Fremdsprachenunterricht. Die Sequenzen des Spracherwerbs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

33 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Die Theorie der Erwerbssequenzen im Kontext der Wissenschaftsgeschichte
2.1 Theorien des L1-Erwerbs
2.1.1 Behaviorismus und Funktionalismus
2.1.2 Nativismus und Universalgrammatik
2.1.3 Kognitivismus und Konstruktivismus
2.2 Theorien und Methoden des Fremdsprachenunterrichts
2.3 Der ungesteuerte L2-Erwerb
2.3.1 Das Heidelberger Projekt und das Kieler Projekt
2.3.2 Die ZISA-Studie
2.3.3 L1 vs. L2

3 Spracherwerbsstufen: Vom Multidimensionalen Modell zur Processability Theory
3.1 Die ZISA-Studie und das Multidimensionale Modell
3.2 Die Teachability Theory
3.3 Die Processability Theory
3.3.1 Spracherzeugung und Sprachverarbeitung
3.3.2 Der Hypothesenraum
3.3.3 Generative Entrenchment
3.3.4 Die Steadyness Hypothesis
3.3.5 Universalität des PT-Ansatzes
3.3.6 Nicht-verarbeitungsbezogene Variablen

4 Konsequenzen für Praxis und Forschung
4.1 Das Lernbarkeitsproblem: PT vs. Markiertheitstheorien
4.2 Erkenntnisse über die Natur des Spracherwerbs
4.3 Praktische Anwendbarkeit
4.3.1 Verzicht auf Steuerung
4.3.2 Progression gemäß den Erwerbssequenzen
4.3.3 Der Input
4.3.4 Output und Fehleranalyse
4.3.5 Grammatikprogression

5 Fazit

6 Literatur

1 Einleitung

Jeder, der schon einmal angefangen hat, (gesteuert oder ungesteuert) eine Fremdsprache zu lernen, weiß, dass dies ein äußerst komplexer Prozess ist, der auf vielerlei Arten begonnen werden kann, der verschiedene Ausgänge haben kann und zu dessen Beschreibung und Erklärung eine Vielzahl von Aspekten zu berücksichtigen ist. Einer dieser Aspekte ist die Annahme, dass der Spracherwerb (zunächst ohne Differenzierung zwischen L1- und L2-Erwerb) in invarianten Sequenzen vonstatten geht: die Theorie der Spracherwerbsstufen.

Diese Theorie ist in der Sprachlehr- und -lernforschung seit den 1970er Jahren bekannt. Die Details, etwa die Gültigkeit der Ergebnisse für die verschiedenen Strukturbereiche und die psycholinguistischen Grundlagen der Sequenzen sowie die praktische Anwendbarkeit im Fremdsprachenunterricht, sind z.T. nach wie vor umstritten. Während bestimmte Sequen­zen, etwa in Bezug auf die Reihenfolge des Erwerbs der deutschen Wortstellung, als empirisch abgesichert gelten können, wurde für andere erst wenig Evidenz gefunden.

In der Frage nach dem Warum dieser Reihenfolge, wo sie denn als gegeben hingenommen wird, spiegelt sich die althergebrachte Diskussion zwischen den verschie­denen Strömungen der Wissen­schaftstradition wider. Einige suchen die Ursachen in den Gegebenheiten einer Universal­grammatik, die bestimmte Parameter beinhaltet, die jeweils in einer bestimmten Reihenfolge aktiviert werden müssen; andere führen sie eher auf die neuronale Struktur des menschlichen Gehirns und auf die Natur der Sprachverarbeitungsprozesse im Gehirn oder auf die kognitiv-intellektuelle Entwicklung allgemein zurück.

In dieser Arbeit soll zunächst die Theorie der Spracherwerbssequenzen in den allgemeinen Kontext der Wissenschaftsgeschichte gestellt werden, um die theoretischen Rahmen­bedingungen zu klären, auf denen sie basiert bzw. von denen sie sich kontrastiv abhebt.

In der Folge soll im Detail nachgezeichnet werden, wie diese Theorie von einem ihrer wichtigsten Vertreter, Manfred Pienemann, entwickelt und fortgeführt wurde: vom Multidimensionalen Modell über die Teachability Theory zur Processability Theory. Dabei soll festgestellt werden, welche Aspekte des Spracherwerbs damit erklärt und vorhergesagt werden könne, und auf welche Weise.

Zu guter Letzt soll die praktische Relevanz der Erwerbssequenzen im Fremdsprachen­unter­richt diskutiert werden, d.h. die Möglichkeit und die Modalitäten ihrer Einbeziehung gerade in ein kommunikativ-interkulturell ausgerichtetes Curriculum.

2 Die Theorie der Erwerbssequenzen im Kontext der Wissenschaftsgeschichte

Die Frage nach den Grundlagen der Sprachfähigkeit und des Spracherwerbs hat eine lange Tradition in der Diskussion zwischen Vertretern verschiedener Schulen der Linguistik, der Psychologie und verwandter Disziplinen. Die unterschiedlichen Ansätze spiegeln sich in der Psycholinguistik und in der Sprachlehrforschung (= Sprachlehr- und Sprach­lern­forschung) und beein­flussen, wenn auch in relativierter Form, noch heute die Theorie­bildung. Aus diesem Grund sollen an dieser Stelle zunächst die wichtigsten der konkurrierenden Erklärungs­ansätze vorgestellt und aus dem Blickwinkel des neueren Forschungsstandes[1] beurteilt werden.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bemerken, dass bis heute keine Theorie existiert, die sämtliche Aspekte des Spracherwerbs in glaubhafter und kohärenter Weise erklären könnte; dagegen haben trotz aller Mängel alle der vielfach kritisierten und verworfenen Ansätze, die unten besprochen werden sollen, auch ihre Vorzüge hinsichtlich gewisser Aspekte, während andere nicht oder nur unzureichend erklärt werden. Es wird daher heute v.a. ein modularer Erklärungsansatz [2] vertreten, d.h. einer, der für die verschiedenen Teilbereiche des Spracherwerbs auf verschiedene Theorien zurückgreift und versucht, sie miteinander in Einklang zu bringen; das Schwarz-Weiß-Denken der Vergangenheit (man vgl. die Dis­kussion zwischen Behaviorismus und Nativismus) ist glücklicherweise überwunden.

Die wichtigsten der gegeneinander antretenden, Exklusivität beanspruchenden Theorien sind:

a) der auf den Theorien von Skinner und Leonard Bloomfield fußende Behaviorismus;
b) der Nativismus im Gefolge von Noam Chomsky;
c) der von Piaget begründete Kognitivismus.

All diese Theorien beziehen sich allerdings in der Form, in der sie ursprünglich konzipiert wurden, bestenfalls auf den L1-Erwerb (wenn sie überhaupt den Spracherwerb selber mit einschließen) und lassen den L2-Erwerb in „natürlicher Umgebung“ wie auch im Fremd­sprachen­unterricht[3] vollkommen außer Acht. Die Strategien und Ergebnisse des L2-Erwerbs blieben damit weitgehend unreflektiert, was sich sowohl in den landläufigen Ansichten über Zweisprachigkeit und Zweitspracherwerb als auch in der Diskussion um die Methoden des Fremdsprachen­unterrichts spiegelt (vgl. Wilhelm Viëtor und die neusprachliche Reformbewegung, deren Forderungen noch weit ins 20. Jahrhundert hinein großteils unbeachtet blieben). Erst in jüngerer Zeit versuchen die Sprachlehrforschung sowie die Psycholinguistik, eine umfas­sende Theorie des Spracherwerbs aufzustellen, die alle drei Erwerbstypen systematisch mit einbezieht und Gemeinsamkeiten wie Unterschiede nicht nur aufzeigt, sondern auch zu erklären versucht.

Gerade in dieser Hinsicht ist die Theorie der Spracherwerbsstufen – und ihre weiter­entwickelte Form, die Processability Theory – von großem Interesse insofern, als sie für jedwede Art des Spracherwerbs dieselbe – verarbeitungsbedingte – Basis postuliert, die dann aufgrund von anderen Faktoren auf spezifische Weise zur Ausprägung kommt.

2.1 Theorien des L1-Erwerbs

Die Wissenschaft, die sich mit dem Spracherwerb befasst, ist in erster Linie die Psycho­linguistik, die versucht, die psychologischen und die linguistischen Aspekte des komplexen Phänomens Sprache und Sprechen miteinander in Einklang zu bringen. Die ersten, die sich ausführlicher mit dem L1-Erwerb befassten, waren allerdings bezeichnenderweise nicht Linguisten, sondern (bereits Ende des 19. Jahrhunderts) Psychologen, Philosophen und Pädagogen.[4] Zu einem erneuten Aufschwung in der diesbezüglichen Forschung kam es in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts unter Miteinbeziehung der neuen Konzeptionen in der Linguistik, die aus der Sprachtheorie Noam Chomskys erwuchsen.

In den Beschreibungs- und Erklärungsansätzen dieser Zeit, aber auch noch heute, spiegelt sich die alte Diskussion zwischen Empiristen und Rationalisten: Während erstere jegliche Erklärung, die sich der direkten Beobachtung entzieht, ablehnen, beziehen letztere mentale Prozesse als unerlässliche Grundlage für das tatsächlich beobachtbare Verhalten systematisch mit ein.

2.1.1 Behaviorismus und Funktionalismus

Vertreter der ersten Denkrichtung schlechthin ist der auf den Theorien des Psychologen Burrhus F. Skinner basierende Behaviorismus, der jegliches Lernen – und damit auch den Spracherwerb – auf ein Stimulus-Response-Schema reduziert, das durch trial and error in Verbindung mit Strafe und Beloh­nung ausgebildet wird, während die black box der Verarbeitungsprozesse im Gehirn bewusst außen vorgelassen wird. Konditionierung und Assoziationslernen sind zwei weitere wichtige Begriffe, die das Lernen in seinen verschiedenen Spielarten beschreiben sollen.

Die Kritik an diesem Ansatz ließ nicht lange auf sich warten, ist es doch offensichtlich, dass Lernen mehr ist als bloße Imitation und exogen gesteuerte Dressur. Sämtliche kognitiven und kreativen Aspekte des Sprachenlernens außer Acht zu lassen, bedeutet nicht nur, der Komplexität des Gegenstandes nicht gerecht zu werden, sondern auch, vor bestimmten Phänomenen von vornherein zu kapitulieren, die sich mit dem behavio­ristischen Modell allein nicht erklären lassen (wie z.B. die erstaunliche Systematik in den noch stark „fehlerbehafteten“ Interimsprachen). Eine rein behavioristisch ausgerichtete Wissenschaft beraubt sich selbst wichtiger Beschreibungs- und Erklärungsinstrumente.

Eine modernere Version des von den Behavioristen vertretenen empiristischen Ansatzes stellen die unter dem Etikett „Funktionalismus“ geführten Ansätze dar. Diese weisen eben­falls die Annahme genetisch angeborenen sprachlichen Wissens zurück und erklären den Spracherwerb mit konzeptuell-semantischen Faktoren, die auf der Beziehung zwischen Form und Funktion als heuristischer wie motivationaler Basis beruhen.[5] Die Gültigkeit des Logischen Problems (s.u.) wird nicht akzeptiert; stattdessen wird dem Input – erleichtert durch sprachliche Anpassung der Bezugsperson, vgl. die sog. Ammensprache / motherese / baby talk – sowie interaktionalen Faktoren eine entscheidende Rolle zugesprochen.[6]

2.1.2 Nativismus und Universalgrammatik

Die hauptsächlichen Kritikpunkte, die der rationalistisch basierte Nativismus im Gefolge vom Noam Chomsky am Behaviorismus aufwarf, sind unter dem Namen Logisches Problem und Entwicklungs­problem bekannt und nach wie vor von Relevanz für die Theoriebildung insofern, als eine Theorie des Spracherwerbs für beide Aspekte eine plau­sible Erklärung liefern muss.[7]

Das Logische Problem – einer der Hauptkritikpunkte Chomskys – besagt, dass der Input, der das Kind zum Erwerb seiner L1 befähigen soll, stets begrenzt, verstümmelt und fehlerhaft ist und es in der kurzen Zeit eigentlich unmöglich sein müsste, sämtliche Prinzipien der Muttersprache daraus abzuleiten.

Das Entwicklungsproblem hingegen basiert auf der Tatsache, dass der Spracherwerb einer beschreibbaren Route folgt, die bei allen Kindern zum guten Teil übereinstimmt, und fragt nach einer Erklärung für dieses Phänomen.

Wie Wode (1993:53f) zutreffend bemerkt, „kommt keine Spracherwerbstheorie ohne die Annahme angeborener Fähigkeiten aus. Sonst müssten auch Schimpansen menschliche Sprachen lernen können. Folglich ist das Problem nicht, ob etwas angeboren ist, sondern wie viel und was.“ Nach wie vor umstritten ist nämlich die Annahme der Nativisten, es gebe im menschlichen Gehirn ein spezielles sprachspezifisches, genetisch vorgegebenes Lernsystem (LAD = language acquisition device), in dem (so die moderne Version) bestimmte Parameter nur darauf warten, ein für allemal auf einen bestimmten Wert gesetzt zu werden. Der Input liefert so lediglich die Basis für die Parametersetzung (z.B. Pro-Drop ja/nein), die ihrerseits weitere Schlüsse auf die grammatischen Eigenschaften der Sprache (z.B. Subjekt-Verb-Inversion in Aussagesätzen[8]) implizieren kann.

Problematisch an dieser Sichtweise ist neben Schwachstellen in der Eingrenzung des Gegenstandsbereiches[9] vor allem die Anwendung auf andere Spracherwerbstypen als den L1-Erwerb und Phänomene, die auf dem Kontakt mehrerer Sprachen beruhen. Gerade bei Zwei- und Mehrsprachigkeit und ihrem Erwerb wäre zu klären, nach welchen Prinzipien der LAD entscheidet, zu welchem Grad er flexibel ist, ob ein einziger LAD mehrere Sprachen meistern kann oder mehrere Lernsysteme postuliert werden müssten.

Tatsächlich unterscheiden sich die verschiedenen nativistisch ausgerichteten Theorien stark in ihren Annahmen über den Grad an Zugänglichkeit (access) und Transfer der UG beim L2-Erwerb. Auch das Entwicklungsproblem kann mit der Setzung von angeborenen Parametern nur unzureichend gelöst werden. Hier konkurrieren die Kontinuitätshypothese und die Maturationshypothese. Während letztere besagt, dass eine Art angeborener Zeitplan die Reifung bestimmt und damit die Entwicklung der UG-Prinzipien determiniert, postuliert erstere ein Ordnen von Parametern, die aufeinander aufbauen, d.h. bestimmte Parameter bilden die grammatische Voraussetzung für andere, die erst im Anschluss gesetzt werden können.[10]

2.1.3 Kognitivismus und Konstruktivismus

Wie der Behaviorismus ist auch der Kognitivismus eine in erster Linie psychologisch orientierte Theorie. Die von dem Psychologen Jean Piaget beschriebenen Entwicklungs­stadien der allgemeinen intellektuellen Reifung wurden erst später mit dem kindlichen L1-Erwerb in Zusammenhang gebracht. Grundprinzipien der Theorie sind die Assimilation (Eingliederung von neuen Informationen in bereits vorhandene Wissensstrukturen) und die Akkomodation (Anpassung vorhandenen Wissens an neue Informationen), die zur Bildung von neuen mentalen Konzepten als aktivem Konstruktionsprozess führt. Insofern, als Piagets Theorie eine Implikationshierarchie der involvierten mentalen Prozesse postuliert, und die Annahme von gene­tisch verankerten Parametern zurückgewiesen wird, steht sie in klarem Gegensatz zu nativistischen Annahmen.[11]

Was den Spracherwerb im Speziellen betrifft, so ist die von Piagets Anhängern (insbe­sondere Hermine Sinclair-de Zwart) vorgeschlagene starke Version der Theorie, die allein aus der intellektuellen Entwicklung die Modalitäten des Spracherwerbs ableiten will, heute nicht mehr aufrechtzuerhalten. Die neuere Forschung leugnet zwar nicht die Notwendigkeit des Erreichens einer bestimmten intellektuellen Reife, um bestimmte sprachbezogene (insbesondere semantische) Konzepte überhaupt begreifen – und damit richtig anwenden – zu können, doch zeigt gerade der L2-Erwerb im fortgeschrittenen Alter deutlich, dass der Spracherwerb nicht darauf reduziert werden kann. Wo die intellektuellen Grundlagen gegeben sind, müssen die Besonderheiten des Sprachenlernens (insbesondere im Bereich der Syntax und der Phonologie[12]) mit sprachspezifischen Fähigkeiten erklärt werden.[13] Wode (1993:57) spricht hier von einem „linguo-kognitiven Verarbeitungs­system“, ohne dessen Natur allerdings näher auszuführen.

Was die gesamte Problematik der widerstreitenden und scheinbar widersprüchlichen Theorien angeht, so schlägt Pienemann (1998; 2005) einen modularen Erklärungsansatz vor, der das Beste der beschriebenen Theorien herausgreift, um damit die verschiedenen Aspekte des Spracherwerbs zu erklären. So übernimmt er Piagets Sicht der implikationalen Natur der Entwicklung und behandelt den Spracherwerb als kognitiven Prozess; dieser impliziert zwar auch eine soziale Dimension, doch darf diese nicht mit der kognitiven ver­wechselt werden. Im Vordergrund steht der psychologische Aspekt der Verarbeitbarkeit (processability), der in den Termini der Lexikalisch-Funktionalen Grammatik[14] beschrieben wird. Jedoch werden auch einige Konzepte des Parametrisierungsansatzes nicht ausge­schlossen; vielmehr bemüht der Autor sich, Verarbeitbarkeit und generative entrenchment (als angeborene Faktoren) sowie die Universalgrammatik (als Hypothese) miteinander in Einklang zu bringen.

2.2 Theorien und Methoden des Fremdsprachenunterrichts

Der Fremdsprachenunterricht ist erst in jüngerer Zeit Gegenstand der wissenschaftlichen Erforschung geworden. Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dominierte die Grammatik-Übersetzungs-Methode die Klassenräume, und die Methodik und Progression des Unter­richts wurden weder aus psychologischer noch aus linguistischer Sicht reflektiert, wenngleich immer öfter Kritik an der traditionellen Herangehensweise laut wurde[15].

Der Aufschwung der modernen Fremdsprachendidaktik in den USA in der Zeit des Zweiten Weltkriegs brachte erstmalig wissenschaftliche Erkenntnisse in die Planung des Fremdsprachenunterrichts. Mit der audiolingualen Methode (army method), die auf beha­vioristischen Annahmen im Gefolge von Leonard Bloomfield und dem amerikanischen Strukturalismus fußte, wurde die Methodik des Sprachunterrichts gründlich umgekrempelt. Im Blickpunkt des Interesses standen jedoch in erster Linie der Lehrer und die Lehrtech­niken, -materialien und -technologien (Stichwort Sprachlabor), während dem eigentlich Betroffenen, dem Lerner selbst, in bester behavioristischer Tradition als „tabula rasa“ kaum Aufmerksamkeit zuteil wurde.

Der Lerner und seine Fähigkeiten, Interessen und Strategien rückten erst im Zuge der pragmatischen Wende in den 1970er Jahren mehr in den Mittelpunkt der Forschung. In der Praxis des Fremdsprachenunterrichts wurden kognitivistische und konstruktivistische Konzepte entwickelt, die sich zum Ziel setzten, die intellektuellen und kreativen Fähig­keiten des Lerners mit einzubeziehen und konkret zu nutzen.[16]

Der kommunikative Ansatz, dem seit den 1970er Jahren die meiste Bedeutung zukommt, konzentriert sich ganz auf die pragmatisch-funktionale Anwendbarkeit der Sprache und ersetzt die grammatikbasierte Progression durch eine pragmatisch basierte[17], während schließlich in der inter­kulturellen Sprachdidaktik auch die Erkenntnisse der Erforschung der interkulturellen Kommunikation und der kulturellen Unterschiede mit einbezogen und für den Sprachunterricht nutzbar gemacht werden.

[...]


[1] Vgl. Pienemann 1998.

[2] Vgl. Pienemann 1998:32ff.

[3] Zur Terminologie „Erwerb“ vs. „Lernen“ siehe unten.

[4] Vgl. Wode 1993:32.

[5] Wie Pienemann (1998:24f) präzisiert, finden sich unter den Funktionalisten sowohl Nativisten als auch Empiristen. Der hier vertretene nativistische Ansatz jedoch ist insofern gemildert, als für die tatsächliche Ausprägung allgemeinerer genetisch angelegter Faktoren wie der Kognitionsfähigkeit für sprachliche Phänomene auch die Umwelt eine entscheidende Rolle spielt.

[6] Vgl. Pienemann 1998:24-30.

[7] Vgl. Pienemann 2005:2f mit Bezugnahme u.a. auf Felix (1984).

[8] Vgl. Wode 1993:55.

[9] Vgl. Wode (1993:55): „Mit der Nennung genetisch verankerter Voraussetzungen ist es nicht getan. Wie spürt der Lerner diejenigen Elemente im Input auf, die für die Fixierung der Parameter entscheidend sind? Wie wird Input zu Hypothesen verarbeitet? Wie erfolgt ihre Überprüfung und die Internalisierung der gewonnenen Information?“

[10] Vgl. Pienemann 1998:15-20. Neben dem beschriebenen Parametrisierungsansatz, der auf der GB (Government and Binding Theory) basiert, kommentiert er in der Folge weitere generativistische Ansätze, u.a. das „Minimalistische Programm“ (Pienemann 1998:20-24).

[11] „For my part, I have a difficult time believing that Cantor’s theories or today’s theories of categories are already preformed in bacteria or viruses...“ (Piaget in Piatelli-Parmarini 1981, zitiert in Pienemann 1998:31). Auch wenn die Prämissen des biologischen Ansatzes hier ad absurdum geführt sind, bleibt doch das Problem der evolutionären Plausibilität des LAD bestehen. Was angeboren ist, muss genetische Grundlagen haben, wenn auch die Nativisten selber das z.T. abstreiten und eine rein logische Basis postulieren, vgl. Pienemann (1998:32).

[12] Vgl. auch Roman Jakobsons (1941) Studien zur Entwicklung des phonologischen Systems bei kleinen Kindern, zusammengefasst u.a. in Wode 1993:181-183.

[13] Vgl. Wode 1993:48-51.

[14] Die Lexical Functional Grammar (LFG) ist ein Ansatz allgemein rationalistischer Prägung, der auf der von Kaplan/Bresnan 1982 veröffentlichten Theorie beruht, jedoch mit der GB der Chomsky-Schule nur wenig zu tun hat.

[15] Vgl. Wilhelm Viëtors Pamphlet „Der Sprachunterricht muss umkehren“ von 1882.

[16] Siehe z.B. Roche 2005:18-24.

[17] Vgl. z.B. Neuner/Hunfeld 1993:83-105.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Fremdsprachenunterricht. Die Sequenzen des Spracherwerbs
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München  (Deutsch als Fremdsprache/Transnationale Germanistik)
Veranstaltung
Aspekte Interkultureller Kompetenz in den Theorien der Sprachlehrforschung
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
33
Katalognummer
V70669
ISBN (eBook)
9783638619257
ISBN (Buch)
9783638674515
Dateigröße
551 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Theorie der Spracherwerbsstufen im Zusammenhang mit anderen Theorien des Spracherwerbs, ihre Weiterentwicklung und die Möglichkeiten der Anwendung im Fremdsprachenunterricht.
Schlagworte
Sequenzen, Spracherwerbs, Anwendung, Fremdsprachenunterricht, Aspekte, Interkultureller, Kompetenz, Theorien, Sprachlehrforschung
Arbeit zitieren
M.A. Friederike Kleinknecht (Autor:in), 2006, Fremdsprachenunterricht. Die Sequenzen des Spracherwerbs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70669

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