Literarische Konstruktion, realhistorische Personengruppe, karnevalesker Gegenentwurf höfischer Ständekonventionen oder Spiel innerhalb einer diskursiven Formation – die Neidhart-Philologie ringt seit dem 19. Jahrhundert darum, welchen Status den dörpern beizumessen sei. Die Aufmerksamkeit, die die Forschung dem vermeintlich unhöfischen Personal in Neidharts Liedern widmet, zeugt von ihrer interpretatorischen Brisanz. Zugleich thematisiert die Diskussion die methodische Schwierigkeit, mittelalterliche Lyrik in einen gesellschaftsgeschichtlichen Bezugsrahmen einzubinden.
Trifft es schlichtweg zu, dass mit den Liedern Neidharts das bäuerliche Milieu Einzug in die mittelalterliche Literatur gehalten habe und ihre literarische Verarbeitung die Bauernfeindlichkeit des mittelalterlichen Adels repräsentiert? Ist dieses lyrisches Personal die literarische Manifestation sozialer Umwälzungsprozesse im österreichischen Raum der Jahrzehnte zwischen 1175 und 12502? Sind sie Ausdruck einer krisenhaften Deformation im Minnesang und einer Umstrukturierung höfischer Wertekonzepte? Oder dient das dörperliche Szenario der Konstituierung einer diskursiven Formation, die soziale Ordnung strukturiert?
Anhand des Winterliedcorpus unter besonderer Berücksichtigung von Wl 16 werden verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zur Disposition gestellt und ihre Tragfähigkeit am Primärtext überprüft.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Analyse des Winterliedes 16
- Überlieferungsgeschichtliche Koordinaten
- ,Werkimmanente' Interpretation
- Fazit
- Die dörper im Spannungsfeld zwischen literarischen Traditionslinien und mittelalterlicher Lebenswirklichkeit
- Neidhart und der grand chant courtois: Traditionelle Minne-motivik im Winterlied 16
- Realhistorische Interpretationsansätze: Gesellschaftliche Mobilität und soziale Umschichtungsprozesse als Motor der Neidhartschen Lyrik?
- Schluss: Kulturanthropologische und diskursanalytische Lektüren
- Literaturverzeichnis
- Anhang
- Das Winterlied 16
- Übersetzung des Winterliedes 16
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit der Rolle der „dörper“ in Neidharts Winterliedern und untersucht die vielschichtigen Interpretationsmöglichkeiten dieses lyrischen Personals. Der Fokus liegt auf der Analyse des Winterliedes 16, um die Funktion der „dörper“ sowohl innerhalb des Textes als auch im Kontext des mittelalterlichen Diskurses zu ergründen. Die Arbeit beleuchtet, wie die Darstellung der „dörper“ in Beziehung zu höfischen Werten und Traditionen steht und welche gesellschaftlichen und literarischen Implikationen sich daraus ergeben.
- Die „dörper“ in Neidharts Winterliedern als literarische Konstruktion
- Die „dörper“ im Spannungsfeld zwischen realhistorischer Personengruppe und literarischer Fiktion
- Die „dörper“ als karnevalesker Gegenentwurf höfischer Ständekonventionen
- Die „dörper“ als Spiel innerhalb einer diskursiven Formation
- Die Analyse des Winterliedes 16 im Kontext des grand chant courtois
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung beleuchtet die vielschichtigen Interpretationsansätze der „dörper“ in Neidharts Werk und skizziert die Forschungslandschaft, die sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Der Schwerpunkt liegt auf der Frage nach der Funktion der „dörper“ in der mittelalterlichen Literatur und deren möglicher Beziehung zu gesellschaftlichen und literarischen Konventionen.
Kapitel 2 widmet sich einer eingehenden Analyse des Winterliedes 16. Es werden die überlieferungsgeschichtlichen Koordinaten des Liedes beleuchtet und eine „werkimmanente“ Interpretation vorgenommen, die den Fokus auf den Text selbst legt. Kapitel 3 befasst sich mit der Positionierung der „dörper“ im Kontext des grand chant courtois und beleuchtet traditionelle Minne-Motivik im Winterlied 16. Es werden auch realhistorische Interpretationsansätze diskutiert, die gesellschaftliche Mobilität und soziale Umschichtungsprozesse als Motor der Neidhartschen Lyrik in den Blick nehmen.
Der Schluss des Kapitels 4 widmet sich kulturanthropologischen und diskursanalytischen Überlegungen zur Funktion der „dörper“ in Neidharts Liedern.
Schlüsselwörter
Neidhart, Winterlied 16, „dörper“, grand chant courtois, Minne, höfische Literatur, mittelalterliche Gesellschaft, soziale Umwälzungsprozesse, Diskursanalyse, Kulturanthropologie, literarische Traditionen
- Quote paper
- Michael Bee (Author), 2006, Zur Darstellung und Funktion der "dörper" in Neidharts Winterlied 16., Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/59782