Richard II., Theresa May und der Brexit. Zur Problematik der englisch-britischen Beziehung zum Kontinent


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2019

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. “Uneasy lies the head that wears a crown.” – Die Problematik englisch-britischer Beziehungen zum Kontinent

2. “This royal throne of kings, this sceptre isle” – Richard II., Theresa May und der Kontinent
2.1 “This dear dear land, () is now leased out” – Richard II. und Frankreich
2.2 “England () is now bound in with shame, / With inky blots and rotten parchment bonds.” – Theresa May und der Brexit

3. “What must the King do now? Must he submit?“ – Richard II. tatsächliche und Theresa Mays geplante Absetzung

4. “Let’s talk of graves, of worms, and epitaphs; ()” – Richards Absetzung und die offene Frage Theresa May und der Brexit

5. Literatur
5.1 Quellen
5.2 Sekundärliteratur
5.3 Internetquellen

1. “Uneasy lies the head that wears a crown.” – Die Problematik englisch-britischer Beziehungen zum Kontinent

„Uneasy lies the head that wears a crown”1 2 bemerkte schon Henry IV. in Shakespeares gleichnamiger Historie. Auf dem Sterbebett liegend, hadert der erste König aus dem House of Lancaster nicht nur mit seiner Usurpation im Jahre 1399, sondern auch mit der Last des königlichen Amtes. Nicht anders erging es seinem Cousin und Vorgänger Richard II. (1377-1399). In der Forschung zwischen Genie und Wahnsinn angesiedelt, sah er sich über weite Teile seiner Regierung mit vor allem innenpolitischen Problemen konfrontiert, angefangen mit der Peasants‘ Revolt des Jahres 1381. Ursprünglich die Reaktion auf die Erhebung von drei Kopfsteuern (poll taxes) für die Finanzierung des Hundertjährigen Krieges, fielen diesem Aufstand in der Folge vor allem flämische Weber zum Opfer.3

Diese Angst vor dem Fremden und der damit einhergehende befürchtete Verlust der eigenen Existenz erscheinen in adaptierter Form in Krisenzeiten immer wieder. So auch im Vorfeld des Brexit-Referendums von 2016. Das zeigen empirische Erhebungen, die unmittelbar vor dieser Abstimmung durchgeführt worden sind. Befragt nach den Gründen für den Austritt aus der EU, gaben Ende des Jahres 2015 63 Prozent der Briten an, dass Immigration der Hauptfaktor für eine zukünftige Inklusionspolitik Großbritanniens sei. Damit verbunden war und ist die Angst, dass Bürger, sowohl aus der EU als auch aus Nicht-EU-Staaten, wichtige Arbeitsplätze besetzen und damit die britische Wirtschaft und Infrastruktur schwächen.4

Diese beiden Faktoren bilden eine der ersten Parallelen zwischen Richard II. und der ebenfalls untersuchten britischen Premierministerin Theresa May.

Eine weitere Parallele zwischen Richard II. und Theresa May stellen die Beziehungen Englands respektive Großbritanniens zum Kontinent dar. Was unter Richard II. in Form eines militärischen Konflikts zum Ausdruck kam, ist heute ein Konflikt, der sich vor allem im Wirtschafts- und Sozialsektor abspielt.

Unter Richard II. war der Krieg beziehungsweise ein Frieden mit Frankreich einer der politischen roten Fäden dieser Herrschaft und das mit teils unterschiedlichen Agenden. Richard II. forcierte eine auf England konzentrierte Inklusionspolitik und brach damit mit der Tradition, militärisch auf den Kontinent zu expandieren.5 Dagegen war die Opposition um seinen Onkel Thomas of Woodstock, dem Duke of Gloucester, an einer kontinentalen Expansionspolitik interessiert. Diese war seit dem Ausbruch des Hundertjährigen Krieges im Jahr 1337 das vorherrschende Moment.

Vergleichbar verhält es sich mit dem heutigen Austritt Großbritanniens aus der EU. Dieses erneute Fallbeispiel des Aufeinandertreffens unterschiedlicher Motivationen hat sich in den letzten Monaten zur schlimmsten Regierungskrise des Vereinigten Königreiches entwickelt. Angetrieben von der Angst einer zu hohen Immigration und der damit verbundenen Arbeitslosigkeit für britische Staatsbürger, spielt inzwischen auch die schon unter Richard II. vorherrschende Inklusions- und Expansionspolitik eine entscheidende Rolle. Dieses Ringen um eine innen- und außenpolitische Vormachtstellung, das eine Sicherung englischer/britischer Interessen verfolgte und verfolgt, gehört zu Großbritannien wie die Queen, der Afternoon Tea oder Konflikte zwischen dem König, dem Adel und dem Parlament.

Wie auch im 14. Jahrhundert, wird dieses Interessenkonfliktfeld von unterschiedlichen Motivationen und politischen Gruppierungen angetrieben, mit dem einzigen Unterschied, dass beim Brexit kein gekröntes Haupt in dessen Fokus steht. Der Brexit wird für die amtierende Premierministerin Theresa May dabei immer mehr zu einem Himmelfahrtskommando, in dem sie sich wiederholt mit einer parlamentarischen Opposition konfrontiert sieht, die allein in zwei aufeinanderfolgenden Monaten wiederholt versucht hat, sie abzusetzen – bislang ohne Erfolg. Inzwischen werden Stimmen laut, die ihr Despotismus unterstellen, da sie wiederholt Versprechen bricht und Entscheidungen scheinbar über den Kopf des Parlamentes hinweg trifft. Auch Richard II. wurde eine solche Politik teils mit Recht nachgesagt, was 1399 letztlich zu seiner Absetzung und Ermordung führte.

Zumindest in diesem Punkt ist Richard II. Theresa May einen Schritt voraus – seine Appeasement-Politik mit Frankreich und die damit verbundene Inklusionspolitik kostete ihn am Ende nicht nur seine Krone, sondern auch sein Leben. So drastisch wird es für Theresa May nicht enden, aber der Verlust ihres Amtes ist nach wie nicht auszuschließen.

Aufgrund der Aktualität des Brexit soll im Folgenden ein Vergleich zwischen Richard II. und Theresa May angestrebt werden. Ein besonderes Augenmerk wird auf den Despotismusvorwürfen gegen sowohl Richard II. als auch gegen Theresa May liegen. Eingebettet wird diese Untersuchung in die Regierungskrisen Richards II. der 1380er Jahre und die Misstrauensvoten gegen Theresa May im Dezember 2018 und Januar 2019.

Unter Hinzunahme von Henry Knightons Chronicon, der Westminster Chronicle und den Parliament Rolls, wird zunächst die Person Richards II. näher betrachtet. Ausgehend von diesen exemplarischen Krisen wird in parallelen Vergleichen Theresa Mays Rolle im britischen Parlament beleuchtet. Dabei sollen vor allem die Verhandlungen Mays mit Brüssel bezüglich eines „geordneten Brexit“ im Vordergrund stehen, für den sie wiederholt appelliert hat und der im Parlament wiederholt auf Widerstand stößt. Unterstützt werden soll dieser Teil der Arbeit durch die aktuelle Forschungsliteratur zum Brexit. Als Quellen fungieren Berichte aus einigen der auflagenstärksten britischen Zeitungen, darunter unter anderem The Times und The Independent, sowie Grundzüge des Lissaboner Vertrags von 2009 und Mays White Paper aus dem Jahr 2018 und Äußerungen britischer Members of Parliament/MPs in den sozialen Medien.

2. “This royal throne of kings, this sceptre isle” – Richard II., Theresa May und der Kontinent

2.1 “This dear dear land, (…) is now leased out” – Richard II. und Frankreich

So beklagt John of Gaunt, Onkel von Richard II.6, in Shakespeares Richard II das Schicksal seines geliebten England.7 Einst stolzes Königreich, wird es durch Richard II. zu einem Land degradiert, an dem sich ein jeder beteiligen und bereichern kann.

Mit der erfolgreichen Niederschlagung der Peasants‘ Revolt war es dem damals 14-jährigen Richard II. 1381 zunächst gelungen, sich zu positionieren und seine königliche Vormachtstellung zu demonstrieren. Allgemein als einzige Sternstunde des noch jungen Königs angesehen, waren die folgenden Jahre dieser Regierung aber vermehrt von vor allem innenpolitischen Konflikten geprägt. Erste Unstimmigkeiten wurden 1386 laut. In diesem Jahr begann sich eine mächtige und für Richard gefährliche Opposition herauszukristallisieren, deren Ziel nicht nur die politische Maßregelung des jungen Königs war, sondern auch dessen subsequente Absetzung. Rädelsführer dieser Gruppe war Richards Onkel Thomas of Woodstock, der Duke of Gloucester. Steine des Anstoßes gab es in dessen Augen viele, allen voran Richards ambivalente Frankreichpolitik. Ähnlich militärischen Konflikten der heutigen Zeit, war der drohende Verlust einer Vormachtstellung und den damit verbundenen pekuniären Vorteilen für Männer wie Richards Onkel Gloucester einer der Hauptgründe, die gegen einen Frieden und für die Fortführung des Krieges sprachen. Eroberungszüge, sogenannte chevauchées, waren über weite Teile des Hundertjährigen Krieges ein einträglicher Nebenverdienst, sowohl für Söldner als auch für ihre adligen Auftraggeber.8

Ein geplanter Frieden mit Frankreich wurde auch deswegen als Fraternisierung mit dem Erzfeind und als Landesverrat angesehen. Dennoch finden sich Hinweise auf einen von Richard und Charles VI. geplanten Waffenstillstand in den Aufzeichnungen der Chronisten und in der offiziellen Anklageschrift in den Parliament Rolls: “(…) and because the French king with his royal power had taken to the sea, about to arrive in England to destroy the entire realm and tongue of England (…)”9

Diesen Vorwürfen und der Ablehnung englisch-französischer Verhandlungen stehen die Aufzeichnungen der Westminster Chronicle aus dem Jahr 1387 gegenüber, die einen Waffenstillstand mit Frankreich befürworteten. Statt des Landesverrats sah der Verfasser dieser Chronik in Richards Vorhaben den Versuch, die Steuerlast für die englische Bevölkerung zu senken:

Consideravit namque rex cum suo consilio quia si oporteret ipsum contra regem Francorum continua bella fovere, necessario haberet suum populum novis imposicionibus semper gravare, quod esset sibi dampnosum; igitur melius sibi videbatur a bellorum tumultu e aparte aliquantulum respirare et in pace quiescere quam continuis guerrarum vexacionibus anxiari. 10

Denn es war Fakt, dass der Krieg, der bereits unter Edward III. temporär zum Erliegen gekommen war, nach wie vor immense Kosten verschlang, die 1381 zur Peasants’ Revolt geführt hatten.

Nichtsdestotrotz suchten sowohl die Lords Appellant um Gloucester als auch die Commons einen Schuldigen für die friedliche Frankreichpolitik, die 1383 mit der Ernennung Michael de la Pole zum Kanzler ihren Anfang genommen hatte.11 In den Augen vieler Chronisten und offizieller Aufzeichnungen war de la Pole, Sohn eines nordenglischen Wollhändlers, dieser Schuldige.12 Da ein direkter Angriff auf Richard II., der eigentlichen Entscheidungsinstanz des Landes, zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgte, wurde zunächst de la Pole für die Außenpolitik zur Verantwortung gezogen. Obwohl dieser sich nicht eines kurzsichtigen Landesverrats schuldig gemacht hatte13, konzentrierte sich der adlige Unmut sehr schnell auf den Kanzler und auch seinen Regenten.

Letztlich führte de la Poles und von Richard abgesegneter Umgang mit Frankreich, der zwischen Appeasement-Politik und offener Konfrontation changierte, ab 1386 zu zwei der größten Parlaments- und Regierungskrisen des 14. Jahrhunderts – dem Wonderful Parliament des Jahres 1386 und dem Merciless Parliament des Jahres 1388. Im Zuge dieser Parlamente wurde Richards höfisches Umfeld systematisch angeklagt und eliminiert. Auch der König selber wurde offen angegriffen und lief Gefahr, abgesetzt zu werden.14 Einige Forscher wie Nigel Saul, dessen Biographie Richards II. nach wie vor maßgeblich für das Bild des letzten Plantagenet ist, stellten die Hypothese auf, dass es bereits nach der Schlacht von Radcot Bridge im November 1387 Versuche gegeben hatte, den König seines Amtes zu entheben.15 Grund war Richards bereits erwähnte Fraternisierung mit Charles VI.:

(…) et in tali infestacione melius nobis non uidetur quin cognatum nostrum regem Francie et ab eo consilium et auxilium petere contra insidiantes, et nos eis submittere pocius quam summubere subditis nostris. 16

Dass nicht nur Richard an einem Bündnis interessiert war, sondern auch sein französischer Gegenpart, wurde in der Forschung oftmals übersehen. Dem Historiker J.J.N. Palmer zufolge war es tatsächlich sogar Charles VI., der einen Waffenstillstand forciert hatte. Das geht aus einem Dokument hervor, das zwei Jahre nach dem Merciless Parliament, 1390, für den englischen und den französischen Botschafter aufgesetzt worden war.17

Die anschließende radikale „Säuberung“ des königlichen Haushaltes durch die sogenannten Lords Appellant um Gloucester war demnach letztlich ein Kompromiss, auf den diese sich geeinigt hatten, um eine Absetzung Richards zu umgehen.18

Dass es aber tatsächlich zu einer mehrtägigen Thronvakanz kam, wird von vielen Chroniken entschieden negiert. Lediglich die Chroniken aus der Whalley Abbey und die Westminster Chronicle halten fest, dass Richard II. im Zuge des Merciless Parliament tatsächlich abgesetzt worden war. Vor allem letztere Chronik gilt aufgrund der Nähe zu den Ereignissen als verlässliche Quelle. Dass die Absetzung nach drei Tagen wieder revidiert wurde, lag den Aufzeichnungen zufolge darin begründet, dass sich zwei der Appellanten, Gloucester und Bolingbroke, nicht darauf einigen konnten, wer Richard auf den Thron folgen solle.19

Ein Frieden mit Frankreich war Ende der 1380er Jahre also ein Konfliktherd, der das Königreich England zu spalten drohte. Richard II. gelang es in den folgenden Jahren dennoch, seine Position weiter zu festigen. Auch die Beziehungen zu Frankreich waren 1396 mit dem Vertrag von Paris, der durch die Hochzeit zwischen Richard II. und Charles‘ Tochter Isabelle gefestigt worden war, vorläufig kordialer Natur.20

Bis heute ist es strittig, warum Richard II. sich für einen Frieden mit Frankreich starkmachte. Glaubt man Historikern, die sich dem König mittels psychologischer Profile näherten, fühlte er sich von der Verantwortung und den militärischen Erfolgen seines Großvaters Edwards III. und vor allem seines Vaters Edward, the Black Prince, überfordert.21 Bedingt durch die Parlamentskrisen der 1380er Jahre entwickelte sich beim letzten Plantagenet zudem eine beinah obsessive Beziehung zum Königsamt22, die er durch eine konträre Frankreichpolitik und einen Frieden mit dem gleichsam kritisch betrachteten Charles VI. manifestieren wollte. Richard II. hatte in seiner Frankreichpolitik ein neues Kapitel aufgeschlagen und mit diesem der englischen Innen- und Außenpolitik seinen persönlichen Stempel aufgedrückt.

Schaut man heute nach Großbritannien, scheint der politische Sachverhalt frappierende Parallelen zu Richard II. aufzuweisen. Diese beginnen bei den Ursachen für das Brexit-Referendum und können nach den Ereignissen des Wochenendes vom 23./24. März 2019 mit einer erzwungenen Resignation Mays enden. Partiell lassen sich auch im Verhalten Theresa Mays Gemeinsamkeiten zum letzten Plantagenet erkennen. Allen Widerständen zum Trotz, hält sie eisern an ihrem Amt fest.

2.2 “England (…) is now bound in with shame, / With inky blots and rotten parchment bonds.” – Theresa May und der Brexit

So beklagt der oben zitierte John of Gaunt durch Shakespeare das weitere Schicksal Englands. Was im 16. Jahrhundert retrospektiv Richard II.23 zur Last gelegt wurde, nämlich ein England, dass sich seiner Selbst schämen muss und sich unter Wert verkauft, kann gut 500 Jahre später auch auf Theresa May und „ihren“ Brexit projiziert werden. Die einstige Kolonialmacht hat speziell in den letzten Wochen bewiesen, dass Versprechungen und Verträge augenscheinlich nicht das “rotten parchment“24 wert sind, auf dem sie geschrieben wurden. Grund dafür ist der Brexit, ein EU-Austritt, der teils jeglicher Logik zu entbehren scheint.

Warum ein solcher Austritt überhaupt möglich ist, hält Artikel 50 des Lissaboner Vertrags, den Theresa May bei ihrem Amtsantritt in Kraft setzte25, wie folgt fest: “Any Member State may decide to withdraw from the Union in accordance with its own constitutional requirements.”26

Demnach ist es jedem Mitglied der EU gestattet, diese Gemeinschaft zu verlassen, sofern die Konstitution des jeweiligen Landes dieses erlaubt. Großbritannien macht damit zunächst lediglich von einer ebenfalls konstitutionell festgelegten Ausstiegsklausel Gebrauch.

Ein Problem in diesem Artikel liegt allerdings in der genauen Formulierung, die nicht klärt, wie genau ein solcher Ausstieg vonstattengehen soll. Basierend auf einer Rohfassung aus dem Jahr 2003, dem sogenannten Cambridge Text, ist heute lediglich klar, dass die EU ein Mitspracherecht in den Austrittsverhandlungen hat.27 Ferner hält Artikel 50 fest, dass der um Austritt bittende Mitgliedsstaat die EU von seinem Vorhaben in Kenntnis zu setzen hat:

2. A Member State which decides to withdraw shall notify the European Council of its intention. In the light of the guidelines provided by the European Council, the Union shall negotiate and conclude an agreement with that State, setting out arrangements for its withdrawal (…).28

Mit dem endgültigen Austritt des Mitgliedsstaates, in diesem Fall Großbritanniens, verliert dieser Artikel für Großbritannien seine Wirkung.29 Bislang soll der Austritt des Vereinigten Königreiches gemäß Artikel 50 des Lissaboner Vertrags von 2009 und des White Paper/Withdrawal Agreement vom November 2018 unter Wahrung der Interessen Großbritanniens und der EU vollzogen werden.30

Das im Zuge der Verhandlungen erstellte Withdrawal Agreement hält zunächst fest, dass Großbritannien eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2019 erhält. Diese beginnt mit dem geplanten Austritt am 29. März 2019. En détail bedeutet dies, dass das Vereinigte Königreich ab dem 30. März nicht mehr Mitglied der EU ist, sich bis zum Ende der Übergangsperiode aber nach wie vor an das EU-Recht halten muss. Da es bis zum 14. März 2019 zu keiner Einigung im britischen Parlament gekommen ist, kann Großbritannien diesen Übergang in Absprache mit der EU um mindestens ein, maximal aber um zwei Jahre, verlängern.31 Seit dem 21. März 2019 steht fest, dass der Brexit frühestens am 22. Mai 2019 stattfinden wird und auch nur dann, wenn sich das britische Parlament auf einen Brexit-Deal hat einigen können.

May stößt seit ihrem Amtsantritt 2016 wiederholt auf Widerstand. Grund hierfür ist die Tatsache, dass Großbritannien qua Mays Brexit-Deal statt einer politischen und wirtschaftlichen Autarkie durch den Verbleib in einer europäischen Zollunion nach wie vor in Abhängigkeit zur EU steht32, was für die Mehrheit des Abgeordnetenhauses inakzeptabel ist. Auch auf Seiten der EU wird Mays mangelnde Entscheidungsstärke, die sich vor allem in den letzten Wochen manifestiert hat und sie diskreditiert, misstrauisch und mit Ablehnung betrachtet. Nach aktuellem Stand ist auch Brüssel nur noch bereit, geringe Zugeständnisse zu machen. Das geht unter anderem aus einem Artikel der Times hervor, in dem der belgische Politiker Philippe Lamberts May unterstellt, in einem “fantasy land“ zu leben und des Weiteren wie folgt zitiert wird: “If we have a choice between two evils, then no deal is the lesser evil.“33 Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats, teilt diese Ansicht: “The backstop is part of the withdrawal agreement and the withdrawal agreement is not open for renegotiation.”34

[...]


1 The Norton Shakespeare, ed. by Stephen Greenblatt et al., New York – London 1997, 2 Henry IV, Akt 3, Szene 1, Z. 31, S. 1337.

2 ebd., Z. 31, S. 1337.

3 Vgl. dazu unter anderem The St Albans Chronicle (Anm.), S. 430f., McKisack, May: The Fourteenth Century 1307-1399, Oxford 1959, S. 367 und Oman, Charles: The Great Revolt of 1381, New York 1968, S. 24.

4 Vgl. dazu Clarke, Harold D., Matthew Goodwin und Paul Whiteley: Brexit. Why Britain Voted to Leave the European Union, Cambridge 2017, S. 11f.: Diese Ansicht, die sich seit 2004 in den Köpfen der Briten verankert hat, wurde ab 2015 von der UKIP um Nigel Farage, einer rechts zu verordnenden Partei, forciert.

5 Vgl. dazu unter anderem Sumption, Jonathan: The Hundred Years War, Volume 3: Divided Houses, London 22012 2009, S. 511ff.

6 The Norton Shakespeare (Anm.1), Richard II, Akt 2, Szene 1, Z. 40, S. 967.

7 ebd., Z. 57ff., S. 967.

8 Vgl. dazu auch Knighton‘s Chronicle 1337-1396, ed. and translated by G.H. Martin, Oxford 1995, S. 358f. und Goodman, Anthony: The Loyal Conspiracy. The Lords Appellant under Richard II, London 1971, S. 165f.: Um eine Fortsetzung des Konfliktes zu rechtfertigen und gleichzeitig die persönliche Motivation zu verdecken, wurden deshalb propagandistische Mittel verwendet, wurden Sündenböcke für das Scheitern der Feldzüge gesucht und auch gefunden. Das geht aus den oben zitierten Aufzeichnungen Henry Knightons hervor. Durch eine geschickte Manipulation und appellierend an die Ehre des Königs, wurden die wahren Motive der Appellanten, allen voran der Duke of Gloucester, wiederholt verschleiert. Allen ging es in erster Linie darum, sich am Krieg mit Frankreich zu bereichern. Wo die Einnahmen aus den englischen Ländereien nicht ausreichend waren, halfen die oben genannten chevauchées, die der englische Adel seit Kriegsbeginn in Frankreich durchführte. Die Forschung geht seit mehreren Jahrzehnten davon aus, dass Geld für zumindest drei der Appellanten ein Grund war, gegen einen Frieden mit Frankreich zu sein. Dafür spricht unter anderem, dass sowohl Gloucester als auch Arundel 1377 wichtige militärische Posten erhalten hatten. Auch wenn die Expeditionen nach Frankreich allesamt kläglich scheiterten, hatten sie Gloucester eins vor Augen geführt: wie einfach es war, sich an Frankreich zu bereichern (“(…) of it riches and the ease with which an army could traverse the land“8) und damit nicht nur den eigenen Reichtum, sondern auch die englische Domäne zu vergrößern. Lediglich Gloucester wurden – als Onkel des Königs – mehrfach zusätzlich Ambitionen auf die Krone unterstellt.

9 The Parliament Rolls of Medieval England, ed. and transl. by Christopher Given-Wilson et al., Woodbridge 2005, Membrane 2, Artikel 16.

10 The Westminster Chronicle, ed. and transl. by L.C. Hector and Barbara F. Harvey, Oxford 1982, S. 204f.: “In common with his council the king had concluded that if he was going to have to maintain a ceaseless state of war against the king of the French, he would inevitably be compelled to be for ever burdening his people with new imposts, with damaging results for himself; he therefore thought it better to secure a short breathing-space from the tumult of strife in that quarter than to be harassed by the unending troubles of war.”

11 Vgl. dazu unter anderem Fletcher, Christopher: Richard II: Manhood, Youth, and Politics, 1377-99, Oxford 2008, S. 117f.

12 Vgl. dazu Knighton‘s Chronicle (Anm.7), ed. and 8ranslated by G.H. Martin, Oxford 1995, S. 352f. und The Parliament Rolls of Medieval England (Anm.9), Membrane 2, Artikel 29: Die Parliament Rolls zeichnen an dieser Stelle ein anderes Bild. Hier wird Richard von dieser Verräterrolle freigesprochen, stattdessen sind es die Männer um de la Pole, die den König dazu anhielten, sich mit Charles VI. zu verbünden. Es ist wahrscheinlich, dass beide Versionen einen Wahrheitsgehalt besitzen, da Richard und Charles eine teils kordiale Beziehung pflegten.

13 Vgl. dazu unter anderem Sumption (Anm.5), S. 511.

14 English Historical Documents 1327-1485, ed. by David C. Douglas, London 1969, S. 151: “There remains one thing more for us to show you on behalf of your people. It is permitted by another ancient law (…) that if the king by malignant counsel (…), should alienate himself from his people, and should be unwilling to be governed and guided by the laws and statutes and laudable ordinances with the wholesome counsel of the lords and magnates of the realm, (…) then it is lawful for them, (…) to pluck down the king from his royal throne, and to raise to the throne in his stead some very near kinsman of the royal house. (…)” Vgl dazu ferner Oliver (Anm.6), S. 178f.: Oliver geht davon aus, dass das Merciless Parliament seinen Namen, der erstmals in Henry Knightons Chronik erwähnt wird, aufgrund seiner rachsüchtigen (“vindictive“) und ungerechten Natur (“unjust nature“) erhielt. Vgl. dazu auch Knighton’s Chronicle (Anm.7), S. 360f.

15 Vgl. dazu u.a. Saul, Nigel: Richard II, New Haven – London 21999 1997, S. 189.

16 Knighton’s Chronicle (Anm.8), S. 358f.: “(…) and in face of that threat it seems to us best to turn to our cousin of France, and seek his support and aid against our enemies, and better to submit ourselves to him than to our own subjects.”

17 Vgl. dazu Palmer, J.J.N.: English Foreign Policy 1388-99, in: Du Boulay, F.R.H. and Caroline M. Barron: The Reign of Richard II, London 1971, S. 76: “(…) en traictie de paix dentre si grans princes que les rpya de france et dangleterre communement toutes rancunes et offences sont remises dune part et dautre, et retourne chacun en son ancient heritage. (…) Or pensons donc, beau frere, destre coadjuteurs de Dieu et de nous tenir fermes en la vocacioun que Dieu nous appelle en nostre jonesse, cest assavoir en la douce paix tant desiree de la cristientee. (…)”

18 Vgl. dazu The St Albans Chronicle (Anm.3), S. 846f. Walsingham zählt neben Knighton und Favent ebenfalls zu den Richard abgeneigten Chronisten.

19 Vgl. dazu Saul (Anm.15), S. 189. Diese Vermutung wird zusätzlich durch Gloucesters Geständnis, das er im Jahr 1397 in Calais ablegte, untermauert. Auch wenn dieses, wie von Saul und anderen Forschern betont, unter Zwang abgelegt und darüber hinaus auch abgeändert bzw. an entscheidenden Stellen gekürzt wurde, geht unter anderem Saul davon aus, dass eine Absetzung tatsächlich stattgefunden hat. Ferner wird vermutet, dass Bolingbrokes Vater John of Gaunt trotz Abwesenheit aus England sich gegen einen Machtwechsel, sowohl durch seinen Bruder als auch durch seinen Sohn, ausgesprochen hatte. Siehe hierzu Giancarlo, Matthew: Murder, Lies, and Storytelling: The Manipulation of Justice(s) in the Parliaments of 1397 and 1399, in: Speculum 77 (2002/01), S. 76-112.

20 Vgl. dazu Sumption, Jonathan: The Hundred Years War, Volume IV: Cursed Kings, London 22016 2015, S. 43.

21 Vgl. dazu unter anderem Ormrod, W.M.: The Reign of Edward III. Crown and Political Society in England 1327-1377, New Haven – London 1990, S. 10 und Reitemeier, Arnd: Born to be a Tyrant? The Childhood and Education of Richard II, in: Fourteenth Century England II, ed. by Christopher Given-Wilson, Woodbridge 2002, S. 147-159, S. 150ff.

22 Vgl. dazu unter anderem Saul (Anm.15), S. 856ff. und Tuck, Anthony: Richard II and the English Nobility, London 1973, S. 222.

23 The Norton Shakespeare (Anm.1), Richard II, Akt 2, Szene 1, Z. 64, S. 968.

24 ebd., Z. 64, S. 968.

25 Vgl. dazu unter anderem https://www.huffingtonpost.co.uk/entry/theresa-may-the-worst-pm_uk_5c937e98e4b068bfd50c5f1c, aufgerufen am 25.03.2019.

26 Consolidated Texts of the EU Treaties as amended by the Treaty of Lisbon, Norwich 2008, S. 34.

27 Vgl. dazu Armstrong, Kenneth A.: Brexit Time. Leaving the EU – Why, How and When?, Cambridge 2018, S. 198f.: Der sogenannte Cambridge Text enthielt einen einfachen Artikel, der festhielt, dass ein Mitgliedstaat die EU verlassen kann und zwar ohne die Einwilligung eines oder mehrerer anderer EU-Mitgliedstaaten und/oder -Institutionen.

28 Consolidated Texts of the EU Treaties as amended by the Treaty of Lisbon (Anm.26), S. 34.

29 Vgl. dazu Armstrong (Anm.27), S. 206.

30 Zum Stolperstein ist in den letzten Monaten wiederholt der irische Backstop geworden, der eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland verhindern soll. Innerhalb des britischen Parlaments ist es im Zuge dieser Frage vermehrt zu Auseinandersetzungen gekommen, die in ihrer Heftigkeit sowohl das gewohnte britische Understatement als auch die britische Höflichkeit und Zurückhaltung missen lassen. Mitglieder des Parlaments treten zurück, Befürworter des Brexit schwenken um und werden zu Gegnern des EU-Austritts oder aber zu Befürwortern eines zweiten Referendums mit ungewissem Ausgang. Letzteres ist am 14. März vom Parlament abgelehnt worden.

31 Vgl. dazu https://www.bbc.com/news/uk-46237012, aufgerufen am 08.03.2019.

32 ebd.

33 https://www.thetimes.co.uk/article/brexit-amendments-mps-back-theresa-may-plan-to-water-down-irish-backstop-sjsvdplrw, aufgerufen am 04.02.2019.

34 ebd.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Richard II., Theresa May und der Brexit. Zur Problematik der englisch-britischen Beziehung zum Kontinent
Hochschule
Universität Münster  (Historisches Seminar)
Note
1
Autor
Jahr
2019
Seiten
22
Katalognummer
V595157
ISBN (eBook)
9783346208088
ISBN (Buch)
9783346208095
Sprache
Deutsch
Schlagworte
beziehung, brexit, kontinent, problematik, richard, theresa
Arbeit zitieren
Dr. Inga Menn (Autor:in), 2019, Richard II., Theresa May und der Brexit. Zur Problematik der englisch-britischen Beziehung zum Kontinent, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/595157

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