1. Einleitung
Im 12. Jahrhundert konzipierte der italienische Abt Joachim von Fiore (ca. 1130-1202) eine Gesellschaftstheorie, die nicht nur mit dem damaligen Geschichtsverständnis von Augustinus und Paulus brach, sondern auch noch bis in jüngste Vergangenheit von großer Bedeutung war. So schreibt Karl Löwith dem Abt indirekt die Entstehung der französischen, amerikanischen und russischen Revolution zu, denn ohne „den Gedanken von Fortschritt“, den Joachim hervorgebracht habe, wären diese Revolutionen nicht zustande gekommen. Auch Joachims Idee von einem zukünftigen „Dritten Reich“ faszinierte Denker und Dichter bis in unsere Zeit hinein. Die für uns in Deutschland bekannteste und uns immer noch beeinflussende Ideologie des Nationalsozialismus okkupierte Joachims Idee und wandelte diese um:
„Und so kam es, dass das für das Himmelreich auf Erden geschaffene Wort nunmehr die Hölle auf Erden bezeichnet.“
Mit diesem geschichtlichen Wandel des Begriffs „Drittes Reich“ von Joachim von Fiore bis Joseph Goebbels befasse ich mich in meiner Seminararbeit mit der Fragestellung: Inwiefern baute die nationalsozialistische Idee eines „Dritten Reichs“ auf der Theorie von Joachim auf?
Diese Perspektive ist auch 60 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes weiterhin von Bedeutung, da die NS-Ideologie für viele Menschen leider immer noch nicht an Faszination verloren hat und man sich deshalb weiterhin die Frage stellen sollte: Was faszinierte - damals und tut es noch heute - Menschen an dieser für uns unmenschlichen Ideologie?
In zahlreicher Literatur wird die von mir bearbeitete Fragestellung nur am Rand behandelt. Meiner Meinung nach besonders aufschlussreich, nicht nur für mein spezifisches Thema, ist das Buch von Claus-Ekkehard Bärsch „Die politische Religion des Nationalsozialismus“. Der Autor erläutert darin die Hintergründe der NS-Ideologie, die weitestgehend auf schon vorhandenen christlichen Lehren und eschatologischen Traditionen anknüpfte.
Um sich meiner Fragestellung zu nähern, bedarf es erst einmal einer kurzen Erläuterung der Vorstellungen Joachims von seinem „Dritten Reich“; dies werde ich im ersten Teil meiner Seminararbeit tun. Danach werde ich verschiedene Theoretiker, die auf Joachims Lehre - bewusst oder unbewusst - aufgebaut haben, skizzieren [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Joachims „Drittes Reich“
- Die Entwicklung des Begriffs „Drittes Reich“ nach Joachim
- Die Entwicklung im 13. Jahrhundert
- Die Wiederaufnahme der Lehre Joachims
- Moeller van den Bruck
- Das „Dritte Reich“ und der Nationalsozialismus
- Dietrich Eckart
- Joseph Goebbels
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminararbeit analysiert die Entwicklung des Begriffs „Drittes Reich“ von Joachim von Fiore bis Joseph Goebbels, wobei die Frage im Vordergrund steht, inwiefern die nationalsozialistische Idee eines „Dritten Reichs“ auf der Theorie von Joachim aufbaut. Ziel ist es, die Faszination der NS-Ideologie für viele Menschen aufzuzeigen und zu beleuchten, was sie damals und heute anzieht.
- Entwicklung des Begriffs „Drittes Reich“ von Joachim von Fiore bis Joseph Goebbels
- Einfluss von Joachims Gesellschaftstheorie auf die NS-Ideologie
- Faszination der NS-Ideologie und ihre Anziehungskraft
- Zusammenhang zwischen christlichen Lehren und eschatologischen Traditionen in der NS-Ideologie
- Figur des messianischen Führers in der NS-Ideologie
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung stellt die Problemstellung der Seminararbeit vor und erläutert die Relevanz des Themas, insbesondere im Hinblick auf die anhaltende Faszination der NS-Ideologie. Sie skizziert den Aufbau der Arbeit und benennt wichtige Literatur, die im weiteren Verlauf der Arbeit herangezogen werden.
- Joachims „Drittes Reich“: Dieses Kapitel präsentiert Joachims Gesellschaftstheorie und seine Einteilung der Geschichte in drei Reiche. Es beleuchtet den Bruch mit dem bisherigen Geschichtsverständnis von Augustinus und Paulus und erklärt, wie Joachim die Zeit in drei sich überschneidende Perioden einteilte.
- Die Entwicklung des Begriffs „Drittes Reich“ nach Joachim: Dieser Abschnitt verfolgt die Entwicklung des Begriffs „Drittes Reich“ im 13. Jahrhundert, beleuchtet die Wiederaufnahme der Lehre Joachims und analysiert die Ansichten von Moeller van den Bruck.
- Das „Dritte Reich“ und der Nationalsozialismus: Dieses Kapitel befasst sich mit dem Einfluss von Joachim auf die NS-Ideologie. Es präsentiert die Ansichten von Dietrich Eckart und Joseph Goebbels, welche eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des nationalsozialistischen Begriffes vom „Dritten Reich“ spielten.
Schlüsselwörter
Die Seminararbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen „Drittes Reich“, „Joachim von Fiore“, „Nationalsozialismus“, „eschatologische Traditionen“, „messianischer Führer“, „politische Religion“, „Faszination“ und „Ideologie“. Die Arbeit untersucht die historische Entwicklung des Begriffs „Drittes Reich“ und analysiert die Rezeption der Theorie von Joachim von Fiore im Kontext der NS-Ideologie. Der Fokus liegt auf der Analyse der Faszination, die die NS-Ideologie auf viele Menschen ausübte und noch immer ausübt.
- Quote paper
- Daniel Rother (Author), 2006, Der Topos vom Dritten Reich in seiner geschichtlichen Entwicklung , Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/54888