Die realistische/ problemorientierte Bilderbuchgeschichte

Was macht ein gutes Bilderbuch aus und welche Themen sind bedeutsam?


Hausarbeit, 2004

22 Seiten


Leseprobe


Gliederung

I Hinführung

II Die realistische/problemorientierte Bilderbuchgeschichte
1. Der psychologische Kinderroma
a) Stilistische Mittel
b) Entwicklung
c) Inhalt
d) Erläuterung anhand des Beispiels „Tausend Sterne“
von Jaak Dreesen
2. Schwerpunkt: Das realistische/problemorientierte Bilderbuch
a) Heutige soziale Umstände
b) Konkrete Beispiele
c) Soziale Realität in Bilderbüchern
d) Pro-Contra-Spiegel eines guten Bilderbuchs
e) Ursula Kirchbergs „Selim und Susanne“ als Beispiel zum
Thema ‚Konflikt im Kinderalltag’
3. Kindliche Ängste und ihre Darstellung im Bilderbuch
a) Ängste bei Kindern
b) Bilderbücher zu diesem Thema
c) Umgang mit Bilderbüchern zum Thema Angst

III Schlussgedanke

I Hinführung

Die ersten literarischen Schritte beginnen für die meisten Menschen schon sehr früh. Bereits im Babyalter werden uns Geschichten vorgelesen und Liederbücher präsentiert. Viele Kinder werden geprägt von Gute-Nacht-Geschichten, Vorleseritualen der Großeltern, Kinderbüchern größerer Geschwister und vielem mehr. Erste eigene Erfahrungen sammeln wir dann meist bereits im Kleinkindalter, mit Bilderbüchern – kleine Büchlein aus Pappkarton, mit fröhlichen Kindergesichtern oder niedlichen Tieren darin. Nicht selten handelt es sich um kurze Geschichten, die nett verpackt und simpel erzählt sind, und vor Glückseeligkeit und Heiler-Welt-Idylle nur so blühen. Doch die reale Welt der Kinder sieht heutzutage leider meist ganz anders aus. Und so wandelt sich im Laufe der Zeit nicht nur die Phase der Kindheit, sondern auch der Inhalt der für sie relevanten Literatur. Somit entstehen neue Gesichtspunkte, veraltete Themen werden überarbeitet, die Welt mit Kinderaugen gesehen. Was macht nun ein gutes Bilderbuch aus? Und welche Themen sind wirklich bedeutsam? Hier ein Versuch zur Lösung.

II Die realistische/problemorientierte Bilderbuchgeschichte

II.1. Der psychologische Kinderroman

Die Anfänge des literarischen Umschwungs vollzogen sich jedoch nicht in der Gattung Bilderbuch, sondern bei dem modernen realistischen Kinderroman. Dieser begann Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre. Er hob sich damals thematisch sowie formal deutlich von den Geschichten, Erzählungen und Büchern für Kinder in den fünfziger und sechziger Jahren ab. Dieser hält nicht mehr das Heile-Welt-Klischee aufrecht, sondern wagt sich mit großer Sorgfalt an Tabuthemen, wie zum Beispiel Tod oder Missbrauch, heran. Im modernen realistischen Kinderroman wird den Lesern „ […] ihre erfahrbare, empirisch zugängliche Welt ungeschminkt [präsentiert], um ihnen zu helfen, sie zu verstehen, sich darin zurechtzufinden, sich zu behaupten, auch und gerade gegenüber Erwachsenen einschließlich der früheren absoluten Autoritätsträger wie Eltern und Lehrer, nicht zuletzt um diese komplexe Welt zu hinterfragen und zu verändern.“[1].

Heute lässt sich diese kinderliterarische Gattung in drei Untergruppen einteilen: der problemorientierte Kinderroman, der psychologische Kinderroman und der komische Familienroman.

Die Textgruppe des psychologischen Kinderromans wird im Folgenden erläutert.

II.1.a) Stilistische Mittel

Auszeichnend für den psychologischen Kinderroman ist „[…] das Ausloten der kindlichen Psyche auf eine ganz neue Art.“[2]. Dies geschieht vor allem durch zwei elementare narrative Komponenten, die erlebte Rede und den inneren Monolog. Weitere wichtige erzählerische Mittel sind: „[…] zeitdehnendes Erzählen, chronologische Brüche, häufiger Wechsel von Tempusformen, intrapersonale (erinnerte) sowie irreale Dialoge.“[3]. Um eine bestmögliche Identifikation mit der Hauptfigur erreichen zu können, existieren psychologische Kinderromane meist als Ich-Erzählung. Vorherrschend ist auch ein streng personales Erzählen, das sich meist auf die Perspektive eines kindlichen Protagonisten stützt. Die Erzählweise konzentriert sich somit auf das erlebende Ich.

„Mit Hilfe dieser Gestaltungsmittel […] führt [der psychologische Kinderroman] die jungen Leserinnen und Leser an die verschlungenen inneren Wege und Motive des Handelns von Kindern und Erwachsenen heran.“[4]. Durch die narrativen Formgefüge werden der Text und vor allem sein, im Wandel der Zeit immer komplexer werdender, Inhalt erst richtig flexibel. So können vollkommen neue Einblicke in moderne Lebenswelten vermittelt werden und es ist möglich, „[…] alle Aspekte der Bedingungen einer gewandelten Kindheit […] darzustellen und zu reflektieren.“[5]. Wichtig ist vor allem die Entfaltung der Personenrede, die in Form von inneren Monologen und erlebter Rede verwendet wird. Diese erzählerischen Instrumente „ […] stellen offensichtlich den modernen Kinderbuchautorinnen und –autoren ein kaum ausschöpfbares Gestaltungsmaterial zur Verfügung, so dass es in Folge immer wieder zu überraschenden Ausprägungen des psychologischen Kinderromans mit der einhergehenden Erschließung neuer Aussagedimensionen kommt.“[6]. Der innere Monolog ermöglicht es, Gedanken, Gefühle, längere Gedankenfolgen bis hin zu Bewusstseinsströmungen in Form von direkter Rede zu äußern. Die erlebte Rede hingegen ist „[…] eine weitreichende, überaus differenzierte, stilistisch sowie narrativ ambivalente Form der Erschließung des Bewusstseins erzählter Figuren.“[7]. Anhand dieser beiden Komponenten verschwimmt die Trennung zwischen Figurenrede und Erzählerbericht. Mit seiner grenzenlosen Vielfalt an stilistischen Arten, die Erwachsenenromanen in nichts nachsteht, gewinnt der psychologische Kinderroman an „[…] Flexibilität und dem seismographischen Reagieren auf immer neue Lebensbedingungen der modernen Industriegesellschaft, […]“[8]

II.1.b) Entwicklung

Psychologische Kinderromane kristallisierten sich in den endsiebziger Jahren heraus. Ihre Zielgruppe sind die etwa Acht- bis Zwölfjährigen. Zuvor, Anfang der Siebziger, herrschte eine sozialkritische und politisch aggressive kinderliterarische Produktionsphase, die von den gesellschaftlichen Aspekten, bezogen auf die Erfahrungswelt der Kinder, verdrängt wurde. Häufig vermittelten die Texte politische Botschaften. Doch mit der Zeit rückten eher gesellschaftliche Aspekte in den Vordergrund und man thematisierte erstmals „[…] konkrete Erfahrungswerte der Kinder in ihrem Lebenshorizont […]“[9]. Literaturtheorie und Literaturkritik, sowie Pädagogik und Didaktik stellten nun die thematischen Umstrukturierungen in den Vordergrund.

Eine größere Wende zeigte sich ab der zweiten Hälfte der Siebziger. So wurden in der Thematik der Kinderromane als auch in ihrem Erzählduktus ganz neue Wege eingeschlagen. In den achtziger Jahren gab es daraufhin einen regelrechten qualitativen und quantitativen Produktionsschub. Der psychologische Kinderroman selbst hatte seine Hochphase in den achtziger und frühen neunziger Jahren.

Bei den psychologischen Kinderromanen werden nun die Leser und ihre Möglichkeiten auf ganz neue, sensiblere Art berücksichtigt. Die Texte sind altersgemäß differenziert und gewinnen nach und nach an Komplexität. Es hat sich dahin gewandelt, „[…] dass die Eröffnung neuer personaler und sozialer Perspektiven Kinder in ihrer gewandelten Lebenswelt moderner Gesellschaften, die in immer stärkerem Maße medial geprägte Umwelt bedeutet, unmittelbar existentiell berührt und unter Umständen sogar notwendig ist zur Bewältigung der Herausforderungen angesichts gesteigerter Kommunikationsansprüche an alle Mitglieder der Gesellschaft.“[10]. Die Entwicklung basiert folglich auf einer fortschreitenden Differenzierung im narrativen Formgefüge.

Fraglich bleibt jedoch die Entwicklung des psychologischen Kinderromans hinsichtlich seiner Verwendungsmöglichkeiten. Denn was den privaten Einsatz angeht, stellt sich die Frage, ob diese art von Literatur „[…] einer kleinen Gruppe von Kindern vorbehalten [bleibt], deren sensible Eltern, vielleicht sogar unter elitären Ansprüchen, sie damit vertraut machen und lesend begleiten?“[11]. Denn gerade Romane mit emotional schwierigen Themen sollten nicht nur von den Kindern selbst gelesen, sondern müssten vielmehr mit Vertrauenspersonen nachbesprochen werden. Zudem gehören sie weder zur üblichen Unterhaltungsliteratur, noch zur trivialen Szene. Wie kann man folglich diesen literarischen Bereich den Kindern besser zugänglich machen? Denn der Einsatz dieser Textgruppe im Unterricht gestaltet sich ebenfalls etwas schwierig. Es liegen mittlerweile zwar zahlreiche dokumentierte Unterrichtsergebnisse verschiedener Werke vor, jedoch sollte das Lesen und Reflektieren von psychologischen Kinderromanen keinesfalls einen Zwangscharakter bekommen. Dies ist dann der Fall, „[…] wenn der Vermittlungsprozess durch subtile Kenntnis der emotionalen und kognitiven Empfindlichkeiten und Verhaltensweisen von Kindern angesichts gewandelter Kindheit und zugleich der komplexen Strukturen moderner psychologischer Kinderromane gesteuert wird.“[12]. Somit wird der Schule, und dadurch dem Literaturunterricht, eine große Verantwortung zugetragen. „Der literarästhetische Anspruch der Mehrzahl der Romane legt […] eine gezieltere Zuwendung nahe, z. B. in Form literarischer Projekte […]“[13]. Der psychologische Kinderroman im Unterricht gibt damit Kindern die Möglichkeit, mit diesen Texten in Berührung zu kommen.

II.1.c) Inhalt

Inhaltlich konzentriert sich diese Textgruppe vor allem auf die Darstellung der kindlichen Bewusstseinslage, das heißt auf Vorstellungen, Gedanken und Gefühle, Einbildung und Fantasie, Hoffen und Träumen. Es werden alle Aspekte der Bedingungen einer gewandelten Kindheit reflektiert und somit „[…] existentielle Krisen, Konfliktsituationen und Erschütterungen kindlicher Lebenswelten wie etwa Scheidung der Eltern, Tod geliebter Personen, [oder] schwere Krankheit […]“[14] erschlossen. Dies äußert sich meist in Gedanken, Vorstellungen, Nöten, Ängsten, Wunschvorstellungen und Traumbildern. Diese ermöglichen den Zugang zur psychischen Dimension von Kindern. Durch die Besonderheit der Zweisträngigkeit und des Wechsels zwischen erlebter Rede und innerem Monolog wird die Fähigkeit des Perspektivenwechsels ermöglicht. Somit kann sich der Leser in den Protagonisten besser hineinversetzen. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, Kindern neue Perspektiven aufzuzeigen und sie bei der Bewältigung aufkommender Probleme zu unterstützen. Die, im psychologischen Kinderroman häufig vorkommenden, Perspektivenwechsel ermöglichen den Kindern, die Welt sowie Leute aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Somit lernen sie, sich in andere Menschen besser hineinversetzen zu können und sich selbst aus einseitigen Sympathielenkungen herauszulösen.

II.1.d) Erläuterung anhand des Beispiels „Tausend Sterne“ von Jaak Dreesen

Der Kinderroman „Tausend Sterne“ von Jaak Dreesen handelt von einem Jungen namens Sven, der die Entfremdung und Trennung seiner Eltern miterlebt und darunter sehr zu leiden hat. Die Mutter verlässt die Familie, da sie einen neuen Lebensgefährten hat, und Sven bleibt mit seinem Vater zurück. Dieser flüchtet in Zeitungslektüren und Fernsehfilme, und ist mehr oder minder unfähig, mit seinem Sohn über den Weggang der Mutter zu sprechen. Das sich somit immer stärker werdende Trennungstrauma erzeugt bei Sven Nöte, Ängste und Hoffnungen auf eine positive Wende, die sich in Nacht- und Tagträumen widerspiegeln. Gegen Jahresende fahren beide in ein leeres Haus in den Ardennen, wo sie vor der Trennung der Eltern schon einmal im Urlaub waren. Als der Vater eines Abends schläft, überfallen Sven wieder einmal quälende Gedanken. „Sven liegt auf dem Rücken. Er macht die Augen zu. Aus dem Nichts taucht Mamas Gesicht auf. Sie lacht, sie schüttelt den Kopf. Ihre Haare tanzen. Ihre Augen glänzen. Sie riecht nach Seife, denkt Sven. Und plötzlich ist er schrecklich traurig. Tränen springen ihm in die Augen. Etwas schnürt ihm den Hals zu. Mama. Warum bist du weggegangen?“[15]. Sven kann in diesem Moment nicht verstehen, wie der Vater seelenruhig schlafen kann. Er verlässt das Haus, wandert durch die Nacht und verkriecht sich letztendlich in einer alten Scheune im Stroh. Einige Zeit später findet ihn sein Vater, der sich daraufhin an ihn kuschelt und anfängt, endlich über das Problem zu reden. Schließlich singt er Sven das Lied vor, das die Mutter immer sang, und welches im gesamten Text ein Leitmotiv bildet. Er beruhigt Sven: „Du brauchst keine Angst zu haben. Ich lasse dich nicht im Stich.“[16]

[...]


[1] Steffens, W.: Der psychologische Kinderroman; in: Baumgärtner, A.C./Pleticha, H. (Hrsg. 1995 ff): Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon., Teil 5, S. 1

[2] Steffens, W. (2000): Der psychologische Kinderroman; in: Lange, G. (Hrsg. 2000): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Band 1, S.309

[3] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S. 309

[4] Steffens, W.: siehe Fußnot 1; S.2

[5] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S.310

[6] Steffens, W.: siehe Fußnot 1; S. 5

[7] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S. 311

[8] Steffens, W.: siehe Fußnot 1; S. 11

[9] Steffens, W.: siehe Fußnot 1; S.3

[10] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S. 323

[11] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S. 324

[12] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S. 326

[13] Steffens, W.: siehe Fußnot 1; S. 14

[14] Steffens, W. (2000): siehe Fußnote 2; S. 310

[15] Dreesen, J. (1990): „Tausend Sterne“, S. 88

[16] Dreesen, J. (1990): „Tausend Sterne“, S. 92

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Die realistische/ problemorientierte Bilderbuchgeschichte
Untertitel
Was macht ein gutes Bilderbuch aus und welche Themen sind bedeutsam?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg  (Erziehungswissenschaftliche Fakultät )
Veranstaltung
Hauptseminar: Das Bilderbuch
Autor
Jahr
2004
Seiten
22
Katalognummer
V54045
ISBN (eBook)
9783638493314
ISBN (Buch)
9783638663007
Dateigröße
517 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit wurde zum Scheinerwerb für das Hauptseminar "Das Bilderbuch" angefertigt
Schlagworte
Bilderbuchgeschichte, Hauptseminar, Bilderbuch
Arbeit zitieren
Kathrin Horner (Autor:in), 2004, Die realistische/ problemorientierte Bilderbuchgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54045

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