf, [Art.] Kaiserkult.

17 Frateantonio, Religiöse Autonomie, 154.

18 Vgl. ebd., 156.

19 Vgl. Graf, [Art.] Kaiserkult.

20 Vgl. Schiavone, Religiöse Delikte, 137.

21 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 61.

22 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 21.

23 Vgl. Heuß, Römische Geschichte, 87; 99; 254; 397.

24 Moreau, Christenverfolgung, 19.

25 Vgl. Mora, Religionspolitik, 55.

26 Holzapfel/ Coenen, Germanische Mythologie, 98; Tacitus, Germania 43.

27 Vgl. ebd., 33.

28 Vgl. Moreau, Christenverfolgung, 24.

29 Vgl. ebd.

30 Vgl. Mora, Religionspolitik, 58.

31 Vg. Moreau, Christenverfolgungen, 21.

32 Vgl. Titus Livius, Ab urbe condita, 8-19.

33 Vgl. Moreau, Christenverfolgung, 22.

34 Vgl. Mora, Religionspolitik, 64.

35 Moreau, Christenverfolgung, 25.

36 Vgl. Schiavone, Religiöse Delikte, 141.

37 Vgl. Guyot/ Klein, Frühes Christentum, 305.

38 Vgl. Wliken, Die frühen Christen, 78f.

39 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 42.

40 Vgl. Tertullian, apol. II,5; Vgl. Kinzig, Christenverfolgung Antike, 50.

41 Plinius, ep. X 96,14.

42 Vgl. Speigl, Staat und Kirche, 71.

43 Vgl. Eusebius, hist.eccl.9,8,13.

44 Vgl. Frateantonio, Pluralismus, 36.

45 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 78f.

46 Wilken, Die frühen Christen, 76.

47 Vgl. ebd., 94f.

48 Vgl. Plinius, ep. X 96,18; Wilken, Die frühen Christen, 80.

49 Kinzig, Christenverfolgung Antike, 53.

50 Martyrium Polycarpi 3,2.

51 Mora, Religionspolitik, 52.

52 Sueton, vit. Claud. 25,4.

53 Guyot/ Klein, Das frühe Christentum, 301.

54 Vgl. Ex 7,14-11,10.

55 Vgl. Freudenberger, [Art.] Christenverfolgungen, 24.

56 Erst in jüngster Zeit gibt es Rehabilitationsversuche für das Image des Herrschers. So werden mittler-weile von einigen Historikern die Übereinstimmungen der antiken Geschichtsschreiber im Negativbild Neros als fragwürdig eingestuft. Ihrer Meinung nach deutet alles darauf hin, dass sie einen Großteil ihrer Informationen aus einer nicht überlieferten Quelle haben, die voller Vorurteile deutlich anti-neronisch eingestellt war und womöglich von politischen Gegnern verfasst wurde. Ähnliches lässt sich auch bei anderen historischen Persönlichkeiten beobachten, deren Reputation damals wie heute geprägt ist durch polemisch formulierte Schriften, die der damaligen scharfen Rhetorik der Sophisten entsprach.

57 Tacitus, ann. XV 44,5.

58 Ebd.; Vgl. Guyot/ Klein, Das frühe Christentum, 304.

59 Drinkwater, Nero, 8.

60 Vgl. Kinzig, Christenverfolgung Antike, 29.

61 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 41.

62 Ebd.

63 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 25.

64 Sueton, Nero 16,2.

65 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 26.

66 Vgl. Speigl, Staat und Kirche, 5f.

67 Ebd., 12.

68 Vgl. Eusebius, hist. eccl. III 17.

69 Vgl. Speigl, Staat und Kirche, 20.

70 Vgl. Cassius Dio, LXVII 14,2.

71 Vgl. Kinzig, Christenverfolgung Antike, 33.

72 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 53.

73 Kinzig, Christenverfolgung Antike, 35.

74 Vgl. Speigl, Staat und Kirche, 45.

75 1 Petr 4,12.

76 Vgl. Schmidt, Petrusbriefe, 2.1.

77 hier sei kurz angemerkt, dass es sich um ein Buch aus dem Jahr 1975 handelt.

78 Molthagen, Der römische Staat, 13.

79 Vgl. ebd.

80 Vgl. Wlosok, Rom und die Christen, 27; Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 49.

81 Vgl. Speigl, Staat und Kirche, 60.

82 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 51.

83 Vgl. Wlosok, Rom und die Christen, 39.

84 Vgl. Guyot/ Klein, Das frühe Christentum, 320.

85 Plinius, ep. X 96, 1.

86 Ebd.

87 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 16.

88 Vgl. Plinius, ep. X 96, 2-5.

89 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 15f; Plinius, ep. X 96, 2-4.

90 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 60.

91 Vgl. dazu Tacitus, ann. XV 44, 2-5.

92 Plinius, ep. X 96, 4; Guyot/ Klein, Das frühe Christentum, 321.

93 Freudenberger, Das Verhalten der römischen Behörden, 107 .

94 Vgl. Molthagen, Der römische Staat; Wlosok, Rom und die Christen, 29.

95 Vgl. Guyot/ Klein, Das frühe Christentum, 322.

96 Vgl. Plinius, ep. X 96, 11.

97 Wlosok, Rom und die Christen, 31.

98 Plinius, ep. X 96, 16.

99 Vgl. Molthagen, Der römische Staat, 18.

100 Speigl, Staat und Kirche, 64.

101 Molthagen, Der römische Staat, 18.

102 Plinius, ep. X 96, 14.

103 Vgl. Stöver, Christenverfolgung im Römischen Reich, 61f.

104 Vgl. Wlosok, Rom und die Christen, 55.

Ende der Leseprobe aus 52 Seiten

Details

Titel
Römische Religionspolitik und die Christenverfolgungen
Hochschule
Universität zu Köln  (Evangelisches Institut)
Note
1,5
Autor
Jahr
2019
Seiten
52
Katalognummer
V539545
ISBN (eBook)
9783346142177
ISBN (Buch)
9783346142184
Sprache
Deutsch
Schlagworte
römische, religionspolitik, christenverfolgungen
Arbeit zitieren
Leonie Schneider (Autor:in), 2019, Römische Religionspolitik und die Christenverfolgungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/539545

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Römische Religionspolitik und die Christenverfolgungen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden