Elementares im Marxismus. Mit einem Anhang über den wissenschaftlichen Charakter des Marxismus


Wissenschaftliche Studie, 2020

25 Seiten


Leseprobe


EINLEITUNG

„Das Wichtigste in der Marxschen Lehre ist die Klarstellung der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats als des Schöpfers der sozialistischen Gesellschaft“. 1.

Am 5. Mai 2020 wäre Karl Marx 202 Jahre alt geworden. Während zum 200. Geburtstag üblicherweise doch der notwendige Erinnerungsaufwand mit recht vielen, fast schon obligatorischen Fälschungen seiner Lehre betrieben wurde, ist der akademische Gossenabschaum sozialdemokratischer Färbung rasch zur Tagesordnung übergegangen. Er darbt unter dem christlich-abendländischen Kalender und hat kein offenes Ohr für Lenins Hinweis, dass wir ohne Marx noch im Dunklen tappen würden über die weltgeschichtlichen Konsequenzen, die sich aus der kapitalistischen Widerspruchsgesellschaft, dem Zerfall in arm und reich, Lohnarbeit und Kapital, für die Zukunft ergeben werden. Ohne Marx hätten wir weder den Sinn noch die Gesetze der Geschichte der menschlichen Gesellschaft, wir hätten gar keine Geschichte als eine Disziplin der Wissenschaft, und vor allem nicht die ökonomischen Bewegungsgesetze der modernen kapitalistischen Gesellschaft in ihren Entstehungs-, Entwicklungs- und Verfallsprozessen vor uns. Dass der Geschichte auch die letzten Reste von Pseudowissenschaftlichkeit abgestreift wurde, das tangiert alle Menschen. Wir richten uns seit den Entdeckungen von Marx (und auch denen von Darwin, der ebenfalls eine große Bresche in die metaphysische Weltauffassung geschlagen hatte) anders aus. Die Nebel sind verflogen. Was bedeutet es, unsere Entwicklung als eine gesetzliche Abfolge begreifen zu müssen? Wir schwimmen nicht mehr frei und beliebig im Universum herum, uns sind Bahnen vorgegeben, die uns Abweichlerinnen und Abweichler ausmachen lässt. Wäre Geschichte eine Wirrwarr-Komplexität, warum sollten nicht auch trotzkistische und andere Wirrköpfe in ihr unterkommen? Auch die Religionen haben ihre Ketzertradition, aber keine auf wissenschaftlicher Basis. Gesetz bedeutet Abweichung, Marxismus orthodoxer Revolutionskurs. Erst der historische Materialismus gibt uns einen Maßstab in die Hand, Geschichte zu vermessen und Volksfeinde zu bestimmen. Die Gesetze der Geschichte sind die Fortschrittsräder der Revolutionslokomotive. Geschichtsgesetze erweitern den Blick in die Zukunft erheblich, in der Gegenwart lebt es sich ohne Fragezeichen, wenn ein Blick in die Vergangenheit uns eine gesetzmäßige Entwicklung anzeigt, aus der eine Tendenz über unseren Gegenwartshorizont hinaus ablesbar ist. Marx spricht von einer geschichtlichen Tendenz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird geklagt, Marx und Engels hätten unsere kommunistische Zukunft nur skizzenhaft angedeutet. Man blicke in Vergangenheit und Gegenwart der Arbeiterbewegung, dort liest sich, was aktueller denn die Aktualität ist. Die Zukunft ist eben nicht aus himmlischer Luft zu schöpfen, sie hat einen soliden, erdgebundenen Sockel. Auch bekommt erst durch das Wirken von Marx die Dialektik von Revolution und Konterrevolution eine wissenschaftliche Bestimmung. Bereits Hegel beklagte sich im Vorwort seiner Rechtsphilosophie, dass im Gegensatz zu den Naturwissenschaften seine Zeitgenossen davon ausgingen, es gäbe keine Gesetze der menschlichen Gesellschaft. Er füllte das Vacuum idealistisch durch die Vernunft, die sich nicht in der Geschichte, sondern als Geschichte realisiere. So bestimmte für ihn das Bewusstsein das Sein, das gesellschaftliche Bewusstsein das gesellschaftliche Sein. Am Ende stand auch bei ihm wieder ein christlicher Gottesstaat als Rückkehr der philosophischen Idee zu sich selbst. Wo Hegel eine Weltvernunft in ihrer Entfaltung ausmachte, in der Geschichte, in die sich vieles einbilden lässt, da setzte Marx ökonomische Bewegungsgesetze an ihrer statt. Die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in die sozialistische leitet Marx einzig und allein aus ökonomischen Bewegungsgesetzen ab.

Der erste Mai ist der internationale Kampftag der Arbeiterklasse, der 5. Mai der Geburtstag von Karl Marx. Die Arbeiterklasse muss in allem die Führung haben, denn sie ist durch die modernen Produktionsmittel in den Städten konzentriert, während die Bauern in den Dörfern in der Regel zersplittert sind. Statt des ganzen christlich-abendländischen Brimboriums an Feiertagen, in denen sogar eine Himmelfahrt vorkommt, schlage ich vor, statt der christlichen Feiertage dem arbeitenden Volk in der Diktatur des Proletariats vom 1. bis zum 5. Mai arbeitsfrei zu geben. Darauf ist hinzuarbeiten und dazu dient auch die vorliegende Arbeit. Wir haben ein klares Feindbild, einen gesunden Klassenhass und eine fanatische Gewalt- und Vernichtungsbereitschaft gegenüber der Diktatur der Bourgeoisie. Die Partei der Bolschewiki, sagt Lenin, ist eine Partei, die trotz aller Schwankungen um sie herum, ihren Weg genau kennt. (Ende der Einleitung).

Im Kern des Marxismus befindet sich auf der Seite der revolutionären Praxis erstens die Lehre von der Diktatur des Proletariats, die nach der klassenkämpferischen notwendigen Zerschlagung der Diktatur der Bourgeoisie und ihrer völligen Vernichtung als Klasse sich herauszubilden beginnt auf der Basis der allgemeinen Volksbewaffnung als der Grundlage der Vernichtungstätigkeit gegen „gesellschaftliche Schmarotzertiere“, wie Engels die Unproduktiven bezeichnet. 2. Diese fielen in Russland nach 1917, in der Sowjetunion nach 1922, den von den Massen geführten Klassenkriegen zum Opfer. Es ist der diktaturgeschwängerte Bourgeoisverstand, der dafür einen Mann, einen Diktator verantwortlich zeiht und Stalin als Massenmörder bezeichnet. Männer machen keine Geschichte. Selbstverständlich konnte Stalin als Generalsekretär der KPdSU nicht außerhalb dieser Klassenkämpfe stehen, er stand in der vordersten Front, wie denn überhaupt kein Mensch sich ihnen entziehen kann.

Und zweitens die Lehre von der proletarischen Kampfpartei als Avantgarde aller vom Kapital ausgepressten Klassen mit den Prinzipien des demokratischen Zentralismus, der Reinigung, des wechselseitigen Lernens mit den Volksmassen und der Selbstnegation im Kommunismus. Diese Partei muss sowohl legal als auch illegal agieren, auch zum Mittel der Banküberfälle greifen. Worin besteht die Stärke dieser äußerst mobilen Partei? Sie besteht darin, dass sich bei ihren Mitgliedern strengste wissenschaftliche Tätigkeit mit revolutionärem Geist paart. Es gehört mit zur Eruierung des revisionistischen Charakters von Artikeln in Zeitungen, die den Titel ‚Rote Fahne‘ tragen, mit welchen Ausdrücken man die sogenannten Arbeitgeber belegt, ich finde die Bezeichnung von Engels weder in der Roten Fahne der MLPD noch in der Roten Fahne der KPD, die Redaktionen dieser Zeitungen befindet sich zur Zeit in der Hand der ‚Vornehmen‘. Der Revolution geht praktische, aber auch ineinander verwobene theoretische Vorarbeit voraus. In objektiven Prozessen ergeben sich Knotenpunkte, die zu subjektiv-sukzessiven Erkenntnissprüngen führen. Grundbedingung wissenschaftlicher Erkenntnisse aller Weltprozesse ist, diese als Kampf der Gegensätze zu begreifen. Zum Beispiel Wirkung und Gegenwirkung in der Mechanik, Bourgeoisie und Proletariat in den Gesellschaftswissenschaften. 3.

Ohne revolutionäre Praxis im Dienst der Arbeiterklasse kann es keine essentiellen marxistischen Erkenntnisfortschritte geben, selbst die Entwicklungsgeschichte der bürgerlichen Wissenschaft hat durchgehend den Affront gegen die sich selbst bebrütende aristotelisch ausgerichteten Scholastik und ihrer trockenen Buchgläubigkeit. Man kann die Revolution der Arbeiter und armen Bauern nicht vorbereiten, wenn man nicht den Marxismus-Leninismus weiterentwickelt, und man kann umgekehrt den Marxismus-Leninismus nicht weiterentwickeln, wenn man nicht die Revolution der Arbeiter und armen Bauern vorbereitet.

Theoretisch befindet sich im Kern des Marxismus die revolutionäre materialistische Dialektik, die natürlich auch in seiner Schlüsselwissenschaft, der von Marx revolutionierten politischen Ökonomie mit dem Grundpfeiler der Lehre vom Mehrwert, zur Entfaltung kommt. Die Pflege und Weiterentwicklung der materialistischen Dialektik kommt der marxistischen Philosophie zu, zu der die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen keine künstlichen Schranken errichten dürfen. Die materialistische Dialektik wirkt in jeder wissenschaftlichen Disziplin und die bürgerlichen Wissenschaftler verfehlen diese in ihrer Stagnation. Lenin sagt: „Wenn Marx auch keine ‚Logik‘ (mit großen Anfangsbuchstaben) hinterlassen hat, so hat er doch die Logik des ‚Kapitals‘ hinterlassen … Im ‚Kapital‘ werden auf eine Wissenschaft Logik, Dialektik und Erkenntnistheorie – man braucht keine 3 Worte, das ist ein und dasselbe – des Materialismus angewendet …“. 4.

Marx hatte noch im Gesamtkonzept seines Werkes den Plan, eine ‚Große Dialektische Logik‘, auf materialistischer Grundlage, versteht sich, abzufassen, leider reichte die Zeit nicht mehr. Die Methode ist nicht eine des permanent stufenförmigen wissenschaftlichen Fortschritts, es kann im Prozess der sich einer Spirale unendlich nähernden wissenschaftlichen Erkenntnisse auch Rückschritte, zunächst falsche geben, wovon die Wissenschaftsgeschichte und die wissenschaftliche Entwicklung von Marx selbst: Idealist – Feuerbachianer - philosophischer Kommunist …, beredt Zeugnis ablegt. Man kann sagen, je mehr Marx seine philosophisch-weltanschaulichen Unzulänglichkeiten überwand, am Kern der Hegelschen Dialektik und am Kern des Feuerbachschen Materialismus überwindend arbeitete, diese beiden Kerne verschmolz, bis hin zum voll ausgebildeten historischen und dialektischen Materialismus, desto versierter wurde er als Ökonom. Mit der wissenschaftlichen Weltanschauung reifte zugleich die materialistisch fundierte dialektische Methode. Für Marx werden in der Erkenntnis der Objektivität die bereits durchlaufenen Stadien gleichsam noch einmal durchgemacht, aber auf entwickeltem Niveau: „Was jetzt zu expropriieren, ist nicht länger der selbstwirtschaftende Arbeiter, sondern der viele Arbeiter exploitierende Kapitalist“. 5. Die Spirale vermittelt das Gefühl eines schwungvollen Gleichklangs, einer Harmonie; so stehenzubleiben wäre verfehlt, gerade die Dialektik ist unentbehrlich zur Krisen- und Katastrophenerforschung. Lenin notierte beim Durchlesen von Hegels Logik 1916 in Zürich den bekannten Satz, dass man ohne das vorherige Studium der Hegelschen Logik das ‚Kapital‘ von Marx nicht verstehen könne. Folglich habe in den letzten 50 Jahren kein Marxist dieses Werk, das Engels als die Bibel der Arbeiterklasse bezeichnete, verstanden. Der größte Fehler wäre es, sich hier etwas in die Tasche zu lügen. Die MLPD zum Beispiel baut ihre Partei u. a. auf den Idealisten Dickhut (Lehre von der Denkweise) auf, diese Partei ist auf Sand gebaut. Man muss eine kommunistische Partei methodologisch auf die materialistisch umgestülpte Dialektik Hegels aufbauen, auf eine seiner direkt entgegengesetzten. Die vorliegende Methode Hegels konnte und kann die Arbeiterklasse nicht brauchen, da er sie selbst als „eigentliche Metaphysik“ auffasste und anpries.

Hegel bleibt aber insofern wichtig, als Marx und Engels alles Wertvolle seiner Dialektik entnommen und weiterentwickelt haben. Warum spricht Lenin im März 1922 davon, dass keine Naturwissenschaft ohne gediegene philosophische Grundlage auskomme? 6. Warum fordert er, das systematische Studium der Dialektik Hegels vom materialistischen Standpunkt aus? Warum fordert er, dass die Zeitschrift ‚Unter dem Banner des Marxismus‘ Auszüge aus Hegels Hauptwerken veröffentlichen soll? Warum fordert er, dass die Redakteure und Mitarbeiter dieser Zeitschrift eine Art ‚Gesellschaft materialistischer Freunde der Hegelschen Dialektik‘ bilden sollen? Die Naturwissenschaft, sagt er in der gleichen Schrift, mache so rasche Fortschritte, dass sie ohne philosophische Schlussfolgerungen auf keinen Fall auskommen kann. Weder das Studium des Marxismus noch das Studium der Naturwissenschaft kommt ohne Philosophie, konkret ohne materialistische Dialektik aus. Von ihr ist auszugehen, um auf beiden Gebieten zu Weiterentwicklungen zu gelangen. Eine schlimme Sache zum Beispiel ist es, wenn man ohne vorherige Gehirnwäsche durch die materialistisch aufgefasste Hegelsche Dialektik an das Hauptwerk von Marx herantritt. Wie sind wir durch die ganze stinkende bürgerliche Gelderwerbsatmosphäre dressiert, gelähmt und vergiftet worden? Von schulischen Institutionen ist uns eingetrichtert worden, nicht die Zusammenhänge zu sehen, uns wurde keine dialektische Methode vermittelt, sondern beigebracht wurde uns, Wissen zum Frommen der Kapitalisten zu akkumulieren, nur Chaotisches zu kopieren. Aus der Klassenzerrissenheit der bürgerlichen Gesellschaft und vor allem ohne Dialektik und ohne Theorie des Klassenkampfes kann keine einheitliche, geschlossene wissenschaftliche Weltanschauung aufblühen. Die Schule wird als Last empfunden. Die bürgerliche Schule arbeitet destruktiv gegen die Kinder des Volkes, die Lehrer fallen auf den neusten anglo-amerikanischen Literaturplunder herein, auf den ‚Fänger im Roggen‘, und vernachlässigen die wertvollen Schätze der deutschen Klassik. Der Pfaffe verkleistert junge, frische Gehirne mit mittelalterlicher Jauche. Der so deformierte junge Mensch tritt an das Hauptwerk von Marx heran. Ist von ihm eine Weiterentwicklung des Marxismus zu erwarten? Er wird ‚den Marx‘ konsumieren, ihn sich ‚reinpfeifen‘, ich habe diesen Jargon selbst vernommen, auf der Spur der ihm eingepaukten Sitte.

Und auch die Logik: Das Hauptwerk von Marx ist das ‚Kapital‘, allein durch sein Studium gelange ich in den Kern des Marxismus, greift zu kurz. Im Kern des Marxismus befinden sich keine ‚Formeln‘, die es auswendig zu lernen gilt, die zwar auch (Formel des Kapitals …), aber nicht tabellarisch als Schablone, die Formeln befinden sich in sich und über sich hinaus im Fluss. Eine starre Formel ist eine Unterbrechung des Denkprozesses, sein Tod. Denken tötet, in einer bloßen Formel ruht das Leben, sie ist graue Theorie. Die Mathematik ist der Formeltod der Natur, gleichwohl unverzichtbar für menschliche Kreativität. Der Tod der Natur in der Formel - das war die ungeheure Stimulanz dialektischen Denkens und die Geschichte der dialektischen Wissenschaft hat diesen merkwürdigen Verlauf genommen, dass das Erstarrte, Mechanische dynamisiert worden ist nicht zunächst durch eine materialistische Dialektik, sondern durch eine idealistische, durch eine formale. Die Dynamik befand sich noch in einer falschen Form. Die Abbildung des Dynamisch-Prozesshaften war seitenverkehrt als Geistiges ausgegeben, damit noch in einer selbst formalen Ausgeburt, den Formalismus galt es ja gerade zu überwinden. Die Revolution aus und gegen die idealistische Dialektik umfasst die Totalität des Austausches von Form und Inhalt. Nicht der Geist bringt Leben hervor, sondern die Natur. Im Kern des Marxismus geht es nicht um ein schablonenhaftes Konstatieren, sondern um die Verfolgung der inneren Selbstbewegung der Ware als dem Widerspruch von lapidaren Gebrauchswert und verhexten Tauschwert als in sich widersprüchliche Elementarform der ganzen bürgerlichen Gesellschaft. Lenin kritisiert zum Beispiel Plechanow, dass dieser die Identität der Gegensätze als Summe von Beispielen genommen habe. Dialektisch-immanente Selbstbewegungen im Inneren von Prozessen sollten nicht an Hand von Beispielen aufgezählt werden. Die Weltprozesse sind in sich selbst begründet und sich in sich selbst bewegend. Die rudimentärste Bestimmung der Dialektik ist, sie als eine Prozesswissenschaft von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung aufzufassen und zu begreifen, als zweiseitige Bewegung, eine der Welt und eines des Denkens. Nun ist ein Prozess nur vorhanden, wenn eins sich in zwei gespalten hat, wenn Anderes auf Anderes verweist, das sich im Prozess als sein eigenes Anderes erweist, denn es war ja eins, das sich gespalten hatte. Beide verwandeln sich ineinander. Dialektik „ist die richtige Widerspiegelung der ewigen Entwicklung der Welt“ 7., der sich ewig widersprüchlich entwickelnden Materie. Eine Definition von Dialektik ist nicht zu verlangen, eine Definition allgemein, gerade hier, erschöpft hier nichts. Alles geht über seine Definition hinaus. Und doch gibt Engels im Anti-Dühring aus Gründen der Allgemeinverständlichkeit eine berühmte der Dialektik – sie sei weiter nichts als die Wissenschaft der allgemeinsten Bewegungs- und Entwicklungsgesetze der Natur, der Gesellschaft und des menschlichen Denkens. 8. Meinetwegen, man kann diese auswendig lernen. Eine Definition umfasst aber immer nur annähernd die Sache und kann deren konkretes Studium nicht ersetzen. Es gibt keine Definition des Menschen, Feuerbach fasste ihn abstrakt und unbedingt auf, nicht als Wesen einer bestimmten gesellschaftlichen Formation.

In der formalen Logik, die seit der cartesianisch-erkenntnistheoretischen Spaltung von Subjekt und Objekt auch als sogenannte mathematische Methode aufkommt und wissenschaftsgeschichtlich dominant wird, können zum Beispiel Sein und Nichts nicht ineinander übergehen, beides bleibt formal auf seiner Seite stehen und fixiert sich in seinem eigenen inneren Mittelpunkt. Die Dialektiker bezeichnen eine solche Auffassung als metaphysische Sichtweise. Für diese gehen Sein und Nichts ineinander über. Was für Hegel Kategorien einer vom Philosophen vorausgesetzten philosophischen Idee sind, das sind für den Revolutionär und Materialisten Marx ideelle Reflexe vor sich gehender materieller Prozesse in der Natur und in der Gesellschaft, in denen ständig Gegensätze ineinander umschlagen. Eine Wirkung folgt aus der Ursache, ist aber nicht von ihr getrennt und kann nicht von ihr getrennt werden. Es ist die Ursache, die Wirkung wird und damit auch selbst Wirkung wird, es ist sie selbst: Wechselwirkung. Die Ursache ist ihre Wirkung und ihre Wirkung, ein sich gegenseitig durchdringender Prozess: U wird W, W wird U. Indem die Ursache wirkt, bewirkt sie sich selbst. Es ist ihre Ursache und ihre Wirkung. Ohne Wirkung wäre die Ursache nicht Ursache, also ist die Wirkung ihre Ursache. Man kann in Gedanken ein ‚zugleich auch‘ hinzusetzen, aber die Reinheit der Wechselwirkung bedarf keiner Mittelglieder, keiner weiteren Mitteilung. Die Ursache wird erst durch die Wirkung Ursache. Die formale Logik behauptet A=A, das ist richtig-falsch, dialektisch wird A zu A und zu sich selbst zurück – ein Prozess. Erst die Bewegung, nicht die Kopie als Verdopplung, sagt aus, was das Subjekt ist. Die Wahrheit, sagt Hegel ist nicht eine fertig ausgeprägte Münze, die so gegeben und so eingestrichen werden kann. Das Wahre und das Falsche ist nicht hüben und drüben. Das macht eben die Schwierigkeit der dialektischen Prozessauffassungen aus, die drei Grundgesetze der Dialektik sind nicht nebeneinander liegende Schablonen, sondern sie gehen ineinander über. Im Prozess der Negation der Negation entfaltet sich zugleich die Einheit, vor allem aber der Kampf der Gegensätze, und natürlich kommt es auch zum Umschlag von Quantität in Qualität. War es ein Fortschritt, die Welt in ihrer Materialität aufzufassen, so war es ein weiterer Fortschritt, ihr dialektisches Getriebe freizulegen. Die Herrschenden bekämpfen die Dialektik, diese Begriffshexerei, diese Drachensaat, diese Raffiniertheit und betreiben die Vertreibung der materialistischen Dialektik durch die vulgäre (Lenin: ruhige) Lehre von der Evolution und/oder durch die idealistische Dialektik, es gibt nicht die Dialektik, die wissenschaftliche von Marx enthält auch Wertvolles von Hegels Dialektik. Bereits Hegel hatte auf die zu seiner Zeit vorliegende Einseitigkeit verwiesen, dass es nur in der Natur gesetzmäßig zugehen solle, das sittliche Universum (die Gesellschaft) aber soll gottverlassen sein. Er spricht vom Atheismus der sittlichen Welt. Heute sind für uns die drei Grundgesetze der Dialektik in eins zu denken wie auch die Natur, die Geschichte und das menschliche Denken gesetzmäßig in eins zu denken sind. Naturprozesse und Geschichtsprozesse sind keineswegs als gleich anzusehen, in der Geschichte wird mit Bewusstsein gehandelt. Im Vergleich mit der bewussten Geschichte menschlicher Gesellschaften ist die Periode des Vorhandenseins bloßer Natur extrem übergewichtig.

Das war also die wissenschaftsgeschichtliche Sukzession: Der Kritik an der formalen Logik hauptsächlich Kants durch die idealistische, die logischen Kategorien dynamisierenden Philosophie Hegels folgte die Marxsche materialistische Kritik an der bloß spekulativen, im Reich der Gedanken sich abspielenden idealistischen Dialektik Hegels. Was Kant separierte: Wir – die Gedanken – die Dinge, dass es also noch eine Mitte zwischen Subjekt und Welt gäbe, das führte Hegel zusammen: Der menschliche Erkenntnisprozess separiert uns und sich nicht von der Objektivität (der Dinge), zwischen Subjekt und Objekt liegt bei richtiger Erkenntnis eine Identität vor. Die Wahrheit ist zu bestimmen als die Übereinstimmung von Begriff und seinem Gegenstand. (seinem – das ist eben Idealismus; der Begriff ist nur gedanklicher Abbildungsreflex des Gegenstandes, der Materialist sagt: Der Gegenstand und sein Begriff, sein Abbild). Für Kant war die Differenz zwischen Subjekt und Objekt deshalb nicht zu überwinden, weil das Objekt für uns nur in Relation zum Subjekt erhältlich, das Wesen des Objekts, wie es an ihm wirklich ist und es ausmacht, sich uns permanent und auf Ewigkeit durch das Erkenntnissubjekt selbst entziehen muss. Kant darf daher nicht zu den Idealisten, für die das Objekt nicht das Andere des Begriffes ist, sondern dieser selbst, gerechnet werden, ein Fehler, der Stalin in seiner Materialismus-Studie in der Parteigeschichte (B) unterläuft.

Es ist im Kontext der Idealismus-Materialismus-Diskussion die Frage aufzuwerfen, wie es denn im Zusammenleben der Menschen zum Idealismus kommen kann? Wir Materialisten halten diese Frage für wesentlich interessanter als die entgegengesetzte, uns betreffende Frage. Die Philosophiegeschichten und die aktuelle Philosophie selbst helfen uns hier nicht viel weiter, da in ihnen theoretisch gewebt wird, an gewisse vorliegende Theoriekomplexe wird angeknüpft, zu gewissen Resultaten in die Theorie auch wieder zurückgekehrt. Aber immer noch schweben wir in den Lüften der Theorie. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Wir müssen in der Tat ganz entgegengesetzt vorgehen und den Schlüssel im Feld der menschlichen Arbeit und in dem der menschlichen Bedürfnisse suchen. So hat es Engels vorgemacht: Wo Menschen zusammenleben, kann Arbeit delegiert werden, es ist nicht so, dass nur der, der eine Idee hat, diese auch nur selbst ausführen kann. Der Kopfarbeiter kann die Ausführung seiner Idee in andere Hände delegieren, er gewinnt so eine gewisse Souveränität, die die bloßen Handarbeiter anerkennen. Alles schien ein Verdienst des Gehirns zu sein … Ich glaube, das reicht aus, um in die richtige Spur zu kommen. Die Bedingung des Aufkommens einer idealistischen Weltanschauung ist die Trennung von Hand- und Kopfarbeit. Es bürgerte sich quasi ein, menschliches Handeln aus dem politischen, philosophischen und theologischen Spirit zu erklären, obwohl es primär von den im menschlichen Kopf sich widerspiegelnden menschlichen Bedürfnissen inspiriert wird. Und es zeigt sich ja auch, je mehr Menschen Muße zur Spekulation haben, es sind aber in jeder Gesellschaftsform immer nur wenige, desto geneigter werden sie zu einem Überirdischen; wer im Kontext von Werkzeugen die Natur bearbeitet, der hat seine Zweifel am Übernatürlichen. Der Idealismus ist eine Frucht philosophischer Passivität, der Materialismus eine Frucht aktiver, praktischer Kreativität. Der Kerngehalt der ‚Thesen über Feuerbach‘ steckt im Primat der gesellschaftlichen Praxis und deren Veränderung. Der Idealismus hat über weite, sowohl zeitliche als auch geografische Strecken das Terrain beherrscht, und zwar so sehr, wie Engels schreibt, „ …daß selbst die materialistischsten Naturforscher der Darwinschen Schule sich noch keine klare Vorstellung von der Entstehung des Menschen machen können, weil sie unter jenem ideologischen Einfluss (dem idealistischen/H.A.) die Rolle nicht erkennen, die die Arbeit dabei gespielt hat“. 9. Da liegt der Hinweis auf die entscheidende Rolle der Arbeit vor. Es gilt diese stets präsent zu haben, um nicht einer optischen Täuschung zu erliegen: Schien im Feudalismus der berufsmäßige Schmarotzerpfaffe die Gesellschaft zu beherrschen, so im Kapitalismus ein noch üblerer Patron: der Diäten schluckende Berufspolitiker. Sie herrschen aber nur auf eine gewisse Weise, auf eine politische. Gesellschaftsformationen werden aber von ganz anderen Kräften beherrscht und vorangetrieben. In der ‚Produktivkraft Proletariat‘ stecken alle Potenzen der bürgerlichen Gesellschaft und das muss durch beharrliche Aufklärung dem Proletariat verdeutlicht werden, damit es nicht länger vorgeführt wird.

Lenin spricht nicht nur von der Einheit der Gegensätze, sondern auch vom Überfließen der Gegensätze ineinander. 10. Überfließen ist ein bemerkenswert stimmiger Begriff, den die Formallogik zurückweist. Die formale Logik kennt kein Überfließen der Gegensätze ineinander, die dialektische Logik bringt die Zusammenhänge der Objektivität auf den Begriff, drückt die sich durch immanente Zusammenhänge konstituierende Objektivität aus. Das hat zu den Ausdrücken ‚Verkettung‘ und ‚Kette‘ geführt, die im marxistischen Sprachgebrauch beliebt geworden sind: In einem in Brüssel geschriebenen Brief an P. W. Annenkow vom 28. Dezember 1846 wirft Marx Proudhon vor, die gegenwärtigen sozialen Zusammenhänge nicht in ihrer Verkettung (engrènement) begriffen zu haben. 11. Die Dialektik, sagt Engels im Anti-Dühring, „nehme die Dinge und ihre begrifflichen Abbilder wesentlich in ihrem Zusammenhang und in ihrer Verkettung … „ 12. Lenin formuliert in ‚Was tun?‘ folgenden Gedanken zum Wesen der Politik: Politik sei eine lange Kette von Gliedern, für den Politiker komme es darauf an: a) das Kettenglied herauszugreifen, das ihm den Besitz der ganzen Kette sichere, und b) das man ihm am schwersten aus der Hand schlagen kann. Und im kleinbürgerlich inspirierten Aufbruch der 68er Bewegung wurde immerzu davon geredet, das Hauptkettenglied anzupacken, Terminus auch in der chinesischen Kulturrevolution. Die dialektische Logik bringt die Zusammenhänge der Objektivität auf den Begriff, indem sie die Entwicklung der Natur, der Geschichte und des menschlichen Denkens allseitig erforscht. Man kann sich in dem unendlich farbenprächtigen Reichtum der Welt, einer für sich seienden objektiven Realität, nicht auf eine Liebhaberei fixieren, sich in sie hineinsteigern, auch mit Leidenschaft, das Spezielle, das Fragmentarische ist zu gering in einem Weltprozess sich denkender Materie. Ein sogenannter Straftäter wird im Allgemeinen isoliert aus seinen Umständen, in denen er aufwuchs, um seiner rein als Schuldigen habhaft zu werden. Juristen isolieren und das ist falsch, auch sogar sehr anti-dialektisch, denn die Wissenschaft fordert, alles innerhalb des Zusammenhangs mit den sie umgebenden Erscheinungen zu nehmen. Die Umstände bilden den Menschen. Schlechte Milieuumstände, die der Kapitalismus auf seine Kappe zu nehmen hat, bringt sogenannte Kriminalität im bürgerlichen Sinn hervor, dem nicht aufgeht, dass die Gründung einer Bank ein Verbrechen ist, im Gegensatz zu einem Bankraub à la RAF durch oder für die Armen. Ein bürgerlicher geldgeiler und perverser Jurist sieht das anders. Stalin, ebenfalls ein „Bankräuber“, sagt, dass jede beliebige Erscheinung in Widersinn verwandelt werden kann, wenn man sie außerhalb des Zusammenhangs mit den sie umgebenden Erscheinungen, losgelöst von ihnen, betrachtet. 13. Ein Allgemeinmediziner, der nur eine Krankheit kurieren kann, ist kein Arzt. Die alle Seiten einbeziehende Dialektik entfaltet sich steigernd sich und ihren Gegenstand weltprozesshaft, wie denn die klassische deutsche Philosophie sich weltgeschichtlich durchdrang, durchgerungen hatte aus der Zersplitterung einer Alltäglichkeit, aus dem grauen Getriebe von Unsinnigkeiten, das Hegel als ekelhaft empfand, durch eine ordnende Kategorienabfolge zur Übersicht, wie die Idealisten meinten, über das Ganze. Es wird von den Feinden der Dialektik dem Kommunismus Weltherrschaft unterstellt, dessen Dialektik birgt aber in sich eine Welt ohne Herrschaft. In der Revolution, und nur in ihr, kehrt sich das Innere des Kommunismus nach außen, dialektisch ist diese ein humanistisch-terroristischer Prozess. Humanismus für die große Mehrheit des arbeitsamen Volkes, kollektiver Terror gegen die Schmarotzertiere, wie Engels die Ausbeuter nannte. Eine kommunistische Revolution hat immer eine weltgeschichtliche Bedeutung für alle getretenen Kreaturen auf der Welt.

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Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Elementares im Marxismus. Mit einem Anhang über den wissenschaftlichen Charakter des Marxismus
Autor
Jahr
2020
Seiten
25
Katalognummer
V583944
ISBN (eBook)
9783346160836
ISBN (Buch)
9783346160843
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Wichtigste in der Marxschen Lehre ist die Klarstellung der weltgeschichtlichen Rolle des Proletariats als des Schöpfers der sozialistischen Gesellschaft.
Schlagworte
anhang, charakter, elementares, marxismus
Arbeit zitieren
Heinz Ahlreip (Autor:in), 2020, Elementares im Marxismus. Mit einem Anhang über den wissenschaftlichen Charakter des Marxismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/583944

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