Die Einführung des Peplauschen Pflegemodells unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung


Hausarbeit, 2002

66 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Die Ausgangssituation für das Praxis-Projekt
1.2 Die (bisherige) Orientierung der pflegerischen Arbeit am bio-medizinischen Modell
1.3 Der strukturierte Tages- und Wochenplan
1.4 Die Bezugspflege

2 Praxis-Portrait
2.1 Die baulichen Ausstattungsmerkmale der Station
2.2 Die Personalstruktur
2.3 Die Patientenstruktur
2.4 Der kommunikative Umgang auf der Station

3 Projektziel
3.1 Die Zielvorstellung
3.2 Die Methoden
3.3 Der Ablauf

4 Theoretische Grundlagen
4.1 Das Pflegemodell nach Peplau
4.1.1 Die vier Phasen der interpersonalen Beziehung
4.1.2 Die Pflege als Wachstums- und Reifungsprozess
4.1.3 Das Pflegebündnis
4.2 Die Pflegediagnostik (nach Townsend) und deren Kritik
4.3 Die Gesundheit (nicht nur) als soziale Codierung
4.4 Das Kernkonzept der Salutogenese als gesundheitswissenschaftlicher Beitrag zur Gesundheitsförderung
4.4.1 Die Komponenten des Kohärenzgefühls
4.4.2 Die Förderung von Gesundheit aus der Pflegeperspektive

5 Praktische Umsetzung
5.1 Die Zusammenfassung der Teamsitzungen I
5.2 Der Konzepttag mit stationsexterner Moderation
5.3 Die Zusammenfassung der Teamsitzungen II

6 Perspektiven des Praxis-Projekts

7 Reflexion und Fazit des Praxis-Projekts

8 Literaturverzeichnis

Anhang

1 Einleitung

So bildet sich der Mensch

Indem er ja sagt, indem er nein sagt

Indem er schlägt, indem er geschlagen wird

Indem er sich hier gesellt, indem er sich dort gesellt

So bildet sich der Mensch, indem er sich ändert

Und so entsteht sein Bild in uns

Indem er uns gleicht und indem er uns nicht gleicht

(vgl. Brecht 1976, S. 770).

Das Praxis-Projekt als wichtiger Baustein des Hauptstudiums soll in den folgenden fünf Hauptkapiteln Auskunft über den Versuch der praktischen Einführung des Peplauschen Pflegemodells unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung auf einer allgemeinpsychiatrischen Station der Regel- und Pflichtversorgung in einem Landeskrankenhaus geben.

Nach der bisherigen (und wohl auch überwiegend künftigen) Orientierung der pflegerischen Arbeit am bio-medizinischen Modell kommt es zur Beschreibung von institutioneller Bedingtheit, unter denen sich Pflegearbeit in der Psychiatrie vollzieht.

Mit welchen Inhalten Pflegende und Patienten1 · Beziehungsarbeit miteinander leisten, liest sich aus den bisherigen Stationangeboten und dem Peplau-Modell, dessen Einführung das Projektziel ist. Über die Pflegediagnostik (nach Townsend) und deren Schwierigkeiten, verspricht sich der Verfasser (d. Verf.) trotzdem eine mögliche Erleichterung für den zu erstellenden Pflegeplan: Pflegemodell und Pflegeprozess sollen zusammengehörend und systematisch betrachtet werden.

Der Aspekt der Gesundheitsförderung erfordert auch für die Pflege eine theoretische Basis mit dem gleichzeitigen Hinweis auf die Zukunftsfähigkeit der Gesundheit und dem praktischen Augenmerk auf diese für die Pflege.

Die Schwierigkeiten der Umsetzung sollen nicht allein im Vordergrund stehend geschildert werden. Vielmehr sollen es die inhaltlichen Impulse sein, die pflegerische Arbeit handlungsorientierend auf lange Sicht dauerhaft verändern können und auch sollten.

Stellvertretend dafür die Zusammenfassung der Teamsitzungen und des Konzepttages mit anschließendem Ausblick auf weitere Möglichkeiten, auf das sich die Arbeit von Pflege weiterhin kontinuierlich verändere, damit sie zukunftsfähig wird: auf praktischen Erfahrungen beruhend und sich multipler wissenschaftlicher Grundlagen bedienend, die Pflege nutzbringend für sich erarbeiten muss.

1.1 Die Ausgangssituation für das Praxis-Projekt

Die Ausgangssituation für das Projekt ist die, dass sich das Pflegeteam insbesondere auf die Umsetzung alltäglicher milieu- und soziotherapeutischer Ansätze als Methoden bedient. Das Organisationsprinzip einer Gruppenpflege gilt als mittlerweile etabliert und die Erstellung des Wochenplans gilt als „pflegesicher“. Ein Stationspflegekonzept gibt immer wieder aktualisierte Anregungen und erste Orientierung für alle auf der Station tätigen Pflegekräfte. Aber der Eindruck, dass immer wieder viel für andere Berufsgruppen komplementär erarbeitet wird, hingegen wenig Innovation für die eigene Gruppe geschieht, konnte auch die vielzitierte multiprofessionelle Teamarbeit unter Anleitung der Medizin nicht verändern.

Nach einem kurzen Überblick über die historischen Wurzeln, die pflegerische Arbeit ja auch begründen, soll eine Darstellung erfolgen, die relativ selbstständige Pflegearbeit auf der Station erläutert: unter welchen Bedingungen und mit welchen Möglichkeiten.

1.2 Die (bisherige) Orientierung der pflegerischen Arbeit am bio-medizinischen Modell

Einst ist die Krankheit Sache der davon betroffenen Menschen, dann wird sie zur öffentlichen Angelegenheit und damit anderer, weil im Namen des Fortschritts schon Jahre vorher, aber erst recht unter der Französischen Revolution nach heftigen Debatten in der Pariser Nationalversammlung 1792 beschlossen wird, den Klerus durch eine neue Priesterschaft zu ersetzen. Zumindest übergangsweise, so denkt man, sollen die Kranken durch eine eingerichtete öffentliche Medizinalbürokratie auf den rechten Weg der Gesundheit zurückgeführt werden. Jedenfalls so lange, bis sich die Ideale „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ durchgesetzt haben. Aber auf dem Weg dorthin muß Bürgergehorsam amtlich eingefordert werden. Gesundheitsrichter werden eingesetzt, um klarzustellen, dass Krankheit Symptom politischer Korruption ist und abgeschafft gehöre. Familie und Angehörige sollen sich unter amtlicher Aufsicht kümmern, um den Gang in ein Krankenhaus, das zu jener Zeit eher mit einem Pesthaus verglichen werden kann, zu vermeiden. Denn dort sammeln sich wahllos Kranke, Kriegsinvaliden, Verrückte, Unheilbare wie Krüppel und Epileptiker. Nach arabischem Vorbild kommt es zum Besuch der Ärzte und fromme Laien spenden Trost. Ärzte geißeln die Korruption in den Hospitälern, denn Krankheit gehöre abgeschafft und schon Descartes hat ja den Rahmen des künftigen Projekts abgesteckt: Es herrsche Distanz zwischen den Beschwerden des Kranken und dem ärztlichen Blick, zwischen Seele und Körper. Ist der menschliche Körper doch nichts anderes als vergleichbar mit einem mechanischen Uhrwerk, das nicht immer richtig ticken mag und dann als reparaturbedürftig gilt. Und so kommt es, dass dem Arzt um 1770 nicht mehr als Pest und Pocken bekannt sind, während auch dem Durchschnittsbürger knapp 100 Jahre später bereits ein Dutzend Krankheiten geläufig sind. Ärzte, nicht selten der „Kurpfuscherei“ immer wieder verdächtigt, verschaffen sich mit ihnen politisch übertragener Vollmacht benötigten Respekt. Und so wird aus dem einstigen Pesthaus ein wahres Museum der Krankheiten; analog zum botanischen Garten mit dem Blick des Gärtners erwächst der ärztliche Blick. Das Hospital wird Stätte der Diagnose, dann Stätte der Lehre. Aus dem Pesthaus ersteht eine fein gegliederte Reparaturwerkstatt. Schlechte Gesundheit zeichnet den, der fortan nicht der erfundenen klinischen Norm entspricht. Zuvor schon wird Klarheit über die Sprache zwecks einer gesellschaftspolitischen Norm der damals Herrschenden erzwungen (vgl. Illich 1995, S. 111-119). Es ist die Zeit, in der im Namen des Fortschritts die Architektur gequält wird: wo räumlich gezirkelt und ausdifferenziert und pathologisch versprachlicht wird – wo der „Vernunft“ nichts verborgen bleibt und wo dieser keiner entkommen kann (vgl. Kollak 1999, S. 15-33, Anhang I, II).

Es ist die Zeit einer um sich greifenden Organpathologie, wo (...) „(d)ie Nacht des Lebendigen weicht vor der Helligkeit des Todes“ (vgl. Foucault 1988, S. 161), wo es zur Dreifaltigkeit von Leben und Krankheit und vor allem dem Tod kommt, wo sich die Medizin als Wissenschaft vom Individuum darstellt (vgl. Eribon 1999, S. 238-239). Die Geburt der Klinik und der ärztliche Blick werden Schicht um Schicht von Foucault archäologisiert und bilden Wissenschaftsgeschichte zur Herkunft der modernen Medizin (vgl. Taureck 1997, S. 54-55).

Die moderne Medizingeschichte ist auch eine Geschichte über die zunehmende Medikalisierung und damit Enteignung des Lebens, von der Illich annimmt, dass sie sich zu einer ernsten gesundheitlichen Gefahr entwickelt hat (vgl. Illich 1995, S. 9). Und die moderne Zivilgesellschaft ist nicht nur Projekt der Humanisierung, sondern auch genormte Disziplinargesellschaft geworden, in der Einzelne wie ganze Gruppen ausgeschlossen und unterdrückt werden können. Die Verteilung von Macht und Ohnmacht misst sich auch an der jeweils herrschenden Norm. Foucault hat dies auch durch seine Machtanalysen ins Bewusstsein gerückt.

Auch in der Psychiatrie erfahren bis in die heutige Zeit alle Beteiligten das traditionelle Paradigma von psychischer Krankheit in Form des medizinischen Modells, denn psychische und körperliche Erkrankung wurden einst parallel konzipiert. Psychische Symptome gelten, wenn auch nicht immer als Beweise, so doch oft genug als vermuteter Ausdruck somatischer Ursächlichkeit.

Was krank von gesund unterscheidet, ergibt sich aus der Diskontinuität von normal und abnormal. Aus bestimmten Phänomenen lassen sich Krankheitseinheiten abgrenzen und über Verläufe klassifizieren, die dann als typisch verlaufshaft prognostiziert werden. Heute wie damals. Das psychopathologische Krankheitsbild manifestiert sich durch Symptome und Syndrome und ursächlich wird eine individuell-organische Disposition vermutet, wobei nach dem medizinischen Modell die Ursache körperlich zu ergründen ist. Familiäre, soziale, lebensgeschichtliche Aspekte gelten als auslösend, nicht aber ursächlich. Solche Erkrankung bricht über ein Individuum, das sich willentlich unfähig zur Gegenwehr und damit nicht verantwortlich für sein Handeln zeigt, herein. Solche Erkrankung ist gekennzeichnet durch objektivierbare und vor allem naturwissenschaftliche Prozesse, die zu erklären sind. Eine solche Erkrankung ist nur durch ausgebildete Experten zu diagnostizieren und nur „durch ärztliche Kunst“ stellvertretend zu behandeln. Ein solch erkranktes Individuum, erst einmal „auffällig“, weil „unvernünftig“ geworden, erscheint uns bald isoliert, weil unter klinischen Bedingungen geprüft und beurteilt jetzt die Erfahrung einer weiteren Entfremdung bevorsteht, (...)“ da eine solchermaßen isolierte Lebenssituation keine Lebenswirklichkeit darstellt“(vgl. Buchholtz 1998, S. 243-244).

Es ist das Zeitalter der Aufklärung, charakterisiert durch einen durchdringenden Rationalismus bis in unsere Zeit, der solche Positionen immer noch bestimmt. Erkenntnis in der Psychopathologie bedeutet danach auch, Natur und Ursache der Unvernunft zu isolieren und zu behandeln. Schon Kant vermutete eine Gemütsstörung, die angeboren sei und nicht für die Einhaltung des Kategorischen Imperativs tauge, da psychisch Kranke nicht mehr dazu in der Lage seien, ihren Verstand eben vernünftig zu gebrauchen (vgl. Buchholtz 1998, S. 242-243).

Auf diesen geistigen Wurzeln basierend handelt und arbeitet aber auch Pflege, längst vor der Medizin wirkend, dann komplementär zu dieser männlich dominierten als (...)“Krankenpflegerin und persönliche Gehilfin des Arztes“(vgl. Bischoff 1997, S. 99) zur Seite gestellt in der bürgerlichen Gesellschaft als ein typischer, weil natürlicher Frauenberuf entworfen: ausgestattet mit entsprechend gesellschaftlicher Ideologie und passenden erfundenen weiblichen Charaktermerkmalen (vgl. Kerkow-Weil 1999, S. 120). So wird der Naturbegriff scheinbar natürlich verweiblicht und die Beherrschung der Natur vermännlicht – aber nicht nur in der Pflege durch die Medizin. Auch Haus- und Produktionsarbeit haben nur durch eine solch männlich erfundene Dichotomie funktionieren können (vgl. Beck 1990, S. 38-56; Wetterer 1995, S. 223-246; Treibel 1997, S. 130-149). Und wie alles rechts und links neben der Medizin, ist auch die Pflege, sich selbst und des „Arbeitsgegenstandes Subjekt Mensch“ in den letzten 200 Jahren entfremdet und unterworfen worden.

Der Differenztheoretiker Luhmann, den Treibel einen Aufklärer durch Abklärung bezeichnet, weil er nicht gesellschaftliche Verhältnisse entlarven, sondern die Komplexität unserer Gesellschaft erfassen und reduzieren wollte (vgl. Treibel 1997, S. 26), hat im Entwurf seiner Funktionssysteme (Anhang III) aufgezeigt, wie fatal sich auswirken kann, wenn eine Wissenschaft, zusammengefaßt im Funktionssystem Medizin, es sich –zumindest bislang- leisten kann, auf eine Reflexionstheorie zu verzichten. Dann wird aus einem anschlußfähigen Positivwert eine Umkehrung. Luhmann benennt z.B. den medizinischen Code krank/gesund, den binären Code der Rechtswissenschaft rechtmäßig/unrechtmäßig, den der Wissenschaft schlechthin wahr/unwahr und des Erziehungssystems etwa gute/schlechte Zensuren mit der Funktion der Bildung und Ausbildung und der Karriereselektion. In allen letztgenannten Wissenschaften wird über den Anschlußwert der Negativwert reflektiert. Nur in der Medizin nicht – obwohl das Programm über den „hippokratischen Eid“ erfolgt und die Funktion des Medizinalsystems in der „Gesundheitsfürsorge“ postuliert wird. Aber es muß ein Mensch erst nach der ihr eigenen Sprache pathologisch mitteilsam werden, damit über eine Diagnose ge- und behandelt und letztlich auch gepflegt werden kann. Die Definitionsmacht liegt monopolisiert bei der Medizin. Das ist allerdings auch der ihr gesellschaftlich übertragene Auftrag (vgl. Kollak 1999, S. 30-31, Kerkow-Weil 1999, S. 158-160, Reese-Schäfer 1999, S. 176-177).

Auch für die aus- und durchgeführte Pflege auf der Station 1 gilt zuerst die psychopathologische Sichtweise der Medizin zu teilen: dies gilt als normal!

Ob Pflege sich inhaltlich auch ein Stück anders codiert mitteilen kann, soll in einem späteren Kapitel aufgezeigt werden.

Zunächst soll jedoch dargestellt werden, über welches „Instrumentarium“ sich Pflege auf der Station 1 konstituiert!

1.3 Der strukturierte Tages- und Wochenplan

Wenn Menschen aus ihrem Umfeld herausgetrennt isoliert betrachtet werden: unter anderen räumlichen und sprachlichen Bedingungen der klinische Blick auf ihnen lastet und Pflege viel dafür tut, um diesen Blick zu teilen und zu bestätigen, kann passieren, dass das, was schon möglicherweise schlimm begonnen hat, in der Klinik noch schlimmer wird. Früher wurde in der fatalen Folge so etwas „Anstaltsneurose“ und „Hospitalismusschaden“ genannt, wenn ein in der Gesellschaft auffällig gewordener Mensch unter klinischen Bedingungen dann noch auffälliger wurde. Wenn nach Monaten oder Jahren niemand mehr so recht wußte, weshalb ist dieser oder jener Mensch eigentlich da und Unsicherheit bei der Symptomzugehörigkeit (Primärerkrankung oder schon Anstaltsschaden?) erwuchs, weil der klinische Blick in die Irre geleitet wurde. Schnell hat die Psychiatrie ein eigenes Krankheitsbild daraus entworfen und auf die Tatsache verwiesen, das so etwas auch in Kriegsgefangenenlagern, Waisenhäusern, Gefängnissen etc. zutage tritt. Wurde die Ätiologie als „unsicher“ bewertet, galten folgende Faktoren als wahrscheinlich, bei deren „Erfüllung“ einen Dekubitus psychischer Art auszulösen und zu manifestieren:

1. Fehlende Außenweltkontakte
2. Verlust von Verantwortung und erzwungenes Untätig-Sein
3. Autoritäres Verhalten von Ärztlichem Dienst und Pflegekräften
4. Verlust von Freunden, Besitz und Privatleben
5. Medikation
6. Atmosphäre in der Klinik/Anstalt
7. Unzureichende Zukunftsaussichten außerhalb der Klinik/Anstalt (vgl. Barton 1974, S. 11-79 und Peplau 1997, S. 81-85).

Ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts begannen nach Veröffentlichung der Psychiatrie-Enquete die „Aufräumarbeiten“ in den Anstalten und Kliniken (vgl. Finzen 1985, S. 30-53). Tagesstruktur und soziotherapeutische Techniken erhielten Hochkonjunktur und Pflegekräfte wurden zu (...)“Spezialisten für die Wahrnehmung aller menschlichen Bedürfnisse und Notwendigkeiten“ (vgl. Dörner/Plog 1996, S. 54) befördert, durften aber weiterhin nach den Anhaltszahlen von 1969 wirken, weil erst 1991 mit Herausgabe der Rechtsverordnung Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) gestellte Qualitätsansprüche mit eingestellter qualifizierter Quantität in Einklang zu bringen sein sollte.

Die Pflegekräfte der Station 1 zeichnen maßgeblich für Entwurf und Umsetzung des strukturierten Tages- und Wochenplans (Anhang WOCHENPLAN) verantwortlich. Der Wochenplan zeigt den auf die Station kommenden Patienten, was sie vom gesamten Team erwarten können, aber auch, was von ihnen im Laufe der Zeit erwartet wird. Der Wochenplan ist kein einseitiges „Geschäft“: er ist ein therapeutisches Instrument und wird in seinen einzelnen Elementen methodisch durchgeführt und er soll auch einen antihospitalisierenden Effekt entfalten!

Folgende Erläuterungen sollen Auskunft über die wichtigsten Elemente des Wochenplans geben:

Küchendienst:

Durch den täglichen Wechsel (von Zimmer zu Zimmer) des Küchendienstes sollen Patienten gegenseitig ein Stück Verantwortung füreinander innerhalb der Stationsgemeinschaft übernehmen.

BT/AT:

Bei der Beschäftigungstherapie (BT) geht es um handwerkliche und bildnerische Techniken, Übungen mit Ton, Holz, Pappe, Papier und Farben.

Ergotherapeuten gewinnen einen Zugang zum Patienten im gemeinsamen Umgang mit „begreifbarem Material“. Sie gehen davon aus, dass die bearbeiteten Materialien unterschiedliche Empfindungen auslösen, die schon vorher durch Erfahrungen individuell geprägt sind. Diese in erster Linie nicht verbal orientierte Therapieform bietet bei vielfältigsten psychiatrischen Krankheitsbildern eine Chance für den Patienten, sich wieder aktiv handelnd zu erleben.

Die Angebote der Arbeitstherapie (AT) sind sehr unterschiedlich. Bei der AT sollte es nicht nur darum gehen, den Tag zu strukturieren: vielmehr sollten durch gezielte Arbeitsdiagnostik auch die verbliebenen Fähigkeiten und die Begabungen des Patienten festgestellt werden.

Für die unterschiedlichen Formen der Ergotherapie sollte aber immer gelten, dass für den Patienten und für seine Angehörigen eine übersichtliche Situation geschaffen wird – klare und eindeutige Verhältnisse in zwischenmenschlichen Beziehungen, in Gesprächen und Informationen. Unklare, mehrdeutige Verhältnisse führen in der Praxis immer wieder rasch zu Spannungen, Abbrüchen und können die Suizidgefahr durch erhöhten „Rehabilitationsdruck“ (vgl. Finzen 1989, S. 95-107) nicht unerheblich steigern. Alles dies kann krankheitsverstärkend wirken!

Einzelvisite:

Die Einzelvisite wird im Multifunktionsraum der Station mit Ärztlichem Dienst sowie den entsprechenden Bezugspflegepersonen durchgeführt.

Sozialdienstgruppe:

Unter dem Motto: „Hilfe zur Selbsthilfe“ sollen Patienten über ihre Erfahrungen berichten: zusammen mit Mitpatienten, Sozialdienst und Pflegekraft wird an einem Tisch gesessen und diskutiert und sich ausgetauscht.

Dabei soll der Blick auch immer wieder über die Krankenhausmauern hinausgehen.

„Was ist, wenn ...?“: Patienten sollen ein Stück „Rüstzeug“ erhalten, wenn es um Anlaufstellen, die Hilfe anbieten, außerhalb der Klinik geht.

Es zeigt sich immer wieder, dass es einzelne sehr gut informierte Patienten gibt und wieder andere, die über sehr wenig Wissen und Information verfügen (Stichwort: Selbsthilfegruppen, komplementäre Dienste und Einrichtungen, Sozialpsychiatrischer Dienst, Sozialpsychiatrischer Verbund etc.).

Themenzentrierte Kleingruppen:

Analog der zugeordneten Zimmerseite haben die Patienten die Möglichkeit, ein in der Gruppe mehrheitsfähiges Thema etwas näher zu erörtern. Sie können ein Stück weit lernen, ihre Gefühle zu verbalisieren und einen Konsens über die Thematik herzustellen bzw. erlebte Wirklichkeit einander sozial zu bestätigen. Co-therapeutisch ist die Bezugspflegeperson anwesend.

Die Kleingruppen werden anschließend nachbesprochen.

Visite mit Leitendendem Arzt:

Einmal wöchentlich präsentieren sich die Vertreter des Stationsteams mit der oberärztlichen Vertretung in der Form einer Gruppenvisite, einem Präsentieren mit rituellem Charakter, wo auch immer wieder deutlich wird, dass vorgeschlagene ärztliche Rezepturen längst nicht immer das subjektive Wohlbefinden der davon Betroffenen zu steigern in der Lage sind.

Am Tag vor der Visite werden Planungsvorschläge und –angebote in der „Kurvenvisite“ (Teamvisite), selbstverständlich ohne Patienten, angedacht.

In der Gruppenvisite werden u.a. auch Wochendbeurlaubungen verbindlich abgesprochen.

Aktive Musiktherapie/Malen nach Musik:

Zwei unterschiedliche Angebote des Musiktherapeuten. Einmal die Möglichkeit, mit Musikinstrumenten selber zu „experimentieren“ und in der Kleingruppe zu spielen.

Zum anderen kann nach einem gehörten Stück Musik völlig frei assoziierend das beim Patienten ausgelöste Gefühl beim Hören der Musik in Form eines Bildes festgehalten werden.

Ein Teil dieser Bilder wird mit dem Musiktherapeuten wöchentlich einmal – in der Regel mit Vertretern der Krankenpflege – besprochen.

Kochgruppe:

Wird den Patienten in diversen Gesprächsgruppen ein Freiraum gewährt, um eigenen Gefühlen und Handlungsentwürfen nachzugehen, werden sie in der Soziotherapie mit den Ansprüchen ihrer Umgebung konfrontiert. Die Soziotherapie ist die am meisten angewandte Therapieform in der Psychiatrie. Sie ist aber auf keinen Fall isoliert zu sehen und anzuwenden. „Milieutherapie“ hat wichtige therapeutische Bedeutung. Soziotherapeuten sind gleichsam Sparringspartner – an ihnen soll gelernt werden. In diesem Sinne kann die psychiatrische Station ein Stück Lernfeld anbieten.

Für die Kochgruppe planen die Patienten einmal in der Woche, ein mehrheitsfähiges Gericht in die Tat umzusetzen: einkaufen, zubereiten, Tisch decken, abwaschen usw. benötigt in der Regel Anleitung und ein Stück Hilfe. Pflegekräfte schaffen die Rahmenbedingungen und erleben dabei immer wieder angenehme Überraschungen von und über einzelne Patienten!

Kegeln:

Eine Form des geselligen Zusammen-Sein, bei der nicht selten deutlich wird, wer Spaß an körperlicher Bewegung und Aktivität entfalten kann – und wer dazu überhaupt in der Lage ist. Wer medikamentös ungünstig wirkende Dosierungen erfährt, kann auch körperlich sehr oft nicht so agieren wie er vielleicht möchte. Aber auch andere Gründe können bewegungseinschränkend wirksam sein.

Oft entwickeln Patienten in der Gemeinschaft jedoch auch andere, ganz „normale“ Verhaltensweisen und Wettkampfstimmung kommt auf, wenn es um „alle Neune“ geht. Dann kann es passieren, dass Krankheit für einige Zeit kein Thema mehr ist.

Abendrunde:

In dieser Runde können Patienten Kritik üben: dürfen sich ausdrücklich über Mißstände auf Station beklagen und sich darüber laut Gedanken machen, warum das Miteinander mal wieder nicht so ist, wie sich die meisten das wünschen.

Oft sind die Themen immer wieder gleich und für die Stationsatmosphäre doch sehr wichtig, diese „Stimmungen“ einzufangen und Konsequenzen miteinander daraus zu ziehen. Gemeinsam wird geplant, Wünsche besprochen und für einzelne Therapieangebote geworben und motiviert.

Auf das Verhalten einzelner Patienten kann „Gruppendruck“ große Wirkung haben, wenn Patienten untereinander mal die Meinung sagen.

Pflegekräfte leiten diese Runde und erklären sich zum Ziel, dass der Umgang miteinander fair bleibt; nicht selten ist dann direktives Vorgehen angesagt.

Ein weiteres Ziel der Abendrunde ist auch, noch einmal alle Patienten gesehen und möglichst gesprochen zu haben, denn für etliche Patienten kann jeder Tag ein beschwerlicher und symptomreicher gewesen sein. Neu aufgenommene bzw. auf die Station verlegte Patienten stellen sich in der Regel den Mitpatienten vor. Anfänglich noch scheu, lernen viele Patienten, sich in der Gruppe zu äußern.

Großgruppe:

Diese Gruppe dient der Wochenreflexion. Jeder Patient sollte möglichst, soweit er sich dazu in der Lage fühlt, in einigen Sätzen seinen derzeitigen Ist-Zustand erklären und vielleicht einen ersten Vergleich ziehen. Was ist besser, was schlechter geworden? Oder hat sich etwa nichts verändert? Durch die Stellungnahmen aller Patienten kann auch untereinander gesehen und gehört werden, welche Patienten vielleicht noch am ehesten Hilfe und Unterstützung erfahren müssen. Die Gruppe soll auch dazu dienen, im Gespräch zu bleiben und keine Isolation aufkommen zu lassen. Auch ein solcher Zustand ist auf der Station immer wieder möglich – vor allem wenn es häufige Wechsel sowohl bei den Patienten als auch bei den Therapeuten gegeben hat. Große Fluktuation kann große Probleme mit sich bringen!

In dieser Gruppe haben externe Therapeuten Gelegenheit, für ihre Angebote zu werben und zu motivieren!

Unregelmäßig wird nach Bedarf eine Informationsgruppe für erkrankte Menschen mit „schizophrenen und schizoaffektiven Psychosen“ angeboten. Die Kleingruppe hat psychoedukativen Charakter und soll eine konstruktive und reflexive Auseinandersetzung fördern. Initiiert wurde die Gruppe von einer Fachkrankenschwester für Psychiatrie im Rahmen ihrer Weiterbildung!

Es wird weiterhin überlegt, die „Lebenswelt“ der Patienten über ein Kleingruppenangebot zur Biographiearbeit zu entwickeln bzw. im Wechsel mit anderen Angeboten anzubieten!

Mehr als ein Drittel der Angebote übernehmen seit Jahren die Pflegekräfte selbstständig in eigener Verantwortung. Und insgesamt sind sie an allen Aktivitäten beteiligt. Pflegekräfte organisieren und gestalten, koordinieren, gleichen und verarbeiten eine große Menge an Information und Mitteilung jeglicher Art ab. Der Wochenplan ist bislang das Kernstück der Pflege in der stationären Psychiatrie!

Ein weiterer wichtiger Baustein bedeutete der Aufbau eines Bezugspflegesystems, da vorangegangene überwiegend praktizierte Funktionspflege, die für den Verf. denkbar schlechteste Form der Pflege überhaupt, im Laufe der Jahre nicht mehr hinnehmbar erschien!

1.4 Die Bezugspflege

Auf Station 1 hat sich seit Januar 1996 das Organisationsprinzip der Gruppenpflege etabliert. Die Gruppen- oder Bereichspflege ist eine Form der auch von der Psych-PV fachlich favorisierten Bezugspflege (vgl. Kunze/Kaltenbach 1996, S. 7, 134), ohne die psychiatrische Arbeit mit dem nötigen Augenmaß für Entwicklung und Perspektive nicht möglich scheint!

Bei ausreichender personeller Besetzung (mindestens zwei, besser vier Pflegekräfte pro Schicht) wird die Bereichspflege, nicht zuletzt wegen klarer Handlungs- und Zuständigkeitskompetenz, als eine Bereicherung erlebt.

Bei dieser Form der Pflege werden Menschen Menschen zugeordnet und nicht, wie bei der Funktionspflege, Menschen Tätigkeiten. Bei der Bezugspflege gewinnt der Aspekt der „Ganzheitlichkeit“ praktische, für die einzelne Pflegekraft erlebbare Bedeutung (vgl. Kistner 1994, S. 17-38, Anhang V)!

Während der ganzen Woche sind die anwesenden pflegerischen Mitarbeiter je zur Hälfte je einer Zimmerseite zugeordnet. Damit ist meistens sichergestellt, welche Pflegekraft für welche Patienten und damit für welchen räumlichen Bereich der Station zuständig ist.

Das Pflegeteam bemüht sich, die Zimmerseiten gleichmäßig zu belegen.

Eine Zimmerseite bedeutet: Fünf bzw. sechs Zimmer mit maximal zehn bzw. zwölf Patienten. Auf der Station sind dies die Zimmer 1-6 und Zimmer 8-12).

Im administrativen Bereich gibt es schon seit langer Zeit abgesprochene Arbeitsteilungen, u.a. auch für den Nachtdienst.

[...]


1 · Auf die Dichotomie der Geschlechter wird im nachfolgenden Text zwecks besserer Lesbarkeit (Originalzitate ausgenommen) verzichtet. Wenn nicht anders vom Verf. beschrieben, sind stets Frauen und Männer gemeint.

Die Arbeit beinhaltet die orthografischen Regeln der neuen Rechtschreibung.

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Die Einführung des Peplauschen Pflegemodells unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung
Hochschule
Hochschule Hannover  (Fachbereich Gesundheitswesen)
Veranstaltung
Praxis-Projekt-Bericht
Note
gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
66
Katalognummer
V5619
ISBN (eBook)
9783638134408
ISBN (Buch)
9783638696920
Dateigröße
2483 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sehr dichte Arbeit - einzeiliger Zeilenabstand. 2,77 MB
Schlagworte
Einführung, Peplauschen, Pflegemodells, Aspekt, Gesundheitsförderung, Praxis-Projekt-Bericht
Arbeit zitieren
Dipl.-Pflegew. (FH) Peter Harms (Autor:in), 2002, Die Einführung des Peplauschen Pflegemodells unter dem Aspekt der Gesundheitsförderung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5619

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