Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Die Bedeutung einer richtig formulierten Fragestellung in Bezug auf die Erkennbarkeit des Wortes Gottes
2. Die Beziehung zwischen dem Wort Gottes und dem Menschen
3. Erörterung der grundlegenden Begriffe Erkenntnis, Erfahrung, Anerkennung
4. Problematische Aspekte im Hinblick auf das Ereignis der Erkenntnis des Wortes Gottes
5. Das Wort Gottes und der Glaube
6. Literaturverzeichnis
1. Die Bedeutung einer richtig formulierten Fragestellung in Bezug auf die Erkennbarkeit des Wortes Gottes
Die kirchliche Dogmatik beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Überprüfung der kirchlichen Verkündigung. Das Wort Gottes ist der Inhalt und der Auftrag für die kirchliche Verkündigung. Aus diesem Grund bedeutet die Bearbeitung der Frage nach der Erkennbarkeit des Wortes Gottes für die Dogmatik eine herausragende Aufgabe.
Karl Barth stellt heraus, dass der Begriff der kirchlichen Verkündigung und somit zugleich die Dogmatik bereits implizieren, dass es Menschen ermöglicht wird, das Wort Gottes wahrzunehmen und auch es zu äußern (Barth, 1964, S. 194 f.).
Die Bedingungen und die Umstände für die Erkennbarkeit des Wortes Gottes können aber erst dann ergründet werden, wenn die Fragestellung richtig formuliert ist. Denn eine falsch formulierte Ausgangsfrage setzt mitunter fehlgeleitete Prämissen für eine Beantwortung, die jegliche Bearbeitung des problematisierten Gegenstandes unmöglich machen, weil jede Bemühung in eine falsche Richtung führen würde.
Der Autor hält in seinen Ausführungen fest, dass „Menschen – nicht alle Menschen, aber bestimmte Menschen, auch diese bestimmten Menschen nicht immer und überall, aber in bestimmter Situation – das Wort Gottes erkennen“ (AaO, S. 195). So allgemein und unbestimmt diese Aussage gehalten ist, so betont sie aber die grundsätzliche Möglichkeit dieser Erkenntnis, denn ansonsten wäre der Inhalt der Verkündigung ohne Inhalt, also eine leere Hülle. Die Notwendigkeit der Existenz dieses Erkenntnisinhaltes wird im Zusammenhang mit der Erläuterung des Begriffs der Erkenntnis in Kapitel 3 begründet.
Grundsätzlich muss eine hypothetische Fragestellung gewählt werden, wenn es um die Erkennbarkeit des Wortes Gottes geht. Wenn nämlich danach gefragt würde, wie Menschen das Wort Gottes erkennen, dann würde diese Formulierung eine Frage nach der Wirklichkeit dieser Erkenntnis bedeuten und somit zu ihrer Beantwortung das Wort Gottes selbst verlangen. Deswegen lautet die richtig gewählte Fragestellung: „Wie können Menschen das Wort Gottes erkennen?“ (AaO, S. 196), um nach der potentiellen Möglichkeit dieser Erkenntnis zu fragen.
Weiterhin berücksichtigt diese Fragestellung die Tatsache, dass nicht bei allen Menschen eine Ermöglichung der Erkenntnis des Wortes Gottes vorauszusetzen ist. Denn Gottes Wort richtet sich an diejenigen Menschen, welchen Gott das richtige Zuhören und Verkünden ermöglicht hat. Es geht also darum, „... wie es möglich ist, daß Menschen berufene und erwählte und also wirkliche Christen, Hörer und Verkünder des Wortes Gottes werden können durch seine Erkenntnis. Gott kennt sie, die das werden.“ (AaO, S. 197).
Es deutet sich an dieser Stelle schon an, wie das Wort Gottes als Gegenstand der Erkenntnis aufzufassen ist, nämlich als ein Erkenntnisgegenstand, der nicht im eigentlichen Sinne des Wortes Objekt der Erkenntnis des erkennenden Subjektes ist, sondern der einen Erkenntnisgegenstand darstellt, der sein ‚Erkannt-werden’ selber bestimmt.
2. Die Beziehung zwischen dem Wort Gottes und dem Menschen
Gottes Wort richtet sich in Offenbarung, Schrift und Predigt an Menschen; sie sind potentiell ansprechbar für das Wort Gottes. Der Mensch ist als Geschöpf dadurch ausgezeichnet, dass er für Gott ein gesprächsfähiges Gegenüber darstellt. Diese prinzipielle Beziehung zwischen Gott und dem Menschen als sprachfähigem Wesen lässt einen weiteren problematischen Kontext erkennen. Inwiefern und auf welche Weise werden Menschen Adressaten und Träger für das Wort Gottes? (vgl. S. 199).
Diese Problematik rückt zwangsläufig den Menschen als Subjekt in den Fokus der Betrachtung. Eine subjektivistische Perspektive führte in der protestantischen Theologie über Jahrhunderte zu der weit verbreiteten These, dass es sich bei der Frage nach der Erkennbarkeit des Wortes Gottes um ein allgemeines anthropologisches Problem handeln würde. Wichtige Vertreter der Religionsphilosophie des 19. und des 20. Jahrhunderts sprechen dem Menschen eine bereits vorhandene religiöse Erlebnisfähigkeit zu.
„1. Die Begegnung des Menschen mit Gott ist zu verstehen als menschliches historisch – psychologisch feststellbares religiöses Erlebnis. Und 2. dieses Erlebnis ist zu verstehen als Aktualisierung eines allgemein aufweisbaren religiösen Vermögens des Menschen.“ (Schleiermacher, zit. in Barth, S.200).
Das Ereignis der Erkenntnis des Wortes Gottes würde in diesem Sinne nur die Umsetzung einer allgemeinen Erkenntnisfähigkeit bedeuten, welche der Mensch als Mensch angeblich besitze. Diese modernistische Richtung der Theologie geht auf den Philosophen René Descartes (1596 – 1650) zurück. Die modernen Religionsphilosophen in dessen Nachfolge betrachten das ‚Ich-Erleben’ als den prinzipiellen Maßstab aller Realitätserfahrung einer Person (vgl. Wobbermin, zit. in Barth, S. 203). Der Gegenstand der Theologie ist nach der cartesianischen Philosophie bedingt durch das Selbstverständnis des Menschen, also verstehbar über dessen subjektive Wirklichkeit. Dieser Auffassung ist zu entgegen, dass das Wort Gottes zwar in die Wirklichkeit der Menschen eintritt, aber nicht von dieser Wirklichkeit her zu bestimmen ist.
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„Denn weder treffen wir das Wort Gottes in der uns gegenwärtigen Wirklichkeit an, sondern [...] in der uns gegenwärtigen Wirklichkeit trifft es uns an, noch kann es aus unserem eigenen unmittelbaren Empfinden wiedererzeugt werden, sondern wenn wir es je erkennen sollten, dann würden wir selbst uns nach Jak. 1,18 als die von ihm Erzeugten erkennen müssen.“ (AaO, S. 203 f.).
Das Wirken Gottes, das Richten seines Wortes an die Menschen darf aber nicht als göttliche Emanation verstanden werden, also nicht als verbleibende ‚Eingießung’ in die Menschen. Denn dies würde bedeuten, dass über die Erkenntnis des Wortes Gottes nun doch eine wenn auch außerordentliche Fähigkeit dem Menschen übergeben würde und somit letztendlich die Erfahrungen von Gott durch die menschliche Selbstbestimmung möglich wäre. Diese Theorie bezeichnet der Autor als indirekten Cartesianismus, welcher zunächst von der Bestimmung des Menschen durch das Wort Gottes ausgeht, dessen Position aber einer Wandlung unterliegt, indem dem Menschen ab dem Ereignis der Erkenntnis des Wortes Gottes eine Fähigkeit zur fortgesetzten und somit selbstgesteuerten Erkenntnis zugesprochen wird. Diese Form eines christlichen Cartesianismus behauptet, dass es bei gewissen, von Gott auserwählten Menschen doch zu einer Art ‚Synthese’ komme, diese Menschen wegen ihrer Erkenntnis des Wortes Gottes über einen ‚göttlichen Geistesgehalt’ verfügen würden. Der erwählte Mensch erlange die Fähigkeit, das Wort Gottes, dessen Sinn und Grund zu begreifen. Er werde „Teilhaber an der Wirklichkeit des Wortes“ (AaO, S. 222).
Diese Haltungen des direkten und des indirekten Cartesianismus stehen im Widerspruch zu dem wirklichen Handeln Gottes, das eine Gnade an den Menschen ist. Wenn nämlich die Erkennbarkeit des Wortes Gottes in irgendeiner Weise von einem menschlichen Vermögen abhängen würde, ob von einer bereits vorhandenen oder von einer erworbenen Fähigkeit, dann wäre „Gottes Wort [...] nicht mehr Gnade oder Gnade selbst ist nicht mehr Gnade ...“ (AaO, S. 202).
Der Autor hebt weiterhin die Bedeutung des Inhaltes des Wortes Gottes für den Menschen hervor, welcher u.a. in einer wahrhaften Begegnung mit Gott besteht, in der Offenbarung eines Neuen, was nur an den Menschen als Objekt gerichtet sein kann, in der Begegnung und der Erneuerung der menschlichen Existenz durch die Gnade Gottes. Denn der Mensch ist von sich selbst aus nur ein Geschöpf Gottes und ein Sünder, der nur in Erwartung des Herrn leben kann und zu dem die Ermöglichung der Erkenntnis des Wortes Gottes nur als „Akt der freien Liebe Gottes“ (Ebd.) kommen kann. „Menschen können das Wort Gottes erkennen, weil und sofern Gott will, daß sie es erkennen ...“ (AaO, S. 204). Der erkennende Mensch erkennt zugleich, dass er diese Erkenntnis des Wortes Gottes nur durch das Wort Gottes empfangen hat und dass diese Möglichkeit nicht aufhört, bei Gott zu bleiben.
3. Erörterung der grundlegenden Begriffe Erkenntnis, Erfahrung, Anerkennung
Vor dem Hintergrund der bisherigen Darstellung der Beziehung zwischen dem Wort Gottes und dem Menschen soll der Begriff der Erkenntnis eingehender betrachtet werden. Die Bedeutungen der Begriffe Erfahrung und Anerkennung werden in ihrer Relevanz für den Gegenstand der Erkenntnis des Wortes Gottes vom Autor entwickelt (AaO, S. 195, S. 197, S. 206 – 224).
Was bedeutet es überhaupt Erkenntnis von einem Gegenstand zu erlangen? Der Autor plädiert für eine allgemeine erkenntnistheoretische Begriffsbestimmung. Denn im Hinblick auf den hier zu behandelnden Gegenstand der Erkenntnis, nämlich des Wortes Gottes, sollte eine Begriffsbeschreibung möglichst offen gehalten sein, damit der Gegenstand nicht vorweg interpretiert wird, sondern Raum gelassen wird für eine mögliche Präzisierung und Erweiterung des Begriffs.
Wenn eine Person einen Gegenstand erkennt, bewährt sie ihr Wissen um die grundsätzliche Existenz dieses Gegenstandes und die Art und Weise seiner Existenz. Nicht nur das Erkenntnisobjekt ist von der Erkenntnis betroffen; auch für die Menschen wird die Bewährung dieses Wissens
„... zu einer notwendigen, aus einer äußeren zu einer inneren Bestimmung ihrer eigenen Existenz. Sie sind als Erkennende von dem erkannten Gegenstand angegangen. Sie existieren nicht mehr ohne ihn sondern mit ihm.“ (AaO, S. 195).
Somit bestimmen die Gegenstände der Erkenntnis ebenfalls die Art und Weise der Existenz des Erkenntnissubjektes.
Die Erkenntnis des Wortes Gottes und die Existenz der Kirche setzen sich wechselseitig voraus. Denn nur wenn eine Bewährung des Wissens um das Wort Gottes möglich ist, dann können Menschen in ihrer Wirklichkeit wegen dieser Möglichkeit der Erkenntnis mit dem Wort Gottes existieren (vgl. AaO, S. 196). In diesem Sinne ist die Erkennbarkeit des Wortes Gottes Wirklichkeit und die kirchliche Verkündigung Wahrheit. Die „Erkenntnis des Wortes Gottes wird Menschen möglich im Ereignis der Wirklichkeit des Wortes Gottes.“ (AaO, S. 206).
Der Begriff der Erkenntnis erfordert in Bezug auf den erkennenden Menschen zu der Einführung eines weiteren Begriffs und zwar den der Erfahrung. Der mittels seiner Erkenntnisse in seiner Existenz bestimmte Mensch existiert konkret, und zwar in den Erfahrungen mit der äußeren Welt, welche er in seinem Leben macht. Die vergangenen und gegenwärtigen Erfahrungen bestimmen das gegenwärtige Leben eines Menschen. „Kann Erkenntnis des Wortes Gottes Menschen möglich werden, dann muß das also heißen: sie können vom Worte Gottes Erfahrung haben, sie können also durch das Wort Gottes Bestimmte sein, was sie sind.“ (AaO, S. 207). Eine derartige Erfahrung findet aber in dem Ereignis einer menschlichen Selbstbestimmung statt. Diese Selbstbestimmung des Menschen gründet sich aber stets auf die Bestimmung durch Gott. Weil alle Begegnungen von Menschen mit Gott nicht auf einer gleichgeordneten Ebene stattfinden, jede Erfahrung von Gottes Wort also von Gott bestimmt ist, ist es Menschen unmöglich, diese Begegnungen mit ihren eigenen Fähigkeiten für sich erklärbar zu machen. Dennoch heben Erfahrungen vom Worte Gottes nicht die menschliche Selbstbestimmung auf, weil eben dem ganzen in seiner Selbstbestimmung befindlichen Menschen eben diese Bestimmung durch Gott widerfährt.
Ist das Wort Gottes nicht zu Tieren, Pflanzen oder Steinen gesprochen, sondern zu Menschen und ist also Bestimmtheit durch das Wort Gottes wirklich eine Bestimmtheit menschlicher Existenz, in was sonst soll sie dann bestehen, als darin, daß eben die Selbstbestimmung in der der Mensch Mensch ist, in der Bestimmung durch Gott ein ihr schlechthin überlegenes Oberhalb bekommt, daß sie als Selbstbestimmung und ohne als solche im geringsten angetastet oder gar zerstört zu werden, eine Weisung empfängt, unter ein Urteil gestellt wird, wie ein sich selbst bestimmendes Wesen durch ein Wort und wie nun eben der Mensch durch das Wort Gottes bestimmt wird.“ (AaO, S. 210).
Menschen, die Erfahrungen vom Worte Gottes machen, sind stets in der Gesamtheit ihrer Person angesprochen. Es gibt keine anthropologischen Orte, welche für diese Erfahrung besonders ausgezeichnet sind, weder im positiven noch im negativen Sinn. Denn die Hervorhebung eines bestimmten menschlichen Vermögens oder auch dessen Diskreditierung, z.B. die Haltung, dass der Intellekt der Ursprung aller menschlichen Hybris sei, können zu einer Verschlossenheit für das Wort Gottes führen, weil der Mensch mit diesen Konstruktionen versucht, den Zugang für diese Erfahrung festzulegen. Die Erfahrung vom Worte Gottes ist aber „... entscheidend eine Bestimmung des ganzen sich selbst bestimmenden Menschen.“ (AaO, S. 213).
Die Frage stellt sich, worin diese Erfahrung nun bestehen möge. Wegen der ausschließlichen Bestimmung des Wortes Gottes durch sich selbst, kann die Erkenntnis durch den Menschen nur darin bestehen, dass er dem Worte Gottes Anerkennung schenkt. Der Begriff Anerkennung, welcher das Verhältnis von Gottes Wort und dem Menschen treffend erfasst, wird vom Autor in seiner Bedeutung entwickelt:
Der Begriff Anerkennung integriert zunächst einmal den Begriff der Erkennt-nis.
[...]
- Arbeit zitieren
- Meike Borggräfe (Autor), 2002, Die Erkennbarkeit des Wortes Gottes nach Karl Barth, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/585128
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