Max Webers Sicht des antiken Christentums


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

22 Seiten, Note: sehr gut (1-)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Entwicklungen des Judentums in Vorchristlicher Zeit

3. Die Jesusbewegung
3.1. Die Verkündigungen Jesu
3.2. Die durch Jesu begründete Gesinnungsrevolution

4. Die Entwicklung der ersten christlichen Gemeinden

5. Veralltäglichung des Charismas

6. Die Mission des Paulus
6.1. Paulus` Legitimation
6.2. Paulus` Errungenschaften
6.2.1. Der intellektuelle Christ
6.2.2. Ein heiliges Buch für das Christentum
6.2.3. Antiochien als Tor zur Welt

7. Zusammenfassung

Literatur .

1. Einleitung

Ich will mich in dieser Arbeit mit Max Webers Sicht des antiken Christentums beschäftigen. Es sollen dabei die Ereignisse dargestellt werden, die entscheidend waren für die Entwicklung des Christentums zu einer eigenständigen Kulturreligion. Hier spielt in erster Linie die Trennung des Urchristentums vom Judentum eine Rolle.

Leider liegt uns vom Max Weber keine Monographie über das Urchristentum vor. Er hatte zwar eine solche in Planung, aber konnte dieses Vorhaben nicht mehr vor seinem Tod verwirklichen. Dennoch finden wir an vielen Stellen seines Werkes Hinweise, die uns erlauben, seine Gedanken zu diesem Thema zu rekonstruieren. Ausführungen über das antike Christentum finden man u.a. in dem religionssoziologischen Teil von Wirtschaft und Gesellschaft, in den Studien über den Hinduismus und den Buddhismus, sowie in den Abschnitten über die Herrschaftssoziologie. Hier dient u.a. die Jesusbewegung um den Typus der Charismatischen Herrschaft zu entwickeln. Ferner behandelt M. Weber in den Studien über das antike Judentum die Trennung des antiken Christentums von demselben als eine innerjüdische Erneuerungsbewegung, die zu einer eigenständigen Kulturreligion geworden ist. Auch wenn keine Monographie über das antike Christentum existiert, so findet man in den oben genannten Schriften doch eine Fülle von Gedanken, von denen in dieser Arbeit natürlich nicht alle berücksichtigt werden können.

In einem ersten Schritt werde ich auf die Entwicklungen des nachexilischen Judentums eingehen, welche den Weg für die Jesusbewegung bereitete. Diese soll in einem zweiten Schritt dargestellt werden. Die Inhalte der Verkündigungen Jesu werde ich durch eine Vergleich mit den Essenern erarbeiten. Diese Vorgehensweise mag etwas ungewöhnlich sein, ist vielleicht aber sinnvoll, da die Trennung des Christentums vom Judentum in dieser Arbeit im Vordergrund stehen soll.

Nach einer Darstellung der für die Entstehung christlicher Gemeinden entscheidenden Aspekte von M. Webers Typologie der Charismatischen Herrschaft sowie seiner Ausführungen zur Versachlichung des Charismas, soll auf einige Errungenschaft der paulinischen Mission eingegangen werden, welche für die Eigenständigkeit des Christentums von Bedeutung sind.

2. Entwicklung des Judentums in vorchristlicher Zeit

An dieser Stelle ist auf einige Gegebenheiten einzugehen, welche die soziale und religiöse Landschaft bildeten, in der sich zunächst die jesuanische Bewegung entwickelte.

Zwar stellte das von Jahve gegebene Gesetz die Lebensmitte der jüdischen Religion dar, doch angesichts der in nachexilischer Zeit über das Judentum gekommenen staatsmäßigen Abhängigkeit von fremden Völkern und ihrer Unselbständigkeit, sahen die Juden nicht mehr Jahve als den Herrn der Völker, sondern waren lediglich bemüht, „die weitverzweigte Technik der Frömmigkeit zu praktizieren“[1]. Vor diesem Hintergrund bildeten sich im nun zum großen Teil in Städten seßhaft gewordenen Judentum verschiedene religiöse Gruppen. Eine der herausragenden Gruppen waren die Pharisäer, zu deren Technik der Frömmigkeit G. Mensching[2] schreibt:

„Durch Auslegung und Anwendung des alttestamentlichen Gesetzes auf die kleinsten Angelegenheiten des Alltags entwickelten sie eine immer mehr wachsende Tradition von Vorschriften, die in den Lehrhäusern überliefert und immer weiter vermehrt wurden.“

Eine andere Gruppe, die Saduzzäer, lehnte diese Praxis entschieden ab. Diese konservative, zumeist aus priesterlichen Familien bestehende Gruppe hielt ausschließlich die im geschriebenen Bibeltext geoffenbarten Gesetze für verpflichtend und lehnte jegliche aus demselben durch Weiterspinnen neu entwickelten Gesetze und Traditionen ab.

Wie gerade schon bemerkt rekrutierte sich die Gemeinschaft der Sadduzäer zumeist aus den vornehmen Priesterfamilien der Jerusalemer Aristokratie. Hierin finden wir neben der praktizierten „Technik der Frömmigkeit“ einen weiteren Unterschied zu den Pharisäern, die sich im wesentlichen aus schriftgelehrten Laien, Bauern, Handwerkern und Kaufleuten zusammensetzte[3]. Max Weber[4] betont (jedoch):

„Das Pharisäertum war seinem Schwerpunkt nach bürgerlich-städtischen Charakters.“

Er sieht also die Bauern bzw. die Landbevölkerung aber auch die Bewohner von Kleinstädten nicht als tragende Mitglieder der Pharisäer an. W. Schluchter[5] schreibt hierzu:

„Weber sieht dabei das Judentum auf dem Weg zu einer bürgerlichen Gemeindereligion, eingebunden in eine bürgerlich-städtische Entwicklung und geistig geprägt von kleinbürgerlichen, vor allem handwerklichen Gruppen.“

M. Weber begründet dies mit dem Bildungsprinzip, welches in der pharisäischen Gemeinschaft einen wichtigen Stellenwert einnahm. Eben dieses geforderte Streben nach Bildung begründete wahrscheinlich bei der Landbevölkerung und den Kleinstädtern ein recht geringes Interesse an einer Mitgliedschaft[6]. Man könnte Webers Gedanken jedoch auch umkehren und vermuten, daß diese Menschen als Klientel nicht geeignet waren und es somit kein Interesse an ihrer Rekrutierung von Seiten der Pharisäer gab. Ich will dies in dieser Arbeit nicht weiter verfolgen.

Entscheidend ist, daß die Pharisäer wegen ihres bürgerlich-städtischen Charakters auf eine immer noch größere Anzahl von möglichen Klienten zugreifen konnten als die Sadduzäer. Die Pharisäer konnten den Kampf zwischen den beiden Gruppen für sich entscheiden und setzten unter ihrem wachsenden Einfluß das Bildungsprinzip gegen das von den Sadduzäern verteidigte Geburtsprinzip durch. Das Judentum erfährt einen grundlegenden Wandel, indem an die Stelle einer religiösen Positionsaristokratie eine religiöse Qualitäts- und Leistungsaristrokratie tritt.

Vor diesem Hintergrund bildete sich seit dem 2. vorchristlichen Jahrhundert eine dritte zu erwähnende jüdische Gruppe, die Essener, die uns auch unter der Bezeichnung Qumran-Sekte begegnen. Sie gehören, wie die Pharisäer, zu den Gesetzesvirtuosen, welchen durch Weiterspinnen der geoffenbarten Gesetze neue Gesetze und Traditionen schafften. Dieser Gruppe ging allerdings die Gesetzestreue der Pharisäer nicht weit genug. Das strenge Befolgen des geoffenbarten Gesetzes war der einzige Weg Gottes Gnade zu erlangen. Ferner hatten nur von der Qumran-Sekte selbst entwickelte Erweiterungen der Gesetze und Traditionen Gültigkeit. Neben der Pflicht, das von Gott gegebene Gesetz mit all seinen Erweiterungen streng zu befolgen, finden wir auch bei den Essenern die jüdische Reinheitsidee. Aber deren rituelle Verwirklichung setzte bei den Mitgliedern dieser Gemeinschaft eine ethische Qualität voraus, nämlich Demut und Abkehr von der Bosheit. Besitzlosigkeit und Gütergemeinschaft wurde von den Essenern verlangt. Ferner spielte das Gebot der unumstößlichen Gottes- und Nächstenliebe eine besondere Rolle. Das Gebot, seinen Nächsten zu lieben, sollte jedoch nur gegenüber den Sektengenossen befolgt werden. Außenstehenden gegenüber wurde offener Haß verlangt. Nur durch den Beitritt zu der Sekte und die Befolgung der Regeln war ein Mensch in der Lage, das Heil zu finden. Der radikale Gehorsam war durch die eschatologische Erwartung motiviert, die im offiziellen, nunmehr pharisäischen Judentum keinen derart großen Stellenwert einnahm.[7]

Bei allen Unterschieden zwischen den drei hier genannten jüdischen Gruppen muß darauf hingewiesen werden, daß der weiterhin gesetzestreue Charakter der jüdischen Religion als eine zentrale Gemeinsamkeit aller dieser Gruppen geblieben ist.

3. Die Jesusbewegung

In der im vorangehende Kapitel kurz dargestellten sozialen und religiösen Landschaft bildete sich eine weitere zunächst innerjüdische Gruppe, die Jesusbewegung. Die wichtigsten Inhalte der Verkündigungen Jesu soll durch eine Darstellung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu den religiösen Ansichten der Essener kurz heraus gearbeitet werden.

3.1. Die Verkündigungen Jesu

Wir finden bei einem ersten Blick auf die Inhalt der Verkündigungen Jesu einige Parallelen zu den Essenern, bei näherer Betrachtung aber auch entscheidende Unterschiede.[8] Bei den Essenern, wie bei Jesus finden wir neben der Verkündigung des nahenden Reiches Gottes, auch das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe, sowie eine Affinität zur Besitzlosigkeit. Außerdem lebte die Jesusbewegung ebenso wie die Qumran-Sekte auf Grund ihrer Ablehnung der Hierarchie in Jerusalem am Rande des offiziellen Judentums.

Diese Gemeinsamkeiten dürfen jedoch nicht von den viel schwerer wiegenden Unterschieden zwischen der Jesusbewegung und der Qumran-Sekt ablenken. Auch wenn wir eine Beziehung zwischen Jesus und den Essenern über Johannes den Täufer herstellen können, der in nächster geographischer Nähe zu dem Essenerkloster in Qumran lebte, wirkte und von den dort lebenden Mönchen wahrscheinlich geistig beeinflußt war[9], so können wir doch mit Sicherheit sagen, das Jesus kein Essener war.

Für Jesus war die Ablehnung der Jerusalemer Hierarchie religiös begründet, „nicht zuletzt, wie Matth. 23 zeigt, weil sie den Menschen unerträgliche Gesetzeslasten aufbürdete, die sie selbst erfunden habe“[10]. Das Gesetz war in den Augen Jesu nur ein nach Außen gewandtes Gehabe, das in keiner Weise den inneren Glauben reflektierte. Das bedingungslose Vertrauen in Gott und nicht das in die Gesetze, die eher vom Glauben ablenkten, war entscheidend. Die Essener lehnten die Hierarchie in Jerusalem aus Legitimationsgründen ab. Für sie führte der Weg zum Heil über die strikte Befolgung der Gesetze (mit denen dieser gepflastert war). Die Gesetzlichkeit des offiziellen Judentums ging ihnen jedoch zum einen nicht weit genug, zum anderen fanden für sie nur ihre eigenen Gesetzesvirtuositäten Gültigkeit.

Ferner hat Jesus die Besitzlosen nicht wegen ihrer vorbildlichen Lebensweise selig gepriesen, sondern wegen ihrer größeren Offenheit gegenüber der Botschaft vom Reich Gottes. Viele dieser Menschen lebten nämlich nicht in selbst gewählter Armut. Von seinen Jüngern hat er keinen Verzicht auf weltliche Güter gefordert. Bei den Essener war die Besitzlosigkeit ein zur Erlangung des Heils notwendiges Gebot bzw. Gesetz und mußte z.T. erst noch erfüllt werden.

Jesus legte auch keinen Wert auf die Reinheitsgebote. Aus seiner Sicht konnte nur innere Unreinheit den Menschen verderben, aber nicht was von außen an ihn herankommt.

Das Gebot der Nächstenliebe wurde allen Menschen zuteil. Die Jesusbewegung war somit auch hier im Gegensatz zu der Qumran-Sekte eine für jeden zugängliche Gemeinschaft. Jesus hatte keine Bedenken mit am Rande der Gesellschaft lebenden, als unrein geltenden Menschen Umgang zu pflegen. Er geht sogar noch weiter. An Stelle des Feindeshasses der Essener findet sich bei ihm das Gebot der Feindesliebe.

3.2. Die durch Jesu begründete Gesinnungsrevolution

Auf einige der oben erwähnten Grundhaltungen Jesu soll genauer eingegangen werden, da sie für die Entwicklung der urchristlichen Gemeinde eine entscheidende Rolle spielt.

Jesus verkündet das hereinbrechende Reich Gottes. Für ihn ist dieses nahende Ereignis jedoch nicht die Folge eines gesetzestreuen Lebenswandels. In seinen Augen nimmt Gott die aktive Rolle ein. So propagiert Jesus das Gebot der Nächstenliebe auch nicht, damit das Reich Gottes kommt, sondern eben weil es kommt.[11] Nur die grenzenlose Liebe zu Gott und seinen Nächsten sowie das bedingungslose Vertrauen in denselben ist notwendig, um in das nahende Reich Gottes zu gelangen und von seinem Geist Gnade zu empfangen. Es besteht hier also eine direkte, nicht durch (selbst erfundene) Gesetze vermittelte Beziehung zu Gott.

G. Mensching[12] schreib: „Es scheint daher aber sicher zu sein, daß die von Jesus praktizierte Religion der Unmittelbarkeit eine äußere gesetzliche Bindung und Regelung nicht vertrug.“

Dies stellte nicht nur einen Unterschied zu den Essenern, sondern zum gesamten Judentum dar. Der aus dem ländlichen Milieu stammende Jesus nahm eine der intellektuellen Schriftgelehrsamkeit des Judentums oppositionelle Position ein. Die von den Pharisäern für so wichtig erachtet Bildung war für ihn nicht von Bedeutung. Das geforderte kindliche Vertrauen in Gott brauchte keine Bildung. Bei M. Weber[13] lesen wir hierzu:

„Aber allerdings kann nun das Stimmungsmäßige der Glaubensreligiosität durch das Gotteskindschaftsbewußtsein (statt der asketischen Gotteswerzeugvorstellung) weiter gesteigert, die Einheit der Lebensführung dadurch noch mehr im gefühlsmäßigen Stimmungsgehalt und Gottvertrauen, statt im ethischen Bewährungsbewußtsein gesucht und so ihr praktisch rationaler Charakter noch weiter abgeschwächt werden.“

[...]


[1] Gustav Mensching: Soziologie der großen Religionen. Bonn 1966, S. 205

[2] Ebda.

[3] Vgl.: Stegmann, Dirk: Jüdische Wurzeln des Christentums. Essen 1990, S. 224 u. S. 228

[4] Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Bd. III. 8. Aufl., Tübingen 1988, S. 407

[5] Schluchter, Wolfgang: Religion und Lebensführung. Bd. 2, Frankfurt am Main 1991, S. 198

[6] Weber, Max: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie Bd. III. 8. Aufl., Tübingen 1988, S. 407

[7] Vgl.: Mensching, Gustav: Soziologie der großen Religionen. Bonn 1966, S. 210 f

[8] Ebda.: S. 212 f. Vgl. auch: Stegmann, Dirk: Jüdische Wurzeln des Christentums. Essen 1990, S. 270 ff

[9] Vgl.: Stegmann, Dirk: Jüdische Wurzeln des Christentums. Essen 1990, S. 251

[10] Mensching, Gustav: Soziologie der großen Religionen. Bonn 1966, S. 212. Es muß darauf hingewiesen werden, daß Jesus dem mosaischen Gesetz durchaus Ehrfurcht entgegenbrachte. Auf Ablehnung stoßen nur die durch Gesetzesvirtuosität entstandenen Regelungen und Traditionen. Vgl. Ebda: S. 218 f

[11] Vgl.: Mensching, Gustav: Die Weltreligionen. Darmstadt 1973, S. 208, 216

[12] Mensching, Gustav: Soziologie der großen Religionen. Bonn 1966, S. 214

[13] Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. 5. Aufl., Tübingen 1972, S. 345

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Max Webers Sicht des antiken Christentums
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Soziologisches Seminar)
Veranstaltung
Von der -Marmorpracht der antiken Städte- zum -Gehäuse der Hörigkeit-. Max Webers komparative und universalsoziologische Perspektive.
Note
sehr gut (1-)
Autor
Jahr
2001
Seiten
22
Katalognummer
V5722
ISBN (eBook)
9783638135191
ISBN (Buch)
9783656201694
Dateigröße
570 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Webers, Sicht, Christentums, Städte-, Hörigkeit-, Webers, Perspektive
Arbeit zitieren
Jan Eickhoff (Autor:in), 2001, Max Webers Sicht des antiken Christentums, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/5722

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