Die Geschichte der Großstadt als Sujet der Literatur umfasst einen langen Weg von den Anfängen unserer christlichen Zeitrechnung bis zum heutigen Tag. Sieht Horaz die Stadt anfangs wegen ihrer allgegenwärtigen Hektik und Eile als schreienden Gegensatz zu jeglicher Möglichkeit der schriftstellerischen Betätigung und denkt nicht einmal daran, diese als möglichen Gegenstand literarischer Auseinandersetzung überhaupt in Betracht zu ziehen, so bildet sich die Großstadt im weiteren Verlauf der menschlichen Historie zu einem der großen Gegenstände der Literatur heraus.
Diese Entwicklung wird zu Beginn der Moderne durch das glückliche Aufeinander-treffen zweier Umstände entscheidend begünstigt: Die Literatur löst sich von ihren traditionellen Aufgaben der Erbauung und Unterhaltung und beginnt mit der Entwicklung eines eigenen künstlerischen Selbstbewusstseins, und es entsteht ihr mit der Herausbildung der modernen Großstädte ein Gegenstand, auf welchen sie dieses richten kann.
Die Arten der Darstellungsformen der Großstadt, derer sich die Literatur dabei bedient hat, sind dabei vielfältig und reichen von Panoramen als Gesamtschauen der Städte über Sittenbilder als moralische Tableaus, pittoresken Darstellungen, perspektivischen Auf-nahmen bestimmter Aspekte bis hin zu den skizzenhaften, filmischen Blicken voller Collagen und Montagen.
In dieser Hausarbeit soll nun, nach einer kurzen Vorstellung des Romans selbst, ein Blick auf die Darstellung der Großstadt Berlin geworfen werden, wie sie uns Erich Kästner präsentiert und wie sie seinem Protagonisten Jakob Fabian erscheint, bevor in einer, diese Arbeit abschließende, Betrachtung eine Untersuchung erfolgt, in wie weit der Roman Fabian ein Großstadtroman ist.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Roman
3 Großstadtdarstellung im Fabian
4 Fabian - ein Großstadtroman?
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Geschichte der Großstadt als Sujet der Literatur umfasst einen langen Weg von den Anfängen unserer christlichen Zeitrechnung bis zum heutigen Tag. Sieht Horaz die Stadt anfangs wegen ihrer allgegenwärtigen Hektik und Eile als schreienden Gegensatz zu jeglicher Möglichkeit der schriftstellerischen Betätigung und denkt nicht einmal daran, diese als möglichen Gegenstand literarischer Auseinandersetzung überhaupt in Betracht zu ziehen, so bildet sich die Großstadt im weiteren Verlauf der menschlichen Historie zu einem der großen Gegenstände der Literatur heraus.1
Diese Entwicklung wird zu Beginn der Moderne durch das glückliche Aufeinandertreffen zweier Umstände entscheidend begünstigt: Die Literatur löst sich von ihren traditionellen Aufgaben der Erbauung und Unterhaltung und beginnt mit der Entwicklung eines eigenen künstlerischen Selbstbewusstseins, und es entsteht ihr mit der Herausbildung der modernen Großstädte ein Gegenstand, auf welchen sie dieses richten kann.2
Die Arten der Darstellungsformen der Großstadt, derer sich die Literatur dabei bedient hat, sind dabei vielfältig und reichen von Panoramen als Gesamtschauen der Städte über Sittenbilder als moralische Tableaus, pittoresken Darstellungen, perspektivischen Auf- nahmen bestimmter Aspekte bis hin zu den skizzenhaften, filmischen Blicken voller Collagen und Montagen.
In dieser Hausarbeit soll nun, nach einer kurzen Vorstellung des Romans selbst, ein Blick auf die Darstellung der Großstadt Berlin geworfen werden, wie sie uns Erich Kästner präsentiert und wie sie seinem Protagonisten Jakob Fabian erscheint, bevor in einer, diese Arbeit abschließende, Betrachtung eine Untersuchung erfolgt, in wie weit der Roman Fabian ein Großstadtroman ist.
2 Der Roman
Erich Kästner erzählt in seinem Roman Fabian die Geschichte des 32-jährigen Germa- nisten Jakob Fabian, welcher in Berlin zu Beginn der 30er Jahre des vergangenen Jahr- hunderts zunächst als Reklamefachmann für einen Zigarettenhersteller tätig ist. In seiner
Freizeit zieht er durch (vor allem das nächtliche) Berlin, seine diversen Klubs, Kabaretts und andere Etablissements, beobachtet und studiert dabei die Menschen, pflegt die Ge- spräche mit seinem Freund Stephan Labude und gibt dem Leser so einen Überblick über Leben und Zustände in den verschiedenen Milieus dieser Stadt. Dabei lernt er seinen Freundin, Cornelia Battenberg kennen, die ihn jedoch, kurz nachdem er seine Anstellung verloren hat, für ihre Karriere als Schauspielerin wieder verlässt. Als sich auch noch Labude das Leben nimmt, kehrt Fabian zurück in seinen Heimatort, wo er kurz darauf beim Versuch, einen in den Fluss gefallenen Jungen zu retten, ertrinkt - er konnte selbst nicht schwimmen.
Der Roman gibt dabei in der sehr kurzen erzählten Zeit von 10 Tagen nur einen Ausschnitt aus dem Leben des Protagonisten wieder. Dabei bedient sich Kästner eines heterodiegetischen personalen Er-Erzählers mit fester interner Fokalisation, alle Eindrücke, alles Erlebte wird so wiedergegeben, wie es Fabian erfährt, alles wird aus seiner Sichtweise heraus betrachtet und dem Leser zugänglich gemacht.
3 Großstadtdarstellung im Fabian
Schon zu Beginn des ersten Kapitels gibt Kästner in Form der Schlagzeilen der Abend- blätter dem Leser einen Ausblick, welchen Informationsmengen der in der Großstadt lebende Mensch tagtäglich ausgesetzt ist: „Englisches Luftschiff explodiert über Beau- vais, Strychnin lagert neben Linsen, Neunjähriges Mädchen aus dem Fenster gesprun- gen, [...] Das tägliche Pensum. Nichts Besonderes“3. Zwar muss sich diese Informations- flut nicht zwangsläufig auf die Einwohner der Großstadt beschränken, zumal gerade die der Presse gewidmeten Teile des Romans eher als kritische Betrachtung des Journalis- mus als der Darstellung des Großstadtlebens angesehen werden4, doch kann man ange- sichts des Umstandes, dass gerade in den zwanziger Jahren die Zeitungen in Berlin, wo zu dieser Zeit die weltweit schnellsten Rotationspressen standen, ihre große Ära hatten, hier teilweise in vier täglichen Ausgaben erschienen und „nur in der Großstadt zur Ver- fügung [standen]“5, davon ausgehen, dass insbesondere die Bewohner der Großstadt dieser Art des massierten Einflusses von Sinnesreizen ausgesetzt waren.
Gleichzeitig werden durch die Einschätzung Fabians „Das tägliche Pensum. Nichts Be- sonderes“ (F 11) die Bedeutungsunterschiede zwischen wichtigen und unwichtigen Nachrichten beseitigt, alles wird auf ein Niveau gebracht, die Inhalte werden ad absur- dum geführt6, was gleichzeitig den Schutzmechanismus des menschlichen Wesens ge- gen die tägliche Fülle an Informationen und Reizen symbolisiert. Das Außergewöhnli- che wird dem Belanglosen gleich gesetzt und mit Gleichgültigkeit nur noch oberfläch- lich wahrgenommen. Der großstädtische Mensch ist der Masse der Sinneseinflüsse nicht mehr gewachsen und schützt sich durch eine Blasiertheit, die ihn die Unterschiede der Informationen zwar wahrnehmen, die Bedeutung und den Wert der Unterschiede jedoch als nichtig empfinden lässt.7
Kennzeichnend für den Roman ist das „von Anfang an [...] durch die aneinander gereih- ten Schlagzeilen vorgegebene [...] schnelle [...] Erzähltempo“8. Dieses zieht sich durch den gesamten Handlungsverlauf und findet weitere Unterstützung durch die Überschrif- ten zu Beginn eines jeden Kapitels, welche den Inhalt des jeweiligen Abschnitts in Form von Schlagzeilen über Zeitungsartikeln im Stile der Boulevardpresse wiedergeben, dabei jedoch so vage und uneindeutig bleiben, dass der Leser im Grunde nichts daraus ent- nehmen kann. Dieses hohe Erzähltempo lässt den Leser teilnehmen an der Hektik des großstädtischen Geschehens und Lebens. Alles geschieht mit Eile, alles muss schnell erledigt werden, als ob es irgendetwas Wichtiges zu versäumen gäbe, so wie Kästner es den Justizrat Labude in Bezug auf die begrenzte Lebenszeit treffend formulieren lässt: „Alle Hände voll zu tun. Tag und Nacht.“ (F 83). Diese Geschwindigkeit des Lebens wird an einigen Stellen von Kästner direkt ausgedrückt: „Er zündete sich eilig eine Ziga- rette an“ (F 11), „Er folgte drei hastig marschierenden Arbeitern“ (F 12), „In zehn Minu- ten war Büroschluss. Die Angestellten hatten es eilig.“ (F 142), zumal sie dem eigentlichen „Müßiggänger“9 Fabian nicht entspricht und ihn in Situationen in Erstaunen versetzt: „Mein Gott, ein Tempo haben Sie am Leibe!“ (F 19).
Von Beginn an vermittelt Kästners Roman ein negatives, abstoßendes Bild der Groß- stadt und allem, was in ihr ist: „Er [...] geriet, über Holzbohlen stolpernd, an Bauzäunen und grauen Stundenhotels entlang, zum Bahnhof Jannowitzbrücke.“ (F 12). Dinge, wel- che eigentlich eine positive Assoziation hervorrufen, wie z.B. Licht, entfalten hier eine negative Wirkung: „Die Häuserfronten waren mit buntem Licht beschmiert.“ (F 12). Die Stadt stellt für den Menschen eine allgegenwärtige Bedrohung dar: „Da stieß jemand heftig gegen Fabians Stiefelabsatz. Er drehte sich missbilligend um. Es war die Straßen- bahn gewesen.“ (F 13). Sie zwingt ihn zu ständiger Vorsicht und höchster Aufmerksam- keit, um nicht unter die Räder zu kommen. Wer der Stadt den Rücken zukehrt, gerät in Gefahr, von ihr überrollt zu werden. Die Stadt wird als „verrückt gewordene[r] Stein- baukasten“ (F 46) bezeichnet, als Ort voller Gestank: „Sie gingen an der Markthalle vorbei, durch tausend scheußliche Gerüche hindurch“ (F 51), der nur hinsichtlich der Bausubstanz noch ein Ort ist, an dem Menschen leben können: „Soweit diese Stadt aus Stein besteht, ist sie fast noch wie einst. Hinsichtlich der Bewohner gleicht sie längst einem Irrenhaus. Im Osten residiert das Verbrechen, im Zentrum die Gaunerei, im Nor- den das Elend, im Westen die Unzucht und in allen Himmelsrichtungen wohnt der Un- tergang“ (F 99). Diese Beschreibung liefert die zentrale Aussage über die wahren Zu- stände in der Großstadt. Egal wohin die Menschen sich wenden, egal wohin sie gehen oder fliehen, überall erwartet sie der Wahnsinn in Form von Kriminalität, moralischem Verfall und Armut, den sie jedoch selber erzeugt haben, alle ihre Wege führen letztlich in die Sinnlosigkeit10, es gibt kein Entrinnen, keine Fluchtpunkte, kein rettendes Ufer. „Und was kommt nach dem Untergang?“ (F: 99) lässt Kästner Cornelia Battenberg fra- gen und Fabian antworten: „Ich fürchte, die Dummheit“ (F: 99), die Menschen werden aus dem Verderben nichts lernen sondern in gleicher Weise weitermachen, und als Schutz des denkenden Individuums vor diesen Irren empfiehlt uns der Autor als „Ar- beitshypothese [...], die sich bewährt hat [...] [:] Man halte hier jeden Menschen, mit Ausnahme der Kinder und Greise, bevor nicht das Gegenteil unwiderleglich bewiesen ist, für verrückt“ (F 100).
Also alle diejenigen, welche im Getümmel mitmarschieren müssen und zum Mitspielen gezwungen sind. Eine Ausnahme bilden nur diejenigen, die sich nicht in der täglichen Hektik, im täglichen Kampf ums Leben und Überleben aufreiben müssen, sondern entweder aufgrund der Unschuldigkeit der Kindheit oder der Weisheit des Alters als neutrale Beobachter über dem Wahnsinn der Großstadt stehen.
In einer solchen Beobachterrolle: „Ich sehe zu, ist das nichts“ (F 54) sieht sich auch Fa- bian, der neugierig die Stadt durchstreift, immer auf der Suche dem noch nicht Erlebten und Erfahrenen: „Ich erfuhr die Adresse und bin sehr neugierig“ (F 18), dabei aber jeder Neigung oder politischen Richtung kritisch gegenübersteht und sich mit nichts identifi- ziert. Im fehlt gänzlich jegliches Lebensziel, weil er einerseits für sich selber sehr ge- nügsam ist: „Wozu soll ich Geld verdienen? Was soll ich mit dem Geld anfangen? Um satt zu werden, muss man nicht vorwärts kommen. (F 53) und zum anderen nicht glaubt, dass sein Beitrag irgendetwas an den gesellschaftlichen Zuständen ändern könnte: „Wem ist zu helfen? [...] Ich weiß ein Ziel, aber es ist leider keines. Ich möchte helfen, die Menschen anständig und vernünftig zu machen. Vorläufig bin ich damit beschäftigt, sie auf ihre diesbezügliche Eignung hin anzuschauen.“ (F 54). Diese Beobachterrolle ermöglicht es ihm sich in eine Metaebene zu begeben und einen kritischen Blick auf sich selbst zu werfen: „Fabian hatte mit einem Male die Vorstellung, er fliege dort oben im Aeroplan und sehe auf sich hinunter, auf den jungen Mann im Gewimmel der Menge, im Lichtkreis der Laternen und Schaufenster, im Straßengewirr der fiebrig entzündeten Nacht. Wie klein der Mann war. Und mit dem war er identisch!“ (F 13), wobei im klar wird, wie ohnmächtig und unbedeutend das einzelne Individuum Gewirre der großen Stadt ist, was wiederum einen wichtigen Aspekt des großstädtischen Lebens ausmacht. Umgeben von Millionen Menschen, Eindrücken und Abwechslungen nimmt die Ein- samkeit der einzelnen Individuen immer mehr zu. Aufgrund der unzähligen Massen an Einwohnern steigt die Anonymität des Einzelnen und dessen Unfähigkeit, an der Flut der Ereignisse und dem Laufe der Geschichte irgendetwas zu ändern. Der Mensch ist nur ein kleines Zahnrädchen im unendlich komplexen Räderwerk der Großstadt, der Einzelne ist für den Fortschritt des Geschehens gänzlich unbedeutend und nichtig.
[...]
1 Vgl. Angelika Corbineau-Hoffmann: Kleine Literaturgeschichte der Großstadt. Darmstadt. 2003, S. 7.
2 Vgl. Corbineau-Hoffmann (2003), S. 7.
3 Zitiert wird mit der Sigle F nach der Ausgabe Erich Kästner: Fabian. Die Geschichte eines Moralisten. München 131998. Hier S. 11.
4 Vgl. Erhard Schütz: Romane der Weimarer Republik. München. 1986. S. 151 - 152.
5 Ladenthin, Volker: Die große Stadt bei Erich Kästner. In: Euphorion 90 (1996) Heft 3, S. 320.
6 Vgl. Jürgs, Britta: Neusachliche Zeitungsmacher, Frauen und alte Sentimentalitäten. In: Neue Sachlichkeit im Roman. Neue Interpretationen zum Roman der Weimarer Republik. Hg. v. Sabina Becker und Christopher Weiß. Stuttgart; Weimar. 1995. S. 197.
7 Vgl. Corbineau-Hoffmann (2003), S. 11. Und: Becker, Sabina: Urbanität und Moderne. Studien zur Großstadtwahrnehmung in der deutschen Literatur 1900 - 1930. St. Ingbert. 1993. S. 43.
8 Jürgs, Britta (1997), S. 197.
9 Ladenthin, Volker (1996), S. 320.
10 Vgl. Ladenthin, Volker (1996), S. 319.
- Arbeit zitieren
- Thomas Werner (Autor:in), 2006, Die Darstellung der Großstadt in Erich Kästners Roman "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63522
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.