Filmische Montage - Theorie der 1920er/30er Jahre


Seminararbeit, 2007

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

1 Zur Poetik-Theorie des Films
1.1 Sklovskij - Schriften zum Film
1.2 Tynjanov - Poetik des Films
1.3 Ejzenštejn - Streik

2 Was sind die Dinge im Film? Aktuelle Philosophien

Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Einleitung

,,Da sitgt einerüber seiner Schreibmaschine, raucht gu viel, bläst Staub von den 'Sasten, beißtin einen Apfel und denkt an Schiller dabei, starrtauf das leere Papierund dann auf die Uhr, kratgt an dem verklebten kleinen a herum, bis es wieder sauber ist, hat schon wieder eine Zigarette in Brand und nennt das alles Arbeit.“

(Hermann Kant: Die Aula, 1965)

Die Literatur war schon immer in gewisser Weise ein Kuriosum, für die einen, weil sie sie nicht verstehen, für die anderen, weil sie eben versuchen sie zu verstehen. Mit jeder neuen Kunstform werden auch neue Denkweisen gefordert. Man kann vermuten, dass die Gebrüder Lumière im Jahre 1898 wahrscheinlich nicht erahnen konnten, wie weit ihre Erfindung des „Cinématograph“ in Frankreich führen sollte. Zumindest wussten sie sicher nicht, dass es zu kontroversesten Debatten und höchsten Formen einer neuen Kunst kommen sollte: die Filmkunst. Nachdem man sich besonders dem Genre der Cowboy­Filme zuwandte, entdeckte man bald die Beliebtheit der Verfilmungen von Theaterstücken, Romanen und Gedichten zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Hier zeigte sich bereits die damals sehr begrenzten Möglichkeiten des Films, da er sich nicht exakt den literarischen Mitteln bedienen kann, er besitzt so zusagen keine Literarizität im engeren Sinne, sondern musste diese für sich selbst entdecken und modifizieren. Das Verhältnis von Wort und Bild ist nicht erst mit dem Aufkommen technisch-apparativer Medien zum Gegenstand kontroverser kultur- und literaturwissenschaftlicher Debatten geworden. Wie mit dem neuen Medium Film ging man schon in der Unterscheidung anderer Künste vor, allein schon in denen mit einem Verhältnis von Wort und Bild1. Die alleinige Übertragung von beliebten Büchern in das filmische Medium sollte jedoch nicht der Hauptbestandteil bleiben, da in diesem Genre die Bücher bessere Möglichkeiten hatten, das Sujet zu übermitteln. Der Film musste also 'erzählen lernen'. Mit dieser Herausforderung war eine Auseinandersetzung mit dem Material des Films unumgänglich. Konnte man das Material in der selben Weise behandeln, wie in der Literatur? Zeigen sich in dem neuen Medium vielleicht auch neue technische, sowie stilistische Möglichkeiten? Poetizität macht die Literatur als Kunstform aus. Also müsste es genau auch diese im Film sein, die ihn zu einer solchen machen kann. Dies ist im Rahmen dieser Hausarbeit zu betrachten und wurde bereits mit der Expansion der neuen Kunstform untersucht und sehr strittig behandelt. Man versuchte, trotz fehlender wissenschaftlicher Kenntnisse zum neuen Medium und mangelnden technischen Möglichkeiten zu dieser Zeit, sich damit auseinanderzusetzen und es in seiner Form zu optimieren. Bald sollte sich daraus eine neue Wissenschaftsform entwickeln und etablierte somit den Film als Kunst. Sklovskij geht dem neuen Medium sehr früh nach, übt sich selbst als Drehbuchautor und Cutter und erfährt so aus nächster Nähe den Umgang mit dem Film der 1920er Jahre. Mit seiner Theorie der Verfahren setzte er schon Grundlagen in der formalistischen Literatur und wendete diese auf den Film an, um ihn selbst verstehen zu lernen. Auf diesen Ansätzen Sklovskijs baut auch Tynjanov mit seinen Werken und begegnet ihnen kritisch, aber poetisch-produktiv. Der russische Formalismus grenzt sich in vielen Punkten von den Literatur- und Filmwissenschaften (soweit man in dieser zeit schon von einer etablierten Filmwissenschaft sprechen kann) der 'westlichen Welt' ab, zeigtjedoch gerade dadurch andere Sichtweisen und Denkansätze, die oft auch plausibel erscheinen. Erst in der Intertextualität (oder sogar Intermedialität?) kann man objektiven Bewertungen gegenübertreten. Hier soll nur gezeigt werden, wie die russische 'Film-Dynastie' mit dem neuen Medium der 1920er Jahre umzugehen versucht, in welcher Weise sie mit dem Material arbeitet und mithilfe welcher Verfahren sie dem Film seine Poetizität verleihen wollte.

1 Zur Poetik-Theorie des Films

Um die Poetizität eines Werkes im Allgemeinen analysieren zu können, bedarf es erst einmal einer kurzen Definition dieser. Heinz Ludwig Arnold und Heinrich Detering verwenden zu diesem Zweck den Begriff „Abweichungspoetiken“, der lediglich aussagen soll, dass die Literatur vom normalen Sprachgebrauch abweicht. An dieser Stelle zitieren sie, hinführend auf diese Thematik, Viktor Sklovskij2: „[...] denn der Wahrnehmungsprozeß ist in der Kunst Selbstzweck und muß verlängert werden“3. Diese Auffassung Sklovskijs zeigt schon deutlich, dass die 'literarische Sprache' in wesentlichen Punkten von der normalen abweicht. Was er damit genau meinte, wird später noch konkreter angeführt. Jedenfalls sind diese Wahrnehmungsprozesse einer 'erschwerten Sprache', so Sklovskij, auch auf filmische Texte und deren Umsetzung übertragbar. Poesie besitzt die Eigenschaft, Literatur zu dynamisieren. Dies vermag sie ebenso im Film durch ihre verschiedenen Mittel (Verfahren), wodurch ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess geschaffen wird. Durch ein solches geschaffenes, harmonisches Sujet entsteht eine gewisse Ästhetik, wobei nicht die Regeln begründet oder legitimiert werden sollen, sondern das Schaffen an sich. Vorausblickend zu Sklovskijs Anschauungen soll an dieser Stelle eine Studie über den „Film als Kunst“ von Rudolf Arnheims4 (1932) angeführt werden in der er erkannte, dass „Der Verlust der Dreidimensionalität, der Farbe, des geschlossenen Raum-Zeit­Kontinuums durch das begrenzte Bildfeld und durch Montagetechniken [...], das Fehlen akustischer und anderer Sinneseindrücke [...] die filmische Reproduktion in Spannung zur reproduzierten Wirklichkeit (setze). Erst das derartig verfremdete Abgebildete kann zum Rohmaterial eines ästhetischen Schaffensprozesses werden“5. Dies verweist deutlich den Bezug zum russischen Formalismus und die Neigung zu Sklovskij. Wie in der Literatur, zeigt auch der Film als Kunstform seine Poetizität. Mit diesem Ansatz kann man so das Medium wissenschaftlich analysieren. Dass gerade die bedingten technischen Möglichkeiten der Kamera in den 1920er Jahren den Film ausmachen und eben dadurch eine neue Kunst entstand, zeigt den bewussten Umgang mit dem Material und die Anwendung spezifischer stilistischer Mittel oder, wie Sklovskij es ausdrückte: mit Verfahren.

1.1 Sklovskij - Schriften zum Film

Sklovskij charakterisierte schon vor den Anfängen der Filmtheorie das Wesentliche eines Werkes. Nach ihm entstehe erst in der Montage, mit einem gewissen Rhythmus und im verlaufenden Assoziationsprozess der Bildfolge die Komposition6. In seiner Abhandlung zu dem neuen Medium Film7 ist besonders das Kapitel „Das Sujet im Kinematographen“ interessant, weil dieses verschiedene Ansätze von Theorien aufzeigt und mit dem Material umzugehen versucht. Im Film8 sind nach ihm vor allem zwei Arten von Sujet existent: das geheimnisvolle Sujet, welches durch eine Umstellung erreicht wird und durch den Bericht motiviert ist und der Sujet-Parallelismus, also die Nebeneinandersetzung. Beide Formen schaffen Spannung in einem Geschehen. Sklovskij charakterisiert den Kinematographen insofern, als dass er in ihm die Missachtung der Motivationen an sich sieht. Also diese, die in der Literatur eine Rolle spielen, werden in der filmischen Kunstform geradezu ignoriert. Der Sujetaufbau erklärt sich somit durch die Umstände im Handlungsablauf, die nicht erzählt, sondern gezeigt werden. Durch eine solche visuelle Erklärung ohne Worte kann es zu ganz neuen Assoziationsketten kommen, die eine individuelle Ausprägung bei dem jeweiligen Zuschauer erfahren können. Das Sujet im Film stellt also einzelne Momente mit ihrer kontrastischen Umstellung dar, wobei feste Handlungsträger nötig sind und erst die Kombination der Sujet-Motive zum Werk führt. Das Besondere des Films, das die Literatur nicht zu schaffen vermag, ist die Tatsache, dass der Zuschauer selbst sich gedanklich in die jeweiligen Rollen versetzen kann. Dadurch setzt eine Verfremdung des Dargestellten ein, durch das, durch die Assoziationsprozesse des Zuschauers stark in das Sujet eingegriffen werden kann. Dies hat verschiedene Ursachen. Zum Einen können es private Erfahrungen oder Erinnerungen sein, die das Denken in eine gewisse Richtung steuern, zum Anderen spielt die Ausprägung der eigenen Phantasie ebenso eine wichtige Rolle, wie das rationale Denken in bestimmten Situationen. Ein Paradebeispiel stellt immer wieder Chaplin9 dar, der in seinen Stummfilmen ohne erläuternde Texte arbeitete. Bezeichnend für ihn sind in diesem Zusammenhang wohl seine mechanisiert wirkenden Bewegungen. Durch diese immer wieder auf die selbe Weise ablaufende Gangart entsteht für den Zuschauer ein Rhythmus, eben durch die ständige Wiederholung und dadurch empfindet man die Komik, die man gezwungenermaßen damit konnotiert. Um das Wesen des Films und dessen Eigenschaften von denen der Literatur abzugrenzen, betrachtet man vorerst am besten die Kamera an sich. Sklovskij beschränkt sich hierbei auf das Können der Kamera und bringt erst an anderer Stelle die Mängel der Technik an. Dass sie die Geschwindigkeit der Bewegungen selbst bestimmen kann ist wohl das wichtigste Mittel im Film, da erst durch diese Eigenschaft Zeitraffungen und Ähnliches entstehen können. Allein dadurch kann man explizite Assoziationsprozesse in Gang bringen. Wenn man zum Beispiel eine Szene unnatürlich schnell ablaufen lässt, entsteht der Eindruck von Hektik, vielleicht sogar Chaos in der Handlung. Des Weiteren kann, nach Sklovskij, die Kamera einzelne Elemente den Platz wechseln lassen. An diesem Punkt muss allerdings die Überlegung angebracht werden, dass dies nicht die Kamera, sondern viel mehr die Postproduktion eines Films im Verlauf der Montage ermöglicht. Genau dasselbe trifft auf die Aussage zu, dass sie zwei zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommene Stücke verknüpfen könne10. Die Montagearbeit an sich beginnt im Film jedoch schon mit der Bühnengestaltung. So werden zum Beispiel Naturnachbildungen im Studio konstruiert und zu einer Szene zusammengefügt, die wiederum als Verfremdung des Originalvorbildes 'Natur' zu sehen sind. Neben den technisch begrenzten Möglichkeiten spricht Sklovskij die Kompetenz der russischen Filmindustrie an, die nach ihm von hohem Niveau sein soll. Was er bemängelt ist jedoch hierbei die fehlende Organisation im Produktionsablauf. Er bildete sich diesen Eindruck aufgrund seiner eigenen Tätigkeit im Feld des Drehbuchautors, sowie als Cutter und kam so dem neuen Medium sehr nahe. Da Sklovskij das neue Medium Film auch als neue Kunstform sieht, kann man hier den Bezug zu seinem früheren Text „Kunst als Verfahren“11 setzen. Als Hauptverfahren im Schaffen eines Films bringt er die

[...]


1 So zum Beispiel die Gegenüberstellung von Literatur und Malerei, allgemein aber der Vergleich darstellender zu narrativer Künste.

2 Viktor Borisoviç Sklovskij (1893-1984): russischer und sowjetischer Schriftsteller und Kritiker des Formalismus.

3 Arnold, Heinz Ludwig /Detering, Heinrich: Grundzüge der Literaturwissenschaft. Dtv Verlag 1996, Seite 41.

4 R. Arnheims (*1904): gehört zu den Begründern der Filmtheorie in den 1920erjahren, gilt als Begründer der Kunstpsychologie in Amerika, ist international gesehen der nachhaltigste Reformer der amerikanischen Kunster­ziehung und einer der wichtigsten Ästhetiker des 20. Jh.

5 Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, VerlagJ. B. Metzler 2004, Seite 186.

6 Sklovskij, Viktor: Schriften zum Film. Suhrkamp 1966, Seite 21.

7 Die Filmtheorie steckte sozusagen noch in den „Kinderschuhen“. Anfang des 20Jhs. Waren Verfilmungen von beliebten Genres (Krimis, Cowboyfilme etc) üblich. Zu einer neuen Kunstform gab es noch keine konkrete Wis­senschaft, geschweige denn grundlegende Theorien.

8 Sklovskij führt in diesem Zusammenhangbereits eine wage Definition des Films an: „[...] Abfolge fesselnder Einzelszenen, die einzig durch die Einheit der handelnden Person mit einander verknüpft sind.“ (Seite 21)

9 Charles Chaplin (1889-1977): englischer Regisseur, Produzent, Schauspieler, Komiker und Komponist. Chaplin war berühmt für seinen „Tramp-Charakter“, d.h. Die kaputten Schuhe, die viel zu große Hose und seine Melone. In Verbindung mit den spezifischen Bewegungen begeisterte er sein Publikum.

10 Sklovskij, Viktor: Schriften zum Film. Suhrkamp 1966, Seite 26 f.

11 Sklovskij (1916): Die Kunst ist für Viktor Sklovskij ein Verfahren der Verfremdung alltäglicher Begriffe, durch das ein verlängerter Wahrnehmungsprozess erreicht werden soll. Statt etwas wiederzuerkennen, soll es „gesehen“ werden.

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Filmische Montage - Theorie der 1920er/30er Jahre
Hochschule
Universität Erfurt
Veranstaltung
Seminar
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
17
Katalognummer
V71732
ISBN (eBook)
9783638635233
ISBN (Buch)
9783638762168
Dateigröße
565 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Filmische, Montage, Theorie, Jahre, Seminar, Sujet, Film, Literatur
Arbeit zitieren
Mathias Seeling (Autor:in), 2007, Filmische Montage - Theorie der 1920er/30er Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71732

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