Wenn auch oder gerade weil Haugs These, dass das Gottesurteil“die Nagelprobe für jede Tristan-Interpretation(sei)”, neben der Aussage Wachingers, die Gottesurteil-Episode schiene ihm„so raffiniert wintschaffen erzählt zu sein, daß sie sich jeder′Tristan′-Interpretation(füge)“ im Forschungsraum steht, stellt sich eben dieser recht widersprüchlich dar, sofern es um das Verständnis der Episode geht. Nicht nur die Beurteilung des Verfahrens und seines Ausgangs, sondern besonders auch der Kommentar Gottfrieds zu diesem, gibt Rätsel auf. Unterstellt man, dass zu den zentralen Fragestellungen einer Gesamtinterpretation die Frage nach der moralischen Bewertung der Liebe zwischen Tristan und Isolde gehört, so erschließt sich Haugs eingangs zitierte These schnell. Gottfried von Straßburg präsentiert dem Rezipienten in der Gottesurteil-Episode vermeintlicherweise die Position, die die göttliche Ordnung der Liebe der Protagonisten gegenüber einnimmt. Da Gott im zeitgenössischen Verständnis als der moralische Fixpunkt und oberster Richter über Schuld und Unschuld galt, haben wir hier also die moralische Bewertung schlechthin zu erwarten. Ganz so einfach ist die Angelegenheit aber offensichtlich nicht, denn was ist das für ein Gott, der Isolde das Urteil bestehen lässt und sich somit an einer Lüge beteiligt? Warum besteht Isolde das Urteil eigentlich? Weil Gott barmherzig ist? Weil er ein Gott der Liebe ist oder er ebenso wie die Protagonisten an den höfischen Wertekodex gebunden ist und zu dessen Rettung beitragen möchte? Betrachtet man Gottfrieds provokanten Kommentar wörtlich, so scheint Gott selbst seiner Kritik unterworfen:er ist ie, swie sô man wil(V 15744). Zweifelt der Erzähler blasphemisch Gottes Autorität und Allmacht an? Kaum zu glauben, vieles spricht eher dafür, dass er das Denken der Menschen, welches einer Institution wie der des Gottesurteils zugrunde liegt, aber auch die Instrumentalisierung Gottes durch die Handlungsträger selbst in Frage stellt. Woher nimmt der Mensch das Recht, Gott in einer Rechtsfrage zu direkter Stellungnahme herauszufordern und zu glauben, dass er dieser Forderung nachkommt? Wieso besteht dafür überhaupt der Bedarf? Welches Gottesbild liegt der Handlung und dem Roman zu Grunde? Zunächst soll die Episode selbst einer näheren Betrachtung unterworfen werden, um auf dieser Grundlage einen möglichen Einblick in das Gottesbild, das Gottfried entwirft, zu gewinnen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Gottesurteil
- Das Verfahren
- Isoldes gelüppeter eit und das Bestehen des Gottesurteils
- Gottfrieds Kommentar
- Gottesbilder
- Perspektive der Protagonisten
- Mögliche Erzählersicht
- Perspektiven
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text befasst sich mit der Gottesurteil-Episode in Gottfrieds von Straßburgs Tristan. Die Analyse untersucht die Funktion des Gottesurteils im Kontext der Beziehung zwischen Tristan und Isolde sowie die Darstellung Gottes in der Erzählung. Der Text beleuchtet insbesondere die komplexen moralischen und rechtlichen Aspekte des Gottesurteils und die Frage, ob es sich um ein Instrument der Gerechtigkeit oder der Machtsicherung handelt.
- Die Funktion des Gottesurteils im Kontext der Beziehung zwischen Tristan und Isolde
- Die Darstellung Gottes in der Erzählung
- Die moralischen und rechtlichen Aspekte des Gottesurteils
- Die Frage nach der Gerechtigkeit und der Machtsicherung durch das Gottesurteil
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Der Text stellt Haugs These in Frage, dass das Gottesurteil eine zentrale Rolle bei der Interpretation von Gottfrieds Tristan spielt. Der Autor argumentiert, dass das Gottesurteil mehr Fragen aufwirft als es beantwortet und die moralische Bewertung der Liebe zwischen Tristan und Isolde komplexer ist, als es zunächst scheint.
Das Gottesurteil
Das Verfahren
Der Text untersucht das Verfahren des Gottesurteils, das von Marke initiiert wurde, um die Gerüchte über Tristan und Isolde zu beseitigen und die Stabilität am Hof wiederherzustellen. Der Autor diskutiert verschiedene Interpretationen des Verfahrens und die Frage, ob es wirklich darum geht, die Wahrheit über Tristan und Isolde aufzudecken oder ob es eher um die Beseitigung der Gerüchte geht.
Isoldes gelüppeter eit und das Bestehen des Gottesurteils
Der Text untersucht, warum Isolde das Gottesurteil bestehen konnte und welche möglichen Gründe dafür verantwortlich sind. Der Autor diskutiert, ob Gott barmherzig ist, ob er ein Gott der Liebe ist oder ob er an die höfischen Wertekodex gebunden ist.
Gottfrieds Kommentar
Der Text analysiert Gottfrieds Kommentar zum Gottesurteil, der die Autorität Gottes in Frage stellt und das Denken der Menschen hinterfragt, das einer Institution wie dem Gottesurteil zugrunde liegt. Der Autor diskutiert, ob Gottfried Gottes Autorität und Allmacht anzweifelt oder ob er eher die Instrumentalisierung Gottes durch die Handlungsträger selbst in Frage stellt.
Gottesbilder
Perspektive der Protagonisten
Der Text untersucht die Perspektive der Protagonisten auf Gott im Kontext des Gottesurteils.
Mögliche Erzählersicht
Der Text betrachtet, wie Gottfried die Figur Gottes in seiner Erzählung darstellt und welche möglichen Botschaften er durch die Darstellung Gottes vermittelt.
Schlüsselwörter
Gottesurteil, Tristan, Isolde, Gottfried von Straßburg, Liebe, Moral, Recht, Gerechtigkeit, Machtsicherung, Höfischer Wertekodex, Gottesbild, Erzählperspektive, Erzähltechnik, Interpretation.
- Arbeit zitieren
- Clara Maria Schreiber (Autor:in), 2005, Das Gottesurteil Im Tristan Gottfrieds von Straßburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/58564