Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Definition und Begriffserklärung
3 Die Anfänge von Erlebnispädagogik
3.1 Die Vordenker: Rousseau und Thoreau
3.2 Der Gründer: Kurt Hahn
4 Erlebnispädagogik in der Praxis
4.1 Rolle der Gruppe
4.2 Rolle der Reflexion
4.3 Handlungsfelder
4.4 Lernmodelle
5 Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Das Internet mit seinen vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten hat einen zunehmenden Einfluss im Alltag der Jugendlichen. Nach der JIM-Studie aus dem Jahr 2018 nutzen 91% der Jugendlichen täglich das Internet, 94% der Jugendlichen nutzen täglich ihr Smartphone und 65% aller Jugendlichen schauen täglich Online-Videos (vgl. Gfk Media and Communication Research 2018: S.13). Laut der KIM-Studie aus dem Jahr 2018 besitzen circa die Hälfte aller Kinder zwischen 6 und 13 Jahren ein Handy (vgl. IFAK 2019: S.10).
Im Gegensatz zu den Medien fördert gerade die Natur durch ihre reizvolle Umgebung das Explorationsverhalten von Kindern und regt ihre psychische Entwicklung an (vgl. Schemel &Wilke 2008: S.29f.). In der Erlebnispädagogik werden Lernprozesse durch das Umfeld und durch Risikogefühle ausgelöst. Daher ist diese mittlerweile eine etablierte Methode in der Jugendarbeit, der Heimerziehung, der beruflichen Bildung und in der Arbeit mit behinderten Menschen. Nachdem Erlebnispädagogik in der Praxis erprobt wurde, sind wesentliche Theorien aufgestellt worden.
In dieser Arbeit wird untersucht, wie die Erlebnispädagogik entstanden ist und was bei der Umsetzung von Erlebnispädagogik unter der Leitung eines Erlebnispädagogen1 zu beachten ist.
Zu Beginn der Arbeit wird der Begriff Erlebnispädagogik definiert. Daraufhin werden die Ursprünge der Erlebnispädagogik anhand der beiden Vordenker und Philosophen Jean-Jacques Rousseau und Henry David Thoreau und dem Gründer Kurt Hahn erklärt. Außerdem wird das von Kurt Hahn erarbeitete Konzept für eine erlebnispädagogisch geprägte Internatserziehung vorgestellt. In der Umsetzung von Erlebnispädagogik trägt vor allem die Gruppe und die Erlebnisreflexion eine wichtige Rolle. Des Weiteren werden wesentliche Handlungsfelder erlebnispädagogischer Aktivitäten vorgestellt. Für das Verständnis der Wirkung von Erlebnispädagogik wird im letzten Teil ein wesentliches Lernmodell mit dem Namen Flow-Erlebnis vorgestellt. Im Fazit werden die Arbeitsergebnisse zusammengefasst.
2 Definition und Begriffserklärung
Erlebnispädagogik besitzt die Fähigkeit, Abenteuer mit tief einprägenden Eindrücken zu verbinden. Der Ablauf von Erlebnispädagogik lässt sich wie folgt darstellen. Sie beginnt mit dem Ereignis, also der erlebnispädagogischen Aktivität. Aus den Ereignissen werden für die Betroffenen Erlebnisse. Außerdem sammeln die Betroffenen während der erlebnispädagogischen Aktivität Erfahrungen, die sie in ihren Erkenntnisstand integrieren. Diesen Vorgang nennt man E-Kette (vgl. Michl 2015: S.10f.).
Im Gegensatz zu normalen Freizeitangeboten ist in der Erlebnispädagogik die Bedeutung der Reflexion besonders groß. Erst mit Hilfe von Reflexion kann das Erlebte nachhaltig die Persönlichkeiten der Gruppe stärken. Durch den Transfer in den Alltag wird das Erlernte erkennbar. Die Bedeutung der Aktivität und des Transfers bzw. der Reflexion ist gleich. Nur wenn das Verhältnis der beiden Säulen im Gleichgewicht steht, kann Erlebnispädagogik ihren Nutzen erfüllen (vgl. Michl 2015: S. 9).
Der Erlebnispädagoge Werner Michl hat die Erlebnispädagogik wie folgt definiert: „Erlebnispädagogik ist eine handlungsorientierte Methode und will durch exemplarische Lernprozesse, in denen junge Menschen vor psychische, physische und soziale Herausforderungen gestellt werden, diese jungen Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung fördern und sie dazu befähigen, ihre Lebenswelt verantwortlich zu gestalten.“ (Michl 2015: S. 11).
Die Eigenschaften der Erlebnispädagogik sind vielfältig. Die Aktivitäten der Gruppe finden in der Regel in der Natur statt, die hierzu als Lernfeld dient. Außerdem ist die physische Komponente ausgeprägt. Besonders bei Aktivitäten wie dem Klettern ist die Physis sehr gefordert. Ob die Aktivitäten der Gruppe gelingen oder nicht, merken sie direkt. Im Gegensatz zu der Abenteuerpädagogik muss in der Erlebnispädagogik alles planbar sein. Der Lernerfolg der Gruppe folgt kontrolliert, ein gewisses Restrisiko ist jedoch nicht auszuschließen (vgl. Schad & Michl 2004: S. 23).
3 Die Anfänge von Erlebnispädagogik
Die Geschichte der Erlebnispädagogik begann bereits im 18. Jahrhundert durch den Vordenker Jean-Jacques Rousseau. Weiter inspiriert wurde die Pädagogik durch den amerikanischen Schriftsteller und Philosophen Henry David Thoreau. Der Pädagoge Kurt Hahn gilt als offizieller Gründer der Erlebnispädagogik.
3.1 Die Vordenker: Rousseau und Thoreau
Den ersten Grundstein der Erlebnispädagogik legte Jean-Jacques Rousseau. Er war Schriftsteller, Philosoph und Pädagoge und kam aus Genf. Gelebt hat er von 1712 bis 1778. Die Philosophie über das Leben in der Natur und das Leben in Einsamkeit hat ihn besonders geprägt. In seinen Überlegungen war die Hinwendung zum Individuum bedeutend. Dies wurde auch in seinem Hauptwerk „Émile, ou de l´éducation“ (Michl 2015: S.20) deutlich. In diesem beschreibt Rousseau, wie er versucht den Jungen Émile auf das Leben in der Zivilisation vorzubereiten. Zusätzlich muss er den Jungen auf die Unterzeichnung eines Gesellschaftsvertrags vorbereiten. Um den Vertrag unterzeichnen zu können, muss Émile zum einen lernen, auf seine Bedürfnisse zu hören und zum anderen verstehen, wie man sich an den Gesellschaftsvertrag hält. Der Gesellschaftsvertrag ist die Grundlage einer politischen Ordnung. (vgl. Heckmair & Michl 2018: S.12-14).
Es wird deutlich, dass Rousseau die Verbindung zwischen Pädagogik und Politik in seinem Werk stark betont. Laut Rousseau haben die Natur, Dinge und die Menschen Einfluss auf die Erziehung. Hierbei sollte Pädagogik minimal sein und das Lernen aus persönlichen Erfahrungen im Vordergrund stehen (vgl. Heckmair & Michl 2018: S.14-16).
Weitere Gedanken über die Erlebnispädagogik machte sich Henry David Thoreau. Thoreau ist im Jahre 1817 geboren und lebte bis 1862 (vgl. Heckmair & Michl 2018: S.19f.). Er berichtete in seinem Hauptwerk „Walden oder Leben in den Wäldern“ (Michl 2015: S.22) von seinem Leben in der Natur. Thoreau lebte 2 ½ Jahre in einer selbstgebauten Hütte in einem Wald am Walden-See. Wie schon Rousseau, sieht auch Thoreau eine Verbindung zwischen Politik und Pädagogik. Während der Staat für Unrecht, Leid und die Politik steht, verbindet er die Natur mit der Pädagogik (vgl. Heckmair & Michl 2018: S. 18).
Für das Leben in der Natur formulierte er vier Ziele:
1. Unabhängigkeit: Durch die Abgrenzung von Staat und dem Leben in Armut gewinnt er Unabhängigkeit. Der Kommunismus und Kapitalismus beeinflussten sein Leben nicht.
2. Philosophische Fragen: Durch die Stille und das einsame Leben kommen Fragen nach Freiheit, der Natur, dem Menschen und dem Glauben auf.
3. Ökonomie: Das Leben von eigenem Anbau und ohne Geld stellt ein ökonomisches Modell dar. Nach Thoreau bedarf es zur Erfüllung der Lebensbedürfnisse kein Geld. Das Streben nach Reichtum stellt er als eine Gesellschaftsneurose dar.
4. Wildnis-Therapie: Thoreau konnte in der Einsamkeit den frühen Tod seines Bruders verarbeiten und sich selbst auf das Sterben vorbereiten (vgl. Michl 2011: S. 22-23).
Sein Leben im Wald beschrieb er auch so: „Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen mußte, dass ich nicht gelebt hatte“ (Thoreau 1971: S. 184).
Vor allem durch sein Leben im Wald und seine Kritik am technischen Fortschritt ist Thoreau ein Vorbild für Aussteiger und Ökologen geworden. Er bewies durch seinen Aufenthalt in der Natur, dass sich das Leben kurzfristig ändern lässt. Außerdem vertrat er die These, dass man durch den Weg in die Natur auch den Weg zu sich selbst findet (Heckmair & Michl 2018: S.26).
3.2 Der Gründer: Kurt Hahn
Als Gründer der Erlebnispädagogik gilt Kurt Hahn. Er war deutscher Politiker und Pädagoge und lebte von 1886 bis 1974. Für ihn galt die Ignoranz verborgener Kräfte im Menschen als Verwahrlosung. Den dadurch entstandenen inneren gesellschaftlichen Verfallserscheinungen wollte er entgegenwirken. Das Erleben von Abenteuern galt für Hahn als eine „ansteckende Gesundheit“ (Michl 2015: S.25). In der Konsequent bedeutete dies für ihn, dass eine erlebnisintensive Erziehung gesundheitliche Fehlentwicklungen heilen kann. Für die Umsetzung seiner Überzeugung entwickelte Hahn ein Konzept für Landerziehungsheime (vgl. Michl 2011: S.25-26). Sein erstes Internat hierfür gründete er 1920 in Salem und nannte es Schloss Salem.
Wie schon der Vordenker Thoreau erkannt hatte, sah auch Hahn in der Gesellschaft Verfallserscheinungen. Diesen wollte er mit seiner Internatserziehung entgegenwirken. Die vier Verfallserscheinungen und seine entsprechenden Abwehrmethoden beschreibt er mit dem Verfall der körperlichen Tauglichkeit, dem Mangel an Initiative und Spontanität, dem Mangel an Sorgsamkeit und dem Mangel an menschlicher Anteilnahme (Heckmair & Michl 2018: S.33-34).
Zur Abwehr der gesellschaftlichen Verfallserscheinungen entwickelte er mit seinen 7 Salemer Gesetzen ein Konzept der Erlebnispädagogik und nutzte dieses als Philosophie einer Institution.
1. Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken
2. Lasst die Kinder Triumph und Niederlage erleben
3. Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Aufgabe
4. Sorgt für Zeiten der Stille
5. Übt die Phantasie
6. Lasst Spiele eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen
7. Erlöst die Söhne reicher und mächtiger Eltern von dem entnervenden Gefühl der Privilegiertheit (vgl. Michl 2011: S. 27-29).
4 Erlebnispädagogik in der Praxis
In der Umsetzung von Erlebnispädagogik sollen die Teilnehmenden mit Hilfe von erlebnispädagogischen Situationen und konkreten Anforderungen aus ihren individuellen Erfahrungen lernen. Dies kann in verschiedenen Handlungsfeldern, die in Kapitel 4.3 erläutert werden, geschehen. Wie die konkreten Lernerfahrungen ablaufen, wird im Kapitel 4.4 analysiert. Voraussetzungen für die Lernerfahrungen sind die Neugier der Teilnehmenden, da das Prinzip der Erlebnispädagogik auf Freiwilligkeit beruht. Um das Prinzip der Erlebnispädagogik zu bewahren, bestehen alle Aktivitäten aus dem gleichen Aufbau. Zu diesem Aufbau gehören die Elemente, Handlungsorientierung, Ganzheitlichkeit (Kopf, Herz und Hand), die Selbststeuerung, Ressourcenorientierung, Ernstcharakter (Grenzerfahrung), soziale Interaktion in der Gruppe, Reflexion und der Transfer. Die Ausprägung der verschiedenen Elemente kann abhängig von der Aktivität unterschiedlich sein (vgl. Paffrath 2018: S.20). Die beiden wesentlichen Elemente Gruppe und Reflexion werden in den beiden folgenden Kapiteln dargestellt.
4.1 Rolle der Gruppe
Im folgenden Abschnitt wird die Gruppe als wesentlicher Bestandteil erlebnispädagogischer Wirkung erklärt. Hierfür wird zunächst die Bedeutung des Rahmens für die Gruppe erläutert. Der Rahmen dient der Darstellungsmöglichkeit innerhalb der Gruppe. Vier Funktionen muss ein solcher Rahmen erfüllen. Zum einen müssen Grenzen für die Gruppe gesetzt werden. Die dadurch entstandene Klarheit kann sich beispielsweise auf die Regeln innerhalb der Gruppe oder die Länge der Gruppenzeit beziehen. Zum anderen müssen die Teilenehmenden die Inhalte kennen. Zu diesen Inhalten gehört der Ort des Gruppensettings, die angewendeten Medien und die gestellten Anforderungen. Dies dient auch der Konstruktion des erlebnistherapeutischen Milieus. Ein weiterer Punkt, der hohe Bedeutung für die Gruppe hat, ist die Übernahme von Verantwortung. Die Gruppe verfügt über einen Handlungsspielraum. Dieser muss von Beginn an klar definiert werden, um Ergänzungen, die zu Unglaubwürdigkeit führen können, zu vermeiden. Innerhalb der Gruppe hat jeder die gleiche Verantwortung zu tragen und es werden keine Unterschiede zwischen dem Gruppenleiter und den weiteren Teilnehmenden getroffen. Beim Klettern kann zum Beispiel die Entscheidung über die Abseilhöhe individuell getroffen werden. Zuletzt dient die Orientierung am Leitungsteam als weitere Rahmenfunktion der Gruppe. Die Leitung kann sich innerhalb des zuvor festgelegten Rahmens frei entfalten. Sie kann überlegen welche Entscheidungen am besten von der Gruppe getroffen werden und welche die Leitung übernehmen soll. Außerdem kann der Gruppenleiter Entscheidungen von der Gruppe individuell abhängig machen, wie zum Beispiel die Länge von Pausen oder den Grad einer Hilfestellung während einer Aufgabe (vgl. Fürst 2009: S.71-74).
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1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung personenspezifischer Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für jedes Geschlecht.