Der weiße Rosendorn. Ein Märe von Bescheidenheit und Verschwiegenheit


Zwischenprüfungsarbeit, 2001

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2.1 Inhalt
2.1.1 Der Rahmenmonolog
2.1.2 Das Exposé
2.1.3 Das Streitgespräch
2.1.4 Die Probe
2.1.5 Das glückliche Ende
2.2 Ausdeutung
2.2.1 Hybris und Bescheidenheit
2.2.2 Verschwiegenheit und Öffentlichkeit
2.2.3 Die Moral

3. Schluß

4. Bibliographie

1. Einleitung

Die älteste erhaltene Überlieferung der mittelhochdeutschen Schwankmäre, die hier unter dem heute gebräuchlichen Titel „Der Rosendorn“ behandelt wird, trägt den Titel „Vô den wurczgarten“ und befindet sich in einer Handschrift, die um 1430 in Unterschwaben entstand und heute in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe aufbewahrt wird. Zusammen mit einer auf 1447 datierten Handschrift aus Augsburg, in der der besagte Text unter dem Titel „Vô dem weissen rosen dorn“ wieder auftaucht und die heute in der Sächsischen Landesbibliothek Dresden einsehbar ist, läßt sich der Text annähernd vollständig rekonstruieren, wie Hanns Fischer es getan hat. Das Ergebnis dieser Rekonstruktion bezeichnet er mit „Der Rosenbusch I“ (kurz: „RO I“)[1], welche Bezeichnung die vorliegende Arbeit übernimmt. Dem gegenüber stellt Fischer einen von ihm „Der Rosenbusch II“ (kurz: „RO II“)[2] genannten Text, der ebenfalls der ersterwähnten Handschrift entstammt und unter dem Titel „Von dem Rosen Dorn ein gut red“ offenbar das selbe Schwankmäre zum Inhalt hat, weitgehend sogar wörtlich mit ihm übereinstimmt. Offenbar handelt es sich hierbei um eine spätere Bearbeitung des Märe, die es hauptsächlich um eine Einleitung erweitert, in der die Handlung in einem Traum verlegt wird. Außerdem wird am Ende das Versprechen hinzugefügt, der Erzähler wolle die Geschichte von nun an nicht mehr erzählen. Wie die genauere Betrachtung des Märe erbringen wird, widersprechen beide Ergänzungen dessen eigentlicher Absicht, was als Beleg dafür ausreichen mag, daß es sich hierbei um eine spätere Bearbeitung handeln muß. RO II wird aus diesem Grunde in der vorliegenden Arbeit weitestgehend unberücksichtigt gelassen. Sie wird sich darauf beschränken, zunächst den Inhalt von RO I wiederzugeben und ansatzweise zu erläutern. In einem zweiten Schritt wird anschließend versucht werden, anhand der ersten 50 Zeilen, in denen die vorliegende Arbeit in Anlehnung an Karl-Heinz Schirmer eine Art Exposé des Märe sieht, dessen Thematik näherzukommen, die dort in symbolischer Verschlüsselung dargelegt wird. Insbesondere wird hierbei versucht werden, der Diskussion um dieses umstrittene Stück mittelhochdeutscher Literatur zwei neue thematische Ansätze hinzuzufügen.

2.1 Inhalt

2.1.1 Der Rahmenmonolog

RO I wird durch eine Authentizitätsbeteuerung seitens des Ich-Erzählers eingeleitet (Z 1 – 5), wie sie in der mittelhochdeutschen Märenliteratur ja recht häufig ist. Mögliche Einwände gegen die Unglaubwürdigkeit des Erzählten werden vorweggenommen und mit der Aussage, es handele sich dabei um Selbsterlebtes, entkräftet. Aber im Gegensatz zu seinen literarischen Vorbildern führt das Märe vom Rosendorn diese Autentizitätsbegründung insofern weiter, als daß der Erzähler zunächst als beobachtende Nebenfigur, am Ende aber sogar als Handlungsträger in die eigentliche Handlung eingeflochten wird. Auf die genaue Bedeutung dieses Ich-Erzählers, sowie auf dessen Beteiligung an der Handlung wird an gegebener Stelle noch einzugehen sein.

In der Einleitungsformel wendet sich der Ich-Erzähler direkt an den Leser, bzw. Hörer[3], so wie er es im weiteren Verlauf der Handlung immer wieder tut, teils um die Spannung zu steigern (Z 49 – 61), teils um das Gesagte zu erklären (Z 115 – 116), teils auch um gewissermaßen editorische Anmerkungen zu machen (Z 244), und wie es auch am Ende in der ironisierten Moralisatio (Z 271 – 276) geschieht. Insbesondere auf die Stellen Z 49 – 61 und Z 271 – 276 wird aber an entsprechender Stelle noch einzugehen sein. Hier sei vorerst nur vermerkt, daß es eine Art von das Märe einrahmenden und ebenso innerhalb dessen immer wieder aufblitzenden Monolog des Verfassers gibt, der sich direkt an den Zuhörer wendet.

2.1.2 Das Exposé

Die Zeilen 6 – 42 führen nun in den Ort und die Art des zu berichtenden ein. Dabei beschreiben sie einerseits gewissermaßen den lokalen Hintergrund, auf dem sich das Märe abspielt, andererseits aber führen sie vor allem durch die Symbolik, die in ihnen verwendet wird in die Art des Geschehens ein, das nun folgen wird. Nur deshalb ist es dem Ich-Erzähler möglich, in dem folgenden Einschub (Z 49 – 60) seine Zuhörer entscheiden zu lassen, ob sie das Märe hören wollen oder nicht.[4] Zwar wird die Symbolik an anderer Stelle noch zu erörtern sein, doch sollen die relevantesten Motive hier zumindest kurz aufgeführt werden. Der Ort des Geschehens ist ein zwischen locus amoenus und hortus conclusus[5] aber auch zwischen Rosenhag und Garten Eden angesiedelter wurzgarten (Z 7). Dominiert wird dieser offenbar von einem Zaun[6] umgebene Kräutergarten von einem weissen rosendorn (Z 16), der selbst wiederum von einem raif (Z 21) umgeben ist und der so prait und dick (Z 17) ist, daß er zwelf rittern (Z 19) Schatten böte. Angelegt hat dieses Arrangement eine junkfrau (Z 6), die es sich zur Gewohnheit gemacht hat, jeden Morgen noch vor Sonnenaufgang nackt in diesen Garten hinauszutreten und sich mit Rosenwasser zu übergießen, welches sie anschließend in einem Glas auffängt und unter dem Rosenbusch plaziert.

Dieses verborgene Idyll wird in den Zeilen 43 – 48 nun empfindlich gestört, indem es nämlich beobachtet wird. Der Ich-Erzähler kommt in der Absicht, Rosen zu stehlen, zu der Hecke, durch die hindurch er das nun folgende beobachtet zu haben vorgibt. Mit dieser Einführung des Erzählers in die Szenerie endet das Exposé des Märe. In wie weit gerade diese Anwesenheit eines Beobachters die eigentlichen Geschehnisse des Märe erst auslöst, wird noch zu erörtern sein.

Bevor nun die eigentlich Handlung beginnt, vergewissert der Erzähler sich zuvor noch, wie bereits erwähnt, daß seine Zuhörer diese auch wirklich hören wollen. Dies dient zum einen natürlich der Erhöhung der Spannung, ist aber andererseits vermutlich auch mehr als eine rein rhetorische Frage. Die nun folgenden Derbheiten der Handlung, im Text selbst als fremde mer (Z 48) bezeichnet, könnten durchaus als Beleidigung zuhörender Damen empfunden werden, sofern diese nicht deren metaphorischen Sinn verstehen. Daß dieser Sinn besteht, darauf weist der Erzähler eigens mit den Worten ich ger urloubs, das man icht / jech, das mär sei entwicht (Z 57 – 58) hin. Außerdem macht er sein Weitererzählen von der Zustimmung der Protagonistin abhängig, die er aber, wie sich im Verlauf des Märe herausstellt, unbedingt hat.[7] Auffällig aber ist, daß er die Protagonistin als mein junkfrau betitelt, was bereits darauf hinweist, daß er sie sich am Ende in irgendeiner Form aneignen wird, sei es durcht den Akt der Defloration, sei es dadurch, daß er sie ehelicht.

Die bisher beschriebenen Teile des Märe werden von Werner Schröder als der Beginn der Rahmenerzählung zusammengefaßt.[8] Dieser Auffassung soll hier nicht widersprochen werden, zumal Schröder unter anderem aus ihr den Märencharakter des Rosendorns herleitet. Die detailiertere Aufgliederung, derer sich diese Arbeit befleißigt, findet ihre Begründung hauptsächlich in der Tatsache, daß sich aus ihr die Funktion der Zeilen 6 – 48 als Exposé der Handlung ergibt. Im zweiten Teil, wenn es um die Thematik und die zu ihr vorgenommene Aussage des Märe gehen wird, wird sich die vorliegende Arbeit vornehmlich mit diesem Exposé zu beschäftigen haben, weil sich hierin die relevanten Konnotationen befinden, die zur Entschlüsselung des bereits erwähnten Hintersinnes notwendig sind.

2.1.3 Das Streitgespräch

Als nächstes berichtet der Erzähler, daß es ja allgemein bekannt sei, daß es einige Kräuter gäbe, die, legte man sie einem Stummen in den Mund, diesen zum Sprechen befähigten. Dies mag, wie Schirmer behauptet, eine allgemeine Erfahrensweisheit der damaligen Zeit sein, und somit eine „für die Wirkung wichtige Brücke zwischen dem Publikum und der ‚Fremdheit‘ [...] des Stoffes“ herstellen.[9] Andererseits aber stellt diese Vorstellung des wurz (Z 63) und seiner Kräfte eine Einführung in einen weiteren wichtigen Teil der textspezifischen Realität dar. Zwar war das wurz zuvor bereits im Begriff des wurzgartens immanent schon mitgedacht worden, nun aber wird es dem Hörer explizit vorgestellt. Ähnlich verfährt der Erzähler auch mit der fud[10], die in Zeile 75 erstmals explizit erwähnt wird, wenngleich sie, als zu der junkfrau gehörendes Körperteil, bereits in deren erster Erwähnung in Zeile 6 gewissermaßen mitgedacht gewesen sein muß. Es ist also nicht völlig unbegründet, zu behaupten, in den Zeilen 62 – 75 würden die Antagonistinnen der Geschichte vorgestellt. Der Protagonistin junkfrau wird die Antagonistin ihrer fud hinzugesellt, die dann sogleich einen Disput mit dieser beginnt, und analog wird dem rosendorn das wurz entgegengesetzt. Was diese pflanzliche Analogie zum Spannungsverhältnis des Textes zu bedeuten hat, wird noch zu erörtern sein.

[...]


[1] in: Hanns Fischer, Die Deutsche Märendichtung des 15. Jahrhunderts, München 1966, S.444-461

[2] daselbst

[3] Der überwiegenden Oralität der Literatur zur Zeit des Entstehens des zu behandelnden Märe folgend, entscheidet sich die vorliegende Arbeit im weiteren aus Gründen der Ökonomie dafür, nur noch von den Hörern zu sprechen.

[4] vgl. K.-H. Schirmer, Stil- und Motivuntersuchungen zur mittelhochdeutschen Versnovelle, Tübingen 1969, S. 261

[5] Zur Ambivalenz zwischen diesen Polen vgl. Schirmer, S. 254

[6] umbfriden geht zweifelsfrei zurück auf vriden – einen Zaun machen, in Frieden bringen

[7] Sie drängt ihn ja geradezu, die Geschichte zu erzählen, wenn sie ihn um Hilfe bittet das ich innen pring die man, / das ich mein fud wider han (Z 253 – 254).

[8] Schröder, S. 548

[9] Schirmer, S. 262

[10] da es in der neuhochdeutschen Umgangssprache ein gleichlautendes Wort mit der Bedeutung „Hinterteil“ gibt, sei hier, um Unklarheiten vorzubeugen, auf M. Lexer hingewiesen, der dieses Wort als „cunnus, vulva“ übersetzt. Daß es sich hierbei lediglich um eine Übertragung des aus dem Vulgärlatein stammenden Wortes ins klassische Latein handelt, mag darauf hindeuten, daß es dem Neuhochdeutschen an einem Ausdruck mangelt, der nicht entweder der medizinischen Terminologie oder der Gossensprache entstammt. Tatsächlich gehört ja die fud (aus den erwähnten Gründen empfiehlt es sich, die mittelhochdeutsche Bezeichnung beizubehalten) zu den Dingen, „über die man – damals wie heute (vgl. Schröder, S. 553) - nicht spricht“. Hierin ist wohl der Grund zu sehen, weshalb das zu behandelnde Märe auch auf den heutigen Leser noch eine komische Wirkung erzielt, wenngleich dieser des Hintergrundwissens bezüglich der Symbolik, der Rhetorik und der Minnekasuastik entbehrt, auf dessen Hintergrund der Rosendorn ursprünglich den größten Teil seines Witzes durch Ironisierung entfaltete.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der weiße Rosendorn. Ein Märe von Bescheidenheit und Verschwiegenheit
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
Mittelhochdeutschen Märendichtung
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
19
Katalognummer
V56499
ISBN (eBook)
9783638511575
ISBN (Buch)
9783638773508
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Schwankmäre "Der Rosendorn", auch überliefert als "Vô den wurczgarten" und "Vô dem weissen rosen dorn", das in der Forschung bisher vor allem unter gattungsspezifischen Gesichtspunkten behandelt wurde, wird erstmals inhaltlich interpretiert. Dabei werden den besonders die Metaphernfelder von Sexualität und Kommunikation erörtert.
Schlagworte
Rosendorn, Märe, Bescheidenheit, Verschwiegenheit, Mittelhochdeutschen, Märendichtung
Arbeit zitieren
Magister Artium Norbert Krüßmann (Autor:in), 2001, Der weiße Rosendorn. Ein Märe von Bescheidenheit und Verschwiegenheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56499

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