Die interregionalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur - Element einer neuen Weltordnung?


Magisterarbeit, 2005

109 Seiten, Note: 1,3 (sehr gut)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

I. Einleitung
I.1. Thema und Fragestellung der Arbeit
I.2. Methodisches Vorgehen

II. Theoretische Überlegungen und analytischer Rahmen
II.1. Begriffsdefinitionen und Konzepte
II.2. Analyserahmen
II.2.1. Interregionale Beziehungen aus neorealistischer Perspektive
II.2.2. Interregionale Beziehungen aus neoliberal- institutionalistischer Perspektive
II.2.3. Interregionale Beziehungen aus sozialkonstruktivistischer Perspektive

III. Fallanalyse: Die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur
III.1. Der Mercosur – Neuer Regionalismus in Lateinamerika
III.1.1. Entstehungsgründe, Entwicklungsverlauf und Institutionen
III.1.2. Der Mercosur im Kontext der Weltwirtschaft
III.2. Die EU als internationaler Akteur
III.2.1. Einflusspotential, Instrumente der Außenpolitik und Ordnungsvorstellungen
III.2.2. Die Beziehungen der EU zu Lateinamerika: Dynamik und Differenzierung
III.3. Vertragliche Grundlagen und institutioneller Rahmen der interregionalen Kooperation
III.3.1. Das EU- Mercosur Interregional Framework for Cooperation Agreement
III.3.2. Institutionen der Kooperation
III.4. Die interregionale Kooperation im wirtschaftlichen Bereich: Problemfelder, Einflussfaktoren und Dynamik
III.4.1. Die wirtschaftliche Verflechtung der Regionen
III.4.2. Erwartete Auswirkungen einer interregionalen Freihandelszone
III.4.3. Beeinflussende Faktoren
III.4.3.1. Interne Faktoren: Interessengruppen und nationale Interessen
III.4.3.2. Externe Faktoren: Die WTO und der FTAA- Prozess
III.4.4. Die Verhandlungen über ein interregionale Freihandelszone: Inhalte, Angebote und gegenwärtiger Stand
III.5. Die interregionale politische Kooperation
III.5.1. Dynamik, Effizienz und Problemfelder des politischen Dialoges
III.5.2. Neue Herausforderungen für die politische Zusammenarbeit
III.6. Die interregionale Entwicklungszusammenarbeit
III.6.1. Ebenen der Entwicklungszusammenarbeit
III.6.2. Die Entwicklungszusammenarbeit auf interregionaler Ebene
III.7. Die sozio- ökonomische Dimension der interregionalen Beziehungen
III.7.1. Das Mercosur- European Union Business Forum
III.7.2. Gesellschaftliche Akteure im interregionalen Annäherungsprozess
III.8. Zusammenfassung und Auswertung der Analyseergebnisse
III.8.1. Balancing in den interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur
III.8.2. Institution-building, rationalizing und agenda-setting in den interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur
III.8.3. Collective identity-building in den interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur

IV. Fazit und Ausblick

V. Literatur- und Quellenverzeichnis
Monographien und Aufsätze:
Primärquellen und Dokumente:
Presseinformationen und Informationsquellen aus dem Internet:

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

I. Einleitung

Globalisierung ist seit etwa 20 Jahren ein zentraler Begriff in der wissenschaftlichen und politischen Diskussion, der grundlegende strukturelle Veränderungen in der Welt reflektiert. Trotz der umfangreichen Literatur zu diesem Thema existiert bislang keine einheitliche und konsensfähige Begriffsdefinition, doch kann als gemeinsamer Ausgangspunkt unterschiedlich akzentuierter Definitionsansätze die zu beobachtende Ausdehnung, Verdichtung, Stabilisierung und Beschleunigung grenzüberschreitender gesellschaftlicher Trans- und Interaktionen betrachtet werden, die in räumlicher sowie zeitlicher Hinsicht nationale Gesellschaften zunehmend miteinander verkoppeln. Vorangetrieben wird der dynamische Prozess der Globalisierung durch Innovationen im Bereich der Verkehrs-, Informations- und Kommunikationstechnologien, zunehmende Liberalisierungstendenzen im Güter- und Kapitalverkehr sowie durch Akteure, die auf dem globalen Markt unter Wettbewerbsdruck agieren (Beck 1999: 31f, Rüland 2002d: 175, Müller 2002: 8f, Mols 2003: 11). Der mit dem Ende des Ost- West Konfliktes einhergehende Zerfall der bipolaren Weltordnung ermöglichte in den ehemals sozialistischen Ländern ebenso wie in zahlreichen Entwicklungsländern marktwirtschaftliche und rechtstaatliche Reformen im Sinne neoliberaler Konzepte und hat so die Intensivierung transnationaler Aktivitäten entscheidend begünstigt.

Zwar sind transnationale Verflechtungen, insbesondere im ökonomischen Bereich, keine grundlegend neue Erscheinung. Dennoch hat die gegenwärtige Globalisierungstendenz eine neue Qualität, da die Ausweitung des globalen Marktes politische, soziale, kulturelle sowie ökologische Prozesse und Herausforderungen zur Folge hat, deren Tempo und Reichweite zuvor unbekannt waren. Als Indizien für Transnationalisierungstendenzen, die eine Entgrenzung von sozialen Räumen und Herausforderungen mit sich bringen, können etwa die Zunahme global organisierter und agierender Nichtregierungsorganisationen, der globale Klimawandel und der internationale Terrorismus gelten.

Aufgrund des transnationalen Globalisierungsprozesses verlieren die Nationalstaaten zunehmend ihre Regelungs- und Steuerungskompetenzen, die demokratische Legitimation staatlichen Handelns wird erschwert und der traditionelle Souveränitätsbegriff als Resultat der staatskonstituierenden Eigenschaften Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt bedarf einer neuen Definition, da die Territorialität als Kriterium für Staatlichkeit an Bedeutung verliert. Angesichts dieser Tendenzen entsteht auf nationalstaatlicher Ebene ein Anpassungsdruck auf bewährte politische Institutionen sowie Aktions- und Interaktionsformen (Zürn 1998).

Wie an diesen Ausführungen deutlich wird, ist auch das System internationaler Beziehungen seit dem Ende der bipolaren Weltordnung im Umbruch begriffen. Die politikwissenschaftliche Debatte um eine neue Weltordnung wird seit dem Ende des Ost- West Konfliktes geführt und es bestehen in Abhängigkeit von der theoretischen Blickrichtung sehr unterschiedliche Auffassungen bezüglich der gegenwärtigen und zukünftigen Gestalt einer internationalen Ordnung, die Chancen ebenso wie Risiken der Globalisierung reflektieren (Menzel 1998). Ausgesprochen optimistisch war zu Beginn der 1990er Jahre die Einschätzung des Liberalen Francis Fukuyama, der das Ende des Ost- West Konfliktes als Beginn eines Siegeszuges des liberal- demokratischen Ordnungsmodells betrachtete und ein Zeitalter des Friedens heraufziehen sah (Fukuyama 1992). Dem Realismus verbundene Autoren hingegen blickten etwa zur selben Zeit pessimistisch in die Zukunft und beobachteten neue Fragmentierungs- und Differenzierungstendenzen in den internationalen Beziehungen. Der wohl populärste Vertreter dieser Auffassung ist Samuel Huntington, der bereits in naher Zukunft ein Aufeinanderprallen unterschiedlicher Kulturkreise dieser Erde prophezeite (Huntington 1993, Link 1998: 20ff, Menzel 1998: 12).

Die jüngsten Entwicklungen in der Weltpolitik seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika scheinen das realistische Weltbild zunächst zu bestätigen, da in der internationalen Politik Aspekte der Macht und der Sicherheit als vorrangig gegenüber Wohlstand und demokratischer Ordnung erscheinen. Neoliberale Institutionalisten halten dennoch an der Auffassung fest, dass die gegenwärtige globale Ordnung zwar tendenziell, insbesondere aufgrund der militärischen Dominanz der USA, durch Unipolarität gekennzeichnet sei, sich jedoch auf längere Frist aufgrund der Auswirkungen von Globalisierungsprozessen eine multipolare Ordnung herausbilden wird, in der sich eine multilaterale Kooperationskultur entfalten kann. Die Zunahme internationaler Institutionen und Regelungsmechanismen als Reaktion auf grenzüberschreitende, allein durch internationale Kooperation einzudämmende Probleme gilt aus dem Blickrickwinkel dieser Denkschule als Teil eines Prozesses, in dessen Verlauf sich Strukturen eines vielschichtigen, horizontal und vertikal ausdifferenzierten Global Governance- Systems etablieren werden (Messner/Nuscheler 2003).

Der etwa seit Mitte der 1980er Jahren zu beobachtende Neue Regionalismus gilt als Antwort der Nationalstaaten auf die Herausforderungen der wirtschaftlichen Globalisierung (Wyatt-Walter 1995, Schirm 1997, 1999). In der wirtschafts- und politikwissenschaftlichen Diskussion stieg im Verlaufe der vergangenen Dekade die Zustimmung zu der Ansicht, dass Globalisierung und Regionalisierung eher symbiotische oder komplementäre als entgegengesetzte Prozesse seien, wenngleich die Debatte über diese Frage bis in die Gegenwart andauert. Das Phänomen des Neuen Regionalismus äußerte sich in der Europäischen Gemeinschaft durch eine Vertiefung der Kooperation als Folge der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) und weltweit in einer signifikanten Zunahme regionaler Kooperationsbündnisse, deren langfristige Zielsetzung eine Eingliederung in den Weltmarkt ist. Dies zeugt von Regelungsdefiziten zwischen der nationalstaatlichen und der global- multilateralen Ebene des internationalen Systems, weshalb der Neue Regionalismus nach Ansicht zahlreicher Autoren zu einem zentralen Bestandteil eines Systems kooperativer globaler Steuerung werden könnte, das eine politische Gestaltung wirtschaftlicher Globalisierungsprozesse ermöglicht (Schirm 1997, 1999, Messner/Nuscheler 2003). Als Derivat des Neuen Regionalismus ist etwa seit den 1990er Jahren, basierend auf Konzepten eines „offenen Regionalismus“, ein dichtes Netz von interregionalen Beziehungen entstanden, in dem regionale Zusammenschlüsse als kollektive Akteure in den internationalen Beziehungen kooperieren. Ebenso wie der Neue Regionalismus gelten interregionale Beziehungen als eine neue Interaktionsebene in den internationalen Beziehungen und als potentiell wichtiger Bestandteil von Global Governance (Rüland 2002a, 2002b, Dent 2004: 229).

I.1. Thema und Fragestellung der Arbeit

In der vorliegenden Arbeit werden die interregionalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union (EU) und dem Mercado Común del Sur (Mercosur[1]) untersucht. Interregionale Beziehungen sind ein recht junges Phänomen in den internationalen Beziehungen und daher ein neues politikwissenschaftliches Forschungsfeld (Rüland 2002c, Bersick 2004: 22f). Seit Ende der 1990er Jahre ist in der Politikwissenschaft jedoch ein zunehmendes Interesse an interregionalen Beziehungen zu beobachten, wobei insbesondere in Forschungsarbeiten zum Asia-Europe Meeting (ASEM[2]) das Bemühen deutlich wird, dieses Forschungsgebiet systematisch und theoretisch zu erfassen. Zum einen wurde in diesen Arbeiten die Erklärungskraft unterschiedlicher theoretischer Ansätze in den Internationalen Beziehungen überprüft. Außerdem gingen einige Autoren auf die Frage ein, inwieweit interregionale Beziehungen einen Beitrag zu Global Governance leisten bzw. zukünftig leisten könnten (Hänggi 2000, Rüland 2001, 2002a, 2002b, Yeo 2002, Gilson 2002, Bersick 2004, Dent 2004). Derartige Analysen der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur existieren bisher kaum, wenngleich diese bereits Untersuchungsgegenstand zahlreicher politikwissenschaftlicher Arbeiten waren[3].

Das Erkenntnissinteresse dieser Arbeit gilt zunächst in einem theorieüberprüfenden Arbeitsschritt der Frage, wieweit die Erklärungskraft theoretischer Erkenntnisse zu internationaler und interregionaler Kooperation im Falle der Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur reicht. Im Anschluss an die Beantwortung dieser Frage soll die übergeordnete Fragestellung beantwortet werden, ob die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur eine Kooperation auf global- multilateraler Ebene erleichtern und daher als Element eines subsidiären Global Governance- Systems bezeichnet werden können und/oder inwieweit sie das Potential hierzu besitzen.

I.2. Methodisches Vorgehen

Neben dieser Einleitung besteht die vorliegende Arbeit aus drei weiteren Teilen. Im zweiten Teil der Arbeit wird, nachdem die für das Erkenntnisinteresse notwendigen Begriffe geklärt und definiert worden sind, ein Konzept von Global Governance erstellt (II.1). Im Anschluss daran erfolgt die Errichtung eines analytischen Rahmens für die Fallstudie der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur (II.2).

Bezüglich der Untersuchung intraregionaler Beziehungen verweist Hurell auf die partielle Erklärungskraft der Theoriestränge des Neorealismus, des Institutionalismus und des Konstruktivismus. Um das komplexe Phänomen des Regionalismus umfassend und theoretisch fundiert erklären zu können, hält er einen Analyserahmen für sinnvoll, der realistische, institutionalistische und konstruktivistische Argumentationslinien berücksichtigt (Hurell 1995a: 73). In politikwissenschaftlichen Forschungsarbeiten zur Regimeanalyse, zum Neuen Regionalismus und auch zu interregionalen Beziehungen zeichnet sich seit den 1990er Jahren ein Trend ab, monokausale Erklärungen für diese Phänomene zu vermeiden (Hasenclever/Mayer/Rittberger 1997, Hettne 1999a, Schulz/Söderbaum/Öjendal 2001, Väyrynen 2003, Tavares 2004). Im Rahmen dieser Arbeit soll die partielle Erklärungskraft unterschiedlicher Theoriestränge überprüft werden um die Komplexität ebenso wie das Potential der interregionalen Beziehungen theoretisch fundiert darstellen und einschätzen zu können. Politikwissenschaftliche Analysen des ASEM- Prozesses (Rüland 2001, 2002a, 2002b, 2002c, Yeo 2002, Gilson 2002, Bersick 2004) haben ergeben, dass in diesem das „realistische, neoliberale und sozialkonstruktivistische Paradigma coexistiert. Alle drei Paradigmen besitzen daher Erklärungskraft. Das institutionalistische bzw. neoliberale, wenn man den ASEM- Prozess als Institution zur Förderung von Interdependenz und dem Interdependenzmanagement zwischen den Akteuren betrachtet. Das realistische, wenn man den Prozess auf der Analyseebene der Systemwelt betrachtet, da die interregionale Konzeptualisierung des ASEM- Prozesses vorsieht, dass ein neues Machtgleichgewicht zwischen Regionen entsteht. Das sozialkonstruktivistische, wenn man die Entstehung von kollektiven Interessen oder einer kollektiven Identität untersucht“ (Bersick 2004: 54).

In Anlehnung an diese Erkenntnis wird der analytische Rahmen für die Analyse der interregionalen Beziehungen zwischen der Europäische Union und dem Mercosur in drei Unterebenen gegliedert (II.2.1. – II.2.3). Interregionale Beziehungen werden aus der Perspektive dreier theoretischer Ansätze dargestellt, die sich in den Internationalen Beziehungen mit diesem Phänomen auseinandersetzen: dem Neorealismus, dem neoliberalen Institutionalismus und dem Sozialkonstruktivismus. Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Paradigmen und Grundannahmen dieser theoretischen Ansätze wird, unter Rückgriff auf Ergebnisse bereits existierender Analysen interregionaler Beziehungen, ein Set unterschiedlicher Funktionen erstellt, die interregionale Beziehungen in den internationalen Beziehungen erfüllen können.

Im dritten Teil dieser Arbeit werden die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur vor dem Hintergrund des analytischen Rahmens untersucht, wobei der Schwerpunkt hierbei auf einer funktionalen Analyse dieser Beziehungen liegt[4]. Zunächst werden der Mercosur und die EU getrennt voneinander betrachtet, um Hinweise auf die zentralen Interessenlagen und Motive zu erhalten, die zu einer Aufnahme der interregionalen Beziehungen geführt haben (III.1. – III.2.). Im Anschluss daran erfolgt eine kurzer chronologischer Überblick sowie eine Darstellung der vertraglichen Grundlagen und institutionellen Ausgestaltung der interregionalen Beziehungen (III.3.). Da die interregionale Kooperation gemäß der vertraglichen Grundlagen in drei Bereiche unterteilt ist (Wirtschafts- und Handelsbeziehungen, politische Zusammenarbeit sowie Entwicklungszusammenarbeit), werden diese getrennt voneinander betrachtet (III.4. – III.6). Basierend auf den aus der empirischen Untersuchung von Dynamiken, Einflussfaktoren und Problemfeldern in den einzelnen Bereichen der Kooperation gewonnen Erkenntnissen werden die interregionalen Beziehungen hinsichtlich ihrer Funktionen analysiert. In Unterkapitel III.7. des empirisch-analytischen Teils erfolgt eine Betrachtung der sozio- ökonomischen Dimension der interregionalen Beziehungen. Hierbei ist die Frage von Bedeutung, ob im Verlauf des interregionalen Kooperationsprozesses eine zunehmende Einbindung nicht- staatlicher Akteure zu beobachten ist und ob die Beantwortung dieser Frage zusätzliche Erkenntnisse hinsichtlich der Funktionen der interregionalen Beziehungen liefert. Der dritte Teil schließt mit einer Zusammenfassung und einer Auswertung der Ergebnisse der funktionalen Analyse der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur sowie einer Beurteilung der Erklärungskraft der theoretischen Ansätze, die im analytischen Rahmen dieser Arbeit zusammengefasst sind (III.8).

Im vierten Teil dieser Arbeit wird auf die übergeordnete Fragestellung eingegangen und beurteilt, inwieweit die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur als Element einer im Entstehen begriffenen, neuen Weltordnung gelten können.

II. Theoretische Überlegungen und analytischer Rahmen

II.1. Begriffsdefinitionen und Konzepte

Angesichts des Untersuchungsgegenstandes dieser Arbeit ist zunächst eine Definition des Begriffes „Region“ erforderlich. Unter Region, Regionalismus und Regionalisierung[5] werden in dieser Arbeit weder Territorien, Phänomene und Prozesse verstanden, die unterhalb der Ebene des Nationalstaates angesiedelt sind, noch solche, die nicht von nationalstaatlichen Grenzen umrissen sind[6]. Bei Regionalismus und Interregionalismus handelt es sich um Interaktionsebenen in den internationalen Beziehungen, die zwischen nationalstaatlicher und globaler bzw. multilateraler Ebene angesiedelt sind und sich anhand politischer Institutionen identifizieren lassen (Hettne 1999b: 1ff, Rüland 2001: 4f, Bersick 2004: 52f).

Bersick hält Hettnes Definition des Begriffes Region als „group of countries with a more or less explicitly shared political project“ (Hettne 1999b: 1) für ergänzungsbedürftig, da neben einem funktionalen auch ein geographisches Kriterium für eine Begriffsdefinition erforderlich sei. In Anlehnung an Daase definiert er den Begriff Region im Rahmen seiner Analyse des ASEM- Prozesses als „sozial-räumliche Einheit [...], die sowohl durch ein territoriales als auch ein funktionales Kriterium definiert ist“ (Bersick 2004: 39). Unter der Bedingung, dass diese sozial- räumliche Einheit von nationalstaatlichen Grenzen eingegrenzt ist, wird diese Definition in der vorliegenden Arbeit verwendet.

Vor einer näheren Betrachtung des Begriffes des Neuen Regionalismus ist festzuhalten, dass in der Literatur zwischen zwei Wellen der Regionalisierung bzw. des Regionalismus unterschieden wird. Die erste Welle regionaler Integration war etwa von den 50er bis Anfang der 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu beobachten[7]. Wie bereits einleitend beschrieben ist etwa seit Mitte der 1980er Jahre eine zweite Regionalismuswelle zu beobachten, mit welcher der Begriff des Neuen Regionalismus im Zusammenhang steht (Fawcett 1995: 9f, Mansfield/Milner 1997: 1ff, Hettne 1999b: 7, Rüland 2001: 4f).

Hettnes in dieser Arbeit verwendete Definition des Neuen Regionalismus enthält bereits einen Hinweis darauf, weshalb der Begriff des Neuen Regionalismus sein Prädikat verdient. Er definiert ihn als „multidimensional form of integration which includes economic, political, social and cultural aspects an thus goes far beyond the goal of creating region-based free trade regimes or security alliances. Rather, the political ambition of establishing regional coherence and identity seems to be of primary importance” (Hettne 1999a: xvi).

Hettne hebt fünf wesentliche Charakteristika (defining characteristics) hervor, durch die sich der Neue Regionalismus vom dem alten unterscheidet (Hettne 1999a: xvii, Hettne 1999b: 7f): (1) Der seit Ende der 1980er Jahre zu beobachtende Prozesses der Regionalisierung wird in stärkerem Maße als zuvor von „unten“ und von „innen“ nicht allein durch nationalstaatliche Akteure vorangetrieben, ist also in stärkerem Maße ein spontaner bottom- up Prozess. (2) Die Ursachen des Neuen Regionalismus liegen zwar noch immer im wirtschaftlichen Bereich, jedoch sind auch ökologische Fragen sowie Fragen der Sicherheit Gründe, aus denen Staaten sich zu regionalen Bündnissen zusammenschließen. Der Neuer Regionalismus ist also ein multidimensionaler Prozess. (3) Neue regionalistische Projekte werden nicht mehr nur von Staaten, sondern von einer Vielzahl von Akteuren („different types of institutions, organizations and movements“ (Hettne 1999a: xvii)) vorangetrieben, wodurch sich Organisationsstrukturen und Machtbeziehungen in der Welt verändern. (4) Der Neue Regionalismus ist aufgrund wachsender Interdependenzen in der Weltwirtschaft im Gegensatz zu dem alten Regionalismus “extrovertiert”. „'Open Regionalism' is thus one way of coping with global transformation, since an increasing number of states realize that they lack the capability and the means to manage such a task on the national level” (Hettne 1999a: xvii). (5) Der Neue Regionalismus findet unter neuen Bedingungen im internationalen Systems statt: „it takes place in a multipolar global order, whereas the old regionalism was marked by bipolarity” (Hettne 1999a: xvii).

Angesichts des Erkenntnisinteresses dieser Arbeit erscheint eine eingehendere Betrachtung des von Hettne angesprochenen Konzeptes eines „offenen Regionalismus“ notwendig, da die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur auf die Existenz eines solchen zurückgeführt werden können (Sanchez-Bajo 1999: 939)[8]. Vasconcelos charakterisiert offenen Regionalismus im Rahmen einer Analyse der Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur als „policy generally espoused by defined poles in the international system in order to implement their external economic, political and security relations through free trade agreements”. Er betont jedoch, dass offener Regionalismus ein unbestimmtes Konzept sei: „from the [US-] American viewpoint it means above all the creation of large free trade areas […]; from the European viewpoint, it goes beyond free trade alone to embrace conditionality and political cooperation, as well as development aid” (Vasconcelos 2001: 135f).

Die Europäische Kommission verwendet das Konzept des offenen Regionalismus zur Beschreibung ihrer Ziele und Strategien in den Außenbeziehungen zum Mercosur und legt dabei den Schwerpunkt auf die Vereinbarkeit von regionalen Integrationsformen mit einem multilateralen und welthandelsoffenen Rahmen (Europäische Kommission 1994: 3). Die United Nations Economic Commission for Latin America and the Caribbean (UN/ECLAC) hat den Integrationsprozess im Mercosur nachweislich beeinflusst (Gratius 2003a: 75). Sie konzipiert offenen Regionalismus als eine neue Strategie, die lateinamerikanischen Staaten Entwicklungschancen eröffnet und eine schrittweise Eingliederung in den globalen Markt ermöglicht (UN/ECLAC 1994: 12).

Sanchez- Bajo stellt in ihrer Analyse der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur fest, dass seitens des Mercosur die Gefahr der Marginalisierung im Verlauf des wirtschaftlichen Globalisierungsprozesses ausschlaggebend für die Aufnahme interregionaler Beziehungen gewesen sei (Sanchez-Bajo 1999: 929). Offener Regionalismus sei in den interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur von den Kooperationspartnern konzeptualisiert worden als „strategy to assure the insertion of LDCs [Least Developed Countries] into a world conceived as multipolar, preventing their turning into a closed trading block“ (Sanchez-Bajo 1999: 929).

Bersick betont bei seiner politikwissenschaftlichen Analyse des ASEM- Prozesses die politische Dimension des offenen Regionalismus, was trotz der Unterschiede der Untersuchungsgegenstände auch in dieser Arbeit geschehen soll[9]. In Anlehnung an die Erkenntnisse von Sanchez- Bajo und Bersick wird der Begriff offener Regionalismus im Rahmen dieser Arbeit als Strategie mit dem Ziel definiert, ein interregionales Management wirtschaftlicher sowie politischer Interdependenzen zu ermöglichen, den Abbau von Asymmetrien in den Interdependenzbeziehungen zu erleichtern und ein multilaterales Welthandelssystem sowie eine multipolare Weltordnung zu stützen.

Anhand der Ausführungen zum Neuen Regionalismus wird deutlich, dass Interregionalismus und interregionale Beziehungen als Begleiterscheinungen dieses Phänomens entstanden sind. Interregionalismus existiert in Form interregionaler Beziehungen (bilateraler Interregionalismus) sowie in Form transregionaler Beziehungen (Transregionalismus): „While interregional relations are group-to-group dialogues without common overarching institutions, transregional fora have a more diffuse membership. Through common, albeit loose institutions, they develop some form of independent actorness which distinguishes them from group-to-group dialogues” (Rüland 2002a: 2). Die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur, zweier internationaler Organisationen, fallen unter die erste Kategorie des Interregionalismus, während der ASEM- Prozess ein Beispiel für Transregionalismus ist (Faust 2002: 12, Rüland 2002a: 2).

In der sehr breit angelegten Debatte um Global Governance werden die Chancen und Grenzen von Multilateralismus diskutiert, wobei Aspekte der Kooperation, institutionelle Fragen sowie die Bedeutung von Normen und Ideen für die Entstehung kollektiver Identitäten eine herausragende Rolle einnehmen (Cable 1999, Messner/Nuscheler 2003). Die theoretischen Erkenntnisse des neoliberalen Institutionalismus und auch des Sozialkonstruktivismus spielen in den Argumentationslinien von Global Governance- Forschern eine fundamentale Rolle[10]. Ausgangspunkt der Debatte ist die Feststellung, dass sich im Zuge der transnationalen Globalisierung die Notwendigkeit ergibt, grenzüberschreitende Probleme mit kooperativen und demokratisch legitimierten Regierungsformen „jenseits des Nationalstaates“ (Zürn 1998) zu lösen (Rüland 2002d: 176, Messner/Nuscheler 2003: 3). Hierbei sollte nicht nur „hierarchisches Regieren durch Staaten, sondern auch horizontales Regieren mit Staaten als gleichberechtigten Partnern oder gar Regieren ohne Staaten“ (Zürn 1998: 25) möglich sein.

Internationale Beziehungen stellen sich aus dieser Perspektive als Spinnwebmodell dar, in dem Nationalstaaten wichtige Akteure unter vielen sind, die allerdings nicht länger im Stande sind isoliert die Ereignisse auf ihrem Territorium zu bestimmen. Sie erhalten in einem solchen Mehrebenensystem eine wichtige „Scharnierrolle“ (Deutscher Bundestag 2002: 420), indem sie als Vermittlungsinstanzen zwischen sub- und supranationaler Ebene fungieren. Ihre zentrale Rolle ergibt sich aus der Tatsache, dass sie alleine über ein legitimes Gewaltmonopol verfügen und als Rechtsetzungsinstanzen anerkannt werden. Der staatliche Aufgabenbereich wird also aufgrund der Notwendigkeit „geteilter Souveränitäten“ (Messner/Nuscheler 2003: 15) partiell neu definiert, die aus institutionalistischer Perspektive aus komplexen Interdependenzbeziehungen resultiert (Cable 1999: 55, Messner/Nuscheler 2003).

Das Konzept einer Global Governance sieht nicht die Einrichtung einer zentralen Weltregierung oder eines hierarchischen Weltstaates vor, sondern institutionelle Arrangements, welche ein dezentrales, subsidiäres und föderatives System bilden und so eine multilaterale Kooperationskultur fördern, die eine effiziente Lösung grenzüberschreitender Probleme ermöglicht. Wenn auch in unterschiedlicher Gewichtung wird hierbei die aktive Teilnahme nicht- nationalstaatlicher Akteure an der internationalen Politik gefordert, etwa durch eine institutionalisierte Beteiligung von transnationalen Konzernen oder nicht- gouvernementalen, transnationalen Organisationen an Prozessen der internationalen Politik, an internationalen Organisationen und Regimen (Messner/Nuscheler 2003: 14f).

Subsidiarität wird für Global Governance als zentrales Prinzip betrachtet, weshalb die Bearbeitung spezifischer Probleme auf der Ebene erfolgen und institutionell angesiedelt sein sollte, die sachlich und organisatorisch angemessen erscheint. Die zu beobachtende Ausdifferenzierung des internationalen Systems in bilaterale bzw. nationale, regionale, interregionale und globale bzw. multilaterale Handlungs- und Problembearbeitungsebenen der internationalen Politik (Rüland 2001: 4f, 2002d: 177) könnte die Legitimität politischer Entscheidungen erhöhen, indem sie effizientere Problemlösungen ermöglicht (Messner/Nuscheler 2003: 16, Dent 2004: 229).

Die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur sollen im Rahmen dieser Arbeit auf ihre Kompatibilität mit dem hier erstellten Konzept von Global- Governance beurteilt werden. Auf die Fallstudie bezogen stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, mit welcher Effektivität die interregionalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur „die Funktion von Scharnieren zwischen globaler und regionaler [...] Handlungsebene“ (Rüland 2002b: 177) erfüllt haben und inwieweit sie das Potential hierzu besitzen.

II.2. Analyserahmen

Wie bereits erläutert, lassen sich die Phänomene des Neuen Regionalismus und des Interregionalismus basierend auf den theoretischen Ansätzen der Neorealismus, des neoliberalen Institutionalismus sowie des Sozialkonstruktivismus in unterschiedlicher Weise erklären, weshalb interregionalen Beziehungen je nach theoretischem Blickwinkel unterschiedliche Funktionen zugeordnet werden können.

II.2.1. Interregionale Beziehungen aus neorealistischer Perspektive

Der Neorealismus betont im Gegensatz zum neoliberalen Institutionalismus die Hemmnisse anstatt der Chancen von Kooperation im internationalen System. Die Staatenwelt bildet ein anarchisches Selbsthilfesystem, in dem sich die wechselseitige Wahrnehmung an relativer Macht orientiert und das Handeln der Akteure dem Ziel dient, die internationale Machverteilung im Rahmen eines Nullsummenspiels zu ihren Gunsten zu konfigurieren, also absolute Gewinne zu erzielen (McKinlay/Little 1986: 71ff).

Ordnungsstiftende Kraft kann aus dieser machtpolitischen Perspektive heraus durch eine balance of power, einen Hegemon oder eine Kollektivhegemonie weniger mächtiger Staaten entstehen. Internationale Kooperation wird also angestrebt, um innerhalb des internationalen politischen Systems ein Gleichgewicht der Mächte oder hegemoniale Stabilität zu erreichen. Im ersten Fall gilt es, den Einfluss eines militärisch und/oder wirtschaftlich als übermächtig und daher als Bedrohung für Sicherheit und Wohlstand empfundenen Staates durch Allianzbildungen mit anderen Staaten auszubalancieren (balancing). Der hegemonialen Stabilitätstheorie zufolge wird durch die Existenz eines Hegemons die Bildung von Integrationsmechanismen entweder dadurch entscheidend erleichtert, dass dieser den unterlegenen Staaten die Kooperation auferlegen kann oder dass sich die unterlegenen Staaten dem Hegemon freiwillig anschließen (bandwagoning), da dieser die Kosten für eine Errichtung und Aufrechterhaltung der Integrationsmechanismen trägt und durch die Bereitstellung kollektiver Güter wie Sicherheit oder Freihandel Anreize zur Kooperation schafft (Hasenclever/Mayer/Rittberger 1997: 83ff).

Die neorealistische Grundannahme, dass allein Nationalstaaten die maßgeblichen Akteure in den internationalen Beziehungen sind, wird eingebettet in Aussagen zum Regionalisierungs- und Globalisierungsprozess. Aus neorealistischer Perspektive ist der Nationalstaat nicht der Verlierer dieser Entwicklungen, durch sie kann er partiell sogar gestärkt werden, indem er als „Wettbewerbstaat“ agiert und sich so „an die Herausforderungen der Globalisierungsprozesse anpasst“ (Roloff 1998: 70f, Link 1998: 163f). Dass der Neue Regionalismus eine Antwort der Nationalstaaten auf grenzüberschreitende Ordnungsprobleme ist, wird nicht bestritten, allerdings wird dieser im Gegensatz zu institutionalistischen und polit- ökonomischen Erklärungsansätzen aus der Logik der Macht- und Gegenmachtbildung heraus erklärt und als Phänomen der Machtbalance gesehen[11]. Interessenbasierte Ansätze[12], so Roloff, könnten nicht erklären, warum die Dynamik des Regionalismus größer sei als die Tendenz zum universellen Multilateralismus: „Theoretische Ansätze, die den Schwerpunkt auf regionale Interdependenzen legen und Ansätze, die die Bedeutung innerer Faktoren für die Ausgestaltung regionaler Integration betonen, können diese Frage nicht hinreichend erklären, weil sie die externen Einflüsse auf die regionale Integration außer acht lassen“ (Roloff 2001: 89). Im Rahmen der weltwirtschaftlichen Triade, bestehend aus den drei Großregionen Westeuropa, Asien-Pazifik und Nordamerika, ist die Macht multipolar bzw. auf drei Pole verteilt, weshalb hier mit balancing durch die Hauptakteure und mit bandwagoning durch die peripheren Staaten zu rechen sei. „Ein ausgewogenes multipolares Gleichgewicht, das tendenziell die Kooperation fördert, wird von den Konkurrenten der USA angestrebt, ist aber nur ansatzweise realisiert“ (Link 1998: 159, Roloff 2001: 27f).

Regionalismus und interregionale Beziehungen werden, wie internationale Organisationen und Regime im Allgemeinen, aus neorealistischer Perspektive als „variables Instrument“ (Link 1998: 155) der Nationalstaaten betrachtet, um im Rahmen einer Politik des „dynamischen kooperativen Gleichgewichts“ (Link 1998: 157) eine Machtbalance im geo- ökonomischen Bereich herzustellen. „Ebenso wie der geopolitische Wettbewerb folgt [der geo-ökonomische Wettbewerb] der Logik von Macht- und Gegenmachtbildung, von Hegemoniestreben und Gleichgewichtspolitik, wobei die Gegenmacht- und Gleichgewichtspolitik kooperativ oder gar integrativ, aber auch konfrontativ- antagonistisch sein kann“ (Link 1998: 156f). Auch die Europäische Union folgt dieser Logik: „The EU’s interregional relations have […] not been free of global ,power politics'” (Dent 1997: 56). Interregionale Kooperation lässt sich ebenso wie Regionalismus aus neorealistischer Perspektive als „Strukturprinzip zweiter Ordnung, abgeleitet und abhängig von dem fundamentalen staatlichen Ordnungsprinzip“ (Link 1998: 156) begreifen. Die Bildung von interregionalen Beziehungen kann grundsätzlich mit der Bildung von Allianzen verglichen werden, aus der sich ein interregionales „Konzert der Mächte“ entwickeln kann, das jedoch bei elementaren Fragen der high politics, die vitale Interessen wie die nationale Souveränität berühren, mit hoher Wahrscheinlichkeit abgebrochen wird (Roloff 1998: 85ff, Roloff 2001: 16).

Rüland beschreibt inter- und transregionale Fora aus neorealisticher Perspektive als „pragmatic and flexible coalitions of regional organizations activated to counter advantages of others or to create advantages for one’s own region in the Triadic economic competition” (Rüland 2002b: 4). Aus neorealistischer Perspektive erfüllen interregionale Beziehungen die zwei Funktionen balancing, hierzu zählt auch institutional balancing (Rüland 2002e: 4), und bandwagoning (Hänggi 2000, Rüland 2001, Rüland 2002a: 3ff), wobei in dieser Arbeit lediglich untersucht werden soll, inwieweit die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur die erste dieser Funktionen in den internationalen Beziehungen erfüllen. Vor dem Hintergrund der neorealistischen Theorie ist zu erwarten, dass die interregionalen Beziehungen der EU und dem Mercosur dazu dienen, in einem Wettbewerb um wirtschaftliche Macht ihre Position zu verbessern und den Einfluss der USA einzudämmen, die gegenwärtig mittels der Errichtung einer gesamtamerikanischen Freihandelszone (Free Trade Area of the Americas, FTAA) einen Ausbau ihrer regionalen und globalen wirtschaftlichen Macht anstreben. Während der Mercosur bestrebt sein wird, dem US-amerikanischen Vormachtstreben in den Amerikas zu begegnen, wird das Handeln der EU durch globale Gleichgewichtskalküle und den wirtschaftlichen Machtwettbewerb in der Triade motiviert sein (Rüland 2002b: 3f).

Mit Blick auf die auf Global Governance bezogene Fragestellung dieser Arbeit ist zu erwarten, dass die EU und der Mercosur mit dem Ziel kooperieren, nach dem Ende der systemischen Bipolarität in den internationalen Beziehungen eine neue Weltordnung zu entwickeln, die auf einem Machgleichgewicht zwischen den Regionen beruht und dass die interregionale Kooperation ermöglich wird, weil sowohl auf intraregionaler als auch auf interregionaler Ebene die Existenz eines nationalstaatlichen Hegemons oder einer Kollektivhegemonie die Stabilität der Beziehungen gewährleistet[13]. Für die Rolle interregionaler Beziehungen im Prozess der globalen Neuordnung und ihre Funktion in einem Global Governance- System ist die Frage entscheidend, ob der Wettbewerb zwischen den großen Wirtschaftsmächten der Triade und den von diesen strukturierten und geführten Regionen kooperativ oder konfrontativ- antagonistisch gestaltet wird, ob also ein kooperativer oder konfrontativer Interregionalismus zu beobachten ist (Roloff 1998, 2001). Hierbei wird insbesondere zu untersuchen sein, ob aufgrund der gestiegenen Bedeutung von Macht- und Sicherheitspolitik in der internationalen Politik seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 eine Zunahme von balancing - Kalkülen innerhalb der EU und des Mercosur sowie auf interregionaler Ebene zu beobachten ist.

II.2.2. Interregionale Beziehungen aus neoliberal- institutionalistischer Perspektive

Der neoliberale Institutionalismus betont die Chancen von Kooperation in den internationalen Beziehungen. Zwar wird die Existenz von struktureller Anarchie, Konfliktpotential sowie von Differenzierung- und Fragmentierungsprozessen nicht verneint. Im Gegensatz zur Theorie des Neorealismus geht der neoliberale Institutionalismus jedoch davon aus, dass neben dem Streben nach Macht und Sicherheit auch Wohlfahrt ein handlungsbestimmender Faktor für die Akteure im internationalen System ist[14] [15]. „For the institutionalist, the key question is how power politics can be mediated through cooperation with the framework of international institutions, taking for granted, that the growing material interdependence among states and societies make such cooperation not only necessary but also inevitable” (Farell 2004: 5). Neoliberale Institutionalisten gehen davon aus, dass durch Institutionen mehr Kooperation im internationalen System stattfindet und dass ein hohes Maß an Institutionalisierung die Stabilität des internationalen Systems erhöht (Keohane 1989: 4, 66, Smith 1997: 169f, Little 1997: 233).

Keohane definiert den Begriff der Institution als „persistent and connected set of rules (formal and informal) that prescribe behavioral roles, constrain activity and shape expectations” (Keohane 1989: 3). Institutionen existieren in Form formaler inter- oder transnationaler Organisationen, internationaler Regime oder auch von Verhaltenskonventionen und erleichtern zwischenstaatliche Kooperation, indem sie Transaktionskosten senken, Informationsdefizite abbauen und Transparenz erhöhen, Kontrolle gewährleisten und die Erwartungen über das Verhalten anderer Akteure stabilisieren (Keohane 1989: 2, 163ff).

Die im Zuge des Globalisierungsprozesses zunehmend komplexen Interdependenzbeziehungen zwischen Staaten sind eine Folge von internationaler Kooperation und zugleich die Ursache für eine wachsende Kooperationsbereitschaft auf internationaler Ebene, da durch sie die Möglichkeit steigt, Kooperationsgewinne zu realisieren und zum anderen die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung bestimmter Interessen irrationaler wird (Keohane 1989: 9). Internationale Organisationen sind aus neoliberal- institutionalistischer Perspektive politische Akteure mit eigenen Interessen, die zielgerichtet handeln können. Daher beeinflussen sie sowohl den Kontext, in dem Staaten ihre Entscheidungen treffen, als auch das Verhalten von staatlichen und nicht- staatlichen Akteuren, indem sie die Etablierung international anerkannter Normen und Regeln fördern und die Möglichkeit bieten, internationale Macht- und Interessenkonflikte kooperativ zu managen (Keohane 1989: 164).

Schirm hat die Ursachen des Neuen Regionalismus in Europa und den Amerikas anhand der Vertiefung der Zusammenarbeit im Rahmen der EG/EU seit 1980ern Jahren sowie anhand der NAFTA[16] und des Mercosur analysiert. Er beabsichtigt mit seinem interessenbasierten, politik-ökonomischen Ansatz „Globale Märkte“ die „Präferenz nationaler Regierungen für wettbewerbsorientierte regionale Kooperation in Europa und den Amerikas“ (Schirm 1999: 22) zu erklären[17] (Schirm 1997, 1999).

Ihm zufolge ist transnationale Globalisierung ein zentraler Erklärungsfaktor für regionale Kooperation, was die neoliberal- institutionalistische Annahme bestätigt, dass mit einer Zunahme der Komplexität von Interdependenzen auch die Kooperationsbereitschaft von Staaten zunimmt. Zwar verliert der Territorialstaat durch die Beteiligung an einem Integrationsbündnis teilweise an Entscheidungsautonomie gegenüber seinen Kooperationspartnern, doch gewinnt er zusammen mit diesen an Handlungsfähigkeit gegenüber schädlichen internen und externen Wirkungen der Globalisierung[18]. Die Entgrenzung der Wirtschaftswelt hat also nicht einen Bedeutungsverlust der Nationalstaaten, sondern einen bewusst gelenkten Anpassungsprozess zur Folge: „Staaten konnten sowohl die Bedingungen für binnen- wie für weltmarktorientierte private Akteure und für internationale Politik aktiv definieren. Dabei agierten sie unter der Kosten- Anreiz Wirkung globaler Märkte“. Staatliche Präferenzen gestalten sich „gemäß der zugenommenen Verflechtung mit globalen Märkten“ (Schirm 1999: 214f). Der Verflechtungsgrad zwischen Staaten und globalen Märkten entscheidet über das Ausmaß, in dem die staatliche Handlungsautonomie, die Schirm als „Freiheit von Kosten“ (Schirm 1999: 215) definiert, eingeschränkt wird. Schirm weist nach, dass der Neue Regionalismus bzw. das politische Konzept des offenen Regionalismus eine Antwort der Nationalstaaten auf die externe Herausforderung der Globalisierung ist, weshalb beide Tendenzen als komplementär bezeichnet werden können[19]. Wirtschaftliche Ursachen stehen im Vordergrund seiner Analyse und er argumentiert mit ökonomischen Kalkülen, die Nationalstaaten zu regionaler Kooperation veranlassen.

Vor dem Hintergrund der beschriebenen Grundannahmen des neoliberalen Institutionalismus und Schirms auf Kosten- Nutzen Kalkülen der Staaten basierenden Erklärungsansatzes für internationale Kooperation als Reaktion auf transnationale Globalisierung ist zu erwarten, dass die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur aufgrund eines gemeinsamen Interesses der Regionen an einem effizienten Management ihrer komplexen Interdependenzbeziehungen entstanden sind und dass sie die Funktionen institution-building, rationalizing und agenda-setting erfüllen (Rüland 2001, Rüland 2002a: 3ff, Bersick 2004: 56).

Gemäß der neoliberal- institutionalistischen Theorie ist zu erwarten, dass interregionale Beziehungen zu einer Institutionalisierung internationaler Politik beitragen. Bei der Untersuchung der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur auf die Funktion des institution-building und mit Blick auf die Fragestellung, inwieweit die institutionalisierte Kooperation zwischen der EU und dem Mercosur als Element eines sich entwickelnden Global Governance- Systems gelten können, ist jedoch die „Tiefe“ der Institutionalisierung von zentraler Bedeutung. Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der Internationalen Politischen Ökonomie und unter der Annahme nutzen- bzw. gewinnmaximierender Akteure deutet eine wachsende Bereitschaft zur Übernahme von Governance- Kosten darauf hin, dass die Opportunitätskosten im Vergleich zu den Governance- Kosten der Kooperation höher bzw. als zunehmend eingeschätzt werden[20]: „If governance costs exceed opportunity costs, the likelihood for deep institutionalization diminishes” (Rüland 2002a: 4). Eine „schlanke“ Institutionalisierung (Rüland 2002d) der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur würde eher die neorealistische Annahme stützen, dass die interregionalen Beziehungen einer Allianzbildung gleichen, aufgrund einer gemeinsam wahrgenommenen Bedrohung errichtet werden und auf kurze Dauer gestellt sind (Rüland 2002b: 4). Ist in den Interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur ein geringer Grad der Institutionalisierung zu beobachten, stellt sich die Frage, inwieweit sich dies negativ auf deren Krisenresistenz auswirkt und ob dies die Stabilität eines Global Governace- Systems einschränken könnte.

Bei der Frage, inwieweit die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur eine Rationalisierung internationaler Kooperation fördern, wird zu untersuchen sein, ob, in welchen Bereichen und für welche Akteure sich die Zusammenarbeit der Gruppenakteure EU und Mercosur als vorteilhaft und kostengünstiger gegenüber Formen bilateraler Zusammenarbeit erweist. Daneben ist von Bedeutung, ob auf interregionaler Ebene erzielte Konsenslösungen die Konsens- und Entscheidungsfindung in Verhandlungen auf globaler bzw. multilateraler Ebene, etwa in der WTO, erleichtern (Rüland 2002b: 7). Ist dies der Fall, fördern die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur ein subsidiäres Global Governance- System, in dem globale Fragen in einem bottom-up Prozess effizient und kostengünstig bearbeitet werden können. Bei der Untersuchung der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur hinsichtlich ihrer agenda-setting -Funktion ist die Frage von Bedeutung, ob diese es den Kooperationspartnern erleichtern, Themen in internationale bzw. global- multilaterale Fora einzubringen, deren Bearbeitung in beiderseitigem Interesse liegt (Rüland 2001: 8).

Teilweise unter Rückgriff auf die von Rüland identifizierten Funktionen interregionaler Beziehungen und in Anlehnung an neoliberal-institutionalistische Argumente spricht Dent interregionalen Beziehungen das Potential zu, multilateralen Nutzen zu stiften: „By “multilateral utility”, we are generally referring to the proactive contributions [interregional] frameworks can make to foster stability, peace, prosperity and equalty in the global system in partnership with multilateral institutions. [...] multilateral utility relates to the broader issue of how different levels and types of international relations may work in a congruent, coordinative and cooperative manner and how these may dovetail into global- multilateral frameworks” (Dent 2004: 214). Mit Blick auf die übergeordnete Fragestellung wird im Schlussteil dieser Arbeit zu beurteilen sein, ob die interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur das Potential besitzen, multilateralen Nutzen zu stiften und in inwieweit dieses bisher genutzt werden konnte.

II.2.3. Interregionale Beziehungen aus sozialkonstruktivistischer Perspektive

Im Gegensatz zu den rationalistischen Theorien des liberalen Institutionalismus und des Neorealismus, die Kooperation zwischen Staaten überwiegend auf materielle Ursachen zurückführen, liegt dem Sozialkonstruktivismus ein soziologischer Ansatz zur Erklärung von internationaler Kooperation zugrunde[21] [22]: „Although capable of providing coherent explanations, materialist arguments often present some limitations in their analysis of regionalism due to their emphasis on material dimensions, namely, power and benefit maximisation. Constructivism, however, pays special attention to 'ideational' dimensions (…)” (Prieto 2003: 2).

Zwar leugnet der Sozialkonstruktivismus die Existenz materieller Realitäten und Strukturen nicht vollständig, wie dies bei rein reflexiven Ansätzen der Fall ist, doch geht er davon aus, dass ein Großteil dessen, was als Realität wahrgenommen wird, auf sozial konstruierten Ideen und Interpretationen beruht. Die Akteure in den internationalen Beziehungen sind Staaten sowie Individuen als Träger von Ideen. Bestehende oder sich wandelnde Normen und Ideen bestimmen die Präferenzen der Akteure, nach denen diese ihr Handeln ausrichten. Die Verwirklichung von Interessen ist auch im Sozialkonstruktivismus das Ziel menschlichen Handelns, doch geht er davon aus, dass diese Interessen nicht definitiv vorgegeben sind, sondern entsprechend vorherrschender Normen und Ideen gebildet werden (Smith 1997: 183ff, Hänggi 1998: 8ff). Ebenso sind auch die Strukturen des internationalen Systems keine objektiven Realitäten, sondern ebenfalls soziale Konstruktionen: „Anarchy is what states make of it“ (Wendt 1992).

In internationalen Institutionen kommen nicht nur die Interessen der Akteure zum Ausdruck. Durch die in internationalen Institutionen verankerten Ideen und Normen werden die Identitäten der Staaten und als Folge davon auch deren Interessen sozial konstruiert und sind veränderbar, weshalb sich Institutionen und Interessen wechselseitig bedingen[23] (Wendt 1992: 394). Die Identitäten der Akteure, von Wendt definiert als „relatively stable, role-specific understandings and expectations about self“ (Wendt 1992: 397), sind die handlungsbestimmende Grundlage der Akteure und gelten als maßgeblich für deren Interessen. „The commitment to and the salience of particular identities vary, but each identity is an inherently social definition of the actor grounded in the theories which actors hold about themselves and one another and which constitute the structure of the social world“ (Wendt 1992: 398). Kollektive Identitäten sind also die Voraussetzung für kollektive Definitionen von Interessen: „I shall define self-interest and collective interest as effects of the extent to which social identities involve an identification with the fate of the other (whether singular or plural). Identification is a continuum from negative to positive – from conceiving the other as anathema of the self to conceiving it as an extension of the self” (Wendt 1994: 386, Bersick 2004: 62).

Bei einer Untersuchung von Regionen und des Phänomens Regionalismus aus sozialkonstruktivistischer Perspektive ist also im Gegensatz zu rationalistischen Theorien in erster Linie bedeutsam, wie Regionen aufgrund eines Wandels oder einer Neudefinition von Normen und Identitäten durch staatliche, aber auch wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Akteure entstehen. Die Definition einer Region erfolgt aus dieser Perspektive nicht in erster Linie anhand objektiver Kriterien wie etwa geographischer Nähe oder materieller Interdependenz, sondern anhand der kognitiven Idee einer Region, die in einem Prozess der Sozialisation entsteht, welcher von bestimmten Akteuren initiiert und vorangetrieben wird (Wendt 1992: 397, Tavares 2004: 5): „By 'social construction' of regions is meant that regions are shaped by collective perception of identities and meanings with blurred and ever shifting boundaries. This view rejects the static conception and considers them changing cognitive structures cemented by common institutional and economic ties. Constructivism stresses the instrumental uses of regionalism to promote specific political and economic ends. To constructivists, actors create social facts by assigning functions to various spatial units (Väyrynen 2003: 27).

Die dargestellten Grundannahmen des Sozialkonstruktivismus werden in dieser Arbeit zur Analyse der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur herangezogen. „For constructivists cooperation is the result of previous experiences and interactions. The way other regional organizations cooperate may thus have repercussions on the own type of regionalism. Constructivists therefore argue that inter- and transregional dialogues are spurring collective identities. Especially in heterogeneous and newly formed regional groupings interregionalism may stimulate regional identity- building. It may sharpen differences between self and others and thus help galvanize regional solidarity on the basis of shared norms” (Rüland 2002b: 8).

[...]


[1] Der Mercosur ist ein lateinamerikanisches Integrationsbündnis mit den Vollmitgliedern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay, das 1991 gegründet wurde.

[2] ASEM ist ein interregionaler Kooperationsmechanismus zwischen der Europäischen Union und den ostasiatischen Staaten Brunei, Indonesien, Japan, Malaysia, Republik Korea, Singapur, Thailand, Vietnam und Volksrepublik China, der seit 1996 existiert (Bersick 2004: 15ff).

[3] Eine Analyse der interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur, die erkennbar auf theoretischen Erkenntnissen zum ASEM- Prozesses aufbaut, wurde nach Kenntnis des Autors bisher lediglich von Stuhldreher durchgeführt (Stuhldreher 2003). Als weitere Arbeiten zu den interregionalen Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur sind insbesondere die Arbeiten von Faust, Diedrichs und Erles zu nennen (Faust 2002, Diedrichs 2003, Erles 2003).

[4] Der Betrachtungszeitraum der Fallstudie reicht von der Aufnahme interregionaler Beziehungen zwischen der EU und dem Mercosur (1992) bis in die Gegenwart, doch wird gelegentlich auch auf Ereignisse einzugehen sein, die nicht in diesen Zeitraum fallen, für das Erkenntnissinteresse dieser Arbeit jedoch von Bedeutung sind.

[5] In Anlehnung an Roloff lässt sich der Begriff der Regionalisierung definieren als empirisch zu beobachtender „Vorgang regionaler Verdichtung ökonomischer, politischer und gesellschaftlicher Aktivitäten“. Im Gegensatz zu einem solchen bottom-up - Prozess handelt es sich bei Regionalismus, dem „politisch gewollten und somit aktiven Betreiben solcher Verdichtungen“, um einen eher dem top-down - Schema folgenden Prozess. Interregionalismus kann analog hierzu als „politisch gewollte und daher aktiv betriebene Verdichtung der interregionalen Aktivitäten“ bezeichnet werden (Roloff 2001: 19f).

[6] Gemeint sind hiermit sogenannte transborder - Regionen bzw. „subregional transborder Institutions“ (Rüland 2001: 5) wie beispielsweise die Euroregionen.

[7] Einen hohen Einfluss auf die Ausgestaltung regionaler Integration in Entwicklungs- und Schwellenländerregionen, in besonders ausgeprägtem Maße in Lateinamerika, hatten in dieser Zeit die Dependencia- Theorie und der sogenannte Cepalismo. Mittels regionaler Kooperation und Strategien importsubstituierender Industrialisierung (ISI) sollte eine autonome Entwicklung lateinamerikanischer Staaten ermöglicht werden. Zu einem guten Teil bedingt durch politische Instabilitäten erwies sich dieses Konzept jedoch als erfolglos und regionale Kooperations- und Integrationsprojekte wurden im Verlaufe der 1970er Jahre weitgehend aufgegeben (Vera Fluixá 2000: 10ff).

[8] Bersick widmet sich ausführlicher der Problematik einer Definition des Begriffes offener Regionalismus, als dies im Rahmen dieser Arbeit möglich ist (Bersick 2004: 41ff).

[9] Bersick definiert offenen Regionalismus als „Strategie [...], die ein interregionales Interdependenzmanagement ermöglicht. [Sie] beruht auf der Minimierung von Relativgewinnkalkulationen zwischen den Akteuren und besitzt [...] eine sozio- politische, eine normativ- institutionelle, eine inhaltliche und eine partizipative Dimension“ (Bersick 2004: 52).

[10] Messner und Nuscheler vermitteln einen ausführlichen Überblick über die Debatte um Global Governance und den aktuellen Stand der Global Governance- Forschung (Messner/Nuscheler 2003).

[11] Auch dem Neorealismus zufolge rückt der geo- ökonomischen Wettbewerb im Zuge des wirtschaftlichen Globalisierungsprozesses gegenüber dem geopolitischen Wettbewerb ins Zentrum der Weltpolitik: „Dieser geo- ökonomische Wettbewerb ist allerdings machtpolitisch kein Neutrum, schon allein deshalb nicht, weil er die Machtverteilung zwischen den Staaten ganz wesentlich beeinflusst. Ebenso wie der geopolitische Wettbewerb folgt [der geo-ökonomische Wettbewerb] der Logik von Macht- und Gegenmachtbildung, von Hegemoniestreben und Gleichgewichtspolitik, wobei die Gegenmacht- und Gleichgewichtspolitik kooperativ oder gar integrativ, aber auch konfrontativ- antagonistisch sein kann“ (Link 1998: 156f).

[12] Er bezieht sich hierbei auf den im folgenden Unterkapitel erläuterten politik-ökonomischen Erklärungsansatz für regionale Kooperation von Schirm (Schirm 1997, 1999)

[13] Diese Formulierung der Erwartungen orientiert sich an Bersicks Analyse des ASEM- Prozesses, der vor dem Hintergrund der Theorie des Neorealismus die Befolgung des ASEM- Regimes untersucht (Bersick 2004: 57ff).

[14] Die hier aufgeführten Argumente basieren nicht ausschließlich auf den Arbeiten neoliberaler Institutionalisten, sondern auch auf Erkenntnissen der Internationalen Politischen Ökonomie, der wirtschaftswissenschaftlichen Integrationstheorie sowie der Regimetheorie, auf welche die Annahmen der interessenbasierten Theorie des neoliberalen Institutionalismus teilweise zurückzuführen sind (Keohane 1989: 166ff, Hasenclever/Mayer/Rittberger 1997: 23ff).

[15] Von einer wohlfahrtssteigernden Wirkung regionaler Integration wird aufgrund wirtschaftstheoretischer Erkenntnisse ausgegangen. Ein wirtschaftspolitisches Ziel ist diesen zufolge eine zu erreichende nationale und regionale Wohlfahrtssteigerung mittels Freihandel bzw. Marktgrößeneffekte. Durch eine höhere Nachfrage nach Industrieprodukten innerhalb der Freihandelszone werden zum einen economies of scale aufgrund erhöhter Stückzahlproduktion ermöglicht, zum anderen wird das Investitionsinteresse in- und ausländischer Unternehmen erhöht. Der erhöhte Wettbewerbsdruck führt darüber hinaus zu optimalerer Ressourcenallokation aufgrund von Modernisierungs- und Spezialisierungseffekten und schließlich zu gesteigerter Wettbewerbsfähigkeit auch auf dem globalen Markt. Angesichts dieser Erkenntnisse hinsichtlich wohlfahrtssteigernder Effekte durch Freihandel und wirtschaftliche Kooperation kann regionale Integration allerdings nur als zweitbeste („second best“) Lösung der Frage gelten, wie sich die nationale Wohlfahrt erhöhen lässt. Multilaterale Freihandelsregelungen wären wirtschaftlichen Theorien zufolge vorzuziehen, da sie ein Maximum an Wohlfahrtssteigerung ermöglichen (Schirm 1999: 35ff).

[16] NAFTA (North American Free Trade Agreement) ist ein nordamerikanisches Freihandelsprojekt, das die Staaten Kanada, Mexiko und USA umfasst.

[17] Die Mitte der 1980er Jahre nahezu zeitgleich zu beobachtende Präferenz für regionale Kooperation in unterschiedlichen Teilen der Welt und der wettbewerbsorientierte Charakter regionaler Kooperationsbündnisse könne, so Schirm, mit den bestehenden theoretischen Ansätzen nicht in ausreichendem Maße erklärt werden. Diese Forschungslücke will Schirm mit seinem Ansatz komplementär ausfüllen, wobei er betont, keinen alternativen Erklärungsansatz für regionale Kooperation per se entwickelt zu haben (Schirm 1999: 14ff).

[18] Schirm folgert aus der Interaktionsweise zwischen Nationalstaaten und globalen Märkten bzw. nicht- staatlichen Akteuren und Prozessen, dass letztere sich zunehmend dem staatlichen Einflussbereich entziehen, was zu einer Krise binnenorientierter Steuerungs- und Handlungsfähigkeit führt, da die Effizienz staatlicher Instrumente absinkt (Schirm 2001: 32ff). Also „sieht sich der Staat neuen Herausforderungen hinsichtlich seines politischen Instrumentariums und seiner politischen Legitimierung bei der Gewährleistung von 'Wohlfahrt' ausgesetzt“ (Schirm 1999: 33).

[19] In ähnlicher Weise weist Wyatt- Walter diesen Zusammenhang nach (Wyatt-Walter 1995).

[20] Governance- Kosten sind neben den Kosten für die Errichtung von Institutionen auch die Kosten der Durchsetzung innenpolitischer Reformen, die als Resultat internationaler Kooperation notwendig werden, während Opportunitätskosten in diesem Fall bei unilateralem Handeln entstehende Kosten sind (Rüland 2002b: 4, 2002d: 182f).

[21] Konstruktivistische Perspektiven in den Internationalen Beziehungen sind vielfältig. Die hier nachgezeichnete Argumentationslinie bezieht sich überwiegend auf die Arbeiten Wendts, einem der prominentesten Vertreter des Sozialkonstruktivismus in den Internationalen Beziehungen (Hänggi 1998: 7f). Einen Überblick über konstruktivistische Ansätze vermittelt Ulbert (Ulbert 2003).

[22] Ein zentraler Unterschied zwischen rationalistischen Theorien und dem Sozialkonstruktivismus ist die anthropologische Grundannahme. Sowohl auf die realistische als auch auf die liberale Schule zurückgehende Theorieansätze modellieren den Menschen als homo oeconomicus. Er wird als nutzenmaximierender Akteur mit vorgegebenen Interessen und Zielen betrachtet, für den Ideen, Werte und Normen lediglich instrumentellen Charakter haben. Das dem Sozialkonstruktivismus zugrundeliegende Menschenbild des homo sociologicus entspricht dem Konzept eines Akteurs, der norm- und regelgeleitet auf der Basis sozialer und historischer Erfahrungen, handelt. Ideen, Normen und Werte haben hierbei einen unabhängigen Einfluss auf das Akteursverhalten (Hänggi 1998: 6).

[23] Mit diesem Argument stützt der Sozialkonstruktivismus die neoliberal- institutionalistische These, dass internationale Institutionen in der Lage sind, auf staatliche Interessen und Identitäten einzuwirken (Wendt 1992: 394).

Ende der Leseprobe aus 109 Seiten

Details

Titel
Die interregionalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur - Element einer neuen Weltordnung?
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Seminar für wissenschaftliche Politik)
Note
1,3 (sehr gut)
Autor
Jahr
2005
Seiten
109
Katalognummer
V70713
ISBN (eBook)
9783638616966
Dateigröße
903 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit ist eine Fallanalyse zum Thema interregionale Beziehungen als Baustein von Global Governance.
Schlagworte
Beziehungen, Europäischen, Union, Mercosur, Element, Weltordnung
Arbeit zitieren
M.A. Benjamin Kries (Autor:in), 2005, Die interregionalen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur - Element einer neuen Weltordnung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70713

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