Folkloristische Elemente im Roman Ante Kovacic U registraturi


Term Paper (Advanced seminar), 2000

24 Pages


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Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Wirtschaftliche und geistige Lage in Kroatien
1.2 Kovacics unbestrittener Literaturbeitrag

2 “U registraturi” – ein realistischer Roman
2.1 Über den Inhalt und Figurenkonstellation
2.2 “Chaotische” Komposition, Raum und Zeit
2.3 Stillistische Mittel

3 Folkloristische Elemente im Roman
3.1 Märchenhafte Geschichten
3.2 Sitten und Bräuche
3.3 Typische Bekleidung Bauerntracht
3.4 Volkstümliche Redewendungen und Idiomatik

4 Schlußwort

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Wirtschaftliche und geistige Lage Kroatiens

Die vorliegende Einleitung soll dem Leser eine kleine Einsicht in das bescheidene Leben und einspurige Denken der kroatischen Bevölkerung des 19. Jh. verschaffen, die sich in dem, damals wirtschaftlich und geistig sehr zurückgebliebenem, Agrarland Kroatien vorfand.

Die Mehrheit der Bevölkerung, überwiegend Bauern, hat sich zwar gerade von der Leibeigenschaft befreit[1], befindet sich aber immer noch infolge verschiedener Umstände in großem Elend. Die neue kapitalistische Art der Produktionsführung hat gewaltige Folgen für das kroatische Dorf: soziale Differenzen werden mehr und mehr deutlicher, Hausgenossenschaften gehen unter, neue Steuern werden eingeführt. Und während sich die Einen, meistens Kapitalisten und Fremde, in Kroatien enormen Reichtum anhäufen, machen sich die überschuldeten und in Not geratenen kroatischen Bauern auf den Weg in die Städte oder ins Ausland. Die verzweifelte Lage tritt besonders nach dem Kroatisch-Ungarischen Über-einkommen (1868) auf, dazu kommen noch die bekannte Mißernte und die große Agrarkrise.

Alle diese Ereignisse aus dem Leben Kroatiens von der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden ihren Widerschein zwangslos und unmittelbar auch in der kroatischen Literatur. Der stärkste Vertreter, der die Ideen des kroatischen Bürgertums der Volkspartei zum Teil hervorheben konnte, war Schriftsteller und Politiker August Šenoa[2]. Als eine der wichtigsten Aufgaben der Literatur drückt er 1879 im Vijenac mit folgenden Zeilen aus:

„Mi hoćemo da dignemo narod, da ga osvijestimo, da ga oplemenimo, da mane prošlosti popravimo, da budimo u njemu smisao za sve, što je lijepo, dobro i plemenito. [3]

Als den wichtigsten Moment in der gesamten Entwicklung betont er den sozialen Moment, die einzig wahre Kraft sieht er im Volk, er fordert die Möglichkeit für Ausbildung und Fortschritt für jeden Bürger. Šenoas Sympathie liegt offensichtlich beim fleißigen und ehrlichem Bürger, sowie beim unterdrückten Bauer.

Obwohl Šenoa von seinen zeitgenössischen Literaten realistische Darstellung aller Lebensereignisse fordert, ist er selbst überwiegend ein Romantiker. Seine Nachfolger jedoch wirken allmählich unter den russischen und französichen Einflüssen und somit werden auch realistische und sogar naturalistische Züge in den kroatischen Werken erkennbar. Die jungen Schriftsteller haben ihre literarische Arbeit unter dem Šenoas Einfluß zwar begannen, trennen sich aber von ihm, hauptsächlich aus politischen Gründen. Sie sind meistens kämpferisch, ateistisch, anarchistisch und unnachsichtig eingestellt.

1.2 Kovačićs unbestrittener Literaturbeitrag zum Realismus

Einer davon, zweifellos der beste Talent seiner Zeit, war Ante Kovačić (1854-1889). Geboren und aufgewachsen in kajkavischem Gebiet Hrvatsko Zagorje wird er als fleißiger Schüler vom Dorfpfarrer entdeckt und im Alter von dreizehn Jahren nach Zagreb geschickt, wo er sich für kirchliche Zwecke weiterbilden sollte. Als “đak-siromak” kommt er mit der städtischen Intelligenz schwer zurecht, doch in seiner Freizeit gibt er Nachhilfeunterricht, liest viel und verfolgt Kroatiens literarische und politische Ereignisse. Das gesamte literarische Werk Kovačićs hier aufzuzählen und eine kritische Note zu geben, gehört nicht in diese Arbeit und würde zu weit vom Zentralthema ablenken.

Gemeinsam für das Gesamtwerk sind vor allem autobiographische Elemente, subjektive Eindrücke über das alltägliche Leben der Menschen in der kajkavischen Region; Lebensverhältnisse, Beziehungen und Umgang der zumeist in großer Armut lebenden Bauern untereinander vor dem Hintergrund herrschenden Bürokratismus und zunehmender Korruption dokumentieren auf diese Weise die politischen, sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Kroatien jener Zeit. Lebensnähe, Humor und Ironie, Scharfsinn und großes Urteilsvermögen kennzeichnen seine Werke. Kritik äußert er skrupellos, gestaltet Figuren dermaßen lebensnah, daß einige Werke zum Teil („Među žabarima” 1886) oder ganz („U registraturi“ 1888) verboten werden.

Ante Kovačić geht unserem Bauer unter die Haut, genauso wie Šenoa seinem „purger“[4]. Keine kroatischer Schriftsteller hat eine solche Erzählart, solche Phantasie und Temperament, und zugleich auch solche Charakteristik der Umschreibung und Wiedergabe. Diese mag ausreichend sein, um den Kovačić als einmalig und zweifellos von großer Bedeutung für die kroatische Literatur darzustellen, in der er in der Epoche des Realismus wirkte. Und als Realisten schufen die kroatischen Schriftsteller ihre Literaturwerke aufgrund der Eindrücke, Bilder und Schilderungen des alltäglichen Lebens und der Gegend, aus der sie meistens auch selbst stammten.

Seine enorme Ausdruckskraft sieht er unter anderem in den Stilmittel wie Humor, Ironie, Parodie und Satire, aufgrund dessen er sich bei der Obrigkeit oft unbeliebt macht. Vielköpfige Familie, ewige Überschuldungen, fast keine Einnahmen, Unmöglichkeit literarisch zu arbeiten – all das bringt ihn in seine ohnehin schlechte Lebenslage, die ihn erst in den Wahnsinn und dann 1889 in den Tod treibt.

2 „ U registraturi“ – ein realistischer Roman?

2.1 Inhalt und Figurenkonstellation

Von Kovačićs Prosawerken ist der letzte und zugleich der größte und beste Roman U registraturi. In dem Roman hat der Autor alle seine literarischen Erfahrungen gesammelt, so daß die gesamte vorherige Arbeit als eine Art der Vorbereitung für dieses große und reifen Werk betrachtet werden kann.

In der staubigen Registratur, in die uns auch der Titel selbst einführt, zwischen den zahlreichen Bergen der aufgezeichneten und in die Vergessenheit geratenen Akten menschlicher Schicksale, befindet sich auch das Tagebuch des Registrators Ivica Kičmanović, der uns seine traurige Lebensgeschichte erzählt. „Znajte, dakle, ja sam vam srce i du ša našeg registratora. Ja sam njegova slika i prilika. Ukratko: njegov sam životopis.”[5] Seine Kindheit ist wie ein schönes Märchen schnell vorbeigegangen, in ihm die Spuren der uranfänglichen wahren moralischen Werte hinterlassend. Die außergewöhnliche Begabung und der sehnliche Wunsch nach Wissen bringen ihn aus dem malerischen Dorf von Zagorje in die Stadt, in des Mäzens Haus, wo auch sein Vetter Jurić, bekannter als kumordinar[6] Žorž, arbeitet.

Statt einer glänzender Karriere erwartete ihn jedoch ein Leben voller Turbulenzen, auf das er nicht vorbereitet war. Im Haus des Mäzens lernt er die Verdorbenheit der Diener kennen, Servilität und Dummheit städtischer Halbintelligenz. Ehrlich und naiv verliebt sich Ivica in des Mäzens Schützling Laura, die eigentlich seine leibliche Tochter ist und tragische Vergangenheit hinter sich hat. Als die Beziehung aufgedeckt wird, muß er fliehen, Laura bringt ihren Vater um, und, den Ausmaß ihres Verbrechens erkennend, folgt Ivica in dessen Geburtsort, wo sie sich um mit ihm gemeinsam zu leben, niederläßt. Verbittert dadurch, daß Ivica die Tochter seines Nachbars Kanoniks, das schöne Mädchen Anica, begehrt, geht sie mit Kanoniks Sohn Miha in die Fremde. Dort trifft sie die geheimnisvolle Gestalt aus ihrer Kindheit, Ferkonja, mit dessen Hilfe sie Miha und schließlich Ferkonja selbst umbringt. Aus Laura wird die berüchtigte Hajdukin Lara, Anführerin einer Räuberbande, die den Menschen in der Gegend Furcht und Schrecken einjagt. So wird auch unschuldige Anica in ihrer Hochzeitsnacht Lauras Opfer, weil Ivica mit Laura und ihrem gestohlenen Geld keinen neuen Anfang machen wollte. Hajdukin Lara wird für ihre zahlreichen Verbrechen verurteilt und hingerichtet. Das Ende des Romans bringt uns wieder zum gebrochenen Registrator Kičmanović zurück, der in seinem durch Alkohol zerstörten Zustand die Registratur anzündet und sich selbst ein Ende gibt.

Die Figuren des Romans können oberflächlich in städtische und dörfliche geteilt werden, wobei städtische eindeutig negativ und dörfliche positiv gekennzeichnet sind. In seinem Roman gibt Kovačić ein vollkommenes Bild der sozialen Aufgliederung im Dorf. Neben den seltenen reichen Bauern und Ausbeutern, Medonić und später Miha, besteht natürlich die Mehrheit der Einwohner aus Armen, Analphabeten, die nicht einmal das Nötigste besitzt. Ein solcher ist Ivicas Vater, „seoski muzikaš, sirotinja i golotinja“, der „svojim starim bajsom ne što privrijedi: skupe se pare, ali nuto, plati štibru, pa ti ne ostane ni za sol!”[7] . Auch lebt nicht besser sein Nachbar, der kleine „kanonik“, der viele Kinder hat und sich so durchs Leben schlägt.

Das sind die Vertreter jener Schicht der kroatischen Bauern, die rechtlos und verachtend jahrhundertelang von großer Herrschaft ausgebeutet wurden. Aus dieser Schicht stammt auch Kovačić und so spürt man seinen Haß, nicht nur wenn er über den Parasiten und Volksgegner Illustrissimus schreibt, sondern auch dann, wenn er die Gestalten seiner Dienerschaft darstellt, den Kammerdiener Žorž, Crni Jakov, Mikula, „pojet“ und andere Typen, die sich um den „veliki Mecena“ sammeln. Geradezu mit Wut und Verachtung beschreibt Kovačić auch die anderen Personen in seinem Roman, die nur im Kapitalismus möglich waren. Das ist vor allem die Mäzens Mätresse Laura, die alte Kupplerin, des Kammerdieners Frau Jeluša und andere.

[...]


[1] Im Jahre 1848 verkündet der Ban Josip Jelačić eine Proklamation über die Aufhebung der Fron, des Kirchenzehntens und der Leibeigenschaft.

[2] August Šenoa (1838-1881)

[3] Kovačić, A., Djela I, S. 11

[4] auf Deutsch: Bürger.

[5] Kovačić, S. 11

[6] Im folgenden Text verwende ich die Nennung Kammerdiener.

[7] Kovačić, A., Djela I, S. 22

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Folkloristische Elemente im Roman Ante Kovacic U registraturi
College
University of Mannheim  (Slavisches Seminar)
Author
Year
2000
Pages
24
Catalog Number
V6613
ISBN (eBook)
9783638141499
File size
598 KB
Language
Croatian
Keywords
kroatisch, literatur, realismus
Quote paper
Ivanka Steber (Author), 2000, Folkloristische Elemente im Roman Ante Kovacic U registraturi, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6613

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