Zu: Georg Büchners Woyzeck - Die Sprache der Herrschaft und Herrschaft durch Sprache?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

18 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Thema und Vorgehensweise

2. Woyzeck: Sprache als Thema und Interpretationsschlüssel
2.1. Thema und Inhalt des Woyzeck
2.2. Sprache und Sprechen, Sprachohnmacht und Sprachfunktionen
2.3. Die Sprache der Figuren und das Sprachsystem der Gesellschaft
2.3.1. Doktor
2.3.2. Hauptmann
2.3.3. Marie
2.3.4. Woyzeck

3. Schluss: Die Sprache der Herrschaft und Herrschaft durch Sprache?

Literaturverzeichnis

1. Thema und Vorgehensweise

Der Woyzeck, wenn man angesichts der Textlage – vier unterschiedliche Entwurfsstadien aus den Jahren 1836 und 1837 – überhaupt von dem Woyzeck reden kann, lässt viele Fragen offen; die meisten davon wurden schon zigfach bearbeitet: Welchen Schluss hat Georg Büchner vorgesehen: Sollte Woyzeck verurteilt werden oder sich ertränken?[1] Ist er am Ende religiös geworden und tötet Marie aus der Überzeugung, eine Sünderin zu bestrafen?[2] Ist Büchners Werk vielleicht primär dramentheoretisch, als Kritik am bürgerlichen Drama seiner Zeit, zu betrachten[3] Alle diese Fragen können mit gutem Recht untersucht werden.

Angesichts der ins Auge stechenden, den Leser irritierenden, störenden und belustigenden Sprachfetzen, den immer wieder betonten Schlüsselwörtern einer jeder Figur, der Hilflosigkeit Woyzecks und Maries, ihr Elend und ihre Fragen in Sprache zu fassen, sich gegen die geschwungenen Reden ihrer Herren mit ebenbürtigen sprachlichen Mitteln zur Wehr zu setzen, drängt sich meines Erachtens aber doch eine andere Frage auf: Welche Rolle spielt die Sprache im Stück? Genauer: Was wird an der sprachlichen Gestaltung durch Büchner über seine Absichten sichtbar, wie beeinflussen die herrschaftlichen (Woyzeck beherrschenden?) Reden des Doktors und des Hauptmanns Woyzeck, was ist vielleicht sogar die Grundlage ihrer sprachlichen Äußerungen? Meine Arbeits- und Interpretationsthese – inspiriert von Glücks Untersuchung der ‚Herrschenden Ideen’[4] – ortet den Woyzeck als Inszenierung der Kritik an der herrschenden Moral. Die Gegensätze, an denen er zugrundegeht – dass er zugrunde geht, scheint mir unumstritten, unwiderruflich manifestiert am Mord seiner Geliebten, die der einzige Lebensgrund Woyzecks war: „und hab sonst nichts – auf de Welt“ (9)[5] – (Arm und Reich, Herrscher und Beherrschte) sind nicht zufällig, sie sind nicht ‚Natur’ und auch kein Schicksal, wie zuweilen betont wird[6], sondern sie werden von einer herrschenden Klasse durch eine in Worte und Begriffe gefasste Ideologie, die Woyzeck – stellvertretend für viele andere Beherrschte – kleinhält und zwar genau durch eben dieses Begriffssystem, dem er aufgrund seiner Lage gar nicht Herr werden kann. Dieses Sprach- und Begriffssystem stellt deshalb meines Erachtens auch den Schlüssel zur Deutung dar.

In dieser Arbeit soll ‚nur’ dieser Aspekt, am Drama selbst, untersucht werden. Quellen (z.B. das berühmte Clarus-Gutachten zum historischen Woyzeck[7], Büchners Biografie, andere Werke[8], und Detailvergleiche der vier Entwurfsstufen sollen dabei keine Rolle spielen, wenngleich sie für andere und z.T. auch diese Fragestellung sicherlich Relevanz genießen. Statt dessen wird die Suche nach den Ursachen und Verursachern von Woyzecks Leiden nur innerhalb des Textes, am Inhalt und insbesondere an den Sprachschemata der Figuren stattfinden.[9] Hierbei fußt das interpretatorische Interesse auf einem Vertrauen in die bisherigen philologischen und editorischen Bemühungen und der bewussten Entscheidung für die Hinnahme der Lesefassung der Münchner Ausgabe gegen die zur Kenntnis genommene Aussage Schmids, dass „eine kombinierte Werkfassung .., wie immer sie zusammengesetzt und textlich konstituiert wird, philologisch nicht mehr als Werk Büchners gelten [kann].“[10]

Zu Beginn steht die schon interpretierende Zusammenfassung des Inhalts, mit besonderer Berücksichtigung der allgegenwärtigen Herrschaftsproblematik. Es folgt eine figuren- und szenenübergreifende Betrachtung charakteristischer Sprech- und Sprachmerkmale sowie die Untersuchung der Sprache der Figuren, um die Anfangsthese überprüfen zu können.

2. Woyzeck: Sprache als Thema und Interpretationsschlüssel

Die Suche nach der Bedeutung der Sprache im Stück und der vielleicht entlarvenden und erklärenden Sprache der Figuren wird fundiert mit 2.1. Thema und Inhalt des Woyzecks und fortgeführt mit 2.2. Sprache und Sprechen, Sprachohnmacht und Sprachfunktionen sowie 3.3. Die Sprache der Figuren und das Sprachsystem der Gesellschaft.[11]

2.1. Thema und Inhalt des Woyzeck

Auf den ersten Blick ist Woyzeck ein Liebes- und Eifersuchtsdrama mit tödlichem Ende: Der Soldat Woyzeck, in unehelicher familienähnlicher Beziehung mit Marie, tötet seine Geliebte, nachdem er durch den Hauptmann von ihrem Ehebruch erfahren hat.

Sehr viel mehr ist es aber das Drama[12] des einfachen Soldaten Woyzeck, der, um Frau und Kind ernähren zu können, nicht nur seine Arbeitskraft zu Zusatzverdienstmöglichkeiten nutzt, sondern auch seinen Körper zu Menschenversuchen verkauft; Der am Rande der Existenzmöglichkeit von allen Seiten gedemütigt und als Untugendhafter geächtet wird; Dessen (nicht angetraute) Frau ebenso die Ächtung erfährt und eine Affäre beginnt; Und der – nicht zuletzt wegen der Menschenversuche an ihm – zu halluzinieren beginnt und Verhaltensweisen ausbildet, die störend bzw. wissenschaftlich nutzbar für seine Herren sind, als Wahnsinn gedeutet werden und ihn schließlich zum Mord an Marie, und damit zur Selbstzerstörung führen.

Allgemeiner: Büchner führt am Beispiel eines beliebigen Ausgebeuteten vor, wie die herrschenden Klassen – Alter Adel mit Militär und das ‚aufgeklärte’ und aufstrebende Bürgertum (Zu Zeiten Büchners selbst im Widerstreit, aber doch vereint gegen die Besitzlosen) - die abhängige Klasse systematisch ausbeuten und im Joch halten – mithilfe sozialer Normen, Tugend(floskeln) und der Definition dessen, was gut ist bzw. gut zu sein hat. Der Aufklärungs- begriff wird pervertiert; ‚frei entscheiden’ soll man sich für das, was der Gesellschaft nützt: Anpassung und Einordnung, Unterdrückung des Triebhaften, des Tierischen – dabei scheinen die Menschen selbst dressiert. Büchner zeichnet davon keine klare Kausalkette, er macht keinen „Erstverursacher“ aus. Statt dessen stellt er facettenreich und fast überzeichnet dar, welche vielen Aspekte des Lebens beeinflusst sind und von wo überall solche Beeinflussung ausgeht. Die wichtigsten Charakteristika Woyzecks werden gleich in der ersten Szene deutlich: Er geht einer niederen Tätigkeit nach, Stöcke schneidend mit seinem Kollegen Andres. Sofort erfährt der Zuschauer von seiner Angst vor unbestimmten Gewalten (dem Volksglauben gemäß projiziert auf die Freimaurer), von Halluzinationen, die Woyzeck versucht, Andres mitzuteilen. Direkt wird seine Sprachohnmacht offenbar. Wie das später auftauchende Pferd (3) kann er sich nicht ‚explicirn’, jedenfalls nicht mit eigenen Worten, sondern bedient sich des biblischen Bildes von der Apokalypse, um die Intensität seiner Ängste auszudrücken. Wie es sich durch das ganze Stück hinzieht, entwickelt sich daraus kein Dialog. Andres versteht ihn nicht, wird ängstlich, geht nicht auf seine Äußerungen ein, sondern antwortet mit einem (abgebrochenem) Lied, kurzen Wörtern und entzieht sich dann der Situation, indem er Woyzeck auf das Signal für ihre erwartete Rückkehr in die Kaserne aufmerksam macht. Der Zuschauer weiß nach dieser kurzen Szene um die Fremdbestimmtheit von Woyzecks Leben, um seine Einsamkeit (bedingt durch die Unmöglichkeit der Kommunikation) und um seine vagen, aber intensivsten Ängste.

2.2. Sprache und Sprechen, Sprachohnmacht und Sprachfunktionen

Sprache wird zum Thema, weil sie den Figuren im Woyzeck nicht selbstverständlich zur Verfügung steht. Nicht alle verfügen über das selbe Repertoire und dieselben Wahrnehmens- und Begriffskategorien; Bei Angehörigen unterschiedlicher Schichten (Woyzeck/Doktor, Woyzeck/Hauptmann) überschneiden sie sich quasi nicht. Fast zwangsläufige Konsequenz ist das Misslingen jeglicher Form von Dialog. Auf Äußerungen gibt es fast keine direkte Resonanz: „Die Sprache schafft, ihrer Ausdrucksstruktur entsprechend, statt Gemeinsamkeit nur noch Isolierung.“[13] Und Mayer urteilt: „„Hier geht kein Weg, ist keine Verständigung möglich. (...) Hier erscheinen (...) die Redenden und Handelnden durchaus gebunden durch ihre Funktionen und Stellungen in der gesellschaftlichen Hierarchie“[14]

Selbst wenn einer inhaltlich passend antwortet (was noch lange keine gelungene Verständigung bedeutet), ist meistens die Redezeit eines der Dialogpartner deutlich länger als die des anderen, sodass in den meisten Dialogen eher von einem Monolog mit Einwürfen und Unterbrechungen als einem Dialog gesprochen werden kann; am extremsten natürlich im Gespräch Woyzecks mit seinem Vorgesetzen:

(5) HAUPTMANN: Woyzeck Er sieht immer so verhetzt aus. Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat.- Red Er doch was Woyzeck. Was ist heut für Wetter?

WOYZECK: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm; Wind.

HAUPTMANN: Ich spür’s schon, `s ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. (Pfiffig) Ich glaub wir haben wo was aus Süd-Nord.

WOYZECK: Ja wohl, Herr Hauptmann.

HAUPTMANN: Ha! Ha! Ha! Süd-Nord! Ha! Ha! Ha! O Er ist dumm, ganz abscheulich dumm (Gerührt) Woyzeck, Er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch – aber (mit Würde) Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind, ohne den Segen den Kirche, wie unser hochehrwürdiger Herr Garnisonsprediger sagt, ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir.

Aber nicht nur der Dialog, auch der Monolog, die kontinuierliche Rede ist gestört; Die einzelnen Sätze sind abgehackt, versehen mit einer Vielzahl von Interjektionen, teilweise ohne vollständige grammatische Struktur und abgebrochen, ohne einen Gedanken zu Ende zu führen. Das zieht sich durch das ganze Stück, „keine Person ist zu einem klaren Gedanken fähig – die logischen Strukturen der Sätze und Satzketten sind beinahe immer zerstört.“[15]

(8) WOYZECK. (...) Aber mit der Natur ist’s was andres, sehn Sie, mit der Natur, (er kracht mit den Fingern) das ist so was, wie soll ich doch sagen, zum Beispiel –

Krapp geht so weit, von der Abschaffung des Grammatischen als Ordnungsschema überhaupt zu sprechen.[16] Als weitere Indizien dafür führt er die häufigen Zäsuren und die dadurch herbeigeführte Einzelstellung der Wörter an, die in Ermangelung von Bindegliedern und Struktur aneinanderrücken: Er konstatiert deswegen eine entstehende Schnelligkeit, einen „Primat eines rhythmischen Elements“[17] Insgesamt lässt sich also eindeutig feststellen, dass man im Woyzeck, und am wenigsten auch bei eben dieser Figur, kaum zusammenhängende fließende Rede findet. Meines Erachtens ist das Ausdruck seiner Verwirrung über seine Verhältnisse und die Gesellschaft als Ganze (über die er nicht explizit nachdenkt; die aber Gegenstand seiner Überlegungen ist, wenn er über den Zusammenhang von z.B. Armut und Moral redet).

[...]


[1] Z.B. van Dam 1969. Noch interessanter aber vielleicht die Aufassung Krapps, wonach sich solche Überlegungen verbieten, weil die als Einzelmomente angelegten Szenen Büchners keiner logischen Reihenfolge gehorchen: „Man fasst sie nicht (...) will man sie mit den Argumenten, die der tradierten Kausalkategorie für das Drama entstammen, in zeitlicher Folge ordnen. Statuarisch gebildet und Situationen zeigend, sind sie gleichzeitig zu verstehen, als Aspekte immer nur des gleichen Themas.“, Krapp 1970: 93.

[2] Z.B. Mautner 1961.

[3] Enthalten z.B. in Poschmann 1985.

[4] Glück 1985.

[5] Szenennachweise erfolgen in dieser Arbeit nach der Lesefassung aus der sog. „Münchner Ausgabe“, um Kontinuität zu gewährleisten und nicht allzu viel Mühe auf das nicht im Fokus stehende Problem der unterschiedlichen Entwurfsstufen verwenden zu müssen.

[6] Grundtenor von Krapp 1970.

[7] Vgl. z.B. Knapp 2000: 179ff.

[8] Interessant wäre vermutlich in diesem Zusammenhang der ‚Hessische Landbote’.

[9] Bei diesem Versuch soll gegenwärtig sein, dass die problematische Überlieferungslage Zweifel erlaubt, inwieweit die Sprache der Figuren in ihrer in der Lesefassung präsentierten Form so von Büchner konstruiert war. In seiner editionswissenschaftlichen Abhandlung über ‚Woyzeck’ befindet Schmid gar: „Es ist nicht möglich, (...) einen einheitlichen Stilwillen Büchners in der Frage der Sprachebene zu erkennen und einzelne Personen auf bestimmte Sprechweisen festzulegen. So ist mit dem Vergleich von Parallelszenen und –stellen wenig zu gewinnen. Es bleibt nur die Möglichkeit, jeweils für einzelne Szenen oder noch kleinere Texteinheiten den Sprachgestus zu bestimmen und zu versuchen, von hier aus zu begründeten Entscheidungen zu gelangen.“ (Schmid 1988: 21f.) Meines Erachtens bleibt darüber hinaus durchaus die Möglichkeit, den Wortschatz und die grundlegenden Sprechschemata einzelner Figuren zu erheben.

[10] Schmid 1988: 225.

[11] Der ursprüngliche Plan, Einzelszenen zu beleuchten, inhaltliche Herrschaftsbereiche abzustecken, musste allein aus Platzgründen fallen gelassen werden. Da Textkenntnis beim Leser vorausgesetzt werden kann, ist diese Entscheidung vertretbar.

[12] Eine literaturwissenschaftliche oder dramenhistorische Problematisierung des Begriffs „Drama“ werde ich hier nicht anbringen und möchte im Folgenden „Drama“ nur stellvertretend für „Theaterstück“ verstanden wissen.

[13] Krapp 1970: 103.

[14] Mayer 1969: 235f.

[15] Meier 1986: 65.

[16] Krapp 1970.

[17] Krapp 1970: 82. In der Interpretation dagegen zu vernachlässigen sind meines Erachtens aber die Deutungen, die die abgehackte Sprache, die ja vor allem auch durch ständige Wortverkürzungen erreicht wird, als abgewandelte Form eines Volksdialektes ansehen.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Zu: Georg Büchners Woyzeck - Die Sprache der Herrschaft und Herrschaft durch Sprache?
Hochschule
Freie Universität Berlin
Note
1,0
Jahr
2005
Seiten
18
Katalognummer
V69716
ISBN (eBook)
9783638620154
Dateigröße
427 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Georg, Büchners, Woyzeck, Sprache, Herrschaft, Sprache
Arbeit zitieren
Anonym, 2005, Zu: Georg Büchners Woyzeck - Die Sprache der Herrschaft und Herrschaft durch Sprache?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69716

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