Betrachtet man die heutige Interpretation des Nationenbegriffes, so findet sehr häufig eine Verknüpfung von Sprache und Nation statt, in der Form, die jeweilige Sprache für die Nation konstitutiv zu denken. Dieser Gedanke taucht das erste Mal zum Ende des 18. Jahrhunderts auf, als der Begriff der modernen Nation geprägt wurde. Auch in dem geschichtsphilosophischen Hauptwerk des einflussreichen Kulturphilosophen Johann Gottfried Herder, den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit taucht eine solche Verbindung auf.
Das damalige Denken sowie die heutige weit verbreitete Auffassung zum Nati-onenbegriff widersprechen allerdings vielen Interpretationen des Begriffs, die in der Folgezeit entwickelt wurden. Bereits Ernest Renan wendet sich etwa hun-dert Jahre später dagegen: „Die Sprache lädt dazu ein, sich zu vereinigen; sie zwingt nicht dazu.“ Noch weiter geht Benedict Anderson, der Nationen in sei-nem Buch Die Erfindung der Nation als Imagined Communities (Vorgestellte Gemeinschaften) beschreibt.
Vor dem Hintergrund der Thesen von Anderson drängt sich mir die Frage auf, wie es im 18./19. Jahrhundert möglich war, die Nation derart eng an die Sprache zu knüpfen. Dies möchte ich am Beispiel des Abschnitts Das sonderbare Mittel zur Bildung des Menschen ist die Sprache. aus dem zweiten Teil von Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, die 1785 erschienen, tun. Am gewählten Text soll deutlich gemacht werden, dass Herders Nationenbegriff immer zusammen mit der Sprache gedacht wird, von dieser abhängig ist und bedeutende Merkmale mit ihr teilt. Außerdem soll deutlich gemacht werden, welche Probleme eine solche Verknüpfung mit sich bringt.
Dazu werde ich zunächst einmal in Andersons Nationenbegriff einführen, um meine theoretische Grundlage zu klären, mit Hilfe derer ich den ausgewählten Text untersuchen möchte. Danach analysiere ich die Bedeutung, die Herder dem Sprachbegriff und insbesondere der Schrift zukommen lässt, damit klar wird, welchen Stellenwert die Sprache in der zu zeigenden Verknüpfung von Nation und Sprache einnimmt. Anschließend untersuche ich die Verwendung der Begriffe der Sprache und der Nation im Text, um belegen zu können, an welchen Stellen sie auf welche Art verknüpft werden, wobei auch Lücken in dieser Verknüpfung aufgezeigt werden sollen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Andersons Imagined Communities
- Die Bedeutung des Sprachbegriffes
- Die Schrift
- Nation und Sprache
- Offensichtliche Verknüpfungen
- Verknüpfungen über äquivalente Eigenschaften
- Kritik
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit der engen Verbindung zwischen Sprache und Nation im Kontext von Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“. Ziel ist es, die Verbindung von Nation und Sprache in Herders Werk aufzuzeigen und die Problemstellungen, die eine solche Verknüpfung mit sich bringt, zu beleuchten.
- Die Rolle des Sprachbegriffs bei Herder
- Die Verknüpfung von Sprache und Nation bei Herder
- Andersons These der „Imagined Communities“ und ihre Relevanz für die Analyse
- Die historische Entwicklung des Nationenbegriffs
- Die Bedeutung der Sprache in der Bildung des Menschen nach Herder
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik ein, indem sie die Verbindung von Sprache und Nation in der heutigen Zeit und bei Herder beleuchtet. Der Text von Benedict Anderson, der Nationen als „Imagined Communities“ beschreibt, wird als theoretischer Hintergrund für die Analyse von Herders Werk vorgestellt.
Der zweite Abschnitt befasst sich mit Andersons These der „Imagined Communities“ und beschreibt die wichtigsten Merkmale dieses Konzepts. Dabei wird insbesondere auf die Bedeutung des Buchdrucks für die Entstehung des modernen Nationenbegriffs hingewiesen.
Im dritten Abschnitt wird die Bedeutung der Sprache im Kontext von Herders Werk untersucht. Es wird gezeigt, dass die Sprache bei Herder eine zentrale Rolle in seiner Philosophie spielt und die Grundlage seiner Sprachphilosophie bildet.
Der vierte Abschnitt analysiert die Verbindung von Sprache und Nation in Herders Text „Das sonderbare Mittel zur Bildung des Menschen ist die Sprache“. Die Analyse zeigt auf, wie diese beiden Begriffe in Herders Werk eng miteinander verknüpft sind und welche problematischen Aspekte diese Verknüpfung aufweist.
Schlüsselwörter
Schlüsselwörter, die im Text behandelt werden, sind: Sprachbegriff, Nationenbegriff, Imagined Communities, Johann Gottfried Herder, „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“, Sprache und Nation, Bildung, Schrift, Buchdruck, historische Entwicklung.
- Arbeit zitieren
- Sven Lüders (Autor:in), 2007, Der Sprach- und der Nationenbegriff in Herders Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit am Beispiel des Abschnittes Das sonderbare Mittel zur Bildung des Menschen ist Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75796