Die Rolle des Spiegels in der märchenhaften Erzählung


Hausarbeit, 2004

17 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Zielsetzung der Hausarbeit
1.2 Das Märchen in der europäischen Kultur
Definition des Volksmärchens
Symbolsprache im Märchen
Funktion – Moral

2. Der Spiegel im europäischen Märchen von damals und heute
2.1 Sneewittchen – Der sprechende Spiegel der Königin
2.2 Die Schneekönigin – Der trügerische Spiegel des Teufels
2.3 Harry Potter – Der Spiegel Nerhegeb

3. Ein Blick über den Tellerrand
Der Spiegel im Märchen fremder Kulturen
3.1 Der Prinz Zeyn Alasnam und der König der Geister
3.2 Das Kagami

4. Vergleich

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

1.1 Zielsetzung der Hausarbeit

Seit jeher gehört der Spiegel zu einem der geheimnisvollsten und faszinierendsten Motive in Literatur, Kunst und Kultur.

Im Rahmen des Seminars „Sinnesgeschichten III – Spiegelbilder, Augenblicke“ wurde die Rolle des Spiegels in verschiedenen Zusammenhängen beleuchtet: Seine kulturelle Geschichte, sein Auftreten in der Mythologie und die Beziehung zwischen sehendem Mensch und reflektierendem Spiegel wurden eingehend erörtert.

In dieser Hausarbeit soll die Rolle des Spiegels innerhalb des literarischen Genres des Märchens analytisch betrachtet werden. Dazu werden märchenhafte Erzählungen unterschiedlicher Herkunft – sowohl zeitlicher, als auch kultureller – als Beispiele herangezogen: Die beiden europäischen Volksmärchen „Sneewittchen“ und „Die Schneekönigin“ aus der Zeit der Romantik erlauben einen Blick auf traditionelle Verarbeitung des Spiegelmotivs in der Literatur des frühen 19. Jahrhunderts. Die Geschichte von Harry Potter als „Märchen unserer Zeit“ offenbart, wie auch heute die Faszination des Spiegels in der Kinderliteratur Beachtung findet. Das Märchen „Der Prinz Zeyn Alasnam und der König der Geister“ aus dem arabischen Raum und das asiatische Märchen „Das Kagami“ zeigen den literarischen Umgang mit dem Spiegel in zwei fremden Kulturen.

Im Vordergrund der analytischen Betrachtung soll die Frage nach der Art und Weise stehen, auf welche der Spiegel eingesetzt wird und welche besonderen Eigenschaften ihm jeweils zugeschrieben werden.

Unter der Annahme, dass das Märchen als erzieherisch agierender Text eine moralisierende Wirkung hat, soll dargestellt werden, welche Botschaft im Zusammenhang mit dem Spiegel vermittelt wird.

Des weiteren soll die in Überlegung einfließen, ob die Rolle des Spiegels etwas über bestimmte kulturelle Gegebenheiten verrät.

Die aus den oben vorgestellten Fragestellungen resultierenden Ergebnisse sollen vergleichend gegenübergestellt werden.

1.2 Das Märchen in der europäischen Kultur

Der Begriff des Märchens ist heute klar definiert. Abgeleitet von „Mär“ bezeichnet es „eine phantasievoll ausgeschmückte Erzählung, bei der die Naturgesetze aufgehoben sind und das Wunder vorwaltet. Tiere und Gegenstände aller Art sprechen und verkehren mit den Menschen auf einer Ebene. Es gibt zaubermächtige Helfer und wunderbare Hilfsmittel. Der Abschluß des M. ist immer befriedigend, von ausgleichender Gerechtigkeit [...].“[1]

Das europäische Märchen wird seit dem 9. und 10. Jh. vor allem von keltischen Geschichten beeinflusst, später lassen sich jüdische und byzantinische und seit den Kreuzzügen indische Einflüsse herauslesen.

Ein erstes konkretes wissenschaftliches Interesse an Märchen erwachte im 18. Jahrhundert.[2] Zugleich entdeckte man den symbolischen Charakter des Märchens[3] und beschäftigte sich intensiver mit einzelnen Motiven.

Erst durch die wissenschaftlich – systematische Arbeit und Erforschung des Unbewussten von Sigmund Freud konnte für Träume und auch für das Märchen eine Deutungsbasis geschaffen werden. Für Freud stehen Träume und kindliche Vorstellung in direktem Zusammenhang.

Es ist jedoch anzunehmen, dass Märchen in Europa ursprünglich nicht ausschließlich als Literatur für Kinder verstanden wurde. Vielmehr zeigen sie Lösungsvorschläge für zwischenmenschliche Konflikte auf. Bei der Entschlüsselung der Botschaft eines Märchens kann aber ähnlich vorgegangen werden wie in der Traumdeutung, in der nach heutigen Erkenntnissen der Spiegel als Symbol für selbstkritische und selbstgefällige Selbstbetrachtung, aber auch als Zeichen der Unsicherheit und des Minderwertigkeitsgefühls gehandelt wird.[4]

2. Der Spiegel im Märchen

2.1 Sneewittchen – Der sprechende Spiegel der Königin

Mit dem Märchen von Sneewittchen schufen die Gebrüder Wilhelm und Jacob Grimm eines der populärsten deutschen Volksmärchen überhaupt. Sein bekannter Vers, möglicherweise der populärsten Satz aus der gesamten westlichen Märchenwelt lautet:

„Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die Schönste im ganzen Land?“

Man kann vermuten, dass das Märchen von Sneewittchen sich deshalb eines so enormen Bekanntheitsgrades erfreuen kann, weil es das Motiv des wunderbaren Spiegels, und damit das eines ohnehin schon rätselhaften Gegenstandes, aufgreift. Diese Theorie unterstützt auch Franz Vonessen in seinen Überlegungen zum Zauberspiegel und behauptet, das Spiegelmotiv sei so einprägsam wie kaum ein anderes.[5]

Die Frage, wer die Schönste im ganzen Land sei, wird von der Stiefmutter der Titelheldin an deren zauberhaften Spiegel gerichtet. Sie erhält auf diese Frage hin stets die Antwort, dass Sneewittchen schöner als sie sei.

Daraufhin beginnt die Königin ihre Stieftochter zu hassen und gibt in Auftrag, sie zu töten. Sneewittchen entgeht dem Anschlag und findet fortan Zuflucht bei den sieben Zwergen. Die Königin glaubt Sneewittchen tot. Auf die erneute Frage an den Spiegel, wer die Schönste im ganzen Land sei, antwortet dieser aber:

„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier,
Aber Sneewittchen über den Bergen
Bei den sieben Zwergen
Ist noch tausendmal schöner als Ihr.“

Im Märchen folgt hierauf der Satz: „Da erschrak sie, denn sie wußte, daß der Spiegel keine Unwahrheit sprach [...]“[6]

Wir dürfen also den Zauberspiegel der Königin als Quelle der Weisheit und der Wahrheit verstehen. Er erfährt eine Personifizierung und zugleich wird ihm absolute Objektivität unterstellt.

Im Gegensatz zum „normalen“ Spiegel, welcher immer über den Blick des sich darin Betrachtenden kommuniziert, verfügt der Zauberspiegel der Königin über eine eigene Stimme, ein eigenes Innenleben. Man könnte meinen, das Wesen des Spiegels an sich würde dadurch vereinfacht, scheint es ihn doch zu einer eigenständigen Persönlichkeit zu machen. Da aber die Stimme des Spiegels im Märchen einen Symbolwert hat, nämlich für den Verstand der Königin steht, unterliegt sein Charakter einem weitaus komplizierterem Dasein als der des gewöhnlichen Spiegels.[7] Im Folgenden soll dieser Zusammenhang zwischen dem Spiegel und der eigenen Erkenntnis der Königin näher beleuchtet werden.

In erster Linie kann uns der gläserne Spiegel wie wir ihn alle kennen, nur ein Abbild unseres äußeren Erscheinungsbildes zeigen. Unsere Wirkung auf andere erfahren wir aber vielmehr aus den Gesichtern und Blicken, die uns begegnen, was laut Vonessen „viel mehr und viel Beweiskräftigeres“ über die Schönheit eines Menschen verrät. Hierbei handelt es sich vor allem um die innere Schönheit, die Schönheit der Seele, des Charakters eines Menschen.[8]

Der Spiegel im Märchen von Sneewittchen wird, entgegen weit verbreiteter Annahme zu keinem Zeitpunkt Zauberspiegel genannt. Tatsächlich zaubert er auch gar nicht, sondern seine ihm eigene wunderbare Natur wird lediglich voll ausgeschöpft. Dennoch unterscheidet er sich vom herkömmlichen Spiegel, vor allem deshalb, weil er nicht nur über das Erscheinungsbild seines Betrachters zu urteilen vermag, sondern auch über jenes anderer, nicht anwesender Frauen. Diese Fähigkeit schreiben wir für gewöhnlich einer anderen Art von Spiegel zu: dem Auge, dem Spiegel der Seele.

[...]


[1] Aus: Neues großes Volkslexikon, Fackelverlag G.Bowitz GmbH/ Stuttgart

[2] [2]Winckelmann, Hamann und J. G. Herder.

[3] Symbolische Schule: Chr. C. Heyne, F. Creuzer und J. Görres. „Mythen sind der symbolische Ausdruck tiefer philosophischer Erkenntnisse und Gedanken und enthalten eine mystische Lehre von einigen der tiefsten Wahrheiten über Gott und die Welt.“

[4] www.mitmodem.de

[5] „Ich möchte [...] behaupten, daß das Sneewittchenmärchen nur deshalb so berühmt werden konnte, weil es durchzogen ist vom Spiegelmotiv – einem Ursymbol, das uns viel stärker anrührt, als wir rational zu begreifen vermögen.“

[6] Gebrüder Grimm, Kinder- und Hausmärchen Gesamtausgabe, 4.Auflage, Gondrom Verlag GmbH, Bindlach 2003

[7] „Der Spiegel des Verstandes, des Bewußtseins, sagt der Königin, sie sei zwar schön, aber Sneewittchen sei schöner[...]."“(Franz Vonessen)

[8] „Man denke an ein nettes, junges Mädchen, das aus den Blicken und erst recht aus den Mienen der Leute, die ihm begegnen, viel mehr und viel Beweiskräftigeres über sein Aussehen, seine Schönheit erfährt als aus jedem gläsernen Spiegel.[...] Aber nicht etwa bloß, was die leiblichen Züge betrifft, sondern viel mehr noch in Bezug auf das, was die seelischen angeht.“

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Die Rolle des Spiegels in der märchenhaften Erzählung
Hochschule
Universität Siegen
Veranstaltung
Sinnesgeschichten: Spiegelbilder - Augenblicke
Note
1,7
Autor
Jahr
2004
Seiten
17
Katalognummer
V59669
ISBN (eBook)
9783638535427
ISBN (Buch)
9783656785644
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rolle, Spiegels, Erzählung, Sinnesgeschichten, Spiegelbilder, Augenblicke, Märchen, Harry Potter, schneewittchen, schneekönigin
Arbeit zitieren
Jennifer Kuhnert (Autor:in), 2004, Die Rolle des Spiegels in der märchenhaften Erzählung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59669

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