Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Fachwissenschaftlich-historischer Teil
1.1 Nationalsozialistische Rassenhygiene
1.1.1 Zwangssterilisation und Zwangsabtreibungen
1.1.2 Eheverbote und „Erbkarteien“
1.1.3 Euthanasie
1.1.3.1 Aktion T4
1.1.3.2 Kinder-Euthanasie
1.1.4 Rassenhygienische Propaganda
1.2 NS-Medizin in Wien
1.2.1 Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“
1.2.1.1 Abtransport durch Aktion T4
1.2.2.2 Kinder-Euthanasie „Am Spiegelgrund“
2. Didaktischer Teil
2.1 Unterrichtsplanung
2.1.1 Vorbereitung
2.1.2 Durchführung/Exkursion
2.1.3 Nachbereitung
Abstract
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Internetquellen
Anhang
Einleitung
„ Keines der Kinder verlangte nach dem Tod. Sie waren ihren M ö rdern, die sie beobachtend vernichteten, unaufhaltsam ausgeliefert. Sie wurden verantwortlich gemacht fur Gene, die zu k ö rperlicher oder geistiger Beeintr ä chtigung f ü hrten - Viele von ihnen wurden zus ä tzlich krank gemacht von jenen, deren Beruf es war, sie zu heilen oder ihnen Schmerzen zu lindern. “ (Waltraud Häupl, 2014)
Vielen Menschen ist bei weitem nicht bewusst, welch große Rolle der Nationalsozialismus und die NS-Medizin in Österreich spielten. Im Unterrichtsfach „Geschichte, Sozialkunde/Politische Bildung“ ist der Nationalsozialismus ein wichtiges Thema und nimmt zu Recht bei vielen Lehrerinnen und Lehrer eine Vielzahl an Schulstunden ein. Doch behandelt wird hier, aus den eigenen Erfahrungen meiner Schulzeit und nach Befragung mehrerer Studienkolleginnen und Studienkollegen, zum Großteil der Nationalsozialismus in Deutschland. Kommt die österreichische Geschichte vor, so geht es oft lediglich um den „Anschluss“ Österreichs 1938 an das deutsche Reich, die Aktion T4 im Schloss Hartheim bei Linz und das Konzentrationslager Mauthausen, welches bis heute als eines der beliebtesten Exkursionsziele österreichischer Schulen gilt. Diese Fakten lassen sich nicht nur durch individuelle Erfahrungen, sondern auch durch Blicke in verschiedenste Schulbücher untermauern.
Diese Bachelorarbeit behandelt ein anderes Thema aus Österreich, von dem man verwunderlicher Weise auch in Wiener Schulen selten hört, aber einmal mehr die Grausamkeit der Nationalsozialisten aufzeigt: Das Thema „ Spuren des Nationalsozialismus in Wien am Beispiel der Verbrechen am Steinhof “ . Angefangen mit dem Rassenwahn und der damit verbundenen Rassenhygiene begann die NS-Medizin zu wachsen, bis sie sich auch in Österreich in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt „Am Steinhof“ etabliert hatte. Das obige Zitat in der Einleitung gibt einen Hinweis auf die Geschichte der ermordeten Kinder, welche in dieser Arbeit näher erläutert wird. Die zentrale Forschungsfrage lautet „ Welche Verbrechen wurden zur Zeit des Nationalsozialismus am Steinhof durchgef ü hrt und wie lassen sich eine Unterrichtsstunde und ein Lehrausgang zu der Gedenkst ä tte Steinhof gestalten? “ .
Angepasst an die Forschungsfrage lassen sich in dieser Bachelorarbeit zwei Hauptbereiche finden:
1. Fachwissenschaftlich-historischer Teil
In diesem Bereich wird zum einen allgemein auf die nationalsozialistische Rassenhygiene und damit verbunden auf die Themen Zwangssterilisation, Zwangsabtreibung, Eheverbote, Euthanasie (Aktion T4, Kinder-Euthanasie) eingegangen. Zum anderen wird auch die Geschichte der NS-Medizin in Wien erläutert, welche die Anstalt „Am Steinhof“ und die dort stattgefundenen Verbrechen beinhaltet.
2. Didaktischer Teil:
Dieser Bereich zeigt die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung des Unterrichts mit Exkursion und knüpft an den Lehrplan fur Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung an. Da wie vorhin erwähnt das Thema in den Klassenzimmern Österreichs selten aufgegriffen wird ist das Ziel des didaktischen Teils, die Effektivität des Einbaus in den Unterricht und einer Exkursion aufzuzeigen.
1. Fachwissenschaftlich-historischer Teil
1.1 Nationalsozialistische Rassenhygiene
Zur Einführung in die nationalistische Rassenhygiene ist ein wichtiger Begriff zu nennen: Eugenik. Als Eugenik wird die „Lehre von der Verbesserung des biologischen Erbgutes des Menschen“ bezeichnet. Bereits im 19. Jahrhunderts entstand dieser Begriff vom Anthropologen Francis Galton, welcher die menschliche Rasse verbessern wollte.1 In diesem Zusammenhang steht auch der vor allem in Deutschland durch Ernst Haeckel radikal propagierte Sozialdarwinismus. Eine der Hauptaussagen aus der Abstammungslehre von Charles Darwin besagt, dass diejenigen Arten in einem Konkurrenzkampf gegen andere Arten überleben, welche am besten an ihre Umwelt angepasst sind. Dies wird auch „survival of the fittest“, Auslese und Selektion bezeichnet. Der Sozialdarwinismus überträgt Darwins Theorie von der Tierwelt auf den Menschen und seine sozialen Verhältnisse. Man geht in dieser Theorie davon aus, dass die Menschen von Natur aus ungleich sind und dass sich letztlich der Stärkere durchsetzen wird. Hieraus folgte auch die Unterscheidung zwischen „wertvollem“ und „minderwertigem“ Leben2, welche später von den Nationalsozialisten angewendet wurde. Beim Begriff Eugenik unterscheidet man zwischen der positiven und negativen Eugenik. Das Ziel der positiven Eugenik ist es, die „wertvollen“ Individuen gezielt zu fördern und somit auch den Anteil positiver Erbanlagen (z.B. im Volk) zu erhöhen. Bei der negativen Eugenik ist das Gegenteil der Fall: Der Anteil negativer Erbanlagen (z.B. im Volk) soll verringert werden. Im Fall des Nationalsozialismus sollten die negativen Erbanlagen dadurch vermindert werden, dass man eine Fortpflanzung nicht möglich macht.3
Die Anfänge zur nationalsozialistischen Rassenhygiene lassen sich in Hitlers „Mein Kampf“ finden. Hier lässt sich eine besonders radikale Form der Eugenik feststellen. Hitler schreibt in seinem Buch unter anderem von „höheren“ und „niederen“ Rassen und zu einem großen Teil über die Volksgesundheit und Arterhaltung. Das deutsche Volk stand für die arische, erbgesunde Herrenrasse - diese Rasse war die Höchste auf Erden und musste als Aufgabe des Staates erhalten und gefördert werden. Der Staat hatte, nach seiner Ansicht, auch die Unterordnung des „Schlechteren und Schwächeren“ als Aufgabe, da diese die Arterhaltung und Volksgesundheit bedrohen würden. Neben den antisemitischen Überzeugungen Hitlers sah er auch im eigenem Volk „minderwertige“ Leben, zu denen Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung, Erbkranke, Menschen mit psychischen Erkrankungen, Angehörige sozialer Randgruppen etc. zählten. Die „minderwertigen“ Menschen sollten, nach der Eugenik, aus der Gesellschaft verdrängt und „ausgemerzt“ werden. Neben den „ausmerzenden“ Maßnahmen wie Zwangssterilisation, Zwangsabtreibungen, Eheverbote und Euthanasie wurde auch eine Sozialpolitik eingesetzt, die die Vermehrung des deutschen Volks förderte. Die Frauen wurden z.B. in den Gründungsjahren der NSDAP allein auf die Gebärfunktion beschränkt, also die Vermehrung und Erhaltung der Art und Rasse sei ihre Aufgabe. So bekamen die Mütter so genannte Mutterkreuze (Ehrenkreuze), sobald sie vier oder mehr Kinder hatten, vorausgesetzt sie waren deutschblütig und erbgesund. Hatten sie acht oder mehr Kinder geboren, so bekamen sie die höchste Auszeichnung, das goldene Mutterkreuz. 4
Lars Lüdicke, Hitlers Weltanschauung. Von „Mein Kampf“ bis zum „Nero-Befehl“ (Paderborn 2016).
1.1.1 Zwangssterilisation und Zwangsabtreibungen
Vor allem die negative Eugenik fand bei den Nationalsozialisten Anklang. Nachdem im Jahr 1933 Hitler die Macht in Deutschland übernommen hatte, erschien im gleichen Jahr das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Dies war der erste große „Erfolg“ für die Rassenhygiene und ein erster Schritt in Richtung Vernichtung des „Schlechteren und Schwächeren“. Im „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ stand, dass falls vermutet wird, dass die Nachkommen eines Menschen mit großer Wahrscheinlichkeit an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden, dieser Mensch durch Sterilisation unfruchtbar gemacht werden kann. Als Erbkranke wurden nach dem Gesetz Menschen mit „(...) 1. angeborenem Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressives) Irresein, 4. erblicher Fallsucht, 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea), 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer erblicher körperlicher Missbildung. (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet. (...)“ 5 Durch die schwammige Formulierung der Erbkranken im Gesetz konnten viele unterschiedliche Gruppen zwangssterilisiert werden. Im Laufe des Nationalsozialismus wurden rund 350 000 bis 400 000 Menschen Opfer dieser Zwangssterilisationen, „rund 1% der Bevölkerung des Deutschen Reiches im fortpflanzungsfähigen Alter“. Zusätzlich starben rund 5500 Frauen und 600 Männer durch den medizinischen Eingriff. Ab 1934 gab es im Deutschen Reich Erbgesundheitsgerichte, die darüber entschieden, welche Menschen zwangssterilisiert wurden. Dabei wirkten JuristInnen und MedizinerInnen zusammen.6 1935 wurde durch eine Änderung des „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ das Abtreibungsverbot, was es bis dato gegeben hatte, abgeschafft. Ab diesem Zeitpunkt gab es eine Straffreiheit für Abtreibungen bei erbkranken Müttern. Wer dafür in Frage kam, wurde wieder von den Erbgesundheitsgerichten beschlossen.7
1.1.2 Eheverbote und „ Erbkarteien “
Am 15. September 1935 wurden die Nürnberger Gesetze verabschiedet. Ein Teil dieser Gesetze war auch „Das Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des deutschen Volkes“. Dieses Gesetz verbot, zusätzlich zu der zuletzt genannten Zwangssterilisation, eine Ehe zwischen PartnernInnen, von denen ein/e PartnerIn eine geistige Störung hat oder an einer Erbkrankheit laut dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ (kurz „Ehegesundheitsgesetz“) leidet.8 Ein anderer, weitaus bekannterer Teil der Nürnberger Gesetze ist das „Blutschutzgesetz“, welches eine Eheschließung und den außerehelichen Geschlechtsverkehr mit JüdInnen verbot. Beide Gesetze stellen eine staatliche Einschränkung auf juristischer Grundlage dar, der Unterschied liegt im Motiv: Während das „Blutschutzgesetz“ auf antisemitischen bzw. rassistischen Motiven gestützt ist, wurde das „Ehegesundheitsgesetz“ aus eugenischen Motiven eingeführt. Eine Vorrausetzung, um heiraten zu können, war ein „Ehetauglichkeitszeugnis“, welches ein Amtsarzt ausstellte. Dieses Zeugnis wurde oftmals nicht direkt durch eine tatsächliche Untersuchung ausgestellt bzw. nur anfangs, sondern durch eine Überprüfung der so genannten Erbkartei.9 Die Gesundheitsämter erhoben in dieser Erbkartei alle erreichbaren belastenden Informationen. Fast lückenlos hat man alle „Asozialen“, „Antisozialen“ und Menschen mit Erberkrankungen dort erfasst. Bereits mit der Geburt begann die systematische Erfassung der Bevölkerung, ab 1940 wurden die Geburtsmeldungen regelmäßig für die Erbkartei ausgewertet. Vor allem die Wiener Erbkartei wuchs in wenigen Jahren zu einer der größten Erbkarteien im Deutschen Reich an.10
1.1.3 Euthanasie
Nach anfänglichen Zwangsterilisation, Zwangsabtreibungen und Eheverbote wurde später ein noch grausameres Endziel beschlossen: Die Vernichtung „lebensunwerten“ Lebens. Man hat mit der systematischen Ermordung von Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen Behinderungen begonnen. Diese Euthanasie-Morde lassen sich im Allgemeinen auf zwei Arten aufteilen: Die Morde an Erwachsenen, heute unter der Bezeichnung „Aktion T4“ bekannt, und die Morde an Säuglingen und Kindern, welche unter anderem auch „Am Steinhof“ stattfanden (siehe 2.2.2).11
1.1.3.1 Aktion T4
Der Name „Aktion T4“ wird von der Adresse Tiergartenstraße 4 abgeleitet. Dort befand sich die Zentraldienststelle T4, welche mit einem Euthanasie-Programm beauftragt wurde. Die Zentraldienststelle T4 war keine staatliche Institution, sondern eine private Kanzlei des Führers (KdF) Hitler. Allerdings wären ohne eine Kooperation staatlicher Stellen die Pläne nicht realisierbar gewesen. Diese Stelle war sowohl für die Erfassung der Menschen zuständig, welche für eine Tötung in Frage kamen, als auch für die Bestellung von ärztlichen Gutachtern.12 Zeitlich lässt sich die Aktion T4 zwischen 1939 - 1941 einordnen, wobei auch nach den verordneten Euthanasie-Stopp 1941 zahlreiche Menschen getötet worden sind. Insgesamt wurden im Zuge der Aktion T4 mehr als 70000 Menschen ermordet. Einen Schritt zum Beginn der Aktion T4 stellt die Euthanasiebevollmächtigung Hitlers im Jahr 1939 dar:
„ Berlin, den 1. Sept. 1939
Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ä rtze so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gew ä hrt werden kann.
A. Hitler “
Dr. Karl Brandt war der Begleitarzt Hitlers und Phillip Bouhler der Leiter der zuvor erwähnten KdF.13 Hitler entschied sich „für die radikalste und weitreichendste Variante, Krankentötungen insgeheim in den rechtsfreien Zonen des nationalsozialistischen Maßnahmenstaates zu organisieren.“ Insgesamt wurden sechs Tötungsanstalten errichtet (Grafeneck, Bernburg, Brandenburg, Hartheim, Sonnenstein, Hadamar).14 Die ÄrztInnen, die zur Durchführung der Euthanasie-Aktionen geeignet waren, wurden nach einem gängigen Muster ausgewählt: Zuerst wurden sie von der KdF zu einer Sitzung nach Berlin eingeladen, wo ihnen das Programm erläutert und Straffreiheit zugesichert wurde. Gleichzeitig wies man auf die strenge Geheimhaltung hin. Die Euthanasie-Morde sollten aus mehreren Gründen geheim gehalten werden: Es sollte jede Einflussnahme staatlicher Behörden, Unruhen in der Bevölkerung und kirchliche Widerstände verhindert werden sowie den Angehörigen die Möglichkeit eines „stillschweigenden Einverständnis“ gegeben werden. Mehr als 50 ÄrztInnen waren bis 1941 an den den Euthanasie-Programmen tätig.15
Auch der Ablauf der Tötungen geschah nach einem durchdachten System. Nach einem Runderlass mussten die in Frage kommenden Anstalten detaillierte PatientInnenangaben mittels Meldebögen abschicken, ohne davon zu wissen, für welchen Zweck diese waren. 16 Wurde eine Person für die Euthanasie ausgewählt, so wurde diese hauptsächlich mit Bussen zuerst in Zwischenanstalten transportiert, damit die eigentlichen Tötungsanstalten erstens nicht überfüllt wird und zweitens die Aktion ein wenig verschleiert werden konnte. Nach Ankunft in den Tötungsanstalten wurden die Personen den TötungsärztInnen vorgeführt und die Personendaten überprüft. Getötet wurden die Opfer, wie in den Konzentrationslagern, mit Giftgas in Gaskammern, die als Duschen getarnt waren. Anschließend wurden sie verbrannt und ihre Urnen an die Angehörigen geschickt. Standesämter stellten Todesurkunden aus, welche erfundene Krankengeschichten beinhalteten, um die Euthanasiemorde als natürlichen Tod darzustellen. Auch im Briefkopf stand eine andere Anstalt, um so die Entfernung der Anstalten zu den Angehörigen zu vergrößern, damit diese nicht die Anstalt besuchten. Stammten mehrere Todesopfer aus derselben Gegend, so schickte man die Todesnachrichten zu unterschiedlichen Zeiten aus, auch wenn die Opfer zur selben Zeit starben. Trotz zahlreicher Vorsichtsmaßnahmen wurden die Massenmorde langsam in der Bevölkerung bekannt, da mehrere Irrtümer passierten. Beispielsweise bekam eine Familie zwei Urnen geschickt oder als Todesursache wurde eine Blinddarmentzündung diagnostiziert, obwohl der Patient den Blinddarm bereits seit vielen Jahren herausoperiert bekommen hatte. Auch Rückenmarkleiden standen auf den Todesnachrichten, obwohl die Familie den körperlich gesunden Patienten ein paar Tage vor der Tötung noch besucht hatte. In der Bevölkerung selbst stieß die Aktion T4 auf Ablehnung, was unter den Rahmenbedingungen des Nationalsozialismus verwunderlich ist, denn die Verfolgung von JüdInnen spielten sich im Gegensatz zur Euthanasie in der Öffentlichkeit ab. Hans-Walther Schmuhl erklärt in seinem Werk, dass dies daran lag, dass die Euthanasie „die Gefahr der Selbstvernichtung in sich barg und durch die drohende Einbeziehung von Kriegsversehrten, Arbeitsinvaliden, Altersheiminsassen, Krankenhauspatienten usw. ein Klima der Bedrohung schuf“. Die Verfolgung von JüdInnen kann als Fremdvernichtung verstanden werden. Wie einleitend schon erwähnt stoppte Hitler die Euthanasie im Jahr 1941, die Morde waren aber keineswegs beendet. Nur die Tötungsanstalt Hadamar wurde stillgelegt, Hartheim, Bernburg und Sonnenstein machten weiter. Hier wurden auch die KZ-Häftlinge im Zuge der Aktion 14f13 „vergast“. Diese Opfer galten „krank“, „alt“ und „nicht mehr arbeitsfähig“. 17 Weiters verlagerten sich die Tötungen in die psychiatrischen Anstalten selbst (dezentrale Euthanasie). Hier waren ÄrztInnen und das Pflegepersonal selbst beteiligt, PatientInnen durch überdosierte Medikamente, Vernachlässigung oder Hungerrationen zu töten.18
1.1.3.2 Kinder-Euthanasie
Während sich die Aktion T4 und die anschließenden dezentralen Euthanasiemorde an Erwachsene richtete, wurden zwischen 1939 bis 1945 Kinder und Jugendliche bis 16 Jahre in „Kinderfachabteilungen“ ermordet. Den Beginn der Kinder-Euthanasie markiert der so genannte „Fall Knauer“. 1939 ging ein Gesuch des Ehepaar Knauer in der KdF ein, in dem sie darum bitten, ihrem körperlich und geistig behinderten Kleinkind den „Gnadentod“ zu gewähren. Zuvor hatten die Eltern ein Gespräch mit W. Catel, Direktor der Universitätskinderklinik Leipzig, über die Lebenschancen ihres Kleinkinds. Er empfahl den Eltern die Tötung, die zu diesem Zeitpunkt noch strafbar war, durch ein Gesuch zu bewirken. Nach einer Untersuchung durch Karl Brandt, der im vorigen Kapitel erwähnte Begleitarzt Hitlers, wurde das Kleinkind „eingeschläfert“. Die Folge dieses Falles war, dass Hitler, Brandt und Bouhler, vermutlich mündlich ermächtigte, dass in ähnlichen Fällen auch so verfahren werden soll.19
Im Jahr 1939 ging ein streng vertraulicher Runderlass an die Anstalten heraus, der verpflichtete, formblattmäßige Mitteilungen an das zuständige Gesundheitsamt zu senden, falls das Neugeborene verdächtig ist ein schweres angeborenes Leid zu haben. In der Abb. 1 ist ein solcher Meldebogen dargestellt. Links unten kann man die Vermerke der Gutachter erkennen. In diesem Fall wird die Ermordung befürwortet („+“). Es kam auch vor, dass keine eindeutige Entscheidung gemacht werden konnte. So stand an dieser Stelle ein „B“ für „Beobachtung“. Diese Kinder wurden ebenfalls in die Kinderfachabteilungen zugewiesen.20
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
bbildung 1: Meldebogen mit einem "+" (Quelle: http://gedenkstaettesteinhof.at/sites/
Um die Kindestötungen durchführen zu können, hat man in Heil- und Pflegeanstalten so genannte „Kinderfachabteilungen“ eingerichtet. Die erste Kinderfachabteilung wurde in der Landesanstalt Görden 1939 eingerichtet. Anfangs waren erst wenige Kinderfachabteilungen in Betrieb, später jedoch, nach Abbruch der Aktion T4, gab es über 30 Kinderfachabteilungen im Dritten Reich. Die LeiterInnen der Kinderfachabteilungen wurden in „Reichsschulstationen“ in ihre Arbeit eingeschult. Viele ÄrztInnen stellten sich zwar als Gutachter zu Verfügung, konnten aber nicht in den Kinderfachabteilungen arbeiten, was ein Brief von Dr. Hölzel 1940 an den Leiter der Anstalt Eglfing-Haar zeigt: „So lebhaft ich in vielen Fällen den Wunsch hätte, den natürlichen Ablauf verbessern zu können, so sehr widersteht es mir, dies als eine systematische Aufgabe nach kalter Überlegung und nach wissenschaftlich-sachlichen Richtlinien (...) auszuführen. Denn was mir die Arbeit im Kinderheim lieb gemacht hat, war (...) das ärztliche Bedürfnis, inmitten unserer oft so fruchtlosen Arbeit, hier in vielen Fällen zu helfen und wenigstens zu bessern“. Viele ÄrztInnen hatten anfangs die Tötungen übernommen, mussten die Aufgabe aber nach ein paar Ermordungen die Aufgabe an andere ÄrztInnen weitergeben. Um die Kinder möglichst unauffällig zu „beseitigen“, brachte man sie nicht sofort um, sondern setzte eine Überdosis an Medikamente, die entweder in Form von Tee, Tabletten, Zäpfchen, Klysma oder Spritzen verabreicht wurden, in Kombination mit Morphin-Einspritzungen ein. So konnte man „natürliche Todesursachen“ wie Lungenentzündungen, Tuberkulose, Typhus etc. erzeugen. Die meisten Kinder jedoch, die im Rahmen dieser Euthanasiemorde umkamen, wurden im Zuge der Aktion T4 ebenfalls wie die Erwachsenen „vergast“. Im Jahr 1940 wurden z.B. aus der badischen Anstalt Emmendingen 300 Kinder in die Tötungsanstalt Grafeneck transportiert. Viele der Kinder starben bereits bei dem Transport, da man sie zuvor systematisch unterernährt und in unzureichend geheizten Räumen untergebracht hat.21
[...]
1 Hans-Peter Körner, Eugenik. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hg.), Enzyklopädie Medizingeschichte (Berlin/New York 2005) 380.
2 Wolfgang U. Eckart, Medizin in der NS-Diktatur. Ideologie, Praxis, Folgen (Köln/Wien 2012).
3 Michael Wunder, Eugenik. In: Markus Dederich, Wolfgang Jantzen (Hg.), Behinderung und Anerkennung (Stuttgart 2009) 284 - 287.
4 Michael Wunder, Eugenik. In: Markus Dederich, Wolfgang Jantzen (Hg.), Behinderung und Anerkennung (Stuttgart 2009) 284 - 287.
5 Deutsches Reichsgesetzblatt Teil 1 1867-1945. In: Österreichische Nationalbibliothek, ALEX Historische Rechts- und Gesetzestexte Online, online unter <http://alex.onb.ac.at/cgi-content/alex?apm=0&aid=dra&datum=19330004&seite=00000529&zoom=2> (01.12.2017).
6 Achim Bühl, Auf dem Weg zur biomächtigen Gesellschaft. Chancen und Risiken der Gentechnik (Wien 2009).
7 Gisela Bock, Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik (Opladen 1986).
8 Christian Merkel, "Tod den Idioten". Eugenik und Euthanasie in juristischer Rezeption vom Kaiserreich zur Hitlerzeit (Berlin 2006).
9 Herwig Czech, Geburtenkrieg und Rassenkampf. Medizin, „Rassenhygiene“ und selektive Bevölkerungspolitik in Wien 1938 bis 1945. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 2005 (Wien 2015) 52 - 95.
10 Herwig Czech, Erfassen, begutachten, ausmerzen. Das Wiener Hauptgesundheitsamt und die Umsetzung der „Erb- und Rassenpflege“ 1938 bis 1945. In: Wolfgang Neugebauer, Vorreiter der Vernichtung. Eugenik, Rassenhygiene und Euthanasie in der österreichischen Diskussion vor 1938 (Wien/Köln/Weimar 2005) 19 - 51.
11 Eckart, Medizin in der NS-Diktatur, 138 - 140.
12 Annette Hinz-Wessels, Tiergartenstraße 4. Schaltzentrale der nationalsozialistischen „Euthanasie“-Morde (Berlin 2015).
13 Hitlers schriftliche Euthanasiebevollmächtigung (zurückdatiert auf den 1. September 1939). In: Deutsche Geschichte in Dokumenten und Bildern, online unter <http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_document.cfm?document_id=1528&language=german> (7.12.2017).
14 Herwig Czech, Von der „Aktion T4“ zur „dezentralen Euthanasie“. Die niederösterreichischen Heil- und Pflegeanstalten Gugging, Mauer-Öhling und Ybbs. In: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 2016 (Wien 2016) 219 - 266.
15 Hans-Walter Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie. Von der Verhütung zur Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, 1890-1945 (Göttingen 1992).
16 Czech, Von der „Aktion T4“ zur „dezentralen Euthanasie“.
17 Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 182 - 189.
18 Dezentrale „Euthanasie“. In: Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, online unter <https://www.t4-denkmal.de/Dezentrale-Euthanasie> (12.12.2017).
19 Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 182 - 189.
20 Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 182 - 189.
21 Schmuhl, Rassenhygiene, Nationalsozialismus, Euthanasie, 182 - 189.