Erlebnis- und fertigkeitsorientiertes Geräteturnen in einer 6. Klasse der Orientierungsstufe


Examensarbeit, 2000

76 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Theoretischer Teil – Vorüberlegungen
1. Einleitung
2. Sachanalyse
2.1 Turnen an Gerätearrangements
2.1.1 Erlebnisorientiertes Turnen
2.1.2 Turnen an Gerätearrangements
2.1.3 Fertigkeitsorientiertes Turnen
2.1.3.1 Bewegungsformen am `Trampolin mit Treppe und Abgangsmatte´
2.1.3.1.1 Bewegungsformen der reinen Translation
2.1.3.1.2 Bewegungsformen mit Translation und Rotation
2.1.3.2 Bewegungsformen an der `Zwillings-Minitramp-Anlage´
2.1.3.3 Bewegungsformen an den `vielgestaltigen Holmen´
2.2 Sensumotorisches Bewegungs- und Koordinationslernen
2.2.1 Sensumotorik
2.2.2 Bewegungslernen
2.2.3 Koordinationslernen
3. Anmerkungen zur Situation der Klasse
3.1 Rahmenbedingungen
3.2 Allgemeine Lernvoraussetzungen
3.3 Spezielle, zielbezogene Lernvoraussetzungen
3.4 Unterrichtsspezifische Einstellungen, Verhaltensweisen und Kenntnisse
4. Didaktische Vorüberlegungen
4.1 Allgemein- und fachdidaktische Relevanz
4.2 Curricularer Begründungszusammenhang
4.3 Zielsetzung der Unterrichtseinheit
4.4 Didaktische Reduktion der Unterrichtsinhalte

II. Praktischer Teil – Darstellung der Unterrichtseinheit
1. Übersicht über den Aufbau der Unterrichtseinheit
1.1 Methodische Vorüberlegungen zur Einheit Anlage: Bilderbogen – Aufbau und Aufwärmen
1.2 Tabellarischer Plan der Einheit
2. Neue Geräte erfahren und sicher turnen erste Doppelstunde
2.1 Lernziele
2.2 Stundenspezifische methodische Vorüberlegungen
2.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
2.4 Reflexion Anlage: Bilderbogen – erste Doppelstunde
3. Einfache Kunststücke lernen und üben zweite Doppelstunde
3.1 Lernziele
3.2 Stundenspezifische methodische Vorüberlegungen
3.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
3.4 Reflexion
Anlage: Bilderbogen – zweite Doppelstunde
4. `Wettkampfturnen´ in der Schule und `Salti mortali´ fünfte Doppelstunde
4.1 Lernziele
4.2 Stundenspezifische methodische Vorüberlegungen
4.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
4.4 Reflexion
Anlage: Bilderbogen – fünfte Doppelstunde
5. Gerätelandschaften erkunden – letzte Doppelstunde
5.1 Lernziele
5.2 Stundenspezifische methodische Vorüberlegungen
5.3 Geplanter Unterrichtsverlauf
5.4 Reflexion
Anlage: Bilderbogen – letzte Doppelstunde
6. Gesamtreflexion

Literaturverzeichnis

Anhang Schulinterne Bekanntmachung der Testergebnisse

Grafische Darstellung der Genese von Bewegungen inklusive des Lernprozesses

Plakat der Sicherheitsgebote

I. Theoretischer Teil – Vorüberlegungen

1. Einleitung

Schon bevor ich im Schulalter war, war ich ein echter `Turner´. Ich turnte wann ich wollte mit Freunden auf Wiesen, Bäumen, Hügeln, Spielplätzen, u.Ä.m.. In der Schule dann, freute ich mich immer am meisten auf den Turnunterricht[1], in dem wir klettern, springen, werfen, fangen, rennen, balancieren, schwingen, uns drehen, überschlagen, rollen, ... durften und dabei viele große und kleine Geräte benutzten. Ich turnte aber auch nachmittags in der Turnhalle an verschiedenen Geräten. Zunächst nur so, wie es mir Spaß machte, aber dann wollte ich Kunststücke lernen, die andere schon konnten. Zwischendurch benutzte ich die Geräte aber immer wieder so, wie ich wollte.[2]

Warum ist eine solche Bewegungsgeschichte in der heutigen Zeit sehr ungewöhnlich? Das `Turnen´ in der Natur lässt die veränderte Lebenswelt der Kinder (mangelnder Bewegungsraum, mediales Spielverhalten, u.a.) kaum noch zu. Auch der Sportunterricht in der Schule ist – nach Berichten und Erfahrungen – häufig einseitig. Gemeint ist eine Überbewertung von sportartspezifischen gegenüber freien, vielfältigen und grundlegenden Bewegungsformen.[3] Die ganzheitlichen Bewegungen des Turnens an Geräten sind dabei immer mehr in den Hintergrund gerückt und erscheinen als gefährlich, aufwendig (Geräteaufbau) und uninteressant (alt, `verstaubt´). In jüngster Zeit ist die Arbeit mit Geräten wieder in Mode gekommen, wird aber m. E. häufig einseitig gestaltet. Es geht meistens nur darum, Erfahrungen zu machen, Erlebnisse oder gar Abenteuer zu haben. Es wird oft vergessen, dass `Turn-Kunststücke´ (normierte Bewegungsfertigkeiten) „... auch als gelungene Schöpfung, als Vollendung einer Idee gesehen werden [kann], deren Nacherfinden und Beleben eine bereichernde ästhetische Erfahrung verspricht“ (Volger 1996, 5).

Ich habe diese Glücksmomente nach gelungenen `Kunststücken´ nie vergessen und möchte, dass auch heute aufwachsende Kinder dies erleben können. Deshalb habe ich das Gerätturnen in der vorliegenden Unterrichtseinheit auch fertigkeitsorientiert gestaltet. Mir ist jedoch ebenfalls bewusst, dass Kinder auch selber Bewegungen erfinden und erleben wollen und müssen, denn v.a. das freie und erfahrungsbetonte Bewegen fehlt zum einen in der kindlichen Welt, und fördert zum anderen koordinative Grundeigenschaften am besten. Daher enthält der beschriebene Unterricht etwa zum gleichen Teil erlebnisorientierte Inhalte. Die von mir gewählten bzw. kreierten Gerätearrangements eröffnen die Möglichkeit zu vielen aus dem Trampolin- und Barrenturnen bekannten Bewegungsfertigkeiten, aber auch zu vielfältigen, selbstorganisierten Bewegungserlebnissen. Das Springen auf labilem Untergrund und das Klettern und Stützen auf minimierter Oberfläche fördern zudem in besonderer Weise die sensumotorische Entwicklung.

Mein besonderes Interesse liegt also darin, dass die Schüler[4] sowohl (normierte) Fertigkeiten des Gerätturnens erwerben, als auch in ihrer sensumotorischen Entwicklung gefördert werden. Deshalb werde ich in dieser Arbeit untersuchen, inwieweit die von mir gewählten Unterrichtsinhalte Bewegungs- und Koordinationslernen nach sich ziehen. Während das Bewegungslernen leicht zu erfassen ist (welche Bewegungsfertigkeiten wurden dazu gelernt?), ist dies beim Koordinationslernen nicht der Fall. Aus diesem Grund werde ich vor und nach der Unterrichtseinheit einen Körperkoordinationstest für Kinder (Kiphard/ Schilling 1975) durchführen[5], um zu sehen, ob die allgemeine sensumotorische Leistungsfähigkeit gestiegen ist.

Um die (Wahl der) Inhalte und Methoden dieser Unterrichtseinheit verständlich zu machen, habe ich dem praktischen Teil der Arbeit einen theoretischen vorangestellt. Hier wird zunächst die Sache näher beleuchtet. Dieser Part nimmt einen relativ großen Raum ein, da das hier zu Grunde liegende Verständnis von Turnen und besonders von Bewegung und Bewegungslernen (noch) unkonventionell und daher erklärungsbedürftig ist. Die Betrachtung der Klassensituation und didaktische Hintergründe komplettieren die Vorüberlegungen des ersten Teils. Im zweiten, praktischen Teil beschreibe ich dann jeweils vorerst die geplanten Ziele, Methoden und Inhalte des sechswöchigen Unterrichts in einer 6. Klasse, gefolgt von bewertenden Betrachtungen des tatsächlichen Verlaufs. Um nicht den Rahmen dieser Arbeit zu sprengen, habe ich vier charakteristische Doppelstunden ausgewählt, auf die ich näher eingehe. Der Geräteaufbau und die Unterrichtsinhalte werden den Stunden jeweils als grafische Anlagen beigefügt. Der Anhang enthält dann neben einigen Ergänzungen zum Theorieteil, Lernmedien und Bildern zu Spielformen hauptsächlich einen Auszug aus dem Körperkoordinationstest Kiphards.

2. Sachanalyse

2.1 Turnen an Gerätearrangements

„Turnen ist mehr“ (Dieckert 1995). Um diese `Definition´ des derzeitigen DTB-Präsidenten und Sportpädagogen hinreichend zu verstehen, ist ein Blick in die Geschichte dieses Kulturgegenstandes unausweichlich, v.a. deshalb, weil die historische bzw. ursprüngliche Betrachtungsweise der Sache Turnen – in manchen Köpfen wieder, in anderen immer noch – hoch aktuell ist.

Zurecht betiteln Trebels/ Crum die ersten ca. 160 Jahre dieser Geschichte als eine Entwicklung „vom Jahn´schen Turnen zum verschulten und versporteten Turnen“ (die Besagten 1980, 13). Das Konzept des Turnens von Jahn, das er 1816 zusammen mit Eiselen in der „Deutschen Turnkunst“ manifestierte, wird sachlich bzw. inhaltlich beschrieben durch die Turnübungen und das Turnspiel. Zu den Turnübungen gehörten leichtathletische und gymnastische Grundformen sowie Geräteübungen, Übungen mit Handgeräten und Kampfformen. Die Turnspiele beinhalteten gemeinschaftliche Spielformen mit und ohne Geräte. Zudem waren bei Jahn `Turnschule´ (Unterweisung in bestimmten Haupt- und Nebenübungen) und `Turnkür´ (jeder ist frei in der Wahl seiner Beschäftigung auf dem Turnplatz) gleichberechtigte Bestandteile des Turnens (vgl. II 1.1). In der vom `Turnvater´ entfachten Turnbewegung sorgte v.a. Spieß für die Verschulung des Turnens. Nicht die institutionelle Einbindung des Turnens in Schule und Verein, sondern seine rigoros strenge Festlegung der Inhalte bis hin zu detailliert vorgeschriebenen Bewegungsformen[6] führten zur immer stärkeren Verdrängung des Prinzips der `Turnkür´ bzw. des freien Sich-Bewegens. Von außen wurde das Turnen v.a. von der um die Jahrhundertwende aufkommenden Sportbewegung beeinflusst. Nach anfänglich strikter Trennung von Turnen und Sport erhielt letztendlich der sportliche Wettkampf Einzug ins Turnen. „Damit wird aus einer nationalen Tradition der Bewegungskultur eine den Sportprinzipien verpflichtete Sportart, die [...] wettkampfmäßig betrieben wird“ (Crum/ Trebels 1980, 15). Parallel dazu ist auch das aktuelle Alltagsverständnis des Turnens durch die beiden Erfahrungsquellen `Massenmedien´ und `eigene Schulerfahrungen´ auf das Kunstturnen bzw. seine Vorformen reduziert.

Aber wie ich Eingangs sagte, ist Turnen mehr, v.a. mehr als eine Sportart. Zum einen fasst der Oberbegriff Turnen heute verschiedene Bewegungsspiele und -formen[7], zum anderen wird auch das Gerätturnen, welches in dieser Einheit vornehmlich thematisiert wird, mehrschichtig gesehen. Dieckert gliedert das heutige Gerätturnen in `Kunstturnen´, `formgebundenes Gerätturnen´ und `freies Turnen an Geräten´ (vgl. der Besagte 1995, 124f.) – wobei letzteres einen fließenden Übergang zu anderen Bewegungsspielen und –formen aus dem Bereich Turnen bildet. Das Kunstturnen kann v.a. wegen mangelnder motorischer und funktioneller Voraussetzungen der meisten Schüler (vgl. I 4.4) und vielleicht auch aus ethisch-pädagogischen Gründen nicht zum Gerätturnen[8] in der Schule gehören, wohl aber – obligat – die beiden anderen Bereiche. Nun möchte ich diesen Bereichen andere, eher didaktisch-methodisch fundierte Termini zuweisen. So beinhaltet die Sache `Gerätturnen´ in dieser Unterrichtseinheit sowohl erlebnisorientiertes Turnen (`freies Turnen an Geräten´) als auch fertigkeitsorientiertes Turnen (`formgebundenes Gerätturnen´) an Geträtearrangements.

2.1.1 Erlebnisorientiertes Turnen

An dieser Stelle kann keine herkömmliche Bewegungsanalyse erfolgen, da es beim erlebnisorientier­ten, freien (Gerät-)Turnen keine normierten bzw. vorher festgelegten Bewegungsformen gibt. Vielmehr beinhaltet diese Sache ein vielfältiges Sich-Bewegen bezogen auf offene Bewegungsanreize bzw. –aufgaben oder Spielformen. Der große Vorteil liegt in ihrer Vielfältigkeit, denn

„beim `freien Turnen an Geräten´ kann man u. a.

balancieren – baumeln – beugen – biegen – bücken – drehen – fallen – fangen – federn – felgen – fliegen – grätschen – greifen – halten – hängen – hangeln – heben – hechten – hocken – hüpfen – kehren – kippen – klettern – klimmen – knicken – kriechen – kreisen – kreuzen – laufen – lösen – pendeln – rollen – rotieren – rutschen – schaukeln – scheren – schieben – schlagen – schleifen – schließen – schleudern – schlingen – schlingern – schnellen – schmettern – schrauben – schweben – schwingen – sinken – sitzen – spannen – spreizen – springen – steigen – stoßen – strecken – stürzen – stützen – tasten – taumeln – tragen – trudeln – wälzen – wanken – werfen – winden – wenden – wickeln – wippen – zappeln – ziehen

Die Vielfalt der Bewegungsformen erhöht sich ins nicht mehr Zählbare, wenn ich an den Sprachschatz unserer Präfixe denke (z. B. rück-beugen, auf-fangen, zu-greifen, ab-schwingen, nach-stützen usw.) oder an die Wortverbindungen (z. B. dreh-stemmen, wende-kehren, knick-stützen usw.)“ (Dieckert 1995, 125).

Nahezu alle von Dieckert aufgezählten Bewegungsmöglichkeiten kommen in dieser Unterrichtseinheit mehr oder weniger häufig vor (vgl. Bilderbogen). Die Sache ist in diesem Zusammenhang nicht allein die Bewegung an sich, sondern auch das durch sie erfahrene Erlebnis, die Auseinandersetzung mit den Geräten bzw. ihre Harmonisierung mit dem eigenen Körper und seinen Bewegungsmöglichkeiten.

Das hier dargestellte `erlebnisorientierte Turnen´ darf nicht gleichgestellt werden mit den Konzepten der Erlebnispädagogik oder des Abenteuersports – auch wenn eine Verwandtschaft durchaus besteht. Es unterscheidet sich von ihnen sowohl in bezug auf die Inhalte als auch auf die Zielsetzung. Im Gegensatz zum erlebnisorientierten Turnen haben Abenteuersport und Erlebnispädagogik inhaltlich nahezu keine Grenzen[9]. Die Zielsetzungen beinhalten bei allen drei Konzepten Erlebnisse durch Bewegung, wobei der Aspekt Bewegung beim hier angewandten Konzept die größte Gewichtung erfährt. Der entscheidende Unterschied bezogen auf die Zielsetzung wird allerdings erst duch die Frage `warum bestimmte Erlebnisse vermitteln?´ erkennbar. Beim erlebnisorientierten Turnen, wie ich es hier verstehe, sollen die Erlebnisse und Erfahrungen in erster Linie die allgemeine Bewegungssteuerung (Koordination) verbessern (vgl. I 2.2.3 und I 4.3), während in der Erlebnispädagogik und im Abenteuersport eher allgemeinpädagogische Ziele im Vordergrund stehen.

2.1.2 Gerätearrangements

Die Lernmedien für ein offenes Verständnis von Gerätturnen gehen über traditionelle Standard-Geräte und Olympia-Geräte hinaus. Im aktuellen Standard-Werk „Gerätturnen für alle“ (Bruckmann/ Dieckert/ Herrmann 1990) ist in diesem Zusammenhang von Gerätekombinationen die Rede. Warum ich mich hier für den Begriff `Gerätearrangements´ entschieden habe, was darunter zu verstehen ist und welche Formen hier zur Anwendung kommen, möchte ich nun erläutern.

Der Begriff Gerätearrangements beinhaltet zum einen eine Erweiterung der Palette der Turngeräte v.a. um Spielplatz-, Trimmplatz- und Alltagsgeräte und zum anderen eine Veränderung und/ oder Kombination der althergebrachten Geräte (vgl. Niedersächsisches Kultusministerium 1998, 20). Die Geräte werden (neu) arrangiert und zwar nach didaktisch-methodischen und allgemeinpädagogischen Gesichtspunkten (vgl. II 1.1), d.h. am Kind orientiert. Die Komponente der Schülerorientierung durch die neuen Lernmedien im Gerätturnen wird m. E. durch den Begriff `Gerätekombination´ nicht ausreichend berücksichtigt.

Zum Kern meiner Unterrichtseinheit gehören die Basisarrangements `Trampolin mit Treppe und Abgangsmatte´, `Zwillings-Minitramp-Anlage´ und `vielgestaltige Holme´ (vgl. Geräteaufbau der ersten fünf Doppelstunden). Zum Erstgenannten gehörte eine Kastentreppe als Aufgang, ein großes Trampolin[10], welches an der hinteren Stirnseite mit einer Weichbodenmatte (auf Gerät und Turnkasten liegend) abgesichert wird, sowie eine Hochsprungmatte zum Abgang[11]. Die `Zwillings-Minitramp-Anlage´ beinhaltet grundsätzlich zwei Minitrampoline[12], eine Weichbodenmatte zur Landung und zwei Turnmatten zur weiteren Absicherung. Die `vielgestaltigen Holme´ basieren auf einem Parallelbarren und einem Stufenbarren, die mit Turnmatten unterlegt werden. Diese Basisarrangements wurden des Öfteren, je nach Situation, verändert und/ oder ergänzt.

Hinzu kommen in der letzten Stunde einmalig der `Zitter- und Kampfbalken´ (niedriggestellter Schwebebalken mit Auf- und Abgang durch Turnkeile und mit Turnmatten unterlegt, vgl. Abb. 44 und 47), der `Kletterparcours´ (lange, mit Kästen, Bänken und Weichboden hergestellte Balancier- und Kletterstrecke, vgl. Abb. 40) und das zu überquerende `Lavafeld´ (markiertes Feld, das Turnkeile als Hindernisse enthält und mit Pedalos und Hüpfball zu überqueren ist, vgl. Abb. 46).

2.1.3 Fertigkeitsorientiertes Turnen

Das fertigkeitsorientierte Turnen besteht im Gegensatz zum gerade beschriebenen Konzept aus vorwiegend normierten, turnerischen Bewegungsformen. In der hier beschriebenen Unterrichtseinheit sind das einfache Bewegungsfertigkeiten an den drei Basis-Arrangements, welche im Folgenden beschrieben werden sollen.

2.1.3.1 Bewegungsformen am `Trampolin mit Treppe und Abgangsmatte´

Die Bewegungsformen des Trampolinturnens erwachsen aus Translation und Rotation. Die vertikale und horizontale Ortsveränderung, bzw. das Hochspringen und `Niederfallen´, sind Translationsbewegungen. Die Drehungen um die Längs- und Breitenachse[13] (Schrauben und Salti) sind Rotationsbewegungen.

2.1.3.1.1 Bewegungsformen der reinen Translation

Die `Physik´ der Translationsbewegung wird von Übelaker folgendermaßen beschrieben:

„Der Springer besitzt beim Herunterfallen kinetische Energie. Diese wird bei der Landung zum Spannen des Tuches benutzt. Durch Muskelkraft (Streckung der leicht gebeugten Beine kurz vor erreichen des tiefsten Punktes) wird das Tuch noch weiter gedehnt. Im Umkehrpunkt gibt es seine in Form von Spannungsenergie gespeicherte Energie als Translationsimpuls an den Springer ab. Dieser Kraftstoß I = F x t (I = Impuls, F = Kraft, t = Zeitdauer, in welcher die Kraft einwirkt) beschleunigt den Springer nach oben. Nach Verlassen des Tuches würde er sich mit gleichbleibender Geschwindigkeit weiterbewegen, wird aber durch die Erdanziehung abgebremst, bis er im höchsten Punkt zur Ruhe kommt. Jetzt ist seine Energie in Form von Lageenergie gespeichert, die sich während des erneuten Herunterfallens wieder in Bewegungsenergie umwandelt usw.“ (1982, 10f.).

Die Bewegungsrichtung sollte dabei möglichst nur vertikal sein – außer in Gewöhnungs- und Übungsphasen (vgl. erste Doppelstunde). Dazu muß der Körperschwerpunkt (KSP) über der Absprungstelle liegen. Befindet sich der KSP nicht genau über der Absprungstelle, d.h. ist er nach vorne, hinten und/ oder seitlich verschoben, so wird die Vertikalbewegung von einer Horizontalbewegung überlagert. Die Flugkurve des KSP zeichnet dann eine Parabel und das unerwünschte, bei Anfängern gefährliche sogenannte `Wandern´ (auf dem Tuch) ist gegeben. Dabei ist die Flugkurve des KSP und damit auch die Flugrichtung des Körpers an sich nach verlassen des Tuches unveränderlich festgelegt. Des Weiteren landen unerfahrene Springer häufig in Vor-, Seit- oder Rücklage, was dadurch zu begründen ist, dass sie den Körperschwerpunkt leicht exzentrisch treffen (Drehmoment, s.u.).

Der überwiegende Anteil der in dieser Einheit zu vermittelnden Sprünge basiert allein auf Translationsbewegungen, wobei nur die Körperhaltung während der Flugphase verändert wird. Allen Fußlandungen ist gleich, dass sie mit leicht geöffneten Füßen erfolgen sollen, um mehr Stabilität zur erhalten. Beim Strecksprung, welcher als Grundsprung zur Vorbereitung anderer Sprünge eine zentrale Rolle einnimmt, werden die Arme im Hochsteigen in die Körperverlängerung und bei der Abwärtsbewegung wieder herunter geführt. Nahezu während der gesamten Flugphase (bei Tuchkontakt sowie kurz vorher und nachher sind Knie gebeugt und Füße in Grundstellung) soll der Körper gestreckt und geschlossen bleiben (Körperspannung inkl. gestreckter Fußhaltung). Der Hocksprung (Hocke, vgl. Abb. 26 und 27) ist im Prinzip auch (fast) ein Strecksprung, nur dass kurz vor dem höchsten Punkt in der Luft Knie- und Hüftgelenk gebeugt werden. Dabei umfassen die Hände die Unterschenkel etwa eine Handbreit unter den Knien und ziehen diese und somit die Beine insgesamt nah an den Oberkörper heran. Auch hierbei soll der Körper möglichst geschlossen sein (Knie und Füße zusammen). Die Arme liegen bei der Hockposition eng am Körper an, bevor der Körper schnell wieder gestreckt wird. Neben den bereits beschriebenen Fehlern „Wandern“ und `nicht aufrechte Landung´, welche im übrigen für alle in diesem Abschnitt beschriebenen Sprünge zutreffen, bereiten häufig die Geschlossenheit des Körpers und das Ziehen der Knie bis zur Brust Probleme. Auch der Grätschwinkelsprung (vgl. Abb. 25) ähnelt dem Strecksprung stark. „Kurz vor dem höchsten Punkt in der Luft werden die gestreckten Beine vorhoch gegrätscht (mindestens 90°), der Oberkörper und die gestreckten Arme kommen ihnen von oben entgegen und die Hände berühren die Fußriste“ (Christlieb u.a. 1999, 80). Oft gelangen Anfänger nicht wirklich in die verlangte Grätschposition (krumme, wenig gegrätschte Beine, der Oberkörper kommt nicht herunter), was nicht nur auf mangelnde Beweglichkeit, sondern auch auf eine falsche Bewegungsvorstellung zurückzuführen sein kann. Die charakteristische Phase des Bücksprung es beschreiben Christlieb u.a. folgendermaßen: „Vor dem höchsten Punkt werden die gestreckten, geschlossenen Beine und der Oberkörper schnellkräftig zu einer engen Bückposition zusammengeführt“ (1999, 83). Zu den bei Grätschwinkelsprung auftretenden und den allgemein häufigen Fehlern kommt hier nicht selten eine ungewollte Sitzlandung, die aus einer zu lange eingehaltenen Bückposition resultiert.

2.1.3.1.2 Bewegungsformen mit Translation und Rotation

In dieser Einheit werden auch Sprünge thematisiert, bei denen neben Translations- gleichzeitig Rotationsbewegungen stattfinden. Gemeint sind sowohl Breitenachsen- (Sitzsprung, Salto vw/ rw) als auch Längenachsenrotationen (halbe und ganze Fußsprungschraube, halbe Schraube vom Sitz zum Stand).

Bei der Einleitung von Salti (Breitenachsenrotation) geschieht folgendes:

„Wenn der Kraftstoß des Tuches nicht in Richtung des KSP erfolgt (exzentrischer Kraftstoß), so wird neben der [...] Translationsbewegung auch eine Rotationsbewegung eingeleitet. Diese wird durch das Drehmoment M erzeugt, welches entsteht, wenn die Federkraft F im Abstand r am KSP vorbeiläuft [...]. Es gilt: Drehmoment M = F x r

Wirkt das Drehmoment M eine bestimmte Zeit t auf eine Masse ein, so entsteht dabei ein Drehimpuls b, welcher folgender Formel genügt: Drehimpuls b = M x t = I x w (w = Drehgeschwindigkeit; I =Trägheitsmoment, welches vom Abstand der Teilmassenschwerpunkte von der Drehachse abhängt)“ (Übelaker 1982, 11f.).

Ähnlich wie bei den Translationsbewegungen ist auch hier der Drehimpuls nach dem Absprung konstant und unabänderlich. Allerdings kann die beim Turnen entscheidende Drehgeschwindigkeit durch ein Verändern des Trägheitsmomentes beeinflußt werden. Durch das Entfernen von Masse von der Drehachse (Strecken des Körpers) können Salti verlangsamt, und durch das Annähern (`bücken´, `hocken´) beschleunigt werden.

Der Sitzsprung (vgl. Abb. 30) ist an dieser Stelle aufgeführt, weil er ca. ein achtel Saltodrehung rückwärts beinhaltet. In Absprung und erster Flugphase wird die Hüfte bei geschlossenen, gestreckten Beinen nach vorn geschoben. Die Arme sind während der Flugphase in Körperverlängerung und werden zur Landung seitlich heruntergeführt, um zuletzt seitlich hinter dem Gesäß aufzusetzen (Finger nach vorn). Sie sollen den leicht nach hinten gebeugten, aber in sich aufrechten Oberkörper stützen, wobei die Ellenbogengelenke leicht gewinkelt sein müssen, um Verletzungen zu vermeiden. Die Beine liegen geschlossen und gestreckt auf dem Tuch. Der am häufigsten zu beobachtende Fehler ist die falsche Landung, d.h. entweder `Beine fliegen zu hoch, Gesäß kommt zuerst auf´ oder `Beine fliegen nicht hoch genug, Füße kommen zuerst auf´. Ursache hierfür ist ein falsch dosierter Drehimpuls der eventuell im Zusammenhang mit einer falschen Bewegungsvorstellung steht. Der Sprung in den Stand (aus der Sitzposition) ist im Prinzip das genaue Spiegelbild des Sitzsprunges. Probleme und Nicht-Gelingen sind hier fast immer durch eine schlechte Sitzlandung zu erklären. Beim Absprung zum Salto rw gehockt (vgl. Abb. 38) ist weitaus mehr Drehimpuls erforderlich, d.h. der KSP muss exzentrischer `getroffen´ werden. „Der Absprung erfolgt mit gestellten Armen. [...] Direkt nach dem Absprung werden die Beine zusammen mit der Hüfte vorhoch gebracht [...]“ (Christlieb u.a. 1999, 130). Nun wird während der Rotation die Hockposition (s.o.) eingenommen, um die Rotation zu beschleunigen. Je nach Könnensstand wird diese dann früher oder später, einfach oder durch explosives Strecken wieder aufgelöst. Zur Landung wird also der Körper wieder gestreckt (auch Arme hoch, in Körperverlängerung), um aufrecht zu landen und die Rotation zu bremsen.

Um Schraubenrotationen auszulösen gibt es verschiedene Möglichkeiten, die zumeist kombiniert zur Anwendung kommen. Bei den (halbe und ganze) Fußsprungschrauben (vgl. Abb. 28) überwiegt die Drehabstoßschraube. Diese wird während des Absprunges, d.h. vor dem Verlassen des Tuches, durch Verwringung des Oberköpers in Drehrichtung eingeleitet. „Der Gesamtkörper wird sich beim Verlassen des Tuches durch das Beharren des Oberkörpers in der Drehbewegung und durch die Rückstellkraft des Tuches in Drehrichtung [...] weiterdrehen“ (Übelaker 1982, 12). Die halbe Schraube zum Stand (aus der Sitzposition) macht sich neben der Drehabstoßschraube die Drehmoment- und die Katzenschraube in etwa zu gleichen Teilen zu nutze. Während des Aufstehens bringt der Turnende seinen Körper aus einer gebückten Haltung zurück in eine gestreckte. So fördert er mit einer Katzenschraube[14] die Körperlängsachsenrotation. Durch ein gezieltes, zu einer Seite neigendes Anheben der Arme, nutzt der Springer außerdem den gyroskopischen Effekt, wodurch die Drehmomentschraube entsteht (vgl. a.a.O., 13).

2.1.3.2 Bewegungsformen an der `Zwillings-Minitramp-Anlage´

An diesem Basisarrangement werden in der Einheit die bereits dargestellten Sprünge Strecksprung, Hocksprung, Grätschwinkelsprung, Bücksprung und Standsprungschraube sowie der Salto vw (gehockt) thematisiert. Grundsätzlich sind die Bewegungsabläufe und ihre Biomechanik denen am großen Trampolin sehr ähnlich. Bei verschiedenen Geräteaufbauten entstehen jedoch biomechanische Unterschiede bezüglich der Energiegewinnung zum Spannen des Tuches und der Position des KSP im Absprung.

Bei waagerecht gestellten Minitramps, die genutzt werden wie das große Trampolin (aufsteigen-springen-absteigen), ist der Bewegungsablauf und seine Biomechanik übereinstimmend.

Werden die Minitramps schräg gestellt (aufsteigend zur Landematte) und mit Anlauf genutzt, verändert sich die Bewegungsabfolge samt Biomechanik. Der Bewegungsablauf setzt sich dann zusammen aus Anlauf, Einsprung, Absprung, Flugphase und Landung[15]. Während Anlauf, Einsprung und Landung bei allen Sprüngen nahezu identisch sind[16], gestalten sich Absprung und besonders die Flugphase von Sprung zu Sprung unterschiedlich. Absprung und Landung werden mit leicht geöffneten Füßen geturnt, um mehr Stabilität zu erhalten. Der Anlauf sollte je nach Leistungsstand und Sprungvorhaben möglichst schnell erfolgen, damit diese Laufgeschwindigkeit als kinetische Energie (zum Spannen des Tuches) – übertragen durch einen (einbeinig abgesprungenen) Einsprung mit bogenförmiger, d.h. von oben auf das Tuch führender, Flugkurve – in Sprunghöhe `umgewandelt´ werden kann. Wichtig ist nun, dass im Absprung der KSP vor der Abdruckstelle der Füße liegt, damit der Springer nach vorne zur Landematte fliegt.

Der Salto vw gehockt (vgl. Abb. 39) wird hier nach einem Einsprung von einem großen Kasten auf ein schräg gestelltes Minitramp (absteigend zur Landematte) geturnt. Um nach vorn zu gelangen muss der KSP wieder vor der Abdruckstelle liegen, und um Drehimpuls zu erzeugen muss er exzentrisch `getroffen´ werden. Die Rotation wird wie beim Salto rw gehockt durch das Einnehmen der Hockposition (Verringerung der Trägheitsmomente durch Näherung an die Drehachse) beschleunigt. Vor der Landung auf der Matte wird die Rotation durch Streckung des Körpers gebremst (Erhöhung der Trägheitsmomente).

2.1.3.3 Bewegungsformen an den `vielgestaltigen Holmen´

Die hier zu behandelnden Kernteile des Barrenturnens sind Beinschwungbewegungen (Vorschwung im Stütz und Rückschwung im Stütz), Kehren (aus dem Vorschwung, aus dem Rückschwung, mit und ohne Drehung) und die Rolle vw aus dem Grätschsitz in den Grätschsitz.

Zur Biomechanik der Beinschwungbewegungen am Barren äußert Knirsch sich folgendermaßen:

„Im Stütz ist der pendelnde Körper an diesem Gerät in einer Position, die an sich zwei verschiedene Lagesysteme aufzeigt.

Die Arme von den Händen (Stütz) aufwärts bis zu den Schultergelenken befinden sich in einer relativ labilen, der daran hängende Körper in einer relativ stabilen Lage.

Beim Schwingen im Stütz müssen beide Systeme miteinander im Gleichgewicht gehalten werden, sonst wäre ein Sturz unvermeidlich. Das bedeutet, daß der KSP des Schwungsystems Mensch sich möglichst über den stützenden Händen befinden muß. Für die Praxis heißt dies, daß beim Vorschwung der Beine die Schulter leicht zurück- und beim Rückschwung der Beine die Schulter entsprechend nach vorn genommen werden muß.“ (1978, 137)

Vorschwung im Stütz (vgl. Abb. 24): Beim Abschwung aus einer `ausgelenkten Position´ wird der Körper vor dem Passieren der Senkrechten in einen Zustand der Vorspannung (Bogenspannung) gebracht, um eine schnelle Beugung zu begünstigen. In etwa beim Passieren der Senkrechten wird die Vorspannung aufgelöst und die Beine werden schnell vorhoch gebracht. Durch diese Verkürzung des Pendels wird der Körper in der Aufschwungphase beschleunigt bis er (beim einfachen Schwingen) eine waagerechte Position erreicht. Rückschwung im Stütz: Der Abschwung aus der `ausgelenkten Position´ geschieht mit leicht gebeugter Hüfte bis zum Erreichen der senkrechten Lage. Wenn der KSP die Senkrechte passiert, werden die Beine explosiv in eine aktive Überstreckung nach hinten hoch geschwungen. Diese Verkürzung des Pendels rückhoch ist notwendig, um eine höhere Endlage zu erreichen.

Bei der Kehre aus dem Vorschwung erfolgt die Verkürzung des Pendels nicht ganz geradlinig, sondern in einem leichten Bogen entgegengesetzt der Ausstiegsrichtung. Am Ende des Vorschwungs wird der Körper durch einen ungleich starken, explosiven Abdruck von den Händen einerseits in seiner Breitenachsenrotation gebremst und andererseits in seiner Translationsbewegung seitlich über einen Holm befördert, was für die Kinder anfänglich recht schwierig ist.

Die Rolle vw aus dem Grätschsitz in den Grätschsitz (vgl. 37) ist der Rolle am Boden sehr ähnlich. Unterschiede sind lediglich bezüglich der Griff- bzw. Stützsituation und durch eine größere Höhe gegeben. Die Hände greifen aus dem Grätschsitz vor den Oberschenkeln die Barrenholme. Durch eine Teilrotation wird jetzt der Oberkörper nach vorne gesenkt und die Oberarme werden zum Oberarmstütz auf die Holme gestützt. Nun wird das Gesäß (KSP) über die Druckstelle des Oberarmstützes und an ihr vorbei gebracht, wodurch der Körper beginnt zu rollen. Diese Rotation wird durch das Annähern der Beine an den Rumpf beschleunigt. Jetzt müssen die Arme/ Hände umgreifen und die Beine nochmals gegrätscht werden, um ein `durchrutschen´ zu vermeiden. Gleichzeitig wird der Bein-Rumpf-Winkel vergrößert und so die Rotation verlangsamt[17], um wieder in einen ruhigen Grätschsitz zu gelangen.

2.2 Sensumotorisches Bewegungs- und Koordinationslernen

2.2.1 Sensumotorik

Der Begriff der Sensumotorik wird einigen Sportlehrkräften direkt ins Auge springen und dabei entweder als Druckfehler oder als völlig überholt angesehen werden. Manche werden ihn sogar gleichsetzen mit dem Begriff der Sensomotorik, was jedoch keineswegs akzeptabel ist. Im Gegenteil, hinter diesen beiden Vokabeln stehen zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen der menschlichen Bewegung. Bei der Sensumotorik geht die Bewegung vom Menschen aus und vollzieht sich als ein `in-Beziehung-setzen´ des ganzen Menschen (nicht nur seines Körpers/ Nervensystems) zur Welt. Die Sensomotorik geht davon aus, dass sich Bewegung über externe Bewegungsreize, welche von den Sensoren/ Analysatoren aufgenommen werden, organisiert. Es ist mir aus Platzgründen hier nicht möglich, meine Entscheidung gegen die Sensomotorik und damit auch gegen kybernetische Erklärungsversuche zur menschlichen Bewegung, allen voran die scheinbar unumstrittenen Regelkreismodelle von Meinel und Schnabel, hier weiter auszuführen. Wichtig bleibt jedoch festzuhalten, dass die Gesamtheit aller willkürlichen, aktiven Muskelbewegungen (Motorik) m. E. nicht ausgehend von sensorischen (Rück-) Meldungen bestimmt wird (Sensomotorik). Für mich ist unbestreitbar, dass nur der Mensch selber bzw. sein Geist (Sensus) mit all seinen Emotionen, Intentionen und mit seinem Metawissen sich verhalten bzw. bewegen kann, nicht aber ein biophysikalisch erklärtes Nervensystem.

Bei der Erklärung des Zustandekommens gezielter menschlicher Bewegungen bedient sich die Sensumotorik v.a. der Gestaltpsychologie (vgl. Kohl 1956, 3 und Tholey 1984, 11f.). Neben Volger (vgl. 1995, 157), Tholey (vgl. 1984, 11ff.), u. a. war bereits Buytendijk der Meinung, dass „man die Bewegungen selbst, wie sie sich uns darbieten als dynamische Gestalten ansehen“ kann (1956, 41). Besonders Tholey bestätigt die These von der Bewegung als „dynamische Gestalt“ (Buytendijk). Er spricht den Bewegungen das „dynamische Prinzip“ zu, in dem es darum geht, „daß in allen Systemen, in denen ein freies Kräftespiel möglich ist, Tendenzen zur Entstehung, Aufrechterhaltung und Wiederherstellung ausgezeichneter Ordnungen bestehen“ (Tholey 1984, 25). Diese Tendenzen werden in der Gestalttheorie als `Tendenz zur Prägnanz´ oder zur guten Gestalt bezeichnet. Wie sind aber diese Prägnanztendenzen im Menschen zu erklären? Christian spricht in diesem Zusammenhang vom „Wertbewußtsein im Tun“ und möchte damit „ausdrücken, daß die Wertkomponente der Zustimmung oder der Ablehnung schon gegeben ist, selbst wenn gegenständliche Inhalte noch nicht deutlich sind oder zu sein brauchen“ (Trebels 1990, 14). Die inneren Kräfte, die zum Aufbau, zur Präzision und zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung von Bewegungsgestalten beitragen, sind also im Gefühl des Menschen. Anders ausgedrückt heißt dies, „daß es zu jedem Gefühl [...] eine ausgezeichnete oder prägnante Struktur gibt, in der dieses Gefühl am reinsten und zwingendsten verkörpert wird“ (Tholey 1988, 104). Um dieses Gefühl zu vervollkommnen, muss sich zwingend auch die Bewegungsgestalt präzisieren. Die Steuerung dieses Gefühls und damit auch der Bewegungsgestalt schreibt Volger der Leistung einer „transmodalen Wahrnehmung“ zu, die „über alle Sinne hinausgehend“ (1995, 169) ist, doch dazu später mehr.

Die besondere Bedeutung der Wahrnehmung für die Bewegung des Menschen wurde sehr deutlich, als v. Weizsäcker 1950 seine Gestaltkreistheorie vorstellte. Im Stile Ennenbachs möchte ich diese nun kurz modellhaft vorstellen, was jedoch nicht bedeutet, dass ein Modell des Gestaltkreises nur eine Weiterentwicklung der Regelkreismodelle ist. Vielmehr unterscheidet es sich grundlegend von den maschinen-analogen Konstruktionen, denn „es weist keinen Weg `von oben nach unten´ bzw. `von unten nach oben´, sondern [...] einen horizontalen, in dem Wahrnehmung (W) und Bewegung (B), Subjekt (S) und Objekt (O) unganze und daher auf einander angewiesene Partner sind“ (Ennenbach 1989, 150).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung a): Wahrnehmen und Bewegen - der Gestaltkreis (Modell)

Zum besseren Verständnis sollen nun einige Prinzipien des so oder anders abbildbaren Gestaltkreises – u.a. mit den Worten der frühen Vertreter dieser Theorie – näher erläutert werden.

Die Verbindung zwischen W und B steht für das dialektische Verhältnis bzw. die Einheit von Wahrnehmung und Bewegung. Durch die Bewegung wird die Wahrnehmung ermöglicht, welche jedoch zugleich Voraussetzung für kontrollierte Bewegungen ist (vgl. auch Weizsäcker 1950, 20);

„Es ist dabei nicht entscheidbar, wer sozusagen `angefangen´ hat, die subjektive Bestimmtheit einer Wahrnehmung oder die objektive Bestimmtheit einer Bewegung. Ebensowenig existiert hier ein Vorrang: Eines leitet das andere und umgekehrt. Subjektives (Wahrnehmung) drückt sich in Körpergeschehen und Körperliches

(Bewegung) im seelischen aus. Hier herrscht also kein eingleisiges Kausalschema, auch kein psychophysischer Parallelismus, sondern ein fortlaufendes und gegenseitig sich erhellendes, in sich geschlossenes körperlich-seelisches Hin und Her in kreisartiger Verbundenheit. Genau dies ist der `Gestaltkreits´“ (Buytendijk und Christian 1963, 101).

Des Weiteren wird im Gestaltkreis dem Leitungsprinzip, welches die Reizweiterleitung in Anatomie und Physiologie beschreibt, ein Leistungsprinzip gegenübergestellt. Dadurch soll beschrieben werden, dass die Leistung eines biologischen Aktes (also auch der menschlichen Bewegung) auf verschiedene Art und Weise zustande kommen kann. Anders ausgedrückt geht man also

„von der biologischen Leistung aus, und um zu verstehen, wie diese Leistung verwirklicht wird, ist die Annahme notwendig, daß Strukturen und Funktionen nicht festgelegt sind. Das heißt: ein Körpergleichgewicht kann auf verschiedene Weise erhalten werden, der Gang ist keine Reflexkette, derselbe Muskel kann mehrsinnig verwendet werden. Also nicht durch die gesetzmäßige Gleichartigkeit, wie sie dem Reflex eignet, sondern durch die mögliche Verschiedenheit der Innervation und Koordination ist die Leistung garantiert“ (Buytendijk und Christian 1963, 98).

Bereits Weizsäcker fasste diesen Umstand zusammen und sagte,„daß [...] für die Leistungen am besten ein Prinzip der Erreichung des gleichen Erfolges auf verschiedenen Wegen“ verwendet werden solle, „für die nervösen Funktionen aber am besten ein Prinzip der Leitung auf dem gleichen Wege“ (1950, 4).

Hier anzuschließen ist die „ Dialektik von Entwicklung und Beharrlichkeit im Gestaltkreis“ (Buytendijk und Christian 1963, 101). Durch ständiges Wahrnehmen und Bewegen treten Veränderungen auf, während sich zugleich Invarianten eines Objektes (Wahrnehmung und Bewegungsgestalt) herauskristallisieren (s. besonders die Linien von O nach S und umgekehrt, aber auch deren Verbindung zu W bzw. B).

„Insofern ist `Gestaltkreis´ ein Begriff, der gleichermaßen die Entwicklung (das `Gestalten´), wie das Beharrliche (die `Gestalt´) enthält. Die Vereinigung beider im übergreifenden Begriff `Gestaltkreis´ ist deshalb unabschaulich (komplementär) und ebenso spannungsgeladen wie die Spannung von `Werden´ und `Sein´“ (ebd.).

Das Herausbilden von Bewegungsgestalten verläuft sehr subjektiv, da bereits die Wahrnehmung intentional-selektiv geschieht. Dieser Umstand wird durch den Begriff der Subjektivität in den Gestaltkreis aufgenommen.

„Die Subjektivität steht immer schon am Anfang, nämlich in der Bedingtheit dessen, was durch Wahrnehmung von vornherein ausgewählt, festgestellt und ergriffen wurde. [...] Daraus folgt: `Reiz´ ist nicht `Reiz´, sofern dadurch eine Reaktion notwendig und immer verbunden ist (dies wäre das Schema des Reflexes), sondern der Reiz wird nur dann wirksam, wenn er zur Anreicherung einer Objektbildung beiträgt. Vom Objekt kann also gar nicht getrennt vom Subjekt gesprochen werden, und deswegen ist der Begriff `Reiz´ folgerichtig nicht etwas objektiv Neutrales, sondern immer schon bedeutsamer, sinnvoller Gegenstand für ein Subjekt“ (ebd.).

Die Folgen für das Lehren von Bewegungen müssen aus analytischen Gründen in den methodischen Vorüberlegungen stattfinden (vgl. II 1.1).

2.2.2 Bewegungslernen

Da der Prozess des Bewegungslernens bei den Beschreibungen des Gestaltkreises - zumindest latent - bereits beschrieben wurde, soll dies hier hauptsächlich zusammenfassend geschehen. Dabei werde ich mich an Tholey (1984) orientieren, der „sensumotorisches Lernen als Organisation des psychischen Gesamtfelds“ versteht.

Ein solcher Prozess der Organisation ist z. B. die Entstehung einer Reafferenzfigur (Reafferenzbild). Die Reafferenzfigur bzw. das Reafferenzbild kann als transmodales Bewegungsgefühl beschrieben werden, das sich aus der allgemeinen transmodalen Wahrnehmung [18], entwickelt. Hierbei wirken vor allem visuelle, taktile, propriozeptive, kinästhetische und Zeit- Wahrnehmungen. U.a. Buytendijk ist der Meinung, daß eine solche Reafferenzfigur mitbestimmt wird durch „bei der Bewegung entstehende[..] sensible[..] Reize und Empfindungen“ und zur Steuerung der Bewegung beiträgt.

„Es ist nachgewiesen, daß die Lenkung des Bewegungsvollzugs zu einem großen Teil auf kinästhetischen und Tastempfindungen beruht. Beim Erlernen der Bewegungen müssen wir also die peripheren Eindrücke erfahren und aufbewahren. Manchmal folgen wir bei der Reproduktion einer Bewegung hauptsächlich den Bewegungsempfindungen in ihrer simultanen und sukzessiven Anordnung. Damit meinen wir den Gestalt-Charakter des Gesamtstroms peripherer Eindrücke“ (1956, 290).

Durch Wiederholung der Rolle vw aus dem Grätschsitz in den Grätschsitz beispielsweise werden Invarianten aus den transmodalen Wahrnehmungen, die während der Bewegung auftreten, selektiert und gestalthaft gespeichert. D. h. ich fühle die harten Holme (besonders an den Oberschenkeln), die Zeit des Umgreifens, wann meine Beine über meinem Kopf sind und mein KSP über die Oberarmdruckstelle `läuft´, ich sehe zu Beginn den Boden, ... Das gespeicherte Reafferenzbild bewirkt beim Könner eine transmodale Antizipation der Bewegung; die innere Mitbewegung. Die Rolle wird dann immer `runder´ und es gibt kaum noch Schmerzen an den Oberschenkeln.

Auf einer höheren Stufe des Bewusstseins – jedoch nicht unabhängig von der Bildung der Reafferenzfigur – vollzieht sich ein weiterer Organisationsprozess[19]. Das wiederholte Ausführen einer Bewegung führt zu einem bildhaften Bewusstseinsinhalt, der sich immer weiter reduziert auf sogenannte Bewegungsdominanten (Bewegungskerne und Situationskerne). Aus einer ursprünglich weit gefaßten Bewegungsvorstellung entwickelt sich durch Übung und dem damit verbundenem Erkennen von Invarianten ein enger gefasstes, gestalthaft gespeichertes Bewegungsmuster. Treibende Kräfte sind dabei dem Menschen innewohnende Prägnanztendenzen bzw. mit Christians Worten das `Wertbewußtsein im Tun´. Das so entstandene Bewegungsmuster kann dann vor der Handlung als Bewegungsentwurf aktualisiert (ins Bewußtsein gerufen) werden. Beim Könner reduziert sich das Bewegungsmuster noch weiter zu einer dynamisierten Bezeichnung, welche die Bewegung bei innerer Bereitschaft initiiert (Bewegungseinstellung).

Durch Organisationsprozesse entsteht beim sensumotorischen Lernen also eine dynamisierte Bewegungsbezeichnung und eine Reafferenzfigur, die als gespeicherter Gedächtnisinhalt bzw. als Bewegungsengramm, im Menschen vorhanden sind und die Bewegung codieren. Das Bewegungs-engramm beinhaltet also eine Abbildung (je nach Könnensstand) der mehr oder weniger hoch organisierten Bewegung als dynamische Gestalt.

Neben diesen Organisationsabläufen findet auch ein Prozess der Veränderung der Zentrierungsverhältnisse im anschaulichen Gesamtfeld [20] statt. Nach Kohl beinhaltet dieser Prozeß drei Stadien. „Das erste Stadium kann als `naives´ bezeichnet werden. Dabei ist die Aufmerksamkeit ganz dem Ziel zugewandt. Das anschauliche Ich hat phänomenal kaum Gewicht“ (1956, 82). In diesem Stadium befinden sich eventuell Kinder, die an Gerätearrangements unbekümmert Kunststückchen versuchen (Umwelt-Zentrierung). Sobald sie jedoch durch Misserfolg darüber nachdenken, wie sie zum Erfolg kommen können, geraten sie, wie die meisten Sportler, in ein zweites Stadium; das Lern- und Übungsstadium. Hier „erfolgt ein dauernder Wechsel der Zentrierung. Die Aufmerksamkeit ist einmal hierhin, einmal dahin gerichtet. Sie wandert, geht einzelne Teile des Gesamtfeldes durch“ (ebd.). Dabei verlagert sich die Aufmerksamkeit hauptsächlich in den Körper und seine Teile. Das Kind konzentriert sich z. B. auf die Fußhaltung beim Balancieren oder auf die Kopfhaltung bei einer Rolle (Ich-Zentrierung). Dies ist im dritten (Könnens-)Stadium nicht mehr nötig. Die Beherrschung der Bewegung ermöglicht es, dass „dem Ziel wieder seine alte Bedeutung zukommt, und das anschauliche Gesamtfeld sich unter neuen Bedingungen zuordnet. Die Abbildung des Zieles schafft dann von selbst die zu seiner Erreichung notwendige motorische Eistellung“ (ebd.). Die innere Bereitschaft aktiviert das Bewegungsengramm, aus dem sich die Bewegung als dynamische Gestalt (mehr oder weniger) frei entfalten kann. Hier entsteht eine Freiheit, die dazu führt, dass Ich und Umwelt in einem koordinativen Gesamtfeld verschmelzen.

Diese Stadien sollen keineswegs eine kontinuierliche Entwicklung während des Lernprozesses darstellen. Vielmehr springt der Sich-Bewegende, auch der Könner, zwischen den Stadien. In den

methodischen Vorüberlegungen wird es darum gehen, durch welche Lehr- und Lernprinzipien die hier beschriebenen Organisationsprozesse unterstützt und auf hohem Niveau gehalten werden können (vgl. II 1.1)

2.2.3 Koordinationslernen

Während es im vorangegangenen Punkt in erster Linie um das Erlernen sportmotorischer Fertigkeiten ging, sollen nun die koordinativen Fähigkeiten und ihre Entwicklung beleuchtet werden.

Allein der Begriff der (motorischen) Koordination lässt so viele Definitionen zu, dass es schwerfällt, eine eindeutige Wahl zu treffen bzw. die gültige Erklärung zu finden. Die nun Folgende basiert vorwiegend auf den Aussagen Kiphards (1990) und der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung Haltungs- und Bewegungsauffälliger Kinder und Jugendlicher e.V. (1990). Demnach verstehe ich unter motorischer Koordination das harmonische und möglichst ökonomische Zusammenwirken von Muskeln (Synergie der Agonisten und Antagonisten), Nerven und Sinnen (transmodale, intentionale Wahrnehmung) zu Bewegungen und Haltungen. Über die inneren Vorgänge des sensumotorischen Lernens, die sowohl beim Bewegungs- als auch beim Koordinationslernen stattfinden[21], wurde in den Punkten I 2.2.1 und I 2.2.2 schon einiges berichtet und soll deswegen hier nicht wiederholt werden. Nun sollen daraus ableitbare koordinative Fähigkeiten bestimmt und eingegrenzt werden. Nach Betrachtung verschiedener Auffächerungsvorschläge[22] habe ich mich für die Hirtz´schen Gewandtheitskriterien (vgl. Joch 1992, 116) entschieden, da diese mir am reinsten erschienen, d.h. die wenigsten Überschneidungen enthaltend. Demnach lassen sich sieben koordinative Fähigkeiten unterscheiden:

- Kopplungsfähigkeit ® „...Fähigkeit zur Organisation der Teilkörperbewegungen untereinander, die im Zusammenspiel räumlicher, zeitlicher und dynamischer Bewegungsparameter zum Ausdruck kommt“ (Joch 1992, 116)
- Gleichgewichtsfähigkeit ® statisches und dynamisches Gleichgewicht des Körpers
- Rhythmisierungsfähigkeit ® „... Fähigkeit [...], den charakteristischen dynamischen Wechsel eines Bewegungsablaufs zu erfassen und zu realisieren“ (ebd.)
- Reaktionsfähigkeit ® „schnelles und zweckmäßiges Einstellen auf unvorhersehbare Situationswechsel“ (BAG z. Förderung Haltungs- und bewegungsauffälliger Kinder u. J. 1990)
- Umstellungsfähigkeit ® motorische Handlungen entsprechend der Situation kontrollieren und korrigieren
- Differenzierungsfähigkeit ® „Fähigkeit zum Erreichen einer hohen Genauigkeit und Ökonomie (Feinabstimmung) einzelner Teilbewegungen, Bewegungsphasen sowie der Gesamtbewegung“ (Joch 1992, 116)
- Orientierungsfähigkeit ® „... Fähigkeit zur Bestimmung oder Änderung der Lage und der Bewegung des Körpers in Raum und Zeit“ (ebd.)

Diese koordinativen Fähigkeiten stehen nicht für trennscharf isolierbare Einzelmerkmale, sondern müssen als eng verflochtenes Beziehungsgeflecht mit wechselseitigen Abhängigkeiten gesehen werden.

Wichtig ist weiterhin, dass die koordinativen Fähigkeiten nicht unabhängig von konditionellen Voraussetzungen gesehen werden dürfen. Muskuläre bzw. organische Eigenschaften sind also ebenfalls eng mit den koordinativen Fähigkeiten verschränkt.

Aus allem bisher zur Sensumotorik und koordinativen Fähigkeiten Gesagten möchte ich nun eine Trias koordinativer Grundeigenschaften erstellen (Abb. b), das zugleich Grundlage, Katalysator und Ziel des Koordinationslernens verkörpert und so als sein Ausgangspunkt bezeichnet werden kann.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Bewegungserfahrung -

Quantität transferierbarer Engramm[fragment]e

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Koordinative

Grundeigenschaften

intentionales, transmodales muskulär-organische

Wahrnehmungsvermögen Eigenschaften

Abbildung b): Trias koordinativer Grundeigenschaften[23] als Ausgangspunkt des Koordinationslernens

Beim Koordinationslernen in der vorliegenden Unterrichtseinheit werden nun diese koordinativen Grundeigenschaften verbessert, verflochten und zu koordinativen Fähigkeiten ausgebaut, indem in Geräteparcours, -landschaften und mit Kleingeräten vielfältige Bewegungserfahrungen gemacht, die Wahrnehmungsvorgänge intensiv geschult[24] und die konditionellen Voraussetzungen (Kraft, Schnellkraft) trainiert werden (vgl. methodische Vorüberlegungen).

Abschließend sei noch bemerkt, dass sich im Koordinationslernen einebiogenetische Sequenz [...] von großräumiger Bewegungsbeherrschung zur räumlich enger umgrenzten Präzisionsmotorikabzeichnet (Kiphard 1990, 100). D. h. zuerst muss gelernt werden, den Körper im Großraum zu beherrschen bzw. ihn sicher durch den Raum und seine Hindernisse zu führen und seine Bewegungen den wechselnden Raumgegebenheiten anzupassen. Erst danach kann erlernt werden, Extremitätenbewegungen im Kleinraum (gut) zu kontrollieren. U. a. deshalb werden in dieser Einheit oft Organisationsformen zum Einsatz kommen, bei denen die Schüler sich durch die ganze Halle bewegen müssen (vgl. methodische Vorüberlegungen).

3. Anmerkungen zur Situation der Klasse

3.1 Rahmenbedingungen

Die Unterrichtseinheit findet in einer sechsten Klasse der Maximilianschule Rütenbrock statt. Neben der zur Zeit dreizügigen Orientierungsstufe besteht diese Schule außerdem aus einer jeweils zweizügigen Grund- und Hauptschule und ist mit etwa 280 Schülern recht groß für die ländliche Gegend. Die 23 Kinder dieser Klasse (12 Jungen, 11 Mädchen) kommen z. T. aus der GS der Maximilianschule und aus den umliegenden Dörfern (Erika, Fehndorf). Weder im `eigenen Hause´ noch in den anderen Grundschulen ist die Unterrichtsversorgung für das Fach Sport v.a. qualitativ aber auch quantitativ nicht zufriedenstellend. Sport findet hier in vielen Fällen nur einstündig (pro Woche) oder maximal zweistündig statt und dies ohne ausgebildete Sportlehrer. Der außerunterrichtliche Sport in dieser OS ist wenig ausgeprägt bzw. beschränkt sich, um genau zu sein, auf zwei Tischtennisplatten auf dem Schulhof, an denen in der Pause gelegentlich mit einem Tennisball und ohne Schläger eine Rundlaufvariation gespielt wird.[25] All diese Aspekte haben zur Folge, dass kein sonderlich hohes sensumotorisches Leistungsniveau erwartet werden darf (vgl. I 3.2 und I 3.3).

Weil die ursprüngliche Turnhalle baufällig geworden ist, findet der Sportunterricht seit einigen Jahren in der neu errichteten Ballsporthalle statt. Die Bezeichnung dieser Halle weist bereits daraufhin, dass sie (ihre Ausstattung) leider nach dem Anforderungsprofil der in dieser Gegend (und in dieser Zeit) dominierenden Sportarten ausgerichtet wurde und nicht für einen ganzheitlichen Bewegungsunterricht. Wären nicht nach und nach Geräte aus der alten Turnhalle hinüber getragen worden, müsste der Sportunterricht hier sehr einseitig (ballsport-lastig) stattfinden und an (Gerät-) Turnen wäre gar nicht zu denken. Da trotzdem nur wenige (Turn-) Geräte zur Verfügung stehen[26], muss ich mich mit dem begnügen, was vorhanden ist[27], und damit kreativ umgehen (vgl. I 2.1.2 und II 1.1). Zeitliche Einbußen durch den aufwendigen Auf- und Abbau in den Stunden dieser Einheit sind leider nicht durch eine gemeinsame Nutzung mit anderen Klassen einzugrenzen, da hierzu aus personellen und curricularen Gründen nicht die Möglichkeit besteht. Da im anderen Teil der zweiteilbaren Halle eine neunte recht lebendige Hauptschulklasse jeweils parallel Unterricht hat, werde ich im Unterricht mit Gesten und anderen visuellen Hilfsmitteln arbeiten müssen, denn bei diesen Lautstärkemodalitäten sind verbale Ansagen nur bedingt möglich.

3.2 Allgemeine Lernvoraussetzungen

Die Schüler sind elf bis dreizehn Jahre alt, was bedeutet, dass sie an der Schwelle zur Pubertät stehen. De Marées, Meinel und Ungerer sind sich hier nicht ganz einig bezüglich der Altersgrenzen der Entwicklungsstufen und den daraus resultierenden Folgen für sensumotorisches Lernen. Die Schüler befänden sich nach Auffassung des Erstgenannten schon überwiegend in der ersten puberalen Phase (Pubeszenz), in der das Erlernen von Bewegungsfertigkeiten und die allgemeine Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt sind (vgl. de Marées 1981, 346ff.). Nach Meinel und Ungerer hingegen fallen die Kinder genau in die Phase des späten Schulkindalters, die durch eine gute motorische Lernfähigkeit und v.a. durch eine Verbesserung der Bewegungssteuerung gekennzeichnet ist (vgl. Meinel 1976, 355f. und Ungerer 1967, 70). Ich schließe daraus und aus den bisherigen Unterrichtserfahrungen, dass die Kinder dieser Klasse überwiegend noch gute entwicklungsbedingte Voraussetzungen für das Koordinations- und Bewegungslernen mitbringen. Selbst wenn zwei oder drei Schüler bedingt durch die Pubeszenz schon in ihrer Bewegungssteuerung beeinträchtigt sind, so gewährleistet doch das hier zur Anwendung kommende, relativ offene Konzept, dass alle ihrer Ausgangslage entsprechend gefördert werden (vgl. II 1.1).

Die Körpergröße der Kinder ist relativ einheitlich – was eher gegen de Marées Einstufung in die Pubeszenz sprechen würde. Trotzdem bestehen Unterschiede, die aber im Unterricht z. B. durch Aufgangstreppen und unterschiedliche Barrenhöhen aufgefangen werden (vgl. methodische Vorüberlegungen).

Bezüglich der muskulären bzw. organischen Voraussetzungen bestehen recht große Unterschiede, die wohl auch dadurch zu begründen sind, dass die Kinder besonders in den Bereichen Ausdauer und Kraft an einer Schwelle der motorischen Entwicklung stehen, die einige schon übertreten haben (vgl. Martin 1982, 51). Deshalb kommen hier größtenteils Geräte zum Einsatz, die eventuelle Kraftmängel kompensieren. Außerdem bieten die Bewegungsaufgaben zumeist unterschiedliche Lösungsmöglich-keiten, die es allen Schülern ermöglichen, für sich angemessene Bewegungslösungen zu finden.

[...]


[1] Offiziell hieß das Fach schon Sport, aber alle nannten es Turnen.

[2] Später entschied ich mich für ein Gerät, an dem ich schwierigere Kunststücke lernen wollte und beschäftigte mich lange damit.

[3] Die neuen „Grundsätze und Bestimmungen für den Schulsport“ versuchen jüngst (1998), diesem Umstand entgegenzuwirken.

[4] Im Interesse besserer Lesbarkeit wird bei Rollenbezeichnungen in der Regel jeweils nur die männliche Form verwendet.

[5] Das normierte Material dazu leihe ich aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie Aschendorf.

[6] Spieß fixierte seine Forderungen 1867 in seiner „Lehre der Turnkunst in vier Teilen“.

[7] Schon ein Blick in die Angebotspalette des DTB macht dies unbestreitbar.

[8] Der Terminus Gerätturnen wird hier und in der Folge als Dieckerts mehrschichtiger Begriff verwendet.

[9] Die inhaltliche Eingrenzung des erlebnisorientierten Turnens wie es hier zur Anwendung kommt besteht v.a. in seiner relativen Gebundenheit an Ort und Geräte.

[10] Wettkampftrampolin der Firma Eurotramp, Modell Grandmaster (Höhe: 1,15m, Sprungtuch 4,26m x 2,13m aus 6mm breiten Nylonbändern, das mit 23,5cm langen und 3cm dicken Stahlfedern in einen 5,20mx3,05m großen Stahlrahmen eingehängt ist)

[11] Vgl. den Aufbau der Basisarrangements auch in den Aufbauskizzen und dem Bilderbogen.

[12] Weniger moderne Absprungtrampoline mit durchgehendem, ca. 60cm x 60cm großem Sprungtuch, das durch Gummikabel in den 112cm x 112cm Stahlrahmen eingehängt ist. Die Schräglage und Höhe der Geräte sind variierbar.

[13] Drehungen um die Tiefenachse (Seitwärtssalti, Kreisel) finden weder in dieser Unterrichtseinheit noch im Trampolinsport Berücksichtigung.

[14] Wie diese Schraube zu Stande kommt, ist umstritten (vgl. Kassat 1993, 152ff.) und soll hier auch deswegen nicht weiter bedacht werden.

[15] Eine detailliertere Phaseneinteilung (besonders zwischen Absprung und Landung) ist möglich, aber für diesen Unterrichtsgegenstand nicht erforderlich.

[16] Die Landung kann bei Vorübungen auch liegend oder sitzend erfolgen. Anlauf und Einsprung variieren zumeist in ihrer Intensität (Schnelligkeit und Weite), dabei sind besondere Unterschiede zw. leichten und schweren Sprüngen zu bemerken.

[17] Verringerung der Drehgeschwindigkeit durch Entfernung der Extremitäten von der Drehachse und somit Vergrößerung der Trägheitsmomente

[18] Den Begriff `transmodal´ habe ich von Volger übernommen (vgl. 1995, 169f.). Er soll verdeutlichen, daß der Wahrnehmungseindruck während einer Bewegung über die Summe der Sinnesleistungen hinausgeht. „Das Ganze ist eben mehr als die Summe seiner Teile“ (ebd.). M. E. ist dieser Begriff auch sehr gut auf die Reafferenzfigur als Bewegungsgefühl anwendbar, da diese sich ja aus der transmodalen Wahrnehmung entwickelt.

[19] Vgl. besonders Ennenbach 1989, 206f.

[20] „In gestalpsychologischer Terminologie spricht man herkömmlicherweise vom anschaulichen Gesamtfeld, wenn das Ich in das Erleben einbezogen ist [...]“ (Kohl 1956, 3)

[21] Beim Koordinationslernen entstehen keine spezifischen Bewegungsengramme, sondern allgemeingültige, d.h. hoch transferierbare Engramm(fragment)e.

[22] Schnabel 1974, 630; Mattausch 1973, 856; Roth 1982, 43; Roth/ Willimczik 1985, 70f.

[23] Die Vielfalt der Begrifflichkeiten zu den koordinative Fähigkeiten lässt sich komplett aus diesem Modell ableiten!

[24] V.a. die kinästhetische, propriozeptive und die Zeit- Wahrnehmung, durch Ausschalten des vorherrschenden, visuellen Anteils.

[25] Bodenzeichnungen mit Bewegungsspielen, interessante Spiel- und Bewegungsgeräte oder gar ein `Sinnesgarten´ zur Förderung sensumotorischer Fähigkeiten und der Gesundheit sind also (noch) nicht vorhanden.

[26] Es fehlen v.a. Kletter-/ Sprossenwände, (Decken-) Seile und Bodenrecks.

[27] Zum Glück war gerade erst ein großes Trampolin angeschafft worden.

Ende der Leseprobe aus 76 Seiten

Details

Titel
Erlebnis- und fertigkeitsorientiertes Geräteturnen in einer 6. Klasse der Orientierungsstufe
Hochschule
Studienseminar Nordhorn für das Lehramt an Grund-, Haupt- u. Realschulen  (Sportseminar)
Veranstaltung
Sport-Seminar
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
76
Katalognummer
V7252
ISBN (eBook)
9783638145671
ISBN (Buch)
9783640396153
Dateigröße
693 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Unterrichtseinheit, die mir und den SchülerInnen sehr viel Spaß gebracht hat. Aber nicht nur das, motorische Tests vor und nach der Einheit haben bewiesen, dass die Inhalte sehr positiven Einfluss auf die koordinatorischen Fähigkeiten hatten.
Schlagworte
Sportunterricht, Turnen, Koordination, Sensumotorik, Trampolinturnen
Arbeit zitieren
Thomas Springub (Autor:in), 2000, Erlebnis- und fertigkeitsorientiertes Geräteturnen in einer 6. Klasse der Orientierungsstufe, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/7252

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