Zur Kritik der Bürgerlichkeit in Georg Kaisers 'Von morgens bis mitternachts'


Seminararbeit, 2004

14 Seiten, Note: 2.0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vorstellung der Bürgerlichkeit im Stück

3. Zerrüttung der bürgerlichen Welt

4. Abwendung von der Familie

5. Die Stationen der Reise
5.1 Der Ausbruch

6. Bürgerlichkeit versus Erotik

7. Der Schluss

8. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Drama „Von morgens bis mitternachts“, verfasst im Jahre 1912 von Georg Kaiser, setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Die Hauptfigur, der Kassierer, bewegt sich dabei zwischen zwei Städten, der kleinen Stadt W(eimar) und der großen Stadt B(erlin). Der Kassierer, Angestellter einer Bank, rechtschaffener Bürger und Arbeitnehmer, mutiert zum Kriminellen, als er, angestachelt von der voreingenommenen Meinung des Direktors, 60 000 DM aus der Kasse entwendet. Der Kassierer ist in seinem Gaunerdasein von nun an auf sich selbst gestellt. Er verabschiedet sich von seiner Familie und macht sich auf die Suche, Verwendung für sein geklautes Geld zu finden. Erste Station ist ein Sechstagerennen, sein Plan, das Geld gegen die größtmögliche Leidenschaft und Begeisterung des Publikums einzutauschen, schlägt mit Eintreffen seiner Hoheit und der darauffolgenden Unterwerfung der Masse fehl.

Die nächste Station nimmt ein Ballhaus ein, hier sind die vorgeführten Damen nicht das Geld wert, welches der Kassierer für sie bezahlt. In einem Lokal der Heilsarmee, der letzten Station, erkennt er sich in den Schicksalen der hier anwesenden Menschen wieder, voller Vertrauen wirft er sein restliches Geld in die Menge. Wider seiner Vermutungen stürzt sich die Menge voller Raserei auf das Geld. Ein bettelndes Mädchen der Heilsarmee, das dem Kassierer schon bei seinen zwei letzten Stationen begegnet ist, verrät ihn an einen Schutzmann, als dieser ihn festnehmen will, erschießt er sich.

Georg Kaiser verzichtet in diesem Drama auf die Einteilung in Akte und Szenen, statt dessen teilt er es in etwa zwei gleich große Teile, um den Kontrast zwischen der Zeit vor und nach dem Wandel des Kassierers zu verdeutlichen.

Meine Arbeit soll sich mit der nicht überlesbaren und -sehbaren Kritik der Bürgerlichkeit in „Von morgens bis mitternachts“ auseinander setzten, dafür möchte ich mich am Aufbau des Stückes orientieren und besondere eigene Schwerpunkte setzen. Von mir eruierte Interpretationen und Analysen werde ich im folgenden Text als gegeben darstellen.

2. Vorstellung der Bürgerlichkeit im Stück

Im Mittelpunkt des Stückes steht ganz allein der Kassierer – Angestellter einer Bank. Alle anderen vorkommenden Personen treten nur ihren Funktionen entsprechend in den verschiedenen Situationen, in die der Kassierer gerät, auf. Durch diese Funktionalität erfahren die Figuren im Stück eine gewisse Verdinglichung bzw. Typisierung. Mechanisch werden die, auf die bezogene Rolle passenden, abverlangten Tätigkeiten, Verhaltensmuster oder erwarteten Denkweisen erbracht. Der Kassierer wird, genau wie alle anderen Figuren des Stückes, nicht mit Namen genannt. Die verschiedenen Personen sind nur durch ihre äußerlichen Merkmale (Herren im Frack), Rollen (Mutter, Frau) oder Berufe (Direktor, Hotelkellner) gekennzeichnet. Keine der Personen im Stück stellt ein Individuum dar, sie sind vielmehr verwachsen mit der Figur und den Eigenschaften die sie verkörpern und durch jeden anderen Menschen der Gesellschaft ersetzbar. Der Kassierer, gefangen hinter seinem Bankschalter und in seiner häuslichen Familienidylle, strahlt keinerlei Emotionalität aus, sondern verrichtet stumm, lieblos und teilnahmslos seine Arbeit:

„Dame (kehrt zurück; rasch an den Schalter). Ach Pardon.

Kassierer (streckt die flache Hand hin).

Dame (stärker). Pardon.

Kassierer (klopft).

Dame. Ich möchte den Herrn Direktor nicht nochmal stören.

Kassierer (klopft).

Dame (in Verzweiflung lächelnd). Hören Sie bitte, ist das nicht

möglich: ich hinterlasse der Bank den Brief über den ganzen

Betrag und empfange einen Vorschuß von dreitausend?

Kassierer (klopft ungeduldig).“[1]

Das Verhalten des Kassierers lässt im gesamten Stück kein wirkliches, tiefer greifendes Interesse an anderen Menschen erkennen, einzig und allein die Reaktion auf das auftreten der Dame lässt auf Gefühle von Seiten des Kassierers schließen. Alle anderen Aufwallungen von Emotionen zielen nur auf die erhoffte Wirkung ab und nicht etwa auf die Personen als solche, sie befassen sich nur oberflächlich mit dem eigentlichen Geist oder Wesen der Menschen.

Das Wesen des Kassierers, in seiner bürgerlichen Existenz gefangen, ist versteift und eingefroren. Auch seine Familie, die später noch erwähnt werden soll, verkörpert mit ihren Stickereien, Koteletts, Geranien und Klavierouvertüren die spießige, biedere kleinbürgerliche Familie. Das Bürgertum wird den Zuschauern und Lesern als eintönige, triste Welt vorgestellt, in der jegliche Art von Gefühlen völlig abhanden gekommen sind, in der man aber auch die Aufgesetztheit und Erzwungenheit erahnen kann.

3. Zerrüttung der bürgerlichen Welt

Im Gegensatz zu diesem stets einförmigen Leben, steht die in die Bank tretende, italienische Dame mit ihrem kostbaren Pelz, dem Parfüm und der knisternden Seide. Sie verkörpert das Leben, während die Leute in der Bank ihr Leben scheinbar „verschlafen“. Das Eintreffen der Dame löst in den anwesenden Personen verschiedene Reaktionen aus. Während ihre Erscheinung dem Kassierer die Augen für das Leben außerhalb des Bürgerlichen öffnet und ihn eine Welt fernab seines farblosen Alltages erahnen lässt, meint der Direktor eine Betrügerin vor sich zu haben. Sein beschränktes, von Vorurteilen durchzogenes Wissen, lässt die Denkweisen des Bürgertums erkennen, die Angst vor dem Unbekannten, davor, aus seiner geregelten Bahn geworfen zu werden. Die Worte, die der Direktor bei seiner erdachten Umschreibung der Dame benutzt, stehen im Kontrast zum üblichen sozialen Umfeld des Kassierers. Es fallen Begriffe wie „Abenteuer“, „märchenhaft“ oder „Pelz und Seide“, welche im Leben des Kassierers eine eher untergeordnete Rolle spielen. Der Kassierer, ehemals rechtschaffener Bürger, sieht sich nach seinem Vergehen, seiner illegalen Handlung, selbst als abtrünnigen Halunken. Das Gefängnis, als welches er den Schalterraum bezeichnet, trägt er auf seiner Flucht fortan immer mit sich. Zukünftig wird er, seiner Ansicht nach, das elende Leben eines Gauners führen müssen, welches er nach seiner Wandlung, seiner Meinung nach, sofort fähig ist umzusetzen:

„Was einem nicht alles auf die Lippen kommt. Man ist ja geladen. Alles – einfach alles. Torero – Carmen. Caruso. Den Schwindel irgendwo mal gelesen – haften geblieben. Aufgestapelt. Ich könnte in diesem Augenblick Aufklärung geben über die Verhandlung mit der Bagdadbahn.“[2]

[...]


[1] Kaiser, Georg: Von morgens bis mitternachts. Stuttgart: Reclam 1965. S. 13.

[2] Kaiser, G.: Von morgens bis mitternachts. S. 47.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Zur Kritik der Bürgerlichkeit in Georg Kaisers 'Von morgens bis mitternachts'
Hochschule
Freie Universität Berlin
Veranstaltung
Grundkurs: Dramen des Expressionismus
Note
2.0
Autor
Jahr
2004
Seiten
14
Katalognummer
V58225
ISBN (eBook)
9783638524834
ISBN (Buch)
9783656784470
Dateigröße
459 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kritik, Bürgerlichkeit, Georg, Kaisers, Grundkurs, Dramen, Expressionismus
Arbeit zitieren
Linda Kim Wegener (Autor:in), 2004, Zur Kritik der Bürgerlichkeit in Georg Kaisers 'Von morgens bis mitternachts', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58225

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