Deutsch - die Sprache von Goethe, Marx, Freud, Hegel und Einstein - war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Weltsprache der Wissenschaft. Heute, 100 Jahre später, scheinen Spitzenforscher Englisch zu sprechen. Doch spielt Deutsch in der internationalen Wissenschaftskommunikation überhaupt keine Rolle mehr? In der vorliegenden Hausarbeit geht es um die internationale Stellung der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung der Entwicklung und der Darstellung der momentanen Situation. Im Vordergrund steht also die Beantwortung von Wie-Fragen (zum Beispiel: Wie sieht die Entwicklung des deutschsprachigen Zitatenanteils in nicht-deutsprachigen Fachzeitschriften aus?), nicht die Beantwortung von Warum-Fragen (zum Beispiel: Warum nimmt der Anteil deutschsprachiger Zitate kontinuierlich ab?). Beschreibungen sind eine notwendige Voraussetzung für Erklärungen1und somit der erste Schritt einer Analyse. Deshalb konzentriere ich mich auf die Darstellung des Sachverhalts; Ansätze zu Erklärungen werden nur am Rande erwähnt. Direkte Anhaltspunkte für den Grad der Internationalität der deutschen Sprache2erhält man, wenn man einen Blick in das fremdsprachige (nicht-deutschsprachige) Ausland wirft.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Rolle von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache in den Sozialwissenschaften – eine historische Betrachtung
2.1 Wirtschaftswissenschaft: eine repräsentative Sozialwissenschaft?
3. Untersuchungsmethoden
3.1 Deutsch als Zitatensprache nicht-deutschsprachiger Wirtschaftsfach-zeitschriften
3.1.1 Vorgehensweise der Zitatenanalyse
3.1.2 Ergebnisse der Zitatenanalyse wichtiger wirtschaftswissenschaftlicher Fachzeitschriften von 1920 bis 1990
3.1.3 Fazit der Zitatenanalyse
3.1.4 Kritische Beurteilung der Zitatenanalyse als Untersuchungsmethode
3.2 Deutsch als Sprache auf internationalen Konferenzen der Wirtschaftswissenschaft
3.3 Deutschkenntnisse nicht-deutschsprachiger Wirtschaftswissenschaftler
3.4 Deutsch als Sprache in der Lehre nicht-deutschsprachiger Länder: wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge und Wirtschaftsdeutsch-Kurse
4. Auswertung
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Deutsch – die Sprache von Goethe, Marx, Freud, Hegel und Einstein – war zu Beginn des 20. Jahrhunderts Weltsprache der Wissenschaft. Heute, 100 Jahre später, scheinen Spitzenforscher Englisch zu sprechen. Doch spielt Deutsch in der internationalen Wissenschaftskommunikation überhaupt keine Rolle mehr? In der vorliegenden Hausarbeit geht es um die internationale Stellung der deutschen Sprache als Wissenschaftssprache. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Beschreibung der Entwicklung und der Darstellung der momentanen Situation. Im Vordergrund steht also die Beantwortung von Wie-Fragen (zum Beispiel: Wie sieht die Entwicklung des deutschsprachigen Zitatenanteils in nicht-deutsprachigen Fachzeitschriften aus?), nicht die Beantwortung von Warum-Fragen (zum Beispiel: Warum nimmt der Anteil deutschsprachiger Zitate kontinuierlich ab?). Beschreibungen sind eine notwendige Voraussetzung für Erklärungen[1] und somit der erste Schritt einer Analyse. Deshalb konzentriere ich mich auf die Darstellung des Sachverhalts; Ansätze zu Erklärungen werden nur am Rande erwähnt.
Direkte Anhaltspunkte für den Grad der Internationalität der deutschen Sprache[2] erhält man, wenn man einen Blick in das fremdsprachige (nicht-deutschsprachige) Ausland wirft. Ob und in welchem Ausmaß nicht-deutschsprachige Wissenschaftler deutschsprachige Fachliteratur zitieren, ist ein wesentlicher Indikator für die internationale Bedeutung von Deutsch in der internationalen Wissenschaftskommunikation. Die Zitatenanalyse bildet deshalb einen Schwerpunkt dieser Arbeit (Kapitel 3.1). Daneben gibt es weitere wichtige Aspekte, die bei einer systematischen Untersuchung der Stellung der deutschen Sprache meiner Meinung nach berücksichtigt werden sollten: die Rolle der deutschen Sprache auf internationalen Konferenzen (Kapitel 3.2), Deutschkenntnisse nicht-deutschsprachiger Wissenschaftler (Kapitel 3.3) und Deutsch als Sprache in der Lehre nicht-deutschsprachiger Länder (Kapitel 3.4).
Die deutsche Sprache scheint in verschiedenen Fachrichtungen (zum Beispiel in den Natur-, Sozial- und Geisteswissenschaften) einen unterschiedlichen Stellenwert zu besitzen – das ist auf jeden Fall das Ergebnis einiger Untersuchungen[3]. Deshalb beschränke ich mich in der vorliegenden Arbeit auf die internationale Bedeutung von Deutsch in den Sozialwissenschaften am Beispiel der Wirtschaftswissenschaft. Diese Schwerpunktsetzung orientiert sich an einer Untersuchung Ulrich Ammons[4].
Sabine Skudlik[5] bezeichnet die Sozialwissenschaften als gemäßigt anglophone Disziplin. Sie stellt die These auf, dass Sozialwissenschaftler zum Beispiel sowohl auf deutsch- als auch auf englischsprachige Fachliteratur zurückgreifen. Ziel dieser Hausarbeit ist es, diese These anhand der o.g. Untersuchungsmöglichkeiten zu überprüfen.
2. Die Rolle von Deutsch als internationale Wissenschaftssprache in den Sozialwissenschaften – eine historische Betrachtung
Im Laufe des 19. Jahrhunderts erlangte Deutsch den Status einer internationalen Wissenschaftssprache. Um 1900 wurde Deutsch zur „Weltsprache der Wissenschaft“[6]. Ein Grund für die internationale Bedeutung der deutschen Sprache: Viele Spitzenforscher der damaligen Zeit kamen aus Deutschland bzw. aus deutschsprachigen Ländern. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts zählte zum Beispiel die deutschsprachige Chemie zur weltweiten Spitzenforschung. Ein Indiz für den hervorragenden Ruf deutschsprachiger Chemie-Wissenschaftler ist die Vergabe der Nobelpreise. „Im ersten Jahrzehnt [des 20. Jahrhunderts] gingen fünf der zehn vergebenen Chemie-Nobelpreise nach Deutschland, im zweiten noch drei von acht.“[7] Auch in Fächern wie Archäologie, historische Sprachwissenschaft und Orientalistik hatten Forschungsergebnisse deutschsprachiger Wissenschaftler einen internationalen Ruf und verhalfen damit der „deutschsprachigen Wissenschaft zu Ruhm und Ansehen auf der ganzen Welt“[8].
Im Vergleich zur Chemie scheinen deutschsprachige Wissenschaftspublikationen für die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaft nicht so bedeutend gewesen zu sein. Ein Beleg für diese Annahme ist wiederum die Nobelpreisvergabe. Bisher wurde erst ein einziger deutschsprachiger Wissenschaftler mit einem Nobelpreis ausgezeichnet (Reinhard Selten, 1994)[9]. Deutschsprachige Wirtschaftswissenschaftler scheinen also nicht zur Spitzenklasse dieser Disziplin zu zählen. Hat das Auswirkungen auf die Bedeutung der deutschen Sprache in der Wirtschaftswissenschaft? Besteht ein Zusammenhang zwischen den wissenschaftlichen Leistungen eines Landes und der Bedeutung der Sprache dieser Nation?
Die deutsche Sprache hatte scheinbar nur in einigen bestimmten Wissenschaften den Status einer Weltsprache. Das heißt, dass die allgemeine Fragestellung, ob Deutsch internationale Wissenschaftssprache gewesen sei, nicht zielgerichtet ist. Die deutsche Sprache scheint in verschiedenen Fächern eine unterschiedliche Rolle gespielt zu haben bzw. zu spielen. Deshalb erscheint es sinnvoll, die Stellung von Deutsch als internationale Sprache in einzelnen Wissenschaften zu untersuchen und anschließend zu vergleichen – angemessen ist also eine differenzierte Untersuchung. Sabine Skudlik hat bereits auf diese Fächerunterschiede hingewiesen. Sie teilte die Wissenschaften in drei Gruppen ein[10] und bezeichnete die Naturwissenschaften als anglophone Wissenschaften, die Sozialwissenschaften als gemäßigt anglophone Wissenschaften und die Geisteswissenschaften als eher nationalsprachlich geprägte Disziplinen. Skudlik stellt die Vermutung auf, dass Naturwissenschaftler mehr auf englisch- als auf deutschsprachige Fachliteratur zurückgreifen. In den Sozialwissenschaften stoße man auf eine gemäßigte Englischsprachigkeit. Wissenschaftler dieser Disziplinen orientieren sich – so Skudliks These – zu etwa gleichem Anteil an deutsch- und englischsprachiger Fachliteratur. In den Geisteswissenschaften habe die deutsche Sprache dagegen nach wie vor den Status einer bedeutenden Wissenschaftssprache, der Grad der Anglisierung sei eher gering.
Die folgenden Kapitel dienen der Überprüfung von Skudliks These, dass die Sozialwissenschaften durch eine gemäßigte Englischsprachigkeit gekennzeichnet sind. Dabei beschränke ich mich auf die Untersuchung der Wirtschaftswissenschaft als repräsentative Sozialwissenschaft.
2.1 Wirtschaftswissenschaft: eine repräsentative Sozialwissenschaft?
Das Thema dieser Hausarbeit ist die internationale Bedeutung von Deutsch als Wissenschaftssprache in den Sozialwissenschaften am Beispiel der Wirtschaftswissenschaft. Die Wahl der Wirtschaftswissenschaft als typische und repräsentative Sozialwissenschaft orientiert sich an der Untersuchung Ulrich Ammons[11]. Ein Hauptgrund für die Wahl der Wirtschaftswissenschaft könnte die Größe des Faches sein. Bei kleineren Disziplinen wie zum Beispiel der Soziologie dürfte es schwieriger sein, entsprechendes Untersuchungsmaterial zu finden. So ist es zum Beispiel für die Zitatenanalyse (siehe Kapitel 3.1) wichtig, auf Fachzeitschriften zurückgreifen zu können, die seit mehreren Jahrzehnten und ohne Unterbrechung herausgegeben werden.
Allerdings ist die Wirtschaftswissenschaft hinsichtlich der Sprache kein optimaler Vertreter der Sozialwissenschaften. Denn sie ist „eine bevorzugte Domäne der angelsächsischen Länder […], weshalb Englisch stets eine dominante Rolle gespielt hat“[12]. Außerdem gelten die USA unumstritten als die Wirtschaftsmacht. Viele deutsche Wirtschaftsunternehmen orientieren sich an Entwicklungen und Innovationen aus Amerika[13]. Neben Geschäftsführern und Managern aus aller Welt schauen auch Wissenschaftler nach Amerika: „Amerikanische Geschäftspraktiken, Marketing- und Managementtheorien [spielen] heute überall in der Welt eine dominierende Rolle.“[14] Da ist natürlich auch die Vermutung nahe liegend, dass die Wirtschaftswissenschaft eine so genannte anglophone Wissenschaft, also von einer starken Englischsprachigkeit geprägt, ist. Das würde bedeuten, dass die deutsche Sprache in der internationalen Wissenschaftskommunikation dieses Fachbereichs eher von geringerer Bedeutung ist. Um zu prüfen, ob diese Annahme zutrifft, stelle ich in den folgenden Kapiteln mögliche Untersuchungsmethoden vor.
[...]
[1] vgl. Ammon, Ulrich: Ist Deutsch noch internationale Wissenschaftssprache? Englisch auch für die Lehre an den deutschsprachigen Hochschulen. Berlin/New York 1998, S. 179. Im Folgenden verwende ich für diese Ausgabe die Abkürzung: Ammon, Ulrich (1998).
[2] vgl. ebd., S. 27.
[3] vgl. Skudlik, Sabine: Sprachen in den Wissenschaften. Deutsch und Englisch in der internationalen Kommunikation. Tübingen 1990 (= Forum für Fachsprachen-Forschung, Bd. 10), S. 149. Im Folgenden verwende ich für diese Ausgabe die Abkürzung: Skudlik, Sabine.
[4] vgl. Ammon, Ulrich (1998), S. 56ff.
[5] vgl. Skudlik, Sabine. S. 149.
[6] Ammon, Ulrich: Deutsch als Wissenschaftssprache: die Entwicklung im 20. Jahrhundert und die Zukunftsperspektive. In: Sprache und Sprachen in den Wissenschaften: Geschichte und Gegenwart. Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Berlin/New York 1999, S. 668. Im Folgenden verwende ich für diese Ausgabe die Abkürzung: Ammon, Ulrich (1999).
[7] Skudlik, Sabine, S. 22.
[8] ebd., S. 22.
[9] Ammon, Ulrich (1998), S. 57.
[10] Skudlik, Sabine, S. 149.
[11] vgl. ebd., S. 56.
[12] Ammon, Ulrich (1999), S. 679.
[13] vgl. Fink, Hermann: Amerikanisierung in der deutschen Wirtschaft: Sprache, Handel, Güter und Dienstleistungen. Frankfurt a. M. u.a. 1995 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 14, Bd. 299), S. 12f.
[14] vgl. ebd., S. 12.
- Arbeit zitieren
- Verena Abthoff (Autor:in), 2005, Die internationale Stellung von Deutsch als Wissenschaftssprache in den Sozialwissenschaften am Beispiel der Wirtschaftswissenschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54158
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