Retrospektive Sinnstiftung in den Kurzgeschichten An Occurrence at Owl Creek Bridge und Chickamauga von Ambrose Bierce


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

17 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. „Chickamauga“
2.1 Der erste Leseeindruck
2.2 Der Rückblick

3. “Occurrence at Owl Creek Bridge”
3.1 Der erste Leseeindruck
3.2 Der Rückblick

4. Schlußbetrachtung

5. Literatur
5.1 Primärliteratur
5.2 Sekundärliteratur

1. Einleitung

Ambrose Bierce wurde 1842 als zehntes von dreizehn Kindern In Ohio geboren. Im Alter von 17 Jahren nahm er am Bürgerkrieg teil. Er war an verschiedenen Schlachten beteiligt, darunter auch die Schlacht von Chickamauga. Aufgrund seines Lebenslaufs spürte er die Grausamkeiten des Krieges am eigenen Leibe; sein militärischer Werdegang endete mit einer Kopfverletzung im Juni 1864. Nicht lange nach seiner Genesung begann seine literarische Karriere. Er arbeitete für verschiedene Zeitschriften als Journalist und Kolumnist. 1872 erschien seine erste Kurzgeschichte, „The Haunted Valley“. Bis zu seinem Tod blieb der Krieg das wichtigste Thema seiner Dichtung.

Neben Kriegsgeschichten und Geschichten, die sich mit dem Übernatürlichen befassen, veröffentlichte er auch eine Anzahl grotesker Erzählungen, die sich jeder Gattungseinordnung entziehen. Eine Anthologie seiner Kurzgeschichten teilt diese in drei Kategorien ein: „The World of Horror“, „The World of War“ und „The World of Tall Tales[1].

„Bitter Bierce“ war gefürchtet wegen seines Zynismus und seiner kritischen Äußerungen. Dieser Zynismus, gepaart mit dem Hang zum Grotesken findet sich in den meisten seiner Kurzgeschichten wieder, so auch in „Chickamauga“. Während seine Horrorgeschichten menschliche Ängste häufig von der psychologischen Seite her betrachten, manifestiert sich der Schreck in den Kriegsgeschichten oft in der schonungslosen Schilderung der Grausamkeit des Krieges. Neben dieser expliziten Darstellung dieser Greuel verstand Bierce sich darauf, die psychologische Schrecken zu beschreiben, den seine Protagonisten in den Geschichten erleben.

Die beiden hier betrachteten Kurzgeschichten haben eine Sache gemeinsam: In beiden Geschichten wird dem Leser eine wichtige Information, die für ein Verständnis der Handlung essentiell ist, bis zum Schluß vorenthalten. Zwar werden unterschwellig Andeutungen gegeben, die auf diese Information hinweisen, aber erst bei erneutem Lesen der Geschichte kann der Leser diese Hinweise richtig einordnen. Um der Handlung einen Sinn abzugewinnen, ist also ein zweiter Lesevorgang unbedingt erforderlich. Folglich muß bei der Untersuchung der Geschichten einerseits die Wirkung betrachtet werden, die diese auf den Leser beim ersten Lesen hat; diese wird kontrastiert in Bezug auf die zahlreichen Hinweise, die sich dem Leser erst bei zweiten Lesen erschließen. Schwerpunkt dieser Arbeit ist die Untersuchung der Erzähltechniken, die Bierce einsetzt, um den Leser auf die falsche Fährte zu führen.

2. „Chickamauga“

2.1 Der erste Leseeindruck

Bierce setzt in „Chickamauga“ einen Erzähler ein, der über weite Strecken zurücktritt und die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven wiedergibt. Vorherrschend ist die Perspektive des Protagonisten; parallel dazu wird die Handlung aus der Sicht eines „elder observer“ bzw. eines „observer of better experience“ dargestellt. Die Geschichte beginnt mit der Schilderung des Kriegsspiels eines Jungen, der sich von seinem Elternhaus in den nahegelegenen Wald zurückzieht. Die Sprache, in der diese erste Passage geschrieben ist, hat den Charakter von Kriegspropaganda.

[…] this child's spirit, in bodies of its ancestors, had for thousands of years been trained to memorable feats of discovery and conquest--victories in battles whose critical moments were centuries, whose victors' camps were cities of hewn stone. From the cradle of its race it had conquered its way through two continents and passing a great sea had penetrated a third, there to be born to war and dominion as a heritage.[2]

Krieg wird als eine noble Sache dargestellt, die dem Protagonisten aufgrund seiner Herkunft gewissermaßen im Blut liegt. Der Sechsjährige hat seine Begeisterung für den Kampf aus den Büchern und den Bildern seines Vaters. Mit dem selbstgebasteltem Holzschwert zieht er nun in den Kampf, der vom Autor in einer mit Euphemismen geradezu überladenen Sprache geschildert wird. Der imaginäre Kampf endet mit der „Heldentat“ des Kindes, das sämtliche Feinde mit dem Schwert tötet, beschrieben mit dem Euphemismus „putting all to the sword“[3].

Now that the battle had been won, prudence required that he withdraw to his base of operations. Alas; like many a mightier conqueror, and like one, the mightiest, he could not curb the lust for war, Nor learn that tempted Fate will leave the loftiest star.[4]

Diese alte Kriegsweisheit, die scheinbar didaktischen Charakter hat, führt den Leser schon hier auf eine falsche Fährte. Dieser stellt sich darauf ein, daß die Grundtendenz der Geschichte eine Patriotische ist. Der Junge, der sich zu neuen Heldentaten aufmacht, trifft aber sogleich auf einen „more formidable enemy“[5] – einen Hasen. An dieser Stelle ändert sich sowohl der Stil der Geschichte als auch die Perspektive. Die Handlung wird jetzt aus der kindlichen Sicht des Protagonisten wiedergegeben. Dieser verläuft sich im Wald, wo er verstört einschläft. Sein „Schwert“ ist jetzt nicht länger eine Waffe, sondern ein Gefährte; er hält es während des Schlafes fest umklammert.

Diese Perspektive sowie der verniedlichende Stil („the little sleeper rose to his feet“[6] ) werden zunächst beibehalten. Dies steht in krassem Gegensatz zu der Kriegsmetaphorik und der vorherigen Beschreibung seiner „Heldentaten“. Der Protagonist ist nicht mehr der furchtlose Krieger, sondern ein einsames Kind, welches ängstlich nach dem Heimweg sucht.

Erst als der Protagonist auf die ersten Verwundeten der Schlacht stößt, die stattgefunden hat, ohne daß er oder der Rezipient der Geschichte davon erfahren, erfolgt ein erneuter Perspektivenwechsel. Während das Kind den ersten Überlebenden, der sich durch den Wald schleppt, als „strange moving object“ wahrnimmt, welches es zunächst nicht näher definieren kann, erhält der Leser einige Zusatzinformationen über das Geschehen.

Der Erzähler schaltet sich ein und beschreibt die grausame Szenerie, diesmal allerdings aus der Perspektive eines erwachsenen Beobachters. Erst allmählich wird dem Leser die Ernsthaftigkeit der Situation voll bewußt. Von diesem Zeitpunkt an existieren zwei verschiedene Perspektiven gleichzeitig: die des Lesers, der aufgrund seiner Erfahrungen einen Wissensvorsprung gegenüber dem Kind hat, und die des Kindes, welches die Lage nicht zu deuten weiß und gewisse Details nicht wahrnimmt oder zumindest falsch deutet („Not all of this did the child note; it is what would have been noted by an elder observer...“[7] ).

Es folgt ein groteskes Szenario: Das Kind vergleicht das Geschehen mit seinen eigenen Erfahrungen. Die Verwundeten mit ihren blutverschmierten Gesichtern erinnern es an einen Clown, den es früher im Zirkus gesehen hat. Für den Jungen ist das ganze ein „merry spectacle“. Das volle Ausmaß seiner Unbefangenheit wird deutlich, als er versucht, mit einem der sich dahinschleppenden Verwundeten „Pferdchenreiten“ zu spielen. Erst, als der Soldat den Jungen wütend abwirft, bekommt dieser es mit der Angst zu tut; allerdings nicht wegen der grausamen Verstümmelung des Mannes, die bis ins Detail beschrieben werden („[He] turned upon him a face that lacked a lower jaw - from the upper teeth to the throat was a great red gap fringed with hanging shreds of flesh and splinters of bone.“[8] ), sondern aufgrund der Tatsache, daß ihn die Reste seines Gesichts wie ein „great bird of prey crimsoned in throat and breast by the blood of its quarry“[9] erscheinen.

Das Feuer (vermutlich seines eigenen Elternhauses), welches durch die Bäume scheint und die gespenstische Szene beleuchtet, wird von dem Kind zunächst als „strange, red light“ und später als „glowing splendour“ wahrgenommen. Der Leser kann die Bedrohlichkeit der Situation erfassen, ist also aufgrund seines Erfahrungshorizontes gegenüber dem Protagonisten in einer privilegierten Position.

Der Höhepunkt dieser grotesken Szene ist erreicht, als der Junge sein Holzschwert nimmt und sich an die Spitze des grausigen Zuges setzt. Der Erzähler kommentiert dies zynisch mit den Worten: „Surely such a leader never before had such a following.”[10]

Bis hierhin beschränkte sich der Erzähler vorwiegend auf die Schilderung der Geschehnisse aus der Perspektive des Jungen bzw. aus dem Blickwinkel eines unbeteiligten Beobachters. Mit diesem sehr eingeschränkten Wissensstand kann der Leser darüber nur spekulieren, was bisher tatsächlich geschah. Schließlich geht der Erzähler aber doch dazu über, einige Informationen, die außerhalb der Wahrnehmung des Protagonisten und des unbeteiligten Beobachters liegen, zu schildern. Er verfällt dazu aber wieder in die verherrlichende Sprache der Propaganda („the dead who had died to make the glory“[11] ). Die Ironie, die sich aus dieser Schilderung ergibt, ist kaum zu übersehen.

[...]


[1] Bierce, Ambrose. The Complete Short Stories of Ambrose Bierce. Lincoln, London: University of Nebraska Press, 1984.

[2] “Chickamauga” 313

[3] “Chickamauga” 314

[4] “Chickamauga” 314

[5] “Chickamauga” 314

[6] “Chickamauga” 314

[7] Chickamauga 315

[8] Chickamauga 316

[9] Chickamauga 316

[10] Chickamauga 316

[11] Chickamauga 317

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Retrospektive Sinnstiftung in den Kurzgeschichten An Occurrence at Owl Creek Bridge und Chickamauga von Ambrose Bierce
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Institut für Anglistik)
Veranstaltung
Deutsche und amerikanische Kurzgeschichten im 19. und 20. Jahrhundert
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
17
Katalognummer
V6201
ISBN (eBook)
9783638138321
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kurzgeschichte, retrospektive Sinnstiftung
Arbeit zitieren
Wolfgang Scholz (Autor:in), 2001, Retrospektive Sinnstiftung in den Kurzgeschichten An Occurrence at Owl Creek Bridge und Chickamauga von Ambrose Bierce, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6201

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Titel: Retrospektive Sinnstiftung in den Kurzgeschichten  An Occurrence at Owl Creek Bridge  und  Chickamauga  von Ambrose Bierce



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