Rezension zu Gadi Algazis Aufsatz: Sie würden hinten nach so gail. Vom sozialen Gebrauch der Fehde im 15. Jh.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung

2. „Sie würden hinten nach so gail.“

3. Fazit

4. Anhang

5. Literaturverzeichnis

6. Bildnachweis

1. Einleitung

Diese Arbeit entstand auf der Grundlage des Hauptseminars „Verwandtschaft – Zur Geschichte einer Denkform sozialer Ordnung in der Vormoderne“. Innerhalb des Seminars wurde herausgearbeitet, daß das Element Verwandtschaft in der mittelalterlichen Geschichte eine exogame Vernetzung innerhalb einer Klasse darstellt. Quellentechnisch ist dies jedoch fast ausschließlich nur für aristokratische Familien nachvollziehbar.

Die Frage ist nun, läßt sich dieses Element einer exogamen Vernetzung innerhalb einer Klasse (Aristokratie) auch im mittelalterlichen Fehdewesen wiederfinden? Hierbei wird nur eingeschränkt der Frage nach den Funktionsmechanismen des Fehdewesens nachgegangen. Im Vordergrund der Betrachtungen steht die Frage:

Steckt hinter dem Fehdewesen des Mittelalters eine Systematik?

Und wenn eine Systematik vorhanden ist, welche Funktion erfüllte sie?

Dieses Problem thematisiert Gadi Algazi in seinem Aufsatz „Sie würden hinten nach so gail – Vom sozialen Gebrauch der Fehde im späten Mittelalter“[1]. Wie schon am Titel des Aufsatzes zu bemerken, widmet sich Algazi dem speziellen Zeitraum des ausgehenden / späten Mittelalters. Einer Zeit also, die von sozialen Umbrüchen, wie Neuerungen geprägt ist. Dieser Beleg stellt den Versuch einer Rezension des Aufsatzes von Gadi Algazi dar.

Krieg ist von allem der Vater, von allem der König, denn die einen hat er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien gemacht.

Heraklit

2. „Sie würden hinten nach so gail“

Unter diesem Titel bietet uns Gadi Algazi eine Untersuchung zum sozialen Gebrauch der Fehde im Deutschland des späten Mittelalters an. Diese Arbeit stellt „eine wesentlich erweiterte und überarbeitete Fassung“ seines englischsprachigen Aufsatzes dar.[2] Seine Untersuchung gliedert sich in fünf Teile.

Kapitel I bietet eine Einleitung, in der er es auf phänomenaler Ebene zu zeigen für möglich hält, daß die Qualität der Beziehungen der Adligen untereinander, natürlich immer unter dem Blickwinkel kriegerischer Auseinandersetzungen[3] von anderer Natur war, als die zu Bauern bzw. Bürgern oder kurz zu nichtstandesgemäßen Personen.

Bei der Entwicklung seines Ansatzes lehnt er sich stark an die Untersuchung von Maurice Keen[4], die sich zwar mit öffentlichen Kriegen beschäftigt, doch seiner Ansicht nach hinsichtlich der Kriegspraxis viele Parallelen zum Fehdewesen aufweist. Keen unterstreicht, daß „die Regeln zur Schonung von Zivilpersonen kaum befolgt wurden, während Krieger mit ihresgleichen anders umgingen, um im Falle einer Gefangennahme selbst fair behandelt zu werden“[5]. Als zentrales Element dieses Mechanismus sieht Keen die „Ehre“, die als Regulator für den Gewalteinsatz dient.

Algazi versucht nun Keens Modell auf seinen speziellen Fall des Fehdewesens im deutschen Spätmittelalter zu projizieren. Betrachtet man vordergründig das Gemeinsame an der Praxis der Kriegführung, so schlußfolgert er, könne Gewalteinsatz „grob zur sozialen Stellung in Beziehung gesetzt werden“[6].

Folglich müsse man „vor allem nach den Spielarten der ständischen Ehre“[7] schauen, um den Mechanismus des deutschen Fehdewesens zu verstehen. Annahme hierbei ist, daß die „Standeszugehörigkeit für die Art von Gewalt, die jemandem zugefügt wurde, entscheidend gewesen ist. Auf diese Weise wurden die Grundmuster gesellschaftlicher Klassifizierung spürbar.“[8]

In Kapitel II seiner Ausführungen geht Algazi auf die geschichtswissenschaftliche Debatte über das Fehdewesen ein, um seine Herangehensweise an das Thema zu vergegenwärtigen. Zu Beginn greift er Otto Brunners Werk[9] auf, dem die Fehde als Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Betrachtungen in Deutschland ihre prominente Rolle verdankt. Sahen positivistische Rechtshistoriker in der Fehde einen regelwidrigen und unrechtmäßigen Gewaltausbruch, so sucht O. Brunner diese Ansicht zu widerlegen. Sein einflussreiches Buch stellt die Fehde als ein grundlegendes, legales Element der spätmittelalterlichen „Verfassung“[10] dar.

Algazi stellt fest, wenn die Fehden adliger Herren jedoch nicht illegitim waren, so konnten sie „nicht nur von modernen Betrachtern, sondern auch von ihren mittel-alterlichen Opfern in Frage gestellt werden.“[11]

Hauptproblem der Darstellung von Otto Brunner sei sein Bild des mittelalterlichen Recht, als „das eines undifferenzierten, gleichmäßig verbreiteten von allen geteilten Rechtsbewußtseins.“[12] Aus der Allgegenwärtigkeit von Rechtsargumenten im spätmittelalterlichen Diskurs schlußfolgert Algazi im Gegensatz zu Brunner, daß „die allgemeine Zugänglichkeit des rechtlichen Idioms und die Zerstreuung legaler Autorität,..., ‚ das Recht’ zu einem bequemen Ausdrucksmittel rivalisierender Sichtweisen der Gesellschaft machten, und dadurch zugleich seine Geltungskraft aushöhlten.“[13] Otto Brunners Darstellungen haben der Fehde als Institution einen gewichtigen Platz in der ‚mittelalterlichen Verfassung’[14] eingeräumt, während ihre Praxis keinen Eingang in die Rekonstruktion der sozialen Formation gefunden hätte.

Als eine andere Art der Annäherung an das Fehdewesen verweist Algazi auf die Diskussion um die ökonomischen Strategien adliger Geschlechter im deutschen Spätmittelalter. Die Fehde als Sicherung der adligen Lebensgrundlage findet zum Großteil nur im Kontext des sogenannten ‚Raubrittertums’[15] ihre Erörterung, „doch haben einige Historiker das Augenmerk auf ihre allgemeine Bedeutung als komple-mentäre Aneignungsweise im Rahmen der seigneuralen Ökonomie gerichtet.“[16]

Algazi schlußfolgert: Versucht man eine umfassende Sicht auf die Fehde als soziale Praxis zu gewinnen, erweisen sich sowohl rein juristische, wie auch rein ökono-mische Betrachtungsweisen als unzureichend.[17]

Im folgenden greift er nun, die von ihm bereits in seinem Buch „Herrengewalt und Gewalt der Herren“[18] entwickelte Theorie von der Rolle adliger Gewalt im deutschen Spätmittelalter wieder auf. Da adlige Gewalt nicht die Form eines koordinierten Krieges der Herrenschicht gegen die Bauern annehme, sondern als unbeabsichtigte Folgeerscheinung der Konflikte zwischen den Herren entstehe, könne sie jeweils sowohl als „äußere Gefahr“, wie auch als „Schutz“ erscheinen, und damit zur Reproduktion adliger Herrschaft über Bauern beitragen.[19] Lege man dieses Modell zu Grunde, ließen sich die eruierten Handlungsabläufe einer Fehde „nicht nur allgemein auf die Grundeinteilungen der Gesellschaft, sondern auch auf die vermutete soziale Funktion der Fehdepraxis beziehen.“[20]

In diesem Aufsatz strebt Algazi danach, mittels ausgewählter Beispieltexte „private Kriege aus der Innensicht, zumeist aus dem 15. Jh. zu untersuchen.“[21] Diese Texte würden neben der wirtschaftlichen Dimension adliger Gewalt gleichzeitig eine soziale Erklärung offerieren, denn es wird ein Bezug von Gewaltsamkeiten auf das gesell-schaftliche Beziehungssystem hergestellt. Nach Algazi bieten die ausgewählten Texte erkennbare spätmittelalterliche Sichtweisen auf die damalige Kriegspraxis. Dies macht sie für das Hinterfragen einer rekonstruierbaren sozialen Logik des Krieges interessant.

[...]


[1] In: Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke: Physische Gewalt. Frankfurt / M. 1995, S. 39 - 77

[2] in: Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte 22 (1993), S. 253-273 ; siehe auch Anm. 1, Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke: Physische Gewalt. Frankfurt / M. 1995, S. 39

[3] hier im speziellen Fall der Fehde

[4] Keen, Maurice H.: The Law of war in the late Middle Ages, London 1965

[5] Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke: Physische Gewalt. Frankfurt / M. 1995, S. 45 ; siehe auch Anmerk. 28

[6] ebd. S. 45 u.

[7] ebd. S. 45 u.

[8] ebd. S. 46; verwiesen sei hier auf den Internetartikel von Th. Maissen: Worum ging es im Schwa- benkrieg?, der ausführt, daß die schweizer Eidgenossen, dieses Muster ebenso anwendeten à http://www.phil.uni-freiburg.de/SFB541/B5/schwabenkrieg/maissen.html

[9] Otto Brunner: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter. Wien 1939

[10] Algazi verweist auf das Problem, daß sich mit dieser Begriffswahl verbindet, allerdings vergegen- wärtigt der Begriff auch deutlich, worin ein vermutlicher Denkfehler Brunners besteht.

[11] Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke: Physische Gewalt. Frankfurt / M. 1995, S. 48

[12] ebd. S. 50

[13] ebd. S. 50

[14] Algazi verweist darauf, daß keine Klasse, noch professionelle Gruppe mit der expliziten Autorität ausgestattet war, zu definieren was Recht war.

[15] vgl. hierzu besonders à Görner, Regina: Raubritter. Untersuchungen zur Lage des spätmittel- alterlichen Niederadels, besonders im südlichen Westfalen. Münster 1987

[16] Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke: Physische Gewalt. Frankfurt / M. 1995, S. 51

[17] beachte Anm. 41, ebd. S.51

[18] Algazi, Gadi: Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Frankfurt a. M./New York 1996

[19] Algazi, Gadi: Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Frankfurt a. M./New York 1996, S. 147

[20] Thomas Lindenberger / Alf Lüdtke: Physische Gewalt. Frankfurt / M. 1995, S. 51

[21] ebd., S. 52

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Rezension zu Gadi Algazis Aufsatz: Sie würden hinten nach so gail. Vom sozialen Gebrauch der Fehde im 15. Jh.
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Mittelalterliche Geschichte)
Veranstaltung
Verwandtschaft - Zur Geschichte einer Denkform sozialer Ordnung in der Vormoderne
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
23
Katalognummer
V6333
ISBN (eBook)
9783638139274
Dateigröße
730 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fehdewesen
Arbeit zitieren
Roman Derneff (Autor:in), 2001, Rezension zu Gadi Algazis Aufsatz: Sie würden hinten nach so gail. Vom sozialen Gebrauch der Fehde im 15. Jh., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6333

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