Das Bühnenwerk Carl Sternheims wurde von der Kritik immer wieder zwiespältig beurteilt. Wohl gab es in den 60er Jahren eine aufsehenerregende Sternheim-Renaissance, welche von einem wiedererstarkenden Bühnenerfolg seiner Komödien ausging und eine Reihe interessanter wissenschaftlicher Arbeiten nach sich zog, doch wurden wiederholt starke Zweifel an der Stringenz der sternheimschen Argumentation wider überkommene Moralvorstellungen geäußert, um nur einen wesentlichen Kritikpunkt zu nennen. Um diesen Aspekt kreist die Diskussion in der vorliegenden Arbeit. Am Beispiel der KomödieTabula Rasa,1915 geschrieben und im Jahr darauf publiziert, sollen die ideellen Bezugssysteme und erkenntnisphilosophischen Anschauungen aufgezeigt werden, die Sternheim in seinem Werk- bewußt wie unbewußt- zur Anwendung gebracht hat. Das Stück wird gemeinhin Sternheims KomödienzyklusAus dem bürgerlichen Heldenlebenzugerechnet. Carl Sternheim unternahm darin den Versuch, eine Satire der Verwicklungen innerhalb der zeitgenössischen deutschen Arbeiterbewegung zu verfassen. InTabula Rasawird in besonderer Weise ein markantes, wiederkehrendes Thema der Komödien Sternheims variiert, nämlich die schonungslose Enttarnung der zeitgenössischen bürgerlichen Gesellschaft mit- wenigstens teilweise- satirischen Mitteln. Zunächst sollen Sternheims diskursive Äußerungen untersucht werden, um ein etwaiges poetologisches Konzept benennen zu können. Dieses soll im Anschluß mit einigen philosophischen Bezugspunkten, die sich auftun, untermauert werden. Im nächsten Arbeitsschritt sollTabula Rasaeiner eingehenden Textanalyse unterzogen werden, bei der insbesondere auf die Figurenkonzeption als auch auf die Struktur des Stückes ein besonderes Augenmerk gerichtet wird. Schließlich werden die Ergebnisse auf Sternheims Vorhaben bezogen und kritisch diskutiert. Auf Sternheims Bezüge zu zeitgenössischen literarischen Strömungen sowie auf seine literaturgeschichtliche Stellung wird hingegen nur am Rande eingegangen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Sternheims poetologisches Konzept einer metaphysikfreien Wirklichkeitsdarstellung
- Das Dogma von der „eigenen Nuance“
- Sternheims ,,Wirklichkeitsliebe“
- Subjektphilosophische Implikationen
- Tabula Rasa
- Der Titel
- Die Handlung
- Die Darstellung der deutschen Arbeiterbewegung
- Die dramatis personae
- Die Struktur
- Das dichterische Subjekt zwischen Individualismus und Anpassung
- Eine Ethik ohne Werte?
- Über Tabula Rasa hinaus: Analogien und Schwierigkeiten in Sternheims Bürgerkomödien
- Schlußbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die ideellen Bezugssysteme und erkenntnisphilosophischen Anschauungen Carl Sternheims am Beispiel der Komödie „Tabula Rasa“. Das Ziel ist es, die Verbindung zwischen Sternheims poetologischem Konzept einer metaphysikfreien Wirklichkeitsdarstellung und seinen Vorstellungen von individueller Freiheit und der Konzeption des Subjekts aufzuzeigen.
- Sternheims poetologisches Konzept einer metaphysikfreien Wirklichkeitsdarstellung
- Die Darstellung der deutschen Arbeiterbewegung in „Tabula Rasa“
- Die Konzeption des Subjekts bei Sternheim
- Die Beziehung zwischen Individualismus und Anpassung in Sternheims Werk
- Die Kritik an konventionellen Moralvorstellungen und die Suche nach einer neuen Ethik
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet Sternheims Kritik an der Doppelmoral der wilhelminischen Gesellschaft und stellt seine Idee der „eigenen Nuance“ vor. Kapitel 2 widmet sich Sternheims poetologischem Konzept, das eine Abkehr von idealistischen und teleologischen Denksystemen und eine Hinwendung zur künstlerischen Darstellung des Wirklichen beinhaltet. In Kapitel 3 wird die Komödie „Tabula Rasa“ analysiert, wobei die Figurenkonzeption, die Handlung und die Struktur des Stücks im Fokus stehen. Schließlich werden die Ergebnisse auf Sternheims Vorhaben bezogen und kritisch diskutiert.
Schlüsselwörter
Carl Sternheim, Tabula Rasa, metaphysikfreie Wirklichkeitsdarstellung, „eigene Nuance“, Subjektphilosophie, deutsche Arbeiterbewegung, Individualismus, Anpassung, Ethik, Bürgerkomödie.
- Quote paper
- Boris Kruse (Author), 2003, Die Freiheit des Einzelnen und die Konzeption des Subjekts bei Carl Sternheim am Beispiel der Komödie 'Tabula Rasa', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59028