Kafkas Tagebücher - Realität und phantastische Weltsicht


Hausarbeit, 2005

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorbemerkung

1 Das Tagebuch aus Literaturwissenschaftlicher Sicht
1.1 Die Geschichte des Tagebuchs
1.2 Von der Schwierigkeit einer Definition
1.2.1 Das Tagebuch als reflexive Gattung

2 Kafkas Tagebücher
2.1 Der Aufbau der Tagebücher
2.2.1 Der Traum im Tagebuch
2.2.2 Kafka als Beobachter und seine Detailbeschreibungen
2.2.3 Das Tagebuch als Werkstatt
2.2.4 Selbstreflexion
2.2.5 Die Sprache Kafkas

Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Vorbemerkung

In der Folgenden Arbeit wird als Einstieg in die Thematik das Tagebuch aus literaturwissenschaftlicher Sicht beleuchtet. In diesem Zusammenhang wird der Versuch einer historischen Annährung sowie der Benennung einiger Merkmale des Tagebuchs als Gattung unternommen. Der zweite Teil der Arbeit richtet den Blick auf die Tagebücher Kafkas und untersucht den Aspekt der Realität und der phantastischen Weltsicht. Hierfür werden Texttypen ausgewählt, die für Kafkas diaristische Arbeit repräsentativ sind, wie zum Beispiel literarische Textentwürfe, Träume oder selbstreflexive Abschnitte. Dabei wird auch auf seine Sprache eingegangen, die sowohl in seinen Tagebüchern als auch in seinem restlichen literarischen Werk den traumhaft-phantastischen Effekt miterzielt. Im Schlussteil soll nun versucht werden, die Tagebücher in den historischen Verlauf und die Merkmalsbestimmung einzubetten. Ebenso soll eine kurze Zusammenfassung des zweiten Teils Bestandteil des Schlussteils werden.

1 Das Tagebuch aus Literaturwissenschaftlicher Sicht

1.1 Die Geschichte des Tagebuchs

Versuch einer historischen Annährung

Am Anfang stand die Chronik. Sie gilt als Vorläufer des Tagebuchs[1]. Was festgehalten wird, sind „sachl. und ursächl. Zusammenhänge zwischen den Ereignissen und chronolog. Phasen“[2]. Die Chronik dient als Quelle für Geschichtsforschung und gibt Informationen über damalige Verhältnisse. Laut Metzlers Literaturlexikon existieren Chroniken seit der Spätantike. Eine andere Form der chronologischen Geschichtsschreibung sind die Annalen, die im 11. und 12. Jahrhundert aus einer Mischform der Chronik und der Historie hervorgehen. Später lehnt sich Goethe an die chronikalische Schreibweise der römischen Annalen an[3].

Auch Reisetagebücher oder Logbücher sind schon eine verbreitete Art den Zuhausegebliebenen Gesehenes zu berichten. Bis zum 18. Jahrhundert weisen die Aufschriebe jedoch noch keine Anzeichen von Reflexionen des Gesehenen auf. Die Umwelt wird sachlich und möglichst objektiv aufgeschrieben. So zum Beispiel auch die Reiseberichte von Christoph Columbus im 15. Jahrhundert, die auf Beobachtungen und Vergleichen mit dem Bekannten basieren[4]. Montaigne zieht dem eine andere Art von Reisebericht vor. So wie die Äußerlichkeiten erwähnt werden, so haben auch seine persönlichen Ansichten einen Platz gefunden im „Journal du voyage de Michel Montaigne en Italie, par la Suisse et l'Allemagne“ (1580)[5]

Die Renaissance und mit ihr die geistige Strömung des Humanismus (14. bis 16. Jahrhundert) hinterlassen ihre Spuren. „Der H. schuf den Raum für die neuzeitl. Persönlichkeitsentwicklung (Begriff der Freiheit, der Selbstbestimmung) entscheidend mit[6]“. Der Humanismus mündet in den Bewegungen der Reformation und Gegenreformation, welche den Begriff der Selbstbestimmung in dem Sinne wieder abschaffen, als dass sie den Menschen den Müßiggang verbieten und das Tagebuch als Mittel zur Beichte und Kontrolle etablieren. Das „religiöse Tagebuch“ gilt somit als Wegbereiter, dessen religiöser Kontrollcharakter sich später zur „selbstprüfenden Innerlichkeit“ entwickelt[7].

Der Mensch ist nicht mehr nur Teil einer Gemeinschaft, sondern wird in Literatur, Kunst und Wissenschaft als Individuum zum Thema gemacht. Als das Berühmteste aller Tagebücher des 17. Jahrhunderts zitiert sowohl Görner als auch Wuthenow die Aufzeichnungen von Samuel Pepys. Hier lässt sich der Kontrollcharakter durch die Religösität deutlich erkennen, indem er seine Gelübde festhält:

„18.1.1663; Im Büro mein Gelübde für dieses Jahr überarbeitet. In Gegenwart des Allmächtigen geschworen, dass ich sie bei Strafe der beigefügten Buße einhalten werde.“[8]

Im Unterschied zu den Chroniken oder Logbüchern steht das Tagebuch nun nicht mehr für die Öffentlichkeit bereit. Für Pepys kam eine Veröffentlichung nicht in Frage[9]. Die Diaristik macht auf der einen Seite eine Entwicklung zum Intimen, der Öffentlichkeit verschlossenen Buch der Selbstreflexion. Zum anderen entsteht laut Görner[10] vor allem in England der Journalismus. Das tägliche festhalten von Ereignissen wird hier explizit für die Information der breiten Öffentlichkeit genutzt.

Während des 18. Jahrhunderts schreitet die Psychologisierung des Tagebuchs weiter voran. Besonders durch die Epoche der Empfindsamkeit beeinflusst, steigt das Interesse am eigenen Ich, das mit Hilfe des diaristischen Schreibens beobachtet und analysiert werden kann[11]. So konfrontiert sich zum Beispiel auch Rousseau mit seinen intimsten Gedanken und Gefühlen, die er in seinen Bekenntnissen festhält.

„Ein neu entdecktes Naturgefühl erweckte den Sinn für idyll.-heitere wie eleg.-düstere Stimmungen und Reflexionen[12]“. Diese Empfindsamkeit lässt sich laut Wuthenow[13] sowohl bei Rousseau als auch in Goethes Reisetagebüchern finden. Doch nicht allein dies mache das diaristische Schreiben bei Goethe aus. Görner erwähnt die Vielfalt der von ihm verwendeten Tagebucharten. Außer einfachen, objektiven Notaten der Ereignisse benutzt Goethe das Tagebuch in den „Wahlverwandtschaften“ auch als literarische Form. Gleichzeitig schreibt er persönliche Tagebucheinträge in Gedichtform, was für Görner die Bereiche der Kunst und des Lebens auf eine sehr treffende Weise miteinander verbindet[14].

Markierend für die Diaristik des 19. Jahrhunderts ist das Tagebuch der Brüder Goncourt. Sie halten die Veränderungen der französischen Gesellschaft und Gespräche mit Zeitgenossen auf unverfälschte Weise fest[15].

Ein weiteres bezeichnendes Tagebuch ist das „Tagebuch des Verführers“ Kierkegaards. Bei ihm vermischen sich Realität und Fiktion. Auf der einen Seite steht „der Dialog des Tagebuchschreibers mit sich selbst“, der laut Görner[16] der Wirklichkeit entspricht, auf der anderen Seite „des verführenden Diaristen Dialog mit Cordelia“, der als fiktiv zu gelten hat. Auch Wuthenow[17] erkennt die „Raffiniertheit“ Kierkegaards, die darin bestehe, dass Fiktion (der Verführer) und Realität (Kierkegaard als Verfasser) ineinander verschachtelt seien und es so kaum gelinge beide Bereiche auseinander zu halten.

Die Entwicklung, die sich seit dem 18. Jahrhundert vollzieht, führt zu einer enormen Vielfalt an Tagebucharten. Die Diaristik entwickelt sich zu einer Gattung, in der nahezu alles erlaubt ist. Was die Literarisierung des Tagebuchs im 19. Jahrhundert betrifft, so widersprechen sich hier Guntermann und Görner. „Das 19. Jahrhundert wird das der öffentlichen Tagebücher […]. Es erfährt eine Literarisierung […] durch den systematischen Einbezug des gedachten Lesers[18]“. Görner hingegen meint „im 19. Jahrhundert verlor diese öffentliche Funktion des Diaristen an Bedeutung […][19]“. Allerdings möchte Görner Reiseberichte und die diaristischen Aufzeichnungen der Brüder Goncourt ausklammern, bzw. als Ausnahmen sehen.

Die Komplexität der Gattung Tagebuch steigert sich im 20. Jahrhundert. Probleme der Abgrenzung, die Suche nach einem normativen Gattungsbegriff, die Frage der Literarisierung und somit der Fiktionalität im Tagebuch, das Problem des Wahrheitsgehaltes bedingt durch die Reflexion des Geschehenen; dies alles sind Fragen und Probleme, die sich bei der Untersuchung des Tagebuchs des 20. Jahrhunderts ergeben.

[...]


[1] Wuthenow, 12

[2] Metzler, Literaturlexikon; Chronik

[3] Görner, 31

[5] Wuthenow, 174

[6] Metzler, Literaturlexikon, Humanismus

[7] Görner, 13

[8] Samuel Pepys

[9] Görner, 16

[10] Görner, 17

[11] Guntermann, 18

[12] Metzler, Literaturlexikon, Empfindsamkeit

[13] Wuthenow, 175

[14] Görner, 31f

[15] Görner, 19f

[16] Görner, 37

[17] Wuthenow, 47

[18] Guntermann, 19

[19] Görner, 19

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Kafkas Tagebücher - Realität und phantastische Weltsicht
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V58301
ISBN (eBook)
9783638525374
ISBN (Buch)
9783656814610
Dateigröße
1750 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kafkas, Tagebücher, Realität, Weltsicht
Arbeit zitieren
Julia Rosenberger (Autor:in), 2005, Kafkas Tagebücher - Realität und phantastische Weltsicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58301

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