Georg Heym "Die Verfluchung der Städte". Gedichtanalyse mit besonderer Berücksichtigung der wie-Vergleiche im Bezug auf Roman Jakobsons "Theorie der Poesie"


Seminararbeit, 2005

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Theorie der strukturalen Gedichtanalyse Roman Jakobsons

2. Analyse des Gedichtes „Verfluchung der Städte V“ von Georg Heym
2.1. Gedichtform, Metrum und Reimschema
2.2. Der wie-Vergleich in „Verfluchung der Städte V“

3. Schlussfolgerungen

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Theorie der strukturalen Gedichtanalyse Roman Jakobsons

Laß dich nicht verdrießen, den Dichter (…)gleichsam zu zerstückeln; ich kenne nur

diesen Weg, um aus der allgemeinen in die

besondere Bewunderung zu gelangen.

Goethe[1]

Wie sollte man ein Gedicht analysieren, um die Intention des Dichters richtig zu verstehen? Die Frage verfolgt mich schon seit meiner ersten Begegnung mit der Gedichtanalyse. Bei der Gedichtinterpretation in der Schule ging es immer vor allem darum, was der Text zu sagen vermag. Ich habe immer versucht, die Frage zu beantworten, was ein Gedicht bedeutet. Die Lektüre von Roman Jakobsons Aufsätzen zur Poetik hat mir aber neue Einblicke in die Gedichtanalyse verschafft.

Bei seiner Gedichtanalysen versucht Jakobson die Antwort auf die Frage zu finden wie ein Gedicht gemacht ist.

In seinen Analysen konzentriert er sich auf die Struktur des Gedichtes.

Der Text ist für ihn ein System von Zeichen, das innerhalb seiner Grenzen organisiert ist. Die Zeichen werden miteinander kombiniert und bilden Strukturen auf verschiedenen Ebenen, z.B. auf der Ebene des Reimschemas, der Metrik, der Wortlaute oder der Wortarten.

„Was ein Gedicht zum Gedicht macht, ist die Vorherrschaft der poetischen Funktion über andere Funktionen der Sprache“[2]. Jakobson sagt: „die poetische Funktion bildet das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination ab“[3]. Die Bedeutung des Textes wird also durch die Ähnlichkeitsbeziehungen und die Unähnlichkeitsbeziehungen der im Text vorhandenen Zeichen gebildet. Er versucht erstmal zu untersuchen, wie ein Text aufgebaut und produziert ist, ohne auf inhaltliche Kriterien einzugehen. Jakobson analysiert ein Gedicht wie ein Linguist: mit Berücksichtigung der Syntaktik, Metrik, Rhythmus und der grammatischen Strukturen.

In der nachfolgenden strukturalen Gedichtanalyse des Gedichts „Verfluchung der Städte V“ von Georg Heym versuche ich ausgewählte Aspekte des Verfahrens von Jakobson anzuwenden. Ich konzentriere mich dabei besonders auf wie-Vergleiche und ihre Analyse auf der syntaktischen, metrischen, phonetischen, als auch semantischen Ebene und werde untersuchen, ob die Analyse von grammatischen und syntaktischen Figuren wirklich beim Verstehen dieses expressionistischen Gedichtes und seiner dichten und komplexen Bildlichkeit hilft.

2. Analyse des Gedichtes „Verfluchung der Städte V“ von Georg Heym

Verfluchung der Städte V

1 Ihr seid verflucht. Doch eure Süße blüht
2 Wie eines herben Kusses dunkle Frucht,
3 Wenn Abend warm um eure Türme sprüht,
4 Und weit hinab der langen Gassen Flucht.
5 Dann zittern alle Glocken allzumal
6 In ihrem Dach, wie Sonnenblumen welk.
7 Und weit wie Kreuze wächst in goldner Qual
8 Der hohen Galgen düsteres Gebälk.
9 Die Toten schaukeln zu den Glockenklängen
10 Im Wind, der ihre schwarzen Leichen schwenkt,
11 Wie Fledermäuse, die im Baume hängen,
12 Die Toten, die der Abend übersengt.
13 Und wie ein Meer von Flammen ragt die Stadt
14 Wo noch der West wie rotes Eisen glänzt,
15 In den die Sonne, wie ein Stierhaupt glatt,
16Die Hörner streckt, [die dunkles] Blut bekränzt.[4]

2.1 Gedichtform, Metrum und Reimschema

„Verfluchung der Städte V“, ein Gedicht aus dem Zyklus „Umbra vitae“, entstanden im Jahr 1910, ist das letzte in der Reihe von fünf Gedichten mit diesem Titel.

Das Gedicht besteht aus vier Quartetten. Die ersten zwei Quartette enthalten je zwei Sätze, im Unterschied zu den zwei letzten, die nur je einen Satz bilden.

Der erste Satz des Gedichtes: „1Ihr seid verflucht“, ein kräftiger Aussagesatz, betont den Hass des anredenden Subjekts gegen das angeredete Objekt. Interessant ist, dass diese Anredeform nach der ersten Strophe nicht mehr aufgenommen wird, es wird sogar in der letzten Strophe auf die Pluralform verzichtet („13Und wie ein Meer von Flammen ragt die Stadt“).

Das Versmaß des Gedichtes ist ein fünfhebiger Jambus mit männlicher Kadenz.

Nur in dem neunten und elften Vers haben wir eine Abweichung von dem Schema, nämlich die weibliche Kadenz am Ende. („9Die Toten schaukeln zu den Glockenklängen“) Auch die Silbenzahl in zwei Versen der dritten Strophe unterscheidet sich von dem Rest – Vers neun und elf haben 11 Silben, während die anderen Verse aus 10 Silben bestehen. Die Wahl dieses Versmaßes, der für die Mehrheit von Heyms Gedichten bestimmend ist, begründet Wilfried Steiner auf zweifache Weise:

Erstens hat Heym, (…) wohl ganz bewusst die einfache jambische Struktur als „Flussbegradigung“ für den wilden Strom seiner Bilder und Metaphern verwendet, um das Ausufern der Visionen im poetischen Sinn zu verhindern, um die größtmögliche Kommpression und „Strömungsgeschwindigkeit“ zu erreichen.(…) Ferner scheint das Korrset der Form für Heym auch eine selbsterhaltende Funktion zu besessen zu haben. Es ist als wäre der straffe Rhythmus der Jamben das letzte Bollwerk der Persönlichkeit gegen den ungezähmten Ansturm der Halluzinationen, die letzte Garantie einer Ich-Integrität im bodenlosen Strudel der Wahnvorstellungen.[5]

Wenn es um den Reim geht, gibt es in dem Gedicht nur den Kreuzreim. Interessant ist die Beobachtung der Reimwörter. Die meisten Reimwörter sind Verben (7), denen die Substantive folgen (6) und 3 sind Adjektive. Die Silbenzahl in den Reimwörtern beachtend, können wir feststellen, dass 10 Reimwörter einsilbig sind, 4 sind zweisilbig und je ein drei- und viersilbig. Die Mehrheit der einsilbigen Wörter, auf die auch die Betonung fällt, bewirkt den harten Abschluss des Verses.

[...]


[1] Zitiert nach:Lübbe-Grothues, G.: Gedichte interpretieren im Anschluß an Roman Jakobson, in: H. Birus, S. Donat, B. Meyer-Sickendiek (Hrsg.): Roman Jakobsons Gedichtanalysen. Eine Herausforderung an die Philologien, Göttingen: Wallstein Verlag, 2003, S. 181

[2] Ebd., S. 185

[3] Jakobson, R.: Linguistik und Poetik, übers. von Stephan Packard, S. 15 (Englische Originalfassung Linguistics and Poetics in Selected Writiings II, The Hague: Mouton, 1971, S. 18-51)

[4] Schneider, K.L. (Hrsg.): Georg Heym. Dichtungen und Schriften. Band 1 Lyrik, Hamburg und München: Verlag Heinrich Ellermann, 1964, S. 225-226

[5] Steiner, W.: Rausch - Revolte-Resignation. Eine Vorgeschichte der poetischen Moderne von Novalis bis Georg Heym, Wien: VWGÖ, 1990 (Dissertationen der Universität Salzburg), S. 114

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Georg Heym "Die Verfluchung der Städte". Gedichtanalyse mit besonderer Berücksichtigung der wie-Vergleiche im Bezug auf Roman Jakobsons "Theorie der Poesie"
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Proseminar II A: Strukturalistische Gedichtanalyse
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V56856
ISBN (eBook)
9783638514385
ISBN (Buch)
9783656800002
Dateigröße
530 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg, Heym, Verfluchung, Städte, Gedichtanalyse, Berücksichtigung, Bezug, Roman, Jakobsons, Theorie, Poesie, Proseminar, Strukturalistische, Gedichtanalyse, Jakobson, Vergleiche
Arbeit zitieren
B.A. Sylwia Zduniak (Autor:in), 2005, Georg Heym "Die Verfluchung der Städte". Gedichtanalyse mit besonderer Berücksichtigung der wie-Vergleiche im Bezug auf Roman Jakobsons "Theorie der Poesie", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/56856

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