Die Vereinfachung des phonologischen und morphonologischen Systems in der polnischen Literatursprache des 18. Jh.


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

19 Seiten, Note: 1,4


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. „Aufklärerische“ Einleitung und die allgemeinen Veränderungen in der polnischen Sprache im System der Konsonanten und Vokale
1.2 Veränderungen im System der Konsonanten
1.3 Veränderungen im System der Vokale

2. Der Schwund der „geneigten“ Vokale
2.1 Das geneigte a
2.2 Das geneigte e
2.3 Das geneigte o

3. Die Vereinfachung des morphonologischen Systems
3.1 Das Untergehen der Parallelen ' e || ' o und ' e || ' a
3.2 Das Untergehen der Parallele ę || ą
3.3 Das Untergehen der Parallele e || o

4. Andere Vereinfachungen

Literaturverzeichnis

1. „Aufklärerische“ Einleitung und die allgemeinen Veränderungen in der polnischen Sprache im System der Konsonanten und Vokale

Die Vereinfachungen im phonologischem und morphonologischen System der polnischen Sprache decken sich zeitgleich mit der aufklärerischen Epoche des 18. Jh. in Polen. Obwohl die grammatikalischen Veränderungen wohl kaum mit den geschichtlichen Ereignissen zusammenhängen, so erachte ich es dennoch für wichtig eine kleine Skizze der politisch-kulturellen Verhältnisse in Polen zu jener Zeit anzudeuten.

Die geopolitische Lage Polens sah in der ersten Hälfte des 18 Jh. ziemlich eng aus (im wahrsten Sinne des Wortes): Preußen, Russland und Österreich, drei europäische Großmächte, bildeten einen gefährlichen Ring um das Königreich Polen. Die Monarchen, Friedrich II und Katharina II dominierten auf der politischen Bühne und bildeten die Spitze des aufgeklärten Absolutismus. Die polnische Regierung unter König Stanislaw August war schwach.

1768 garantiert die russische Zarin die Unantastbarkeit der polnischen Konstitution, doch schon im Februar des gleichen Jahres verbünden sich die Konföderierten in Bar (Ukraine) gegen das russische Imperium, was mit einem 4-jährigen Krieg und anschließend der ersten Teilung Polens endet.

Erst nach fast 150 Jahren wird Polen seine Unabhängigkeit wieder erlangen.

Im kulturell-literarischen Bereich des 18. Jh. band sich Polen zusehend an seine nationalen Wurzeln, aber auch an seine Stellung im politischen Geschehen Europas. Die polnische Aufklärung teilt sich in zwei Literaturbereiche: diejenigen, die sich mit der gegenwärtigen geopolitischen Lage Polens beschäftigen, und andere, die sich mit der Geschichte ihres Landes auseinandersetzen.[1] Zu den bekannten Autoren der polnischen Aufklärung zählen Ignacy Krasicki („Myszeida“) und Stanisław Trembski („Sofiówka“, „Lew i mucha“).[2]

Nach dieser kleinen geschichtlichen Exkursion möchte ich nun zum Hauptthema der Arbeit, zur polnischen Linguistik, wechseln.

1.2 Veränderungen im System der Konsonanten

Das Phoneminventar der Konsonanten ist im 18. Jh. fast vollständig und weitgehend stabil.[3]

Die Aussprache von [r’] wie [ż, rz] ist bereits weit verbreitet; noch gefundene niedergeschriebene Wörter wie pierszchnely (auseinanderstieben) oder wierszolkow (Gipfel) zählen zu den Dialektismen.

Noch unklar ist der Klang des c. Trypućko[4] kam anhand der Analyse von Mickiewiczs Werken zu der Überzeugung, dass die Weichheit des ausgesprochenen [-ć] in nordöstlichen Quellen ein litauisches Überbleibsel sei. Zwar findet man tatsächlich in den ausgewählten Quellen vielfach ein -ć statt [-c], doch tritt es komischerweise nur in nicht-litauischen Quellen auf: [dodawaiąć] (addierend), [ojcieć] (Vater), [Niemieć] (Deutscher), [widząć] (sehend, etwas anschauend).

Ebenfalls sind die Anmerkungen von Brodziński[5] zu diesem Problem sehr interessant. Es ist ihm nämlich aufgefallen, dass man auf der Theaterbühne des öfteren kochac oder dawac statt kochać und dawać hört. Diese hyperkorrekte Aussprache des -c bei den Warschauer Schauspielern ist mit Sicherheit eine Reaktion auf die nicht gern gehörten Formen des Aussprachetyps ojcieć. Hatte nun Brodziński dieses kochac und dawac nur bei litauischen Schauspielern gehört oder nicht?

Die ganze Angelegenheit klingt auf alle Fälle sehr verwirrend und scheint mir eine gewisse Diskrepanz zu beinhalten. Ähnlicher Meinung ist auch Bajerowa, die von einer undurchsichtigen sprachlichen Angelegenheit spricht, welche noch genauer untersucht werden müßte. Dazu bräuchte man allerdings Materialien aus ganz Polen, die sämtliche Mittelzungenkonsonanten beinhalten.

Obwohl das System der Konsonanten im allgemeinen identisch mit dem heutigen System in der Literatursprache ist, so liegen doch in der Anwendung mancher Phoneme große Unterschiede. Man muß hinzufügen, dass die Beobachtung dieser Unterschiede dadurch erschwert wird, dass sehr viele orthographische Ungenauigkeiten in den Texten auftreten.

s statt s findet man in folgenden Wörtern:

szpichlerz statt spichlerz (Speicher)

pleszn statt plesn (Schimmel)

wrzesznia statt wrzesnia ( September).

Umgekehrt findet man auch Wörter, in denen ein s statt des heutigen s steht:

spilka statt szpilka (Stecknadel)

rusnica statt rusznica (Büchse).

Selten trifft man auf z statt z und z statt z. Diese Fälle sind schwierig zu beurteilen, denn sie könnten auch auf einfache Druckfehler zurückzuführt werden:

wstrzemiezliwe statt wstrzemiezliwe (enthaltsam)

rozdraznionego statt rozdraznionego (verärgert, gereizt)

zniwo statt zniwo (Ernte).

Auffallend ist auch die Benutzung der harten wie auch den ihren entsprechend weichen Konsonanten, also s und s, z und z, c und c. Des öfteren sieht man auch im 18. Jh., dass den Platz eines (heute) harten Konsonanten ein weicher einnimmt; ein weicher Konsonant (ein palataler Reibelaut s oder z) steht dann vor einem palatal assimiliertem Konsonanten:

bespieczny statt heute bezpieczny (sicher)

zwierze statt heute zwierze ( das Tier)

uczesnictwa statt heute uczestnictwa (Gen. Sing. von Teilnahme).

Schwieriger ist es den umgekehrten Fall zu untersuchen, nämlich die Erscheinung der harten Konsonanten statt der heute weichen. Wieder ging man davon aus, dass sich diese Erscheinungen nur auf den verschiedenen Dialekten in Ostpolen (Kresy) stützen. Doch diese These ist schlicht falsch, denn diese Fälle wurden auch in Schriften aus Krakau, Posen und Warschau gefunden, was auf ihre allgemeine Präsenz in Polen deutet:

znaiomosci statt znajomosci (Bekanntschaften)

cwiczenie statt cwiczenie (Übung).

Manche Formen der weichen und harten Konsonanten pendelten in ihrem Gebrauch, ähnlich wie heute:

spieszy oder spieszy ((es) eilt)

przyjaznie oder przyjaznie (freundlich).

Beachten sollte man auch die zur heutigen Literatursprache unterschiedliche Verwendung der Phonemgruppe srz-, sr-, zrz, zr. Wir sehen das anhand der beiden Beispiele: srzoda (Mittwoch) und zrzodlo (Quelle). In jener Zeit wurde das rz fast durchgehend verwendet. Ausnahmen findet man jedoch in dem Wort srzoda, welches zum Teil auch wie das heutige sroda geschrieben wurde.

1.3 Veränderungen im System der Vokale.

Noch zu Beginn des 18. Jh. ist das System der Vokale auf alle Fälle um zwei Phoneme reicher als das heutige. Wir können mit Sicherheit das „geneigte a“ (pochylone a) und das „geneigte e“ (pochylone e) dazu zählen; aber auch Reste eines „geneigten o“ (pochylone o) kann man noch finden.

Doch dann kommt es zu gravierenden Veränderungen basierend noch auf einer altpolnischen Erscheinung, dem Schwund der Zeitdauer (utrata iloczasu). Die drei „geneigten“ Vokale a, e, o verschwinden aus dem phonologischem System. Was bleibt sind sechs konstante Vokale a, o, u, i, e, o und ein fakultatives e, auf welches uns die damalige Orthographie hinweist.

Aber wie genau der Schwund der „geneigten“ Vokale vor sich ging, welche Stellung sie im phonologischen Inventar hatten und wie sie in die damalige Literatursprache einzuordnen sind, darüber will ich (mit großer Unterstützung Frau Bajerowas) im folgenden Abschnitten sprechen.

2. Der Schwund der „geneigten“ Vokale.

Gleich zu Beginn ist es wichtig festzuhalten, was es eigentlich mit „geneigten“ Vokalen auf sich hat. Es sind Vokale, die sich bei der Artikulation zwischen zwei Vokalen befinden, also zwischen a und o, e und i y, o und u.

Frau Bajerowa ist der Meinung, dass man den Schwund der drei geneigten Vokale als eine, jedoch nicht gänzlich einheitliche Erscheinung betrachten sollte. Bis dahin war man in den linguistischen Arbeiten darüber anderer Meinung: den Schwund des a erklärte man anhand des Dialekteinflußes aus Ostpolen, oder des Schullateins. Das e verschwand durch den Zusammenstoß der Warschauer Literatursprache mit der Literatursprache Kleinpolens, der allgemeinen Literatursprache oder mit den mittelpolnischen Dialekten. Über den Einfluß der zentralpolnischen Mundarten auf die Literatursprache erklärte man sich den Schwund des o.

Doch weil man den Schwund der geneigten Vokale als eine Erscheinung sehen sollte, so bietet es sich an, auch eine Ursache dieser Erscheinung zu suchen. Dafür spricht ihre gemeinsame Genese, die sich vor allem in der Länge der drei Vokale zeigt. Und außerdem haben alle drei Fälle die nächstgelegenen Vokale ersetzt, das heißt a wurde zu a, aus e wurde e und o wurde zu o. Den Vokal o kann man nicht zu den geneigten Vokalen zählen, da er nicht die gleiche Entstehungsgeschichte aufweist; das o unterscheidet von dem ihm entsprechenden Vokal e die differenzierte Bewegung der Zunge, hingegen geneigte Vokale unterscheiden sich von den ihren entsprechenden durch die Höhe der Artikulation.

Ein weiterer Grund für den gemeinsamen Schwund der geneigten Vokale aus der Literatursprache ist das allgemeinslavische Vokaldreieck, das aus fünf Grundvokalen besteht. Diese Grundvokale haben sich in der Sprachentwicklung nicht verändert. Diverse andere Vokale haben dieses Grunggerüst ergänzt und gingen im Laufe der Jahre entweder verloren, entwickelten sich innovativ weiter oder identifizierten sich mit den Grundvokalen. So ist es auch mit den geneigten Vokalen; in der Sprachgeschichte ergänzten sie eine Zeitlang die polnische Literatursprache und verschwanden dann im 18. Jh. gänzlich aus dem Grundkonstrukt der Vokale aufgrund phonologischer Vereinfachungen.

[...]


[1] vgl.Kuziak, „Literatura i jej konteksty“, Oświecenie, Wydawnictwo PPU „Park”, Bielsko-Biała, 2001

[2] vgl. Majda, „Okresy literackie“, Wydawnictwo Szkolne i Pedagogiczne, Warszawa, 1988, S. 157-171.

[3] Dieser und alle folgenden Absätze basieren auf der linguistischen Arbeit Frau Bajerowas: Bajerowa, „Kształtowanie się systemu polskiego języka literackiego w XVIII wieku”, Wydawnictwo Polskiej Akademii Nauk, Wrocław – Waszawa – Kraków, 1964, S. 32-69.

[4] Trypućko, „La mouillure du –c final chez Mickiewicz (type ojcieć, więć)”, Scando-Slavica III, Kopenhagen, 1957, S. 92-111.

[5] Brodyiński, „O miękkości i twardości języka polskiego“, Pisma tom VIII, Poznań, 1874, S. 121.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Vereinfachung des phonologischen und morphonologischen Systems in der polnischen Literatursprache des 18. Jh.
Hochschule
Universität Potsdam
Note
1,4
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V65236
ISBN (eBook)
9783638578547
ISBN (Buch)
9783656773054
Dateigröße
547 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vereinfachung, Systems, Literatursprache
Arbeit zitieren
Paul Lindner (Autor:in), 2002, Die Vereinfachung des phonologischen und morphonologischen Systems in der polnischen Literatursprache des 18. Jh., München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65236

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