Für jemanden wie mich, der dreißig Jahre nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl geboren wurde, ist Europa etwas Selbstverständliches. Errungenschaften, die die Europäische Integration mit sich gebracht hat, wie offene Grenzen oder die gemeinsame Währung, sind schnell Teil unseres Alltags geworden, ohne dass wir uns ihrer historischen Bedeutung bewusst werden würden. Für jemanden wie meinen Großvater, der in ein Europa der Nationalstaaten der zwanziger Jahre hineinge-boren wurde, müssten sie dagegen eigentlich wie ein kleines Wunder wirken. Aber selbst für diese Generation scheint Europa nach fünfzig Jahren Europäische Gemeinschaft etwas Alltägliches geworden zu sein. Europa gehört zu unserem Alltag, ohne dass wir es merken. Aber was ist Europa eigentlich? Was bedeutet es, europäisch zu sein? Diese Frage hat die Öffentlichkeit in den letzten Jahren immer stärker beschäftigt. Vor allem ist dabei im Zusammenhang mit der Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei die Frage aufgetaucht, wo Europa eigentlich endet. Ist Europa nur ein Kontinent, eine geographische Ortsangabe? Und wenn ja, wo liegen seine Grenzen? Während die Kontinente Amerika, Afrika und Australien klar durch Wassermassen abgegrenzt sind, bilden Asien und Europa zusammen eine große Landmasse. Die bekannte Grenzziehung am Ural und Bosporus ist letztlich nicht mehr als das Ergebnis, zwar historisch erwachsener, aber dennoch menschlicher Willkür. Aber selbst wenn man diese Grenzen akzeptiert, wohin führt uns das bei der Suche nach einer Definition für Europa? Bedeutet es, dass der westliche Teil Istanbuls europäisch und der östliche asiatisch ist? Die Tatsache, dass der Stadtteil östlich des Bosporus viel westlicher, viel europäischer wirkt als der westlich davon, zeigt, dass eine geographische Beantwortung der Frage viel zu kurz greift. Vor allem, da sich die geographischen Vorstellungen von Europa in der Geschichte immer verändert haben. Was aber nun heißt es, europäisch zu sein? Was macht mich zu einem Europäer? Gibt es etwas, dass alle Europäer gemeinsam haben? [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Hauptteil
Das Europa des Antiken Griechenlands
Das Europa des Antiken Roms
Das Europa Karl des Großen
Das Europa der Religionen
Das Europa der Philosophie
Das Europa Napoleons
Das Europa der Nationalstaaten
Das Europa des Nationalsozialismus
Das Europa des Friedens
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Für jemanden wie mich, der dreißig Jahre nach Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl geboren wurde, ist Europa etwas Selbstverständliches. Errungenschaften, die die Europäische Integration mit sich gebracht hat, wie offene Grenzen oder die gemeinsame Währung, sind schnell Teil unseres Alltags geworden, ohne dass wir uns ihrer historischen Bedeutung bewusst werden würden. Für jemanden wie meinen Großvater, der in ein Europa der Nationalstaaten der zwanziger Jahre hineingeboren wurde, müssten sie dagegen eigentlich wie ein kleines Wunder wirken. Aber selbst für diese Generation scheint Europa nach fünfzig Jahren Europäische Gemeinschaft etwas Alltägliches geworden zu sein.
Europa gehört zu unserem Alltag, ohne dass wir es merken. Aber was ist Europa eigentlich? Was bedeutet es, europäisch zu sein? Diese Frage hat die Öffentlichkeit in den letzten Jahren immer stärker beschäftigt. Vor allem ist dabei im Zusammenhang mit der Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei die Frage aufgetaucht, wo Europa eigentlich endet. Ist Europa nur ein Kontinent, eine geographische Ortsangabe? Und wenn ja, wo liegen seine Grenzen? Während die Kontinente Amerika, Afrika und Australien klar durch Wassermassen abgegrenzt sind, bilden Asien und Europa zusammen eine große Landmasse. Die bekannte Grenzziehung am Ural und Bosporus ist letztlich nicht mehr als das Ergebnis, zwar historisch erwachsener, aber dennoch menschlicher Willkür. Aber selbst wenn man diese Grenzen akzeptiert, wohin führt uns das bei der Suche nach einer Definition für Europa? Bedeutet es, dass der westliche Teil Istanbuls europäisch und der östliche asiatisch ist? Die Tatsache, dass der Stadtteil östlich des Bosporus viel westlicher, viel europäischer wirkt als der westlich davon, zeigt, dass eine geographische Beantwortung der Frage viel zu kurz greift. Vor allem, da sich die geographischen Vorstellungen von Europa in der Geschichte immer verändert haben.
Was aber nun heißt es, europäisch zu sein? Was macht mich zu einem Europäer?
Gibt es etwas, dass alle Europäer gemeinsam haben? Dabei wird es Unterschiede geben.
Denn genauso, wie sich ein Hamburger von einem Bürger Tokios unterscheidet, unterscheidet er sich auch von einem Warschauer, aber auch von einem Münchener. Entscheidend kann nur sein, welche Unterschiede so gravierend und welche Gemeinsamkeiten so bedeutend sind, dass sie den einen zum Europäer und den anderen eben nicht zum Europäer sondern zum Asiaten machen. Mit der Frage, was für Gemeinsamkeiten das sein könnten, will sich diese Hausarbeit beschäftigen. Es sollen einige wichtige Aspekte der Geschichte ausgesucht und auf ihre Bedeutung für die Entwicklung von Europa hin durchleuchtet werden. Dabei wird sowohl die veränderte Vorstellung der geographischen Lage berücksichtig als auch der Einfluss der jeweiligen Epoche auf das heutige Europa dargelegt.
Hauptteil
Das Europa des Antiken Griechenlands
Dem Antiken Griechenland hat Europa viel zu verdanken, zu aller erst seinen Namen. Der Name „Europa“ taucht zum ersten Mal beim Epiker Hesiod um 700 v. Chr. auf, als Tochter des Okeanos. Okeanos, der Gott des Meeres, hat noch zwei weitere Töchter, Asia und Libye. Bereits hier wird der Begriff Europa als Unterscheidung zu Asien und Lybien, also Afrika, verwendet (Tielker 1998, S. 15).
Bekannter ist der Mythos vom Raub der Europa, der 500 v. Chr. von Heredot berichtet wird. Hier entführt Zeus in Gestalt eines Stieres die Königstochter und bringt sie von Asien nach Kreta, wo Aphrodite der Europa sagt: „Unsterblich wird dein Name werden; denn der fremde Weltteil, der dich aufgenommen hat, heißt nach dir: Europa!“ (Tielker, S. 15; Schwab 1974, S. 37).
In einer anderen Version dieses Mythos wird Europa von Kretanischen Händlern in einem stierförmigen Schiff aus Asien entführt um mit ihrem König verheiratet zu werden. Als eine Art Revanche könnte man die „Entführung der Helen“ von Griechenlang ins asiatische Troja ansehen, die den Trojanischen Krieg auslöste. Welchen Wahrheitsgehalt diese Mythen auch haben, so spiegelt sich doch die Animositäten wieder, die noch heute zwischen Griechen und Türken existieren (Pagden; S.33-34). Und es wird deutlich, dass Europa entstanden ist in der Abgrenzung zu Asien. Dabei war die Grenze zwischen Asien und Europa das Agäische Meer und der Bosporus (Pocock 2002, S. 56). Diese Grenze wurde bereits von Heredot gezogen und als natürlich angesehen (Tielker 1998, S. 21).
So einig wie sich die Griechen über die Grenze zwischen Europa und Asien waren, gingen die Vorstellungen von den Ausmaßen Europas stark auseinander. Aristoteles schreibt von der Donau, die von einem Gebirge im Keltenland, den Pyrenäen, durch ganz Europa zum Schwarzen Meer fließt. Während Aristoteles bereits die Gebiete bis zur Atlantikküste zu Europa zählt, bedeutet Europa bei Homer um 250. v. Chr. nur Mittelgriechenland, den östlichen Teil der Balkanhalbinsel, Makedonien und Thrakien. Strabon (etwa 64. v. Chr. bis 19. n. Chr.) wiederum zählt Iberien, Gallien, Britannien, der Alpenregion, Italien, Germanien, dem Schwarzmeerraum und die Balkanhalbinsel zu Europa. Es fällt auf, dass dieses geographische Verständnis Europas dem heutigen schon sehr Nahe kommt (Tielker 1998, S. 21-23).
Vergleicht man Griechenland mit Europa, so fallen auch ähnliche föderative Entwicklungen auf. Was in Europa die Nationalstaaten sind, waren in Griechenland die Städte. Eine griechische Schiedsgerichtsbarkeit, Garantie der persönlichen Sicherheit und Unverletzlichkeit des Eigentums und Versicherung von Rechtsgleichheit und Steuergleichheit erinnern an die heutige Europäische Union. Darüber hinaus gab es eine große Anzahl von Bündnisse, in denen sich mehrere Städte zusammenschlossen. Auch wenn die meisten militärischer Natur waren, so gab es auch vereinzelt Bündnisse, deren Mitglieder einen Teil ihrer Souveränität an ein übergeordnetes Gremium abtraten. Dieser griechische Einigungsprozess entwickelte sich allerdings zu schleppend, als dass die Griechen der römischen Gefahr gemeinsam entgegengetreten wären. Auch das lässt sich auf die heutige Zeit in Hinblick auf eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU gegenüber Gefahren wie dem Terrorismus übertragen (Tielker 1998, S. 37 f.).
Die Philosophen des antiken Griechenlands, allen voran Aritstoteles, beeinflussten durch ihr geistiges Schaffen nicht nur den politischen Sprachgebrauch, sondern legten auch den Grundstein für alle anderen politischen Theorien und damit der demokratischen Entwicklung und Tradition in Europa. Der Ursprung der Demokratie, und damit auch der Ursprung eines demokratischen Europas, liegt in der polis, in der der Mensch aufhörte, einfach nur Mensch zu sein, sondern sich als zoon politikon zu begreifen, als politischen Wesen (Pagden 2002b, S 43 ff.).
The “state“ – The Greek polis and the Roman civitas – determined the shape of all future political associations in what has come to be called “Europe.” (Anthony Pagden 2002a, S. 8, Hervorhebungen im Original)
Immensen Einfluss auf die europäische Entwicklung hatte auch Homer, selbst wenn viele Europäer nicht mal seinen Namen kennen. Durch seine beiden großen Epen, Ilias und Odyssee, hat er nicht nur das Selbstverständnis, die Götterwelt und die Erziehung der Griechen entscheidend geprägt, sondern auch als erster dichterisch das beschrieben, was Europa ausmacht: seine Menschen, Landschaften und Atmosphäre. Noch heute ist die Art und Weise, wie die Menschen in Europa die Welt sehen, durch Homer bestimmt (Tielker 1998, S.29 f.). Das sah auch Friedrich Schiller so:
„Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.“
(Schiller, Der Spaziergang)
Alexander der Große (Herrschaft von 336 bis 323 v. Chr.) eroberte schließlich große Teile Asiens und errichtete ein Weltreich, das bis nach Indien reichte. Er wollte die Differenzen zwischen Europa und Asien überwinden und die hellenische und asiatische Kultur vereinen. Auch wenn sein Reich nur bis zu seinem frühen Tode Bestand hatte, „so war doch mit Alexander die Idee des Weltreiches und des Universalismus nun auf europäischen Boden und in europäischen Gelehrtenköpfen geboren“ (Tielker 1998, S. 36.).
Das Europa des Antiken Roms
Was Alexander dem Großen nur kurzfristig gelang, erreichten schließlich die Römer. Sie erschafften ein Reich, das nicht nur den größten Teil der damals bekannten Welt umfasste, sondern darüber hinaus über Jahrhunderte Bestand hatte. Es war das erste europäische Reich, auch wenn Teile Nordafrikas und Asiens dazugehörten. Zum ersten Mal war der größte Teil Europas vereinigt. Der immense Einfluss des römischen Reichs für Europa erklärt sich dadurch, dass die römische Kultur durch die Expansion des Reiches in ganz Europa ihre Spuren hinterlassen hat. Darüber hinaus entwickelte sich ein europäisches Bewusstsein, das weit über die Grenzen Griechenlands oder Italiens hinausragte. So erwähnte Manilius, als der die Vorzüge Europas beschrieb, nicht nur Rom, Athen oder Sparta, sondern auch Germanien, Gallien, Spanien und viele andere Gebiete. Afrika und Asien dagegen wertete er ab, worin sich wieder Europas Bedeutung als Abgrenzung von Afrika und besonders Asien spiegelt. Diese frühe Entwicklung eines europäischen Bewusstseins wurde jedoch durch die Entwicklung eines anderen Bewusstseins aufgehalten: das imperiale Bewusstsein (Tielker 1998, S. 45 f.).
Die der polis entsprechende civitas wandelte sich Stück für Stück in ein imperium um, mit einem glorreichen Rom als Dreh- und Angelpunkt. Bürger Roms zu werden galt weit verbreitet als die größte Ehre, so dass ein Zugehörigkeitsgefühl zu Europa in den Hintergrund rückte. Der an der Spitze des imperiums stehende Imperator, der Ceasar, besaß als das personifizierte Rom eine solche Macht wie niemand vor ihm. Die Faszination für das römische Imperium führte dazu, dass sich nach dem Untergang desselben andere Herrscher noch jahrtausende später darauf bezogen. Der Titel Kaiser stammt vom ersten Imperator Roms ab, Ceasar. Das Oberhaupt der katholischen Kirche hat seinen Sitz nicht nur in Rom, sondern sein Name pontifex religionis stammt zudem von dem Kaisertitel pontifex maximus. Karl der Große sah in seiner Kaiserkrönung eine Renovatio Romani imperii und sich selbst in der Nachfolge der römischen Kaiser. Das heilige römische Reich deutscher Nation stellte seinen Nachfolgeanspruch bereits im Namen fest. Und auch Napoleon nahm deutlichen Bezug auf die römischen Imperatoren, angefangen bei der Krönungs-Hymne über die kaiserliche Anrede „Vivat in aeternum semper Augustus“ bis hin zum Herrschaftssymbol.
Hitlers Partei-Inszenierungen schließlich erinnerten sehr stark an die prunkvollen Aufmärsche der römischen Legionen. Und das die Verträge für die EG sowie die Europäische Verfassung in Rom unterzeichnet wurden, scheint vor diesem Hintergrund mehr als nur ein Zufall zu sein. Es scheint beinah so, als ob jeder, der einen Herrschaftsanspruch über Europa erheben will, sich automatisch auf das römische Erbe beziehen muss (Tielker 1998, S. 44 ff.; Buck 1992, S. 45 ff.).
Aber nicht nur die imperiale Herrschaft macht das Erbe Roms und seine Bedeutung für Europa aus. Auch die Literatur, die Philosophie und das Bildungswesen waren in den vergangenen Jahrtausenden immer entscheidend durch römische Vorbilder geprägt. Viele für uns heutige selbstverständliche Erkenntnisse über Grammatik, Rhetorik oder Ethik verdanken wir römischen Denkern, allen voran Cicerco. Cicero hat den Begriff „studia humanatis“ geprägt, an dem sich nicht nur über Jahrhunderte lang die Bildung orientierte, sondern auf dem auch der Humanismus basiert. Der Einfluss der römischen Kultur auf die philosophische Nachwelt lässt sich schon daran erkennen, dass sich allein in den Werken Dantes fast 600 Zitate und Bezüge auf römische Autoren finden lassen (Buck 1992, S. 51 ff.).
Durch den Aufstieg Roms trat auch Latein als universelle Sprache einen Siegeszug an. Aber die große Bedeutung Lateins erklärt sich aber nicht nur durch seinen Einfluss auf die heutigen, romanischen Sprachen. Latein wurde, nachdem es als Volkssprache ausgedient hatte, zu europäischen Bildungssprache. Alle wichtigen Schriften, allen voran das entscheidende „cogito ergo sum“, wurden auf Latein verfasst. Wer etwas lernen wollte, musste zunächst Latein lernen. Bis Luthers Übersetzung gab es den Bibeltext nur auf Latein. Und noch bis vor wenigen Jahrzehnten wurden die Gottesdienste der katholischen Kirche auf Latein gehalten. Selbst heute, wo Latein als tote Sprache gilt, wird sie immer noch an Schulen und Universitäten gelehrt. Lateinische Sprüche wie „in vino veritas“ oder „veni vedi vici“ kennt beinahe jedes Kind, auch wenn es nicht Asterix liest (Buck 1992, S. 49 ff.).
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