Der Existenzialismus in der 'Blechtrommel' am Beispiel eines Schlüsselkapitels


Referat (Ausarbeitung), 2000

14 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Das Kapitel „Glaube Hoffnung Liebe“
1. Es war einmal
2. Glaube, Liebe, Hoffnung
3. Die Märchenstruktur

III. Oskars skeptischer Ästhetizismus

IV. Schlußbemerkungen

V. Bibliographie

I. Einleitung

In Günter Grass` Debüt- Roman „Die Blechtrommel“, erschienen 1959, nimmt das Kapitel „Glaube, Hoffnung, Liebe“ eine besondere Stellung ein.

Zum einen sticht es durch formalistische Auffälligkeiten, d.h. durch eine strenge Komposition, hervor. Zum anderen stellt dieses Kapitel einen Schlüssel zum Verständnis der Aussage des gesamten Werkes dar. Insbesondere offenbart sich hier die Handlungsmotivation des Protagonisten Oskar Matzerath und dessen Einstellung zur Umwelt.

In den folgenden Ausführungen wird sich das Augenmerk zunächst auf die formalen Aspekte und die Grundzüge der erzählten Handlung im besagten Kapitel richten. Hierbei soll ob der interessanten Textgestaltung und der virtuosen sprachlichen Aspekte gezielt nah am Text verfahren werden. Von großer Bedeutung für die Entwicklung der hier vertretenen Argumentation war die Kapitel- Interpretation von Irmela Schneider[1].

Gleichwohl soll dabei eine mögliche Deutung der Aussage dieses Kapitels in Hinblick auf den wesentlichen erzählerischen Gegenstand der Blechtrommel, die Zeit des Nazi- Regimes in Deutschland und dessen Folgen für die deutsche Gesellschaft, angeboten werden. Davon ausgehend wird sich schließlich der philosophisch- weltanschauliche Hintergrund der „Blechtrommel“ eröffnen. Auch dieser Teil wäre in der vorliegenden Form nicht ohne die Anregungen einer weiteren Arbeit zustande gekommen, und zwar ist dies Volker Neuhaus` Essay, der sich mit dem Christentum im Werk Günter Grass` auseinandersetzt[2].

Im Verlaufe der Beschäftigung mit dem Text drängte sich der Eindruck auf, daß insbesondere im hier verhandelten Kapitel der Zusammenhang zwischen der inhaltlichen und der textgestalterischen Ebene sehr eng ist und es daher eine genaue Lektüre verdient.

II. Das Kapitel „Glaube Hoffnung Liebe“

1. Es war einmal

Der Trompeter Meyn, auf den sich die Handlung in der ersten Hälfte des Kapitels konzentriert, wird mit der dem traditionellen Märchen entlehnten Formel „Es war einmal...“ eingeführt. Meyn, der zusammen mit vier Katzen in einer Dachwohnung lebt, hat in vergangenen Zeiten viel getrunken, und zwar „solange, bis das Unglück ihn nüchtern werden ließ“ (S. 236).Dabei bleibt zunächst offen, worin genau das Unglück besteht. Der folgende Absatz stellt einen Vorgriff auf den hinteren Teil des Kapitels dar, in dem Oskar, wie noch zu zeigen sein wird, die Geschehnisse ausdeutet. Hier taucht z. B. erstmals die von Oskar später sehr intensiv genutzte Metapher vom Gas als Verkörperung des Übels auf (S. 236).

Oskar wendet sich dann aber wieder dem Musiker Meyn zu. Langsam wird deutlich, daß mit dem Unglück die beginnenden Erfolge der nationalsozialistischen Bewegung gemeint sind: auf der Beerdigung seines Freundes Herbert Truczinski, dessen Tod ihn sehr berührt, spielt Meyn seine Trompete erstmals wieder in betrunkenem Zustand. Die SA- Uniform, die Meyn unter seinem Mantel trägt, läßt Schugger Leo aufschrecken und mit einem Aufschrei fliehen. Der Beitritt Meyns zur SA war der Anlaß für sein vorangegangenes Ernüchtern und den Verlust der Fähigkeit, schön Trompete spielen zu können. Erst auf der Beerdigung und nach intensivem Machandelgenuß, also bei Eintritt eines Ereignisses der Unordnung, gewinnt Meyn diese Fähigkeit zurück.

Die Erzählung hebt an dieser Stelle mit dem bekannten „Es war einmal...“ neu an. Der Fokus bleibt vorerst auf Meyn gerichtet, wobei zunächst einfach der Anfang des Kapitels (d.h. die ersten beiden Sätze) wörtlich rekapituliert wird. Schließlich aber löst sich Oskar von dieser Formelhaftigkeit und treibt den Gang der Erzählung in der gewohnten Weise voran- und zwar ist der Auslöser dafür der Austausch des unbestimmten Ausdrucks „Unglück“ durch die explizite Benennung des Reiter- SA- Beitritts.

Dieses Strickmuster wiederholt sich im ersten Teil des Kapitels einige Male. In zwölf kleinen Märchen dieser Art wird die Geschichte vom Musiker Meyn erzählt. Kennzeichnend für diese märchenartigen Miniaturen ist also, wie anhand obiger Darstellung deutlich geworden sein dürfte, daß zunächst von einer feststehenden, streng konstruierten Struktur ausgegangen wird, die dann aber späterhin von Mal zu Mal leicht variiert erscheint und dem Gang der Erzählung schließlich mit Worten wie „bis“ oder „als“ freien Lauf lassen. Diese Charakteristika haben Irmela Schneider zu der Annahme gebracht, daß das Kapitel auf der Form einer Fuge basiere. In einer meines Erachtens nach überzeugenden Argumentation benennt sie die augenfälligen Übereinstimmungen mit diesem musikalischen Vorbild, nämlich das Wechselspiel aus fest vorgegebener Form und Variation.

Nach der Schilderung dieses für Meyn peinlichen Zwischenfalls auf dem Friedhof wechselt die Anrede von „Musiker“ auf „SA- Mann“ über. Unter Verwendung dieser Anrede setzt die Erzählung zweimal von Neuem an, wodurch der Wandel, den Meyn seinem Leben selbst auferlegt hat, besonders deutlich zu Tage tritt und ironisch gebrochen wird.

Meyn hatte

„... oft genug geschworen..., daß kein Tröpfchen Machandel mehr über seine Musikerlippen komme, daß ein neues, stocknüchternes Leben beginne, daß er sich fortan der Ordnung verschreibe und nicht mehr den Räuschen einer verpfuschten und haltlosen Jugend.“ (S. 238- 239)

Aus diesem Grund geht er, der, von der Beerdigung heimgekehrt, bereits wieder ausgenüchtert ist, nicht in ein Geschäft, um sich neuen Machandel zu besorgen. Das, obwohl der Uringestank, den seine vier Kater in der Wohnung erzeugen, in ihm das Bedürfnis weckt, sich die Sinne mit Alkohol zu benebeln:

„Meyn aber hatte keinen Machandel in der Wohnung. Deshalb roch es immer mehr nach den Katzen oder Katern.“ (S. 238)

Die vier Katzen treten hier deutlich als Relikte vergangener Zeiten auf. Sie verkörpern für den nüchternen und ob der auf dem Friedhof erlittenen Schmach peinlich berührten Meyn ein Element der Unordnung, für welches in seinem neuen Leben kein Platz mehr ist. In einer bezeichnenden Metapher heißt es dazu, sie „rieben sich an seinen Reiterstiefeln“ (S.238). Daher versucht er in einem neuen Märchen als „Mann“ (S. 239), die Katzen mit einem Feuerhaken zu töten.

Das sechste Märchen unterscheidet sich von den vorangegangenen dadurch, daß Meyn hier nicht mehr der Handlungsträger ist. Was sich anhand der ersten Märchen bereits erahnen ließ, wird nun offensichtlich: eine plötzliche Wendung in der Handlung oder eine offengebliebene Frage, die sich aus der Perspektive des jeweiligen Märchens nicht erschöpfend beantworten ließ, zieht einen Wechsel der Perspektive, ein neuerliches Anheben der Erzählung nach sich. Im siebten Märchen wird die Geschichte der Kater erzählt, und in dieser Passage bestätigen sich besonders deutlich die all diese Überlegungen zur Form des Kapitels: hier werden nämlich objektiv gesehen kaum neue Informationen verhandelt. Vielmehr wird das, was über das Schicksal der vier Katzen bereits bekannt ist, noch einmal rekapituliert- allerdings wechselt dabei die Fokussierung der Erzählung auf die Tiere über. Meyn tritt hier einfach als „Musiker“ (S. 239) auf, seine Geschichte wird komplett ausgespart- die Kater werden einfach aus „besonderen Gründen“ (S. 240) getötet. Vielmehr wird hier detailliert von der Tötung durch einen Feuerhaken, von dem Kartoffelsack und von dem bereits gefüllten „Müllkasten auf dem Hof neben der Teppichklopfstange“ (S. 240) gesprochen. In den verschiedenen Märchen werden also, abhängig davon, auf wen die Erzählung Bezug nimmt, unterschiedliche Realitätsausschnitte dargestellt- und zwar aus unterschiedlichen Perspektiven.

[...]


[1] Irmela Schneider: Kritische Rezeption. „Die Blechtrommel“ als Modell.

Volker Neuhaus: Das christliche Erbe bei Günter Grass.

[2]

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Der Existenzialismus in der 'Blechtrommel' am Beispiel eines Schlüsselkapitels
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für deutsche und niederländische Philologie)
Veranstaltung
GK C: Das Romanjahr 1959
Note
1,3
Autor
Jahr
2000
Seiten
14
Katalognummer
V59208
ISBN (eBook)
9783638532075
ISBN (Buch)
9783656806097
Dateigröße
515 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Existenzialismus, Blechtrommel, Beispiel, Schlüsselkapitels, Romanjahr
Arbeit zitieren
Boris Kruse (Autor:in), 2000, Der Existenzialismus in der 'Blechtrommel' am Beispiel eines Schlüsselkapitels, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59208

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