Analyse von Schüleraufsätzen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

31 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wie beginnen die Schüler ihre Texte? Welche „Typen“ gibt es?

3. Bildung von Textkohärenz durch Wissensbestände des Rezipienten und kohärente Konzepte
3.1. Welches Wissen wird im Adressaten vorausgesetzt? (Funktionsbestimmung sprachlicher Mittel im Sprechhandlungszusammenhang)
3.1.1. Weltkenntnis (Vorwissen, Horizont, enzyklopädisches Wissen, individueller Erfahrungshintergrund)
3.1.2. Kenntnis der Sprechsituation/Kommunikationssituation
3.1.3. Handlungswissen (Handlungsmuster, Handlungserwartungen)
3.2. Beispiele für linguistische Konzepte der Textkohärenz
3.2.1. Präsuppositionen
3.2.2. Vernetzungsmuster

4. Wie kommen die Schüler von einem Text zum anderen? (Untersuchung von Satzverknüpfungen: Funktionsbestimmung von sprachlichen Mitteln im Vertextungszusammenhang)
4.1. Der Verstehensprozess (anhand des Aufsatzes P) oder die Thema-Rhema-Progression
4.2. Sprachliche Mittel der Sinnsteuerung (Beispiele für die Verwendung von kohäsiven Mitteln und deren Verweischarakter)
4.2.1 Rekurrenz
4.2.2 Paraphrasierung/Substitution
4.2.3 Pro-Formen (Pronominale Verweisungen, anaphorische/kataphorische Bezugnahme durch den Vor-/Folgekontext)
4.2.4 Artikel
4.2.5 Ellipse
4.2.6 Tempus (Tempusrekurrenz und Zeitreferenz)
4.2.7 Konnektive (Konjunktionale Verweisung)

5. Klassenaufsätze (von A bis U)

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die folgende Aufsatzanalyse beruht auf Aufsätzen einer 4. Grundschulklasse. Die Aufgabe der Schüler war das Verfassen einer Reizwortgeschichte. Diese Aufgabe wurde von der Lehrerin als zweitägige Hausaufgabe gestellt. Den Schülern wurden drei verschiedene Wortgruppen vorgegeben, aus denen sie jeweils ein Wort nach eigener Präferenz heraussuchen und damit eine Geschichte bilden sollten. Zur Untersuchung liegen 21 Aufsätze (A bis U) vor, die im Anhang vorzufinden sind. Sie sind in Sinneinheiten unterteilt und numeriert.

2. Wie beginnen die Schüler ihre Texte? Welche „Typen“ gibt es?

Die Aufsatzanfänge der Schüler lassen sich grob in zwei Gruppen einteilen. Zum einen beginnen die Schüler ihre Aufsätze mit Zeitangaben (adverbiale Bestimmung der Zeit) und zum anderen beginnen sie unmittelbar mit dem Subjekt des Satzes (Personenangaben: „Ich war...“, J; „Sabrina und Juliane“, R). Dabei sind die Zeitangaben von konkret („Gestern Abend“, F; „Letzte Woche Montag“, P) bis abstrakt („Eines Abends“, N; „Einmal“, A). Über die Hälfte der Schüler (ca. 72 %) hat sich für den Anfang mit der adverbialen Bestimmung der Zeit entschieden. Der Grund dafür mag darin liegen, daß sich bei diesen Schülern schon das Textmusterwissen manifestiert hat. Sie haben gelernt, daß man beim Erzählen einer Geschichte oft mit „Einmal“ (A) oder „Es war ein schöner Morgen[,]als...“ (D) anfängt. Dieses Muster kennen sie bestimmt auch von Märchen („Es war einmal...“). Das Textmusterwissen sagt ihnen, daß sie gewissen „Regeln“ folgen sollen, hier z.B. daß man mit einem gewissen Einleitungssatz anfängt, der auf die Fragen WER, WANN und WO antwortet. Als weiteres sollen sie (entsprechend dem Textmusterwissen einer Erzählung) die Geschichte auch in einen Hauptteil (Höhepunkt) und Schluß einteilen.

3. Bildung von Textkohärenz durch Wissensbestände des Rezipienten und kohärente Konzepte

3.1. Welches Wissen wird im Adressaten vorausgesetzt? (Außersprachliche Wissensbestände)

Um sich einen sinnvollen Zusammenhang zu erschließen (Kohärenz), greift der Rezipient auf seine Sprachkenntnis (als Basis für das Verstehen von Texten) und auf seine außersprachliche Wissensbestände zurück. Durch sprachliche Mittel (Kohäsionsmittel) erreicht der Verfasser die Rezipientenlenkung auf diese Vorgänge. Die außersprachlichen Wissensbestände (damit sind das Vorwissen, die Kenntnis der Sprechsituation und die des Kotextes oder der kontextuellen Einbettung gemeint [siehe Scherner S. 514ff.], sowie Konzeptuelle Deutungsmuster [siehe Linke S. 228] ) sollten der mit denen des Verfassers übereinstimmen. Der dies wiederum durch seine Wahl der sprachlichen Mittel beim Rezipienten voraussetzt.

3.1.1. Weltkenntnis (Vorwissen, Horizont, enzyklopädisches Wissen, individueller Erfahrungshintergrund)

Gestern Abend hatten wir ein Fußballspiel... und alle hofften, dass sie eine gute Position

bekommen. Dann kam der An[p]fiff und die Geg]e]ner rannten auf unser Tor los. Der Spieler holte aus und

schoss, aber er ging vorbei Kurz danach schossen wir das 1:0. [F, (1)-(8)]

Der Verfasser setzt beim Rezipienten folgendes Weltwissen voraus: Die Kenntnis des Konzepts FUßBALL, so weiß er, daß es für jeden Spieler eine bestimmte Spielposition oder Stellung gibt. Diese ist vorher nicht jedes Mal festgelegt, sonst müßten die Spieler nicht „hoffen“ eine Gute zu bekommen. Denn HOFFEN impliziert es nicht zu wissen. Auch in dem folgendem Satz wird auf die Fußballkenntnis als spezielle Weltkenntnis (Horizont) des Rezipienten verwiesen. Der Rezipient kann dann mühelos verstehen, was mit dem Ausdruck „holte aus“ gemeint ist, nämlich der kräftige Einsatz seines Fußes, um den Ball zu schießen. Dieser Ball wird hier zwar nicht explizit genannt, sondern durch das Personalpronomen „er“ ersetzt, doch stellt dies für den Rezipienten keine Verständnislücke dar, weil durch die Kenntnis, wie ein Fußballspiel abläuft (Er weiß, daß das Ziel dieses Spieles ist, den Ball ins Tor zu schießen; und die Gegner rannten ja auch schon los, was impliziert, daß sie auch den Ball dabei hatten.) er präsuppositionieren kann, daß es sich hier um den Ball handeln muß, ohne dem ein Fußballspiel nicht funktionieren kann. Außerdem sagt ihm sein koordinatives Vernetzungsmuster, daß sich der Spieler wohl kaum selbst versucht ins Tor zu schießen, aber es doch nicht schafft („er ging vorbei“). Desweiteren kann er auch das Verhältnis „1:0“ als Sieg für den Erzähler im Spiel deuten: sie haben ein Tor geschossen, während die andere Mannschaft noch kein Tor erzielt hat.

Auch folgendes Beispiel zeigt, daß das einzige Bezugselement, welches hier zur Kohärenz führt, das enzyklopädische Weltwissen ist:

Da fiel es mir ein, ein Auto von Lego [,] das wäre nicht schlecht. [J, (4)-(5)]

Der Rezipient kommt nur mit seinem Vorwissen weiter, das Wissen, daß „Lego“ nicht nur ein Name ist, sondern es sich um ein Spielzeugauto aus zusammsetzbaren Bausteinen mit dem Firmenlogo „Lego“ handelt. Der Verfasser ist davon ausgegangen, daß man den Begriff „Lego“ kennt und sich entsprechend das Auto vorstellen kann.

3.1.2. Kenntnis der Sprechsituation/Kommunkikationssituation

Gestern Abend hatten wir ein Fußballspiel. [F, (1)]

Hiermit wird beim Rezipienten auf die „angebliche“ Kommunikationssituation verwiesen. Da es aber eine Geschichte ist, handelt es sich nicht um die im Moment tatsächlich vorhandene Sprechsituation.

Meine Familie und ich sind im Wald spazieren gegangen. [H, (1)]

Verweis auf die Kommunikationssituation: Es wird vorausgesetzt, daß der Rezipient (hier die Lehrerin) die Familie kennt bzw. weiß, wer mit „ich“ gemeint ist.

Frau Oynak geht in ihrem Laden und will mal einen Blick auf das Obst und Gemüse schauen. [G, (1)-(2)]

In diesem Beispiel wird sogar ein bestimmter Name genannt, deren Kenntnis ebenfalls im Rezipienten vorausgesetzt sein mag. Vor allem, da der Laden dieser Frau nicht weiter vorgestellt wird, demnach auch als bekannt vorausgesetzt wird, weil im Anschluß von Obst und Gemüse erzählt wird. Präsupposition wäre hier, daß es sich somit implizit um einen Lebensmittelladen handeln muß.

3.1.3. Handlungswissen (Handlungsmuster, Handlungserwartungen)

Das Handlungswissen erlaubt dem Rezipienten die Deutung von Ereignissen als bestimmte Handlungen, die er als angebracht oder fehl am Platze interpretiert.

Einmal als meine Freundin Geburtstag hatte [lud] sie mich ein. (2) Danach bin ich mit dem Fahrrad

gefahren um ein Geschenk für Maria zu kaufen. [A]

Zum Ersten kann der Rezipient durch sein Handlungswissen die inhaltliche Verknüpfung dieser zwei Sätze erkennen: Er weiß, wenn man eine Einladung zum Geburtstag erhält, ist es üblich, daß man ein Geschenk besorgt um es bei der Feier zu überreichen. Deshalb kann er zum Zweiten Satz (2) als Folge für Satz (1), der den Grund darstellt, interpretieren. In diesem Fall wäre das kausale Vernetzungsmuster angesprochen.

An meiner Geburtstagsfeier kamen alle Freunde. Zunächst aßen wir den Geburtstagskuchen. [I, (5)-(6)]

Auch in diesem Fall, kann der Rezipient aufgrund seines Handlungsmusters GEBURTSTAG, Kohärenz erstellen. Wiederum kann der erste Satz als Grund für den zweiten Satz angesehen werden. Der Gebrauch des bestimmten Artikels (den Geburtstagskuchen) verweist den Rezipienten auf diese Kenntnis. Der Verfasser setzt dieses Wissen somit im Rezipienten voraus. Der zweite Satz (6) ist auch ein Beispiel der zeichengebundenen referentiellen Präsupposition (3.2.1.).

3.2. Beispiel für Linguistische Konzepte der Textkohärenz

3.2.1. Präsuppositionen

Zum Glück hatte ich eine Telefonkarte dabei und konnte zu Hause anrufen. [B, (24)-(25)]

Der Rezipient präsuppositioniert (pragmatisch) hier, daß es in der Geschichte ein Kartentelefon am Ort gibt, da die Verfasserin von einer zuvor nicht erwähnten Telefonkarte schreibt, mit der die Erzählerin telefonieren kann. Die Verfasserin setzt hier das Weltwissen im Rezipienten voraus, daß es öffentliche Telefonzellen gibt mit der man, mittels einer Karte, bargeldlos telefonieren kann. Um eine solche Telefonzelle geht es hier, obwohl sie nicht exiplit erwähnt wurde.

Zeichengebunden referentielle Präsupposition:

Zunächst aßen wir den Geburtstagskuchen. [I, (6)]

Der Gebrauch des bestimmten Artikels läßt den Rezipienten präsuppositionieren, daß es an Geburtstagen üblicherweise auch immer einen Geburtstagskuchen gibt, was ihm sein Weltwissen sagt.

Am Freitagnachmittag gingen meine Mutter und ich zum Jahrmarkt,...Als kleine Pause waren wir in der

Geisterbahn. Dann hatte Mama eine gute Idee, sie wollte auf das Riesenrad um die Mutter des kleine[n]

Mädchens zu suchen. ...sie war bei der Münsterlandhalle... [O, (1)-(14)]

Die gleiche Verweisfunktion hat auch hier der bestimmte Artikel, er zeigt die Kenntnis, daß man Jahrmärkte immer in Verbindung von Vergnügungsgeräten/Karussels sieht (Im Gegensatz zu Aufsatz R, (1)-(3), wo erst die Existenz von solchen „Spielständen“ erwähnt wird um dann mit dem bestimmten Artikel fortzufahren (3)/(8)). Der Begriff „Jahrmarkt“ beinhaltet diesen ,Rahmen‘ („frame“), daß es dort Spielbuden, Imbißstände und Karussels usw. gibt. (Zur „frame- und script-Theorie“ siehe Linke S. 235) Die zu diesem Begriff zugehörigen ,Szenen‘ („script“) wären z.B. das Umherschlendern zwischen den Spielbuden, das Fahren in Karussels, das Ziehen von Losen...) Der bestimmte Artikel im letzten Satz („bei der Münsterlandhalle“) bezieht sich auf ein spezielles Wissen des Rezipienten. Es wird davon ausgegangen, daß die Münsterlandhalle bekannt ist, und daß es nur eine solche gibt. Sprich: der Rezipient muß den selben Ort kennen, den die Verfasserin/Erzählerin meint.

Als sie auf die Uhr sahen[,] war es schon 18.00 Uhr. [C, (10)]

Aufgrund seiner außersprachlichen Wissensbeständen kann der Rezipient den Satz folgendermaßen verstehen. Da das Adverb „schon“ verwendet wurde, präsuppositioniert er, daß es für den Erzähler spät ist. Das Wörtchen schon impliziert diese Bedeutung im Zusammenhang des Textes. Diese Präsupposition wäre hier demnach eine semantisch zeichengebundene Präsupposition.

3.2.2. Vernetzungsmuster

Mit Vernetzungsmustern (als linguistisches Konzept der Textkohärenz) bzw. Konzeptuellen Deutungsmustern (als Wissensbestand unseres Weltwissens [siehe Linke S. 239ff/228f]) strukturiert und koordiniert der Rezipient seinen Verstehensprozess.

Wir hatten einen Bärenhunger bekommen und aßen noch eine Portion Pommes frites in der Cafeteria.

[B, (14)-(15)]

Hier handelt es sich um das Vernetzungsmuster „Konklusivität“, welches auf das Deutungsmuster der Kausalbeziehung zurückgeht. Obwohl hier nicht das für dieses Muster prototypische Kohäsionssignal ,weil‘ gegeben ist, versteht der Rezipient eben aufgrund seines Wissens diesen Satz als Grund-Folge-Beziehung: Weil sie Hunger hatten (Grund), aßen sie (folglich) eine Pommes.

(1) Am Montag sind Michael und Fritz mit dem Fahrrad ins Schwimmbad gefahren. (2) Aber bevor die

beiden hineingingen (3) hat Michael sein Fahrrad abgeschlossen (4) und den Fahrradschlüssel in seine

Hosentasche gesteckt. (5) Erst dann betraten sie das Schwimmbad. (6) Als beide sich umgezogen hatten

(7) und schon im 3,50m Becken geschwammen hatten (8) haben sie noch andere Kinder aus ihrer Klassse

getroffen. [C]

In diesem Beispiel wird das Vernetzungsmuster der „Chronologisierung“ angesprochen. Erkennbar auch an den Kohäsionssignalen wie „bevor“ und „erst dann“. So erkennt der Rezipient die Chronologie der Ereignisse, auch wenn sie nicht mit der Reihenfolge der Sätze übereinstimmt. Er erkennt die Chronologie folgendermaßen: (1) vor (3), dann folgt (4) und danach erst (2), (5) bis (8) sind chronologisierend zu verstehen.

4. Wie kommen die Schüler von einem Text zum anderen? (Untersuchung von Satzverknüpfungen: Funktionsbestimmungen von sprachlichen Mitteln im Vertextungszusammenhang)

Der Textproduzent (hier der Schüler) muß die Sätze so miteinander verknüpfen, daß der „rote Faden“ erhalten bleibt, um so Rezeptionslenkung (durch den Verweischaracter der sprachlichen Mittel) zu erzielen. Durch das Verflechten von Sätzen (mit Hilfe von kohäsiven Mitteln), wird der Rezipient zum Sinn des Textes (Kohärenz) hingeführt.

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Analyse von Schüleraufsätzen
Hochschule
Universität Münster  (Insitut für Deutsche Sprache und Literatur und ihre Didaktik)
Veranstaltung
Hauptseminar: Textproduktion und Aufsatzdidaktik
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
31
Katalognummer
V6433
ISBN (eBook)
9783638140010
ISBN (Buch)
9783638697064
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Schüleraufsätzen, Hauptseminar, Textproduktion, Aufsatzdidaktik
Arbeit zitieren
Tanja Kargl (Autor:in), 2001, Analyse von Schüleraufsätzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6433

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