Untersuchung dreier Länder und ihrer Regelung zum Mindestlohn – Ein Vorbild für Deutschland?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

46 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die sozialen Ziele des Mindestlohns
1.1 Mindestlohnarbeitslosigkeit
1.2 Alternative Wirkung des Mindestlohns – Kaufkraft der Löhne
1.3 Zusammenfassung

2. Länderuntersuchungen: USA, Großbritannien, Frankreich
2.1 Einführung: Der Fair Labor Standard Act in den USA
2.2 Höhe und Anpassung des Mindestlohns
2.3 Kaitz Index und Lohngefüge der USA
2.4 Die Verbreitung von working-poor Einkommen in den USA
2.5 Paradigmenstreit: Der Einfluss der Studie von Card und Krueger

3. Großbritannien
3.1 Einführung
3.2 Höhe und Anpassung des NMW in Großbritannien
3.3 Auswirkungen des NMW
3.3.1 Lohngefüge
3.3.2 Arbeitslosenquote
3.3.3 Armut und working poor
3.3.4 Zusammenfassung GB

4. Frankreich
4.1 Einführung
4.2 Höhe und Anpassung des SMIC
4.3 Auswirkungen des SMIC
4.3.1 Lohngefüge
4.3.1.1 Tarifgefüge
4.3.2 Arbeitslosenquote
4.3.3 Armut und working poor
4.3.4 Fazit Frankreich

5. Zusammenfassung der Länderuntersuchung

6. Gesamtfazit: Eingehen auf die Ausgangsfrage
6.1 Der Deutsche Ist-Zustand
6.2 Ein mögliches Modell für Deutschland
6.2.1 Eine Alternative: Die Ausweitung der AVE
6.3 Fazit: Mindestlohn ja oder nein?

Einleitung

Berlin, Deutscher Bundestag am 1. Juli 2005: Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland lässt sich vom Parlament das Vertrauen verweigern und bittet daraufhin den Bundespräsidenten, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen. Nach dem „großen Staatstheater“ (Der Spiegel, 20), welches in Neuwahlen endete, zogen die Parteien in den Wahlkampf. Dieser Wahlkampf und die Wahlprogramme der Parteien sollen als Einstieg in diese Hausarbeit dienen. Über die Parteigrenzen hinweg ist die Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit ein zentrales Thema in diesem Wahlkampf gewesen. Obwohl die Parteien in ihren Programmen – ob es nun „Vorfahrt für Arbeit“ (Union) oder „Vertrauen in Deutschland“ (SPD) heißt - durchaus ähnliche Ziele angeben, unterscheiden sich ihre Mittel jedoch zeitweise grundlegend. Während die Linke.PDS über einen Mindestlohn in der Höhe von 1.000 € - 1.400 € stritt (@ Berlinkontor.de)[1], um die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu stärken, lehnen die Liberalen „Mindestlöhne, egal in welcher Form sie festgelegt werden“ rigoros ab, da sie „tendenziell zu höheren Preisen [führen] und […] darüber die Kaufkraft [schwächen]“ (@ Wahlprogramm FDP). Diese beiden Forderungen stehen exemplarisch für zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Problem der Arbeitslosigkeit. „Im Grunde geht es dabei um die Frage, ob Arbeitslosigkeit verursacht wird durch (1) einen zu hohen Preis für Arbeit, d.h. zu hohe Löhne, und/oder zu großzügige Sozialleistungen […] oder (2) eine zu geringe gesamtwirtschaftliche Nachfrage“ (Bofinger, 153). Ziel dieser Hausarbeit ist es jedoch nicht, die Wahlprogramme für Arbeitsmarkt- oder Lohnpolitik der einzelnen Parteien zu analysieren, sondern vielmehr ihre Vorstellungen als Grundlage für ein mögliches Mindestlohnmodell für die Bundesrepublik Deutschland zu nehmen. Zentrale Fragestellung dabei ist, ob es überhaupt Sinn macht, einen gesetzlichen Mindestlohn festzulegen. Zur Beantwortung dieser Frage soll zunächst in einem theoretischen Teil geklärt werden, was ein Mindestlohn genau ist und wie er sich in der Theorie auf die Ökonomie eines Landes und auf dessen Arbeitsmarkt auswirkt. Im zweiten empirischen Teil soll das Mindestlohnmodell von drei Staaten untersucht und mit den Ergebnissen des Theorieteils verglichen werden. Diese Staaten sind Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika. In jedem dieser Staaten gibt es einen gesetzlichen Mindestlohn, jedoch unterscheidet sich jedes Modell von dem der anderen Staaten. Jedes Mindestlohnmodell soll dahingehend untersucht werden, wie die Höhe des Mindestlohns zustande kommt und welche Auswirkungen er mit sich bringt. Im letzten Teil schließlich soll in einem Ausblick ein mögliches Modell für die Bundesrepublik skizziert werden.

1. Die sozialen Ziele des Mindestlohns

In 18 der heutigen 25 EU – Mitgliedsstaaten gibt es einen Mindestlohn, deren Höhe von 121 € in Lettland bis zu 1403 € in Luxemburg variiert (@ heute.de). In den Medien findet man hauptsächlich skeptische Stimmen zum Thema Mindestlohn. „Über keinen Sachverhalt in der Volkswirtschaft bestehe so viel Einigkeit, wie über die schädlichen Wirkungen von Mindestlöhnen" (@ N24.de). Der Wirtschaftsweise Wolfgang Franz bezeichnet den Mindestlohn als eine Form von „Protektionismus“, der einen „Einfuhrzoll auf Arbeit“ (@ N24.de) darstelle. Auch der ehemalige BDI – Präsident Michael Rogowski sieht den Arbeitsmarkt durch einen Mindestlohn „gefesselt“ (@ Saar-Echo.de): „Arbeit ist keine feste Größe, sondern eine Frage von Angebot und Nachfrage - und damit eine Frage des Preises. Deshalb brauchen wir auf keinen Fall Mindestlöhne.“ Doch wieso ist der Mindestlohn eine „Fessel“ des Arbeitsmarktes? Wieso verursacht ein Mindestlohn Arbeitslosigkeit? Wieso ist er eine protektionistische Maßnahme?

Auf der anderen Seite muss nachgefragt werden, was eigentlich das Ziel eines festgelegten Mindesteinkommens ist. Historisch gesehen wurde der Mindestlohn durch Streiks von der Arbeiterbewegung gefordert. Seine Installation sollte die Armut der lohnabhängigen Arbeiterschaft verhindern und bekämpfen (Stigler, 358). Im zweiten Teil der Hausarbeit wird auf die Art und Weise, wie der Mindestlohn in den oben genannten Ländern umgesetzt wurde, näher eingegangen.

Das Ziel der Armutsbekämpfung schließt die Verhinderung von prekären Löhnen und des working-poor-Arbeitsverhältnisses ein. Als prekäre Löhne

gelten in der Armutsforschung Entgelte, die zwischen 75% - 50% des Durchschnittsgehalts liegen. In einer weiteren Kategorie darunter sind Armutslöhne bzw. working-poor-Einkommensverhältnisse angesiedelt, die das Durchschnittsentgelt um 50% und mehr unterschreiten (Peter & Wiedemuth, 429).

Ein Einkommen dieser Höhe ist für Haushalte nicht existenzsichernd. Genau dort setzten die sozialen Ziele eines gesetzlichen Mindestlohns an. Er definiert ein gesellschaftliches Mindestniveau für Löhne, „die ein anständiges Leben ermöglichen.“[2]

1.1 Mindestlohnarbeitslosigkeit

In der neoklassischen Ökonomietheorie wird von einem Arbeitsmarkt ausgegangen, der sich wie der Gütermarkt nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage richtet. Dazu gibt es zwei Grundannahmen:

1. Die Arbeit wird von Arbeitnehmern angeboten und von Unternehmern nachgefragt.
2. Die Nachfrage nach Arbeit nimmt nach dem Gesetz des abnehmenden Grenznutzens ab.[3]

Auf der anderen Seite bietet ein Arbeitnehmer auch nur eine bestimmte Menge an Arbeit an, die sich nach seinen persönlichen Präferenzen nach Freizeit und Einkommen richtet. Um das Modell so übersichtlich wie möglich zu halten, wird hier davon ausgegangen, dass ein Arbeitnehmer umso mehr Arbeitskraft anbietet, desto höher der Lohn für diese Arbeit ist.[4]

An dem Punkt, an dem sich die Nachfragekurve von Arbeitgebern und Angebotskurve von Arbeitnehmern schneiden, liegt das Marktgleichgewicht des Arbeitsmarktes. An diesem Ort herrscht in der ökonomischen Theorie Vollbeschäftigung, d. h. „jeder, der arbeiten will, findet eine Anstellung“ (Bofinger 287). Dieses Gleichgewicht ist der geografische Ort, an dem sich die Präferenzen der Arbeitskraftanbietenden (für x Arbeitsstunden erhalte ich y € Lohn) und der Arbeitskraftnachfragern (für y € Lohn pro Stunde beschäftige ich einen Arbeitnehmer für x Stunden) treffen. Dieses Gleichgewicht wird in Abbildung 1 mit w* (Wage) für die Gleichgewichtslohnhöhe und L* (Labor) für die Gleichgewichtsarbeitszeit dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Mindestlohneinfluss auf den Arbeitsmarkt

Quelle: eigene Darstellung nach Bofinger (Schaubild 9.8).

Nun wird ein Mindestlohn gesetzlich festgelegt, der über dem Lohnsatz des Marktgleichgewichts liegt. Dieser Mindestlohn ist in Abb. 1 durch die blaue horizontale Linie dargestellt. Sie schneidet ebenfalls sowohl die Nachfragekurve als auch die Angebotskurve, jedoch nicht in deren Schnittpunkt (L*/w*). Die Folge davon ist, dass die Unternehmen zu diesem Lohnsatz weniger Arbeitszeit nachfragen (der Schnittpunkt mit der x-Achse läge links von L*). Die Arbeitnehmer jedoch – nach der Erkenntnis, dass ein Arbeitnehmer umso mehr Arbeitskraft anbietet, desto höher der Lohn für diese Arbeit ist (s. o.) – sind bereit, länger zu arbeiten (der Schnittpunkt mit der x-Achse läge rechts von L*). So entsteht ein Angebotsüberschuss an Arbeit, der „Mindestlohnarbeitslosigkeit“ oder „klassische Arbeitslosigkeit“ genannt wird.

Läge der vereinbarte Mindestlohn jedoch unterhalb von w*, so würde sich die Situation umdrehen. Bei diesem Lohnsatz wäre das Angebot von Arbeit geringer als die Nachfrage von Arbeit (der Schnittpunkt der Angebotskurve läge links von L*, der der Nachfragekurve rechts von L*). Bei dieser Situation würden die Unternehmen mehr Arbeitnehmer einstellen wollen, als verfügbar wären und ein Nachfrageüberschuss nach Arbeit wäre entstanden.

1.2 Alternative Wirkung des Mindestlohns – Kaufkraft der Löhne

Aus einer ganz anderen Perspektive werden gesetzliche Mindestlöhne von Vertretern der keynesianischen Ökonomietheorie betrachtet. Sie verweisen auf die erhöhte Kaufkraft, die durch einen hohen Mindeststandard an Löhnen gefördert wird und dadurch Wachstum erzeugt. Hinter diesem Ansatz steht der leicht nachvollziehbare Versuch, den privaten Konsum der Bevölkerung im Binnenland anzukurbeln.

Diese nachfrageunterstützende Wirkung eines hohen Mindestlohns wurde beispielsweise im „Sozialistischen Experiment“ Anfang der 1980er Jahre in Frankreich erwartet. „Die Kaufkraft der Mindestlöhne – an die viele andere Gehälter gekoppelt waren – [wurde] 1981-1982 politisch um 10,6% gesteigert“ (Schirm, 96). Diese Wirtschaftspolitik steigerte zwar die Nachfrage im Inland, schaffte es jedoch nicht, auch die Produktion dort zu steigern bzw. Arbeitsplätze zu schaffen, da ein nicht unerheblicher Teil der nachgefragten Güter aus Importen stammte.

Der anfängliche Kaufkraftzuwachs bei der Bevölkerung führte zu einer deutlichen Verringerung der Exporte (die Produktion wurde vermehrt im Inland konsumiert) und zu einer erheblichen Anstieg der Importe. Infolge der Außenhandels-Verflechtung der französischen Volkswirtschaft (rund 20% des BSP) floss ein überproportional großer Teil des Nachfragewachstums ins Ausland ab (Schirm, 97).

Die Erhöhung des Mindestlohns im Rahmen des sozialistischen Experiments in Frankreich zeigt, dass diese zwanghafte Lohnerhöhung durchaus negative Folgen für die Wirtschaft eines Landes nach sich ziehen kann, wenn es in die internationale Ökonomie eingebunden ist.[5]

1.3 Zusammenfassung

Es ist deutlich geworden, dass der Mindestlohn von den beiden Richtungen der Wirtschaftstheorie – die angebotsorientierte neoliberale Sicht und die nachfrageorientierte keynesianische Sichtweise – unterschiedlich bewertet wird. Sein eigentliches Ziel - „the elimination of extreme poverty“ (Stigler, 358) - ist sicherlich unbestritten. Aus neoliberaler Sichtweise schädigt ein Mindestlohn jedoch in nicht geringem Maße die Wirtschaft eines Landes. Er kann – theoretisch – zu Arbeitslosigkeit führen und somit ein Insider-Outsider Problem schaffen, indem er nämlich die „eher unterproduktiven, schlecht ausgebildeten Arbeitnehmer besonders […] schützen [möchte, doch] genau das Gegenteil erreicht“ (Schaper, 93f). Durch seine Höhe, die über dem Gleichgewichtslohn liegt, verhindert er, dass ein Teil dieser Arbeitnehmer überhaupt noch Zugang zum Arbeitsmarkt haben und somit von einem Leben in Lohn und Brot ausgeschlossen werden (Outsider), da die Unternehmen keine zusätzlichen Einstellungen vornehmen oder, noch einen Schritt weiter gedacht, „eher kapitalintensive Produktionsverfahren einsetzen und entsprechend mehr investieren und den Produktionsfaktor Arbeit durch Kapital ersetzen“ (Schaper, 94). Diese Ausgeschlossenen müssen dann durch staatliche Transferleistungen wie die Sozialhilfe unterstützt werden. Durch die zu hohen Löhne, die die Unternehmen den Arbeitnehmern zahlen müssen, verteuern sich zusätzlich die Preise für die produzierten Güter.

Die andere Seite argumentiert, dass „die Bedeutung einer ausreichenden Binnennachfrage – als eine von mehreren Stützen der Wirtschaftsdynamik – jahrelang missachtet wurde“ (Müller, 29). Nur durch ausreichende Arbeitsentgelte kann garantiert werden, dass im Inland die Kaufkraft gleich bleibend stabil ist und somit für ständige Nachfrage gesorgt ist. Das Beispiel des französischen sozialistischen Experiments zeigt dabei jedoch, dass nationale Steuerungen, wie die Festsetzung eines hohen Mindestlohns, in einer international verflochtenen Wirtschaft an Wirkung verlieren können.

Trotzdem ist der Mindestlohn die einzige Möglichkeit, prekäre Löhne und working-poor-Einkommen zu verhindern.

Damit ist jedoch noch keine Antwort auf die Ausgangsfrage – soll es einen Mindestlohn in der Bundesrepublik geben, oder reichen die Tarifverhandlungen der Gewerkschaften mit den Arbeitgeberverbänden als quasi-Mindestlohn aus - und welche Auswirkungen eines Mindestlohns wären zu vermuten? – gegeben. Tatsache ist, dass es auch in Staaten, in denen eine sehr neoliberale Wirtschaftspolitik betrieben wird, wie den USA und Großbritannien, ein Mindestlohn vorhanden ist. Inwieweit in diesen Staaten der Mindestlohn die Arbeitnehmer vor prekären Löhnen schützt, und welchen Einfluss er auf die Wirtschaft hat, soll im nun folgenden zweiten Teil untersucht werden.

2. Länderuntersuchungen: USA, Großbritannien, Frankreich

2.1 Einführung: Der Fair Labor Standard Act in den USA

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind der Staat, der die längste Erfahrung mit einem nationalen Mindestlohn vorweisen kann. In den USA ist der Mindestlohn in Form des Fair Labor Standard Act (FLSA) im Jahre 1938 eingeführt worden (Sautter, 389). Dieses Gesetz garantierte jedem Arbeitnehmer einen Stundenlohn von 0,25 $ pro Stunde (Peter, 156). Der FLSA galt zunächst nur für Arbeitnehmer, die im interstate commerce involviert waren, also in Dienstleistungs- und Produktionsbereichen, die ihre Güter für den Handel zwischen den einzelnen Bundesstaaten bzw. für den Außenhandel anboten. Inzwischen ist der auch auf Unternehmen erweitert, die einen Jahresumsatz von mindestens 500.000 $ vorweisen. Burmeister führt an, dass nach den Erkenntnissen der neueren Literatur der „Geltungsbereich [des FLSA] derzeit nahezu alle Beschäftigten umfasst“ (605).

2.2 Höhe und Anpassung des Mindestlohns

Neben dem nationalen Mindestlohn, der zurzeit 5,15 $ pro Stunde beträgt, gibt es 12 Staaten und Washington D.C., deren Mindestlohn bis zu 2,01 $ über dem nationalen Satz liegt.[6] Der FLSA sieht vor, dass in Staaten, in denen ein bundesstaatlicher und nationaler Mindestlohn vorhanden ist, der höhere Lohnsatz gezahlt werden muss.[7] Des Weiteren gibt es Sonderegelungen für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern, die nicht den Mindestlohnsatz des FLSA erhalten. Zu diesen Gruppen gehören Arbeitnehmer mit Behinderungen, Studenten, junge Arbeitnehmer unter 20 Jahren sowie Angestellte, die neben ihrem Lohn zudem noch Trinkgelder erhalten. So erhalten Gastronomieangestellte einen Mindestlohn von 2,13 $ pro Stunde (Burmeister, 605).

Der nationale Mindestlohn wird nicht durch unabhängige Gremien festgesetzt bzw. an die Preisentwicklung im Inland gekoppelt, sondern wird nur vom Gesetzgeber vorgeschlagen und durch eine Gesetzesänderung des Kongresses bestätigt (Peter, 158). Peter und Burmeister kritisieren, dass diese Art der Festsetzung somit zu einem rein politischen Instrument reduziert wird.

2.3 Kaitz Index und Lohngefüge der USA

Der Durchschnittsverdienst eines im verarbeitenden Gewerbe angestellten Arbeitnehmers betrug im Jahr 2000 14,14 $ (Burmeister, 606). Damit verdient ein zum nationalen Mindestlohn arbeitender Angestellter 36,4% des durchschnittlichen Gehalts – und muss daher zu den working poor Verdienern gezählt werden. Seit dem Jahr 1965, in dem der Mindestlohnsatz 51% des Durchschnittsverdienstes betrug, und somit zu den bereits prekären Gehältern gerechnet werden muss, ist er im Verhältnis zu den durchschnittlichen Löhnen kontinuierlich gesunken. Abbildung 2 zeigt diese Entwicklung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Kaitz Index der Mindestlohnhöhe in den USA seit 1960

Quelle: Eigene Darstellung nach Burmeister (Tabelle 3).

Die Tabelle in Abbildung 2 zeigt in der rechten Spalte den auf Hyman Kaitz zurückgehenden Kaitz-Index, der den Mindestlohn mit den durchschnittlich im verarbeitenden Gewerbe erzielten Stundenlöhnen vergleicht. Seit 1965 ist dieser Wert gesunken, so dass im Jahr 2000 der Mindestlohn 35% des Durchschnittslohns betrug.

Der Anteil der Beschäftigten, die zum Mindestlohnsatz beschäftigt sind, liegt bei 5,9% (7,4 Mio. Menschen) der arbeitenden Bevölkerung.[8] Weitere 8,2 Mio. Menschen erhalten einen Lohnsatz von 7 – 8 $ pro Stunde. Diese Arbeitnehmer (12,5% der Beschäftigten) arbeiten alle zu working poor Gehältern bzw. prekären Löhnen (Burmeister, 606). Die Anzahl der zu diesen Einkommensgruppen zählenden Arbeitnehmer ist jedoch noch viel größer: Wenn man den Durchschnittslohn von Burmeister als Grundlage nimmt (14,14 $ pro Stunde), dann erhalten alle Beschäftigten, die einen Stundenlohn unter 10,61 $ erzielen, prekäre Löhne (weniger als 75% des Durchschnittseinkommens der arbeitenden Bevölkerung). Die Grenze zu working-poor Einkommensverhältnissen (50% des Durchschnittseinkommens) liegt bei einem Lohnsatz von 7,07 $ pro Stunde.[9]

2.4 Die Verbreitung von working-poor Einkommen in den USA

Zusammenfassend über das Mindestlohnmodel der Vereinigten Staaten lässt sich sagen, dass der amerikanische Mindestlohn nicht in der Lage ist, prekäre Löhne oder zumindest working-poor Einkommensverhältnisse zu unterbinden. Tatsächlich liegt der nationale Mindestlohn bei 35% des Durchschnittseinkommens der Arbeitnehmer im verarbeitenden Gewerbe (Stand: 2000). Seit 1997 stagniert der nationale Mindestlohn bei 5,15 $ (@ dol.gov). Von den zwölf vom nationalen Mindestlohn abweichenden Staaten und Washington D.C. erreichen nur die Staaten Washington, Alaska und Connecticut (Nominallohn höher als 7,07) in etwa die Grenze der working-poor Löhne. Diese Lohnsituation ist darauf zurückzuführen, dass der Mindestlohn nur von der politischen Führung angehoben werden kann und somit von ihrem „Willen und auch vom Wahlzyklus abhängig [ist]“ (Burmeister, 605). Des Weiteren hat der Mindestlohn trotz seiner nominalen Erhöhung seit 1965 kontinuierlich an Realwert verloren (Burmeister, 605). Eine Folge dieser Entwicklung ist das working-poor Phänomen, dass Menschen, obwohl sie erwerbstätig sind, weiter verarmen. Insgesamt ist „der Anteil der einkommensarmen Familien, die pro Jahr mehr als 2000 Stunden erwerbstätig sind, [seit 1979] von 21,4% auf 28,4% gestiegen“ (Burmeister, 603). Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten, die zum Mindestlohn bezahlt werden, liegt in den USA bei 1,5%. Doch ist der Anteil der insgesamt zum Mindestlohn Beschäftigten deutlich höher.

[...]


[1] Internetquellen werden mit einem „@“ gekennzeichnet. Sie werden auch im Literaturverzeichnis am Ende dieser Hausarbeit gesondert unter Internetquellen angegeben.

[2] F. D. Roosevelt bei der Einführung des Fair Labor Standard Act (gesetzlicher Mindestlohn) in den USA im Jahr 1938 (@ Powerpoint Präsentation ver.di).

[3] Das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens besagt, dass der wiederholte Konsum eines Gutes einen geringeren Nutzen für den Konsumenten hat, als der Konsum des vorherigen (gleichen) Gutes. Auf den Arbeitsmarkt übertragen bedeutet das, dass ein Arbeitgeber aus dem ersten Arbeitnehmer einen hohen Nutzen zieht. Die Anstellung eines zweiten Arbeitnehmers bereits mindert den Nutzen. Insgesamt wird ein Arbeitgeber nur zusätzliche Arbeitnehmer einstellen, solange der Output der Arbeitnehmer abzüglich der Fix- und Produktionskosten größer ist als der Lohnsatz (Bofinger, 155).

[4] Ausnahmen von dieser Annahme kommen z.B. in Arbeitsverhältnissen vor, in denen ein sehr hoher Lohn für eine Tätigkeit gezahlt wird. Hier arbeitet der Arbeitnehmer dann solange, bis er die ihm genügende Menge an Einkommen erreicht hat. In solch Fall kann ein hoher Lohn auch zu einem Rückgang des Angebots an Arbeit führen (Bofinger 157). Das hier angegebene Theorem der Mindestlohnarbeitslosigkeit (Schaper, 93) richtet sich daher vor allem an Arbeitsplätze im unteren Lohnsektor.

[5] Das französische Experiment kann natürlich nicht allein auf die Erhöhung des Mindestlohns reduziert werden. Es jedoch hier detailliert darzustellen, würde den Rahmen der Hausarbeit sprengen. Es soll hier nur als anschauliches Beispiel für die Folgen einer Wirtschaftspolitik dienen, die auf binnennachfrageunterstützende Mechanismen setzt, zeitgleich aber auch in die internationalen Wirtschaftsbeziehungen verflochten ist. Für eine detailliertere Darstellung des „projet socialiste“ siehe Schirm, Kapitel 3.1.5.

[6] Washington (7,16 $ / Stunde); Alaska (7, 15 $); Connecticut (7,10 $); Oregon (7,05 $); Kalifornien, Massachusetts, Rhode Island, Vermont (jeweils 6,75 $); Hawaii, Maine (jeweils 6,25 $); Delaware, Washington D.C. (jeweils 6,15 $); Illinois (5,50 $). Stand: 2003 (Burmeister, 605).

[7] Sollte also der nationale Mindestlohn auf 5,60 $ pro Stunde erhöht werden, müsste in Illinois (bundesstaatlicher Mindestlohn: 5,50 $) auch 5,60 $ gezahlt werden. In den anderen in Fußnote 6 genannten Staaten müsste weiterhin der jeweilige bundesstaatliche Mindestlohn (>5,60 $) gezahlt werden.

[8] Zur Vereinfachung und um die Beschäftigten, die den teilweise höheren bundesstaatlichen Mindestlohnsatz erhalten, in diese Berechnung mit einzubeziehen, wird hier von einem Lohnsatz von 5 – 7 $ ausgegangen.

[9] Grundlage dieser Berechnung ist eine Formelumstellung des Kaitz-Index (wminsteht dabei für den Mindestlohn):

Berechnung für einen Mindestlohnsatz oberhalb der prekären Löhne:

0,75 = (wminx 1,00) ÷ 14,14 $

wmin= 0,75 x 14,14 $

wmin= 10,605 $, daraus folgt:

wmin> 10,60 $

Nach dem gleichen Prinzip kann ein Lohnsatz oberhalb von working-poor Einkommensverhältnissen errechnet werden:

wmin= 0,5 x 14,14 $

wmin= 7,07 $, daraus folgt:

wmin> 7,07 $

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Untersuchung dreier Länder und ihrer Regelung zum Mindestlohn – Ein Vorbild für Deutschland?
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Fakultät für Sozialwissenschaft )
Veranstaltung
Arbeitsmarktökonomik
Note
1,7
Autoren
Jahr
2005
Seiten
46
Katalognummer
V62568
ISBN (eBook)
9783638557849
ISBN (Buch)
9783638793049
Dateigröße
725 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit vergleicht die Mindestlohn Systeme Großbritanniens, Frankreichs und der USA miteinander. Als Basis werden sowohl die angebotsorientierten als auch die nachfrageorientierten Theorien herangezogen. Auf Basis der gewonnen Erkenntnisse wird eine Übertragbarkeit auf Deutschland überprüft und bewertet. Vor- und Nachteile werden gegeneinander abgewogen und geprüft welches der genannten Länder am ehesten als ein Modell für Deutschland dienen könnte.
Schlagworte
Untersuchung, Länder, Regelung, Mindestlohn, Vorbild, Deutschland, Arbeitsmarktökonomik
Arbeit zitieren
Robert Schwanitz (Autor:in)Florian Schwärzel (Autor:in), 2005, Untersuchung dreier Länder und ihrer Regelung zum Mindestlohn – Ein Vorbild für Deutschland?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62568

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