In der Arbeit über die Ursachenforschung und Beschreibung von Sprachstörungen in der Sprachheilkunde im Nationalsozialismus ist untersucht worden, wie sich die Inhalte dieser Fachwissenschaft während der Diktatur entwickelt haben. Schwerpunkt ist besonders die Ursachenforschung und Beschreibung der drei Störungsbilder Stottern, Dyslalie und der Lippen - Kiefer – Gaumenspalte (LKG).
Geographisch und politisch bezieht sich die Arbeit auf das nationalsozialistische Deutschland. Der Nationalsozialismus ist nicht soweit gegangen, dass er Menschen mit Sprachstörungen im Sinne der Euthanasie verfolgt hat. Behinderte Menschen hatten im Nationalsozialismus eine Daseinsberechtigung, wenn sie arbeitsfähig waren. Es musste sich volkswirtschaftlich lohnen, einen Menschen zu behandeln. Gegenstand dieser Arbeit ist es, herauszufinden, ob Sprachstörungen im Sinne der Rassenpflege und Erbbiologie erklärt worden sind, um dadurch z.B. Menschen mit Sprachstörungen unter das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses fallen zu lassen. Diese Untersuchung geschieht anhand der Diskussion um Erklärungs- und Erscheinungsbilder von Sprachstörungen und soll aufzeigen, inwieweit die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus einen Weg in die Fachdisziplin Sprachheilkunde gefunden hat.
Nach einem einleitenden Kapitel wird im zweiten Kapitel das Verständnis von Sprachheilkunde in jener Zeit dargestellt. Dies erscheint wichtig, da die Untersuchung der Primärquellen im Hauptteil dieser Arbeit auch einen Überblick über die inhaltliche Diskussion innerhalb der Sprachheilkunde ergeben soll und nicht losgelöst von der Fachsdisziplin Sprachheilkunde gesehen werden darf.
Es werden Primärquellen von 1933 bis 1944 zu den drei Störungsbildern ausgewertet. Dabei wird hinterfragt, ob ätiologische Faktoren, die auf Erblichkeitsstheorien und Erblichkeitsforschungen basieren mehr Bedeutung gewannen und ob diese an bestehende Erklärungsbilder anknüpfen, diese verändern oder erweitern. Außerdem wird eine veränderte Beschreibung von Sprachstörungen mit beachtet. Gleichzeitig werden daraus veränderte Auswirkungen für die betroffenen Menschen mit aufgezeigt.
Im darauf folgenden Kapitel werden die Auswirkungen für Menschen mit Sprachstörungen von einer anderen Seite beleuchtet, indem die Praxis des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ untersucht wird.
Im Schlusskapitel wird kurz zusammenfassend dargestellt, welche Ergebnisse die Untersuchung der Quellen ergeben haben.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- Das Thema
- Zur Methodik und Quellenlage
- VOM VERSTÄNDNIS DER SPRACHHEILKUNDE UND –PÄDAGOGIK IM NATIONALSOZIALISMUS
- Zur Begrifflichkeit und zum Standort der Sprachheilkunde, Sprachheilpädagogik und Sprachheillehrer in der ausgehenden Weimarer Republik und im Dritten Reich
- Der naturwissenschaftlich – medizinische Standort
- Die pädagogische Arbeit in der der Sprachheilkunde
- Das Verständnis von Spracherwerb, Sprachentwicklung und Sprachstörung
- Klassifizierung von Sprachstörungen
- WISSENSCHAFT, THEORIEBILDUNG UND DIE FRAGE DER VERERBUNG IM NATIONALSOZIALISMUS
- Wissenschaft und Theoriebildung im Dritten Reich
- Erbliche Faktoren im Ursachenkomplex Sprachstörungen
- ERKLÄRUNGSBILDER FÜR STOTTERN
- Beschreibung und Ätiologie vor 1933 und in der Übergangszeit
- EXKURS: GEIBLER VS. APPELT – ein Beispielfür die diffamierende Behandlung von Wissenschaftlern nach der Machtübernahme
- Beschreibung und Einteilung in der Symptomatik von Stottern nach 1933
- Theoretische Ansätze mit einem besonderen Bezug zur Ätiologie von Stottern
- Forschung zu Erblichkeitsverhältnissen
- KARL HELWIG
- HERMANN GUTZMANN jun
- HUGO STAAK
- Zwillingsforschung
- Ideologisch konforme Erklärungen
- MAX NADOLECZNY
- Stottern aufgrund einer schwachen Konstitution und nach Infektionskrankheiten
- Stottern als Fehllebensvorgang - Einordnung in die Philosophie LUDWIG KLAGES
- JULIUS GEHRICKE
- Andere Strömungen
- RUDOLF WERNER
- JOSEF SCHMÜCKER
- Konsequenzen im Umgang und Therapie von stotternden Menschen
- ERKLÄRUNGSBILDER FÜR DYSLALIE
- Beschreibung und Ursachenerklärung vor 1933 und in der Übergangszeit
- Beschreibung nach 1933
- Erklärungsbilder von Dyslalien und mögliche Konsequenzen
- DIE ERFORSCHUNG DER ERBLICHKEITSVERHÄLTNISSE DER LIPPEN - KIEFER - GAUMENSPALTE
- Beschreibung und die Frage der Vererbung bei LKG nach 1933
- EXKURS: JOSEF MENGELE - Der „Teufel von Auschwitz“ und die Ursachenforschung der LKG
- Andere Forschungen zu Erblichkeitsverhältnissen
- Die Diskussion um Sterilisation von Menschen mit LKGs
- DAS GESETZ ZUR VERHÜTUNG ERBKRANKEN NACHWUCHSES UND SEINE AUSWIRKUNGEN AUF MENSCHEN MIT SPACHSTÖRUNG
- Gesetze und Erlasse zum GzVeN
- Zwangssterilisation von sprachbehinderten Menschen?
- Menschen mit Sprachstörungen durch Lippen - Kiefer – Gaumenspalten
- Menschen mit anderen Sprachstörungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Entwicklung der Ursachenforschung und Beschreibung von Sprachstörungen in der Sprachheilkunde während der Zeit des Nationalsozialismus. Der Fokus liegt dabei auf den Störungsbildern Stottern, Dyslalie und Lippen-Kiefer-Gaumenspalte. Die Arbeit analysiert, inwieweit die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus in die Fachdisziplin Sprachheilkunde Einzug gehalten hat und welche Auswirkungen dies auf Menschen mit Sprachstörungen hatte.
- Die Rolle erblicher Faktoren in der Erklärung von Sprachstörungen
- Die Einflussnahme der Rassenpflege und Erbbiologie auf die Sprachheilkunde
- Die Beschreibung und Klassifizierung von Sprachstörungen im Nationalsozialismus
- Die Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie auf den Umgang mit und die Therapie von Menschen mit Sprachstörungen
- Die Anwendung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses auf Menschen mit Sprachstörungen
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung erläutert das Thema der Arbeit und die Methodik der Dokumentenanalyse, die zur Untersuchung der historischen Entwicklung der Sprachheilkunde im Nationalsozialismus verwendet wird.
- Kapitel 2 bietet einen Überblick über das Verständnis von Sprachheilkunde und Sprachheilpädagogik im Nationalsozialismus, einschließlich der relevanten Begrifflichkeiten, des Standorts der Sprachheilkunde und der pädagogischen Arbeit innerhalb dieses Fachgebiets.
- Kapitel 3 untersucht die Rolle von Wissenschaft, Theoriebildung und der Frage der Vererbung im Nationalsozialismus. Es beleuchtet, wie wissenschaftliche Erkenntnisse und Theorien im Kontext der nationalsozialistischen Ideologie verwendet wurden, um Sprachstörungen zu erklären und zu klassifizieren.
- Kapitel 4 befasst sich mit der Erforschung und Beschreibung von Stottern, wobei es die Entwicklung der Erklärungsbilder vor und nach 1933 analysiert. Es werden die Auswirkungen des nationalsozialistischen Einflusses auf die Ätiologieforschung und die Therapie von Menschen mit Stottern beleuchtet.
- Kapitel 5 untersucht die Erklärungsmodelle für Dyslalie und die möglichen Konsequenzen für betroffene Menschen, wobei es die Entwicklung der Beschreibungen und Erklärungen vor und nach 1933 in den Blick nimmt.
- Kapitel 6 widmet sich der Erforschung der Vererbungsverhältnisse von Lippen-Kiefer-Gaumenspalten im Nationalsozialismus und beleuchtet die Rolle von Josef Mengele in diesem Kontext. Es werden zudem weitere Forschungsarbeiten zu Erblichkeitsverhältnissen sowie die Debatte um die Sterilisation von Menschen mit LKGs analysiert.
- Kapitel 7 beleuchtet die Auswirkungen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses auf Menschen mit Sprachstörungen, insbesondere auf Menschen mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten und Menschen mit anderen Sprachstörungen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themenbereichen Sprachheilkunde, Sprachheilpädagogik, Nationalsozialismus, Ursachenforschung, Sprachstörungen, Stottern, Dyslalie, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, Erblichkeit, Erbbiologie, Rassenpflege, Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, Zwangssterilisation, Ideologie, Dokumentenanalyse, Primärquellen.
- Arbeit zitieren
- Constanze Stichel (Autor:in), 2004, Ursachenforschung und Beschreibung von Sprachstörungen in der Sprachheilkunde des Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59709