Biographische und psychobiographische Elemente in Kafkas 'Urteil'


Seminararbeit, 2005

16 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Zur Person Franz Kafka

3. Unterbewusste psychobiographische Elemente im Urteil

4. Projektion Kafkas persönlicher Konfliktstrukturen im „Urteil“

5. Resümee

6. Literaturangaben

1. Einleitung

Im Jahre 1969 hielt Michel Foucault am Collège de France den Vortrag „Was ist ein Autor?“, in dem die Rolle des Autors in der modernen Literatur diskutiert wurde. In diesem Vortrag wertete Foucault die Frage nach der individuellen Persönlichkeit des Autors als unerheblich. Die Annahme, diese individuelle Persönlichkeit des Autors würde sich in seinen Werken ausdrücken, stellte Foucault erheblich in Frage und bemerkte, dass man in der Gleichgültigkeit gegenüber dem schreibenden Subjekt „eines der ethischen Grundprinzipien heutigen Schreibens erkennen“ müsse. Ist diese Maxime folglich allgemein und für alle Autoren gültig? Kann man wirklich jeden Autor so sehr von seinem Werk abgrenzen und die Einflüsse seiner Persönlichkeit und damit auch seinem Leben und seiner persönlichen Konflikte, Traumata oder dergleichen ausschließen? Ist er nur ein Werkzeug, welches Mittel zum Zweck der Literatur ist? Ist all dies auch auf Franz Kafka und seine Werke übertragbar?

Die letzte Frage soll im Folgenden zu beantworten versucht werden, indem gezeigt wird, welche autobiographischen und psychobiographischen Elemente Franz Kafka in sein Werk sowohl bewusst als auch unbewusst einfließen ließ. Es soll hier also anhand von Kafkas Erzählung „Das Urteil“ gezeigt werden wie Kafkas eigene Vita sein eigenes Werk betroffen hat.

2. Zur Person Franz Kafka

Um die Frage nach autobiographischen und psychobiographischen Elementen in Kafkas Werk zu ergründen, muss zunächst eine grundlegendere Frage gestellt werden: Wer war eigentlich Franz Kafka? Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 als erstes Kind des jüdischen Kaufmanns Hermann Kafka und seiner Frau Julie in Prag geboren. Nach zwei früh verstorbenen Brüdern bekam Franz Kafka später noch drei Schwestern namens Gabriele, Valerie und Ottilie. Hermann Kafka, selbst in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen, hatte sich in Prag – nicht zuletzt durch den sozialen Aufstieg, den ihm die Hochzeit mit der ihm standes- und bildungsmäßig überlegenen Julie Löwy – eine sichere Existenz im deutsch-jüdischen Mittelstand Prags, in Form eines florierenden Geschäfts für Galanteriewaren, aufgebaut. Der Vater wird in Kafkas Aufzeichnungen als robuster, stolzer, tüchtiger, selbstbewusster und ehrgeiziger Mann beschrieben, der auf der anderen Seite aber sehr tyrannisch, kommandierend, ignorant und stur war und sich selbst für das Maß aller Dinge hielt. Sowohl den Angestellten seines Betriebs, als auch den Kindern wurde ständig alles findbar Negative vorgehalten und sie standen dauerhaft unter harscher Kritik (Franz K. beispielsweise wegen der, dem Vater unnütz erscheinenden und missfallenden Zuwendung zur Literatur). Besonders Franz Kafka hatte unter ihm zu leiden, da der Vater ihn – als einzigen lebendigen Sohn – mit aller Macht zu einem Ebenbild seiner selbst formen wollte, was der ihm völlig unterschiedliche Franz Kafka jedoch nie werden konnte. Dieser vorprogrammierte Konflikt zwischen Vater und Sohn sollte sich wie ein roter Faden durch Franz Kafkas Leben ziehen, denn es war ein ungleicher Kampf, den der sensible und introvertierte Franz so stark verinnerlichte, dass sich in ihm nachhaltig ein übermäßiges Schuldbewusstsein aufbaute, welches er selbstständig immer weiter ausbaute und auf immer neue Lebensbereiche übertrug. Um nur ein Beispiel zu nennen, gab Kafka selbst einmal an, für die Eigentümlichkeit seines nächtlichen Lesens im Kindesalter von seinem Vater regelmäßig „verurteilt“ worden zu sein (Begründung: „Alle gehen schlafen, also musst auch du schlafen gehen“), da diese Eigentümlichkeit jedoch aus seiner Sicht so klein und unwichtig erschien, dass er sie offen legen konnte, fühlte er einen Zwang, sich für die schlimmeren und nicht offen gelegten Eigentümlichkeiten selbst zu verurteilen, sich also schuldig zu fühlen – es liegt also nach Anz ein Prozess der Verinnerlichung einer zunächst äußeren, „ichfremden“ Autorität vor. Otto Gross bezeichnete diesen Konflikt als Verwandlung des „Konflikts zwischen dem Individuum und der Allgemeinheit“ zum „Konflikt des Eigenen und des Fremden“ im inneren des Subjekts selbst, also zwischen den individuellen Berdürfnissen und dem „Anerzogenen und Aufgezwungenen“.

Kafka besuchte nach Abschluss der Deutschen Knabenschule ab 1893 das erzkonservative Staatsgymnasium in Prag/Altstadt und legte dort 1901 nach einer unauffälligen Schullaufbahn seine Reifeprüfung ab. Franz Kafka galt unter seinen Mitschülern als einzelgängerisch, souverän und distanziert und begann sich während seiner Schulzeit für die Literatur zu begeistern. Auf der anderen Seite jedoch, lebte er in einem ständigen Bewusstsein, das seine Gefühle für andere Menschen, sein Interesse für Literatur, seine Träume vom Leben und überhaupt alle eigenen Ansichten nicht nur falsch und deplaziert waren, sondern das er sich mit ihnen geradezu schuldig machte, sich gegen seinen Vater und dessen intakte Welt versündigte. Dieses wird anhand seines gesamten dichterischen Werkes deutlich, in dem immer wieder die Thematik des „gottgleichen Vaters“ bzw. der vatergleichen Autorität dem latenten Schuldbewusstsein der Protagonistengestalten gegenüberstehen.

Nach der Schulausbildung stand ihm jedoch gleich der nächste Konflikt mit dem Vater ins Haus: die Auswahl des Studienfaches. Kafkas Wunschfächer Germanistik, Chemie und Kunstgeschichte wurden durch den Druck seines Vaters zerschlagen und so wurde er regelrecht in ein Jurastudium gedrängt, welches er unmotiviert und gleichgültig absolvierte. Parallel zur Studienzeit fand Franz Kafka jedoch einigen Freiraum im Kreise von philosophisch und literarisch orientierten Freunden und nahm erste literarische Tätigkeiten auf, bei denen er unter anderem Max Brod kennen lernte, welcher zu einem seiner wichtigsten Wegbegleiter wurde. Durch diese Freunde verminderte sich Kafkas Selbstisolation und er traf sich mit ihnen oft zu gemeinsamen Lesungen. 1904 entstand die erste Fassung von „Beschreibung eines Kampfes“, mit der Kafka wichtige Motive seines Lebens schon vorausschauend darlegte: Den Konflikt zwischen Literatur und „weltlichem Leben“.

Dieser Konflikt sollte ihn nach Abschluss seines Jurastudiums selbst einholen: sein bürgerliches Leben als Angestellter und das als Schriftsteller standen in stetigem Konflikt und ließen sich nicht auf eine gesunde Art und Weise verbinden. Die Schriftstellerei war jedoch sein essentieller Lebensinhalt, der für ihn alles andere nichtig scheinen ließ und so wurde dieser Konflikt ein weiteres wichtiges Motiv seiner Werke. Zunächst arbeitete er bei der italienischen Versicherungsfirma „Assicurazioni Generali“ wo er für ein sperrliches Gehalt von 8 Uhr morgens bis 7 Uhr abends arbeiten musste und verpflichtet war nach der Arbeit noch Italienisch zu lernen, wohlgemerkt bei 14 Tagen Urlaub für zwei Jahre Arbeit. Er selbst schrieb, dass er die freien Stunden „wie ein wildes Tier fraß“. Seine Schriftstellertätigkeit stagnierte verständlicherweise zu dieser Zeit. Nach einiger Zeit und latenten Selbstmordgedanken ertrug er es nicht mehr, kündigte die Anstellung aus fadenscheinigen Gründen und fand schließlich bei der "Arbeiter-Unfallversicherungsanstalt für das Königreich Böhmen" eine, ihm zwar ebenfalls nicht angenehme, aber besser zu ertragende Stelle. Trotz der nun längeren Freizeit und den strengen Zeitplan zur Aufrechterhaltung seines Schriftstellerlebens, leidete Kafka psychisch und gesundheitlich an der Doppelbelastung und geriet in einen weiteren Schuldkonflikt: auf der einen Hand fühlte er sich seiner Arbeit – also seinem weltlichen Leben - gegenüber schuldig, dessen Anforderungen er aufgrund seines Schriftstellertums nicht genügen konnte, andererseits hätte er sich seiner literarischen Tätigkeit gegenüber schuldig gemacht, wenn er den Anforderungen des beruflichen entsprechen wollte. Kafka selbst bemerkte dazu:“ Mein Glück, meine Fähigkeiten und jede Möglichkeit, irgendwie zu nützen, liegen seit jeher im Literarischen. Diesem Literarischen kann ich mich nun nicht vollständig hingeben, wie es sein müsste, und zwar aus verschiedenen Gründen nicht. Abgesehen von meinen Familienverhältnissen könnte ich von der Literatur schon infolge des langsamen Entstehens meiner Arbeiten und ihres besonderen Charakters nicht leben; überdies hindert mich auch meine Gesundheit und mein Charakter daran, mich einem im günstigsten Falle ungewissem Leben hinzugeben. Ich bin daher Beamter einer sozialen Versicherungsanstalt geworden. Nur können diese zwei Berufe einander niemals ertragen und ein gemeinsames Glück zulassen. Das kleinste Glück in einem wird ein großes Unglück im zweiten.“ Es bestand also ein unlösbarer Konflikt zwischen sozialen Zwängen und eigenen Wünschen (s.o.: Konflikt des Eigenen und des Fremden), welcher zu Kafkas Zeiten für Schriftsteller jedoch kein Einzelfall war (vgl. Anz 2002).

[...]

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Biographische und psychobiographische Elemente in Kafkas 'Urteil'
Hochschule
Georg-August-Universität Göttingen  (Seminar für Deutsche Philologie)
Veranstaltung
Kafkas 'Urteil' und die Literaturtheorie
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V63994
ISBN (eBook)
9783638569125
ISBN (Buch)
9783638598934
Dateigröße
433 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Biographische, Elemente, Kafkas, Urteil, Kafkas, Literaturtheorie
Arbeit zitieren
Thomas Jahn (Autor:in), 2005, Biographische und psychobiographische Elemente in Kafkas 'Urteil', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63994

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